Warum der Kunde ins Zentrum rückt
Herausforderungen und Lösungsansätze
Der Wandel vom klassischen Energieversorger zum Energiedienstleister, die digitale Transformation sowie die zunehmend individualisierten Kundenbedürfnisse stellen neue Anforderungen an EVUs, die mit bisherigen Ansätzen und Rezepten nicht erfüllbar sind. «Customer Management» ist Vergangenheit. In Zukunft zählt die «Customer Centricity».
Bereits nach der ersten Strommarktöffnungsstufe rückte die Optimierung der Kundenorientierung ins Scheinwerferlicht der Energieversorger. Es galt, den Kunden vermehrt als solchen wahrzunehmen und fokussierter anzusprechen. Die anschliessenden Initiativen rund um das Customer Management waren jedoch primär technisch geprägt, zum Beispiel die Einführung eines CRM-Systems. Ein ganzheitlicher, unternehmensweiter Ansatz, der den Kunden ins Zentrum der Aktivitäten setzt, wurde bis anhin in den wenigsten Fällen verfolgt.
Warum Customer Centricity für EVUs?
Genau dieser Ansatz wird immer wichtiger. Sämtliche Trends und Entwicklungen in der Energiebranche – von der Energiewende bis hin zur angepeilten, vollständigen Marktöffnung – haben neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zur Folge, die mehr Wettbewerb und dadurch entsprechende Kundenfokussierung implizieren.
Mit der zunehmenden Dezentralisierung der Energiewertschöpfung verlagert sich das Spielfeld hin zum Kunden. Der «Prosumer» wird Teil des systemweiten Energiemanagements. Trends wie Eigenverbrauch verstärken den Druck auf die herkömmlichen Geschäftsmodelle und zwingen Energieversorger, kundenspezifische Dienstleistungen zu entwickeln. Zugleich bringt dies neue Mitbewerber auf den Plan, die mit tiefen Eintrittsbarrieren in diesem Segment hochwertige, modulare Produkte auf den Markt bringen. Die erfolgreiche Verteidigung der bisherigen Wettbewerbsvorteile erfordert somit eine enge Kundenbindung und fortlaufende Antizipation der sich immer schneller ändernden Kundenbedürfnisse.
Auch wenn der Zeitpunkt der vollständigen Marktöffnung noch nicht abschliessend geregelt ist, lässt sich ein zunehmender Konsens feststellen, dass der Handlungsdruck zunimmt und die Vorbereitungen immer dedizierter erfolgen sollten. Die Wahrung und der Ausbau der Kundenbeziehungen sind als Alleinstellungsmerkmale in einem differenzierungsarmen Markt von entscheidender Bedeutung.
Ein wesentlicher Treiber der Customer Centricity ist die Digitalisierung. Diese beeinflusst das Kundenerlebnis massiv. Sie ermöglicht eine individualisierte, mobile und zeitnahe Erfüllung von Kundenbedürfnissen. Die Erwartungen des einzelnen Kunden werden hochgeschraubt durch Erfahrungen aus anderen Branchen, zum Beispiel dem Mobilitäts- oder Finanzsektor. Dies stellt sehr hohe Anforderungen an die Energieversorger. Die Digitalisierung ist folglich nicht nur intern zur Prozessautomatisierung umzusetzen, sondern gerade und vor allem auch bei der Kundenschnittstelle.
Es wird zukünftig nicht mehr reichen, den Kunden mit geeigneten Systemen und einzelnen organisatorischen Massnahmen besser und näher zu betreuen; der Endkunde muss vielmehr Bestandteil der «DNA» des Unternehmens werden.
Welches sind die wichtigsten Handlungsfelder?
Die Customer Centricity ist auf den verschiedensten Unternehmensebenen anzugehen, sowohl aus strategischer und operativer Sicht als auch hinsichtlich der notwendigen kulturellen Anpassungen. Daraus ergeben sich die folgenden primären Handlungsfelder:
Strategische Ausrichtung: Der Kunde ist ins Zentrum des Geschäftsmodells zu setzen. Dies bedingt neben der Kundenorientierung im Geschäftsmodell auch den Kundeneinbezug mit geeigneten Zusammenarbeitsmodellen, beispielsweise im Innovationsprozess neuer Dienstleistungen. So lassen sich massgeschneiderte Produkte entwickeln und anbieten.
Operative Umsetzung: Die Abbildung der sogenannten «Customer Journey» im Tagesgeschäft, also die Integration aller Berührungspunkte mit dem Kunden in der operativen Wertschöpfungskette, ist von zentraler Bedeutung. Jeder Kundenkontakt ist ein «Moment of Truth». Wird dies bereichsübergreifend umgesetzt, lässt sich eine «echte» 360°-Kundensicht erreichen, die häufig das ultimative Ziel entsprechender Bemühungen ist. Dies kann wiederum zum Nutzen des Anbieters und des Kunden verwendet werden. Selbstredend sind die Regeln und Vorgaben des informatorischen Unbundling dabei zu berücksichtigen.
Kulturelle Anpassung: Customer Centricity betrifft nicht nur die Geschäftsmodelle und Kundenschnittstellen der Unternehmen, sondern erfordert auch eine kulturelle Anpassung. Die Arbeits- und Denkweise der Mitarbeitenden muss auf den Kunden ausgerichtet sein. Dies betrifft sowohl die im freien Markt agierenden Geschäftsbereiche eines EVUs als auch die Monopolbereiche. Wo die Kundenanliegen angesiedelt sind, spielt keine Rolle. Wichtig ist vielmehr, dass diese aus einem Guss abgedeckt und erwartungsgemäss erfüllt werden. Dies setzt eine Denkhaltung voraus, die unternehmensweit eine hohe Kundenorientierung zum Ziel hat.
Solange die Customer Centricity auf die operative Ebene reduziert wird, sind nur unzureichende Ergebnisse erzielbar. Um einen nachhaltigen Erfolg sicherzustellen, gilt es, alle drei Ebenen integriert und ganzheitlich anzugehen.
Erfolgsfaktoren für nachhaltig erfolgreiche Customer Centricity
Die Bedeutung des Themas anzuerkennen, ist für die Verankerung der Customer Centricity im Mindset essenziell. Es ist häufig schwierig zu akzeptieren, dass das eigene Wissen über den Kunden und dessen Bedürfnisse nicht immer die letzte Wahrheit ist. Sobald diese Erkenntnis gereift ist, gilt es, die folgenden Erfolgsfaktoren umzusetzen und damit gleichzeitig den Kulturwandel zu verstärken:
Ein kundenzentriertes Unternehmen kennt seine Kunden: Die Kernfrage für ein kundenzentrisches Unternehmen lautet: «Wie werde und bleibe ich relevant für meine Kunden?» Hierfür reicht es nicht, Informationen über existierende Kunden zu sammeln. Ein Unternehmen muss sich im Klaren sein, welche bestehenden und neuen Kunden es mit seinem Geschäftsmodell ansprechen möchte und sich gemeinsam mit diesen weiterentwickeln.
Sobald die Fokuskunden des Geschäftsmodells bekannt sind, müssen ihre Bedürfnisse verstanden werden. Dieses Verständnis darf nicht siloartig in verschiedenen Bereichen des Unternehmens aufgebaut werden. Jeder Teil des Unternehmens sieht den Kunden aus einer anderen Perspektive. Ein ganzheitliches Bild bildet die Grundlage zur Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Deshalb muss dieses Bild unternehmensweit verankert sein.
Ein wichtiges Werkzeug sind Customer Journeys, welche die Interaktionen und Abläufe mit den Kunden beschreiben. Ergänzt werden diese durch Personas für die Kundensegmentierung. Personas helfen, dem Kunden ein Gesicht und eine Persönlichkeit mit Problemen, Bedürfnissen und Erwartungen zu geben. Die initiale Definition der Personas sollte evidenzbasiert erfolgen, unterstützt durch Datenanalysen und Kundenbefragungen.
Fast alle bestehenden Geschäftsmodelle werden heute digital erweitert, sowohl durch neue Kanäle, wie Portale oder Mobile Apps, als auch durch neue Funktionalitäten, wie Verbrauchsoptimierung oder individuelle Störungsinformationen. Damit die EVUs ihre begrenzten Mittel richtig einsetzen können, müssen eine entsprechende Kundensegmentierung und ein ganzheitliches Verständnis der Kundenbedürfnisse gewährleistet sein.
Enge Einbindung des Kunden und der «Customer Voice» in die eigenen Prozesse: Interne Prozesse und Organisationsstrukturen haben für den Kunden keine Bedeutung und sollten für diesen grundsätzlich unsichtbar sein. Für Unternehmen ist es jedoch wichtig, die eigenen Abläufe aus Sicht des Kunden durchzuspielen, um allfällige Störfaktoren zu identifizieren und zu beseitigen.
Customer Centricity Leader binden ihre Kunden systematisch in die eigenen Prozesse ein. Häufig erfolgt dies bei der Entwicklung des eigenen Angebots mithilfe von Kundenbefragungen oder durch Co-Creation, also die gemeinsame Entwicklung neuer Angebote zusammen mit dem Kunden. Durch Auswertung des Kundenverhaltens und Verwendung von Rückmeldungen aus den verschiedensten Kanälen sollte diese Kundenzentrierung systematisch in die Steuerung der eigenen Prozesse aufgenommen werden. Idealerweise wird dies durch agile Methoden unterstützt. Dadurch kann das Feedback des Kunden iterativ zur Verbesserung von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen genutzt werden.
Selbstorganisation ermöglicht kundennahe Entscheidungen: Klassische Organisationsmodelle stehen vor der Herausforderung, dass ehemals effiziente Organisationsstrukturen für ein schnelles Agieren bei volatilen Marktbedingungen und sich wandelnden Kundenanforderungen zu schwerfällig sind. Zudem führt eine neue, dynamische Erwartungshaltung der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber zu einem Transformationsbedarf der Organisation.
Dezentrale Entscheidungsfindung hilft Unternehmen dabei, rasch auf diese Veränderungen zu reagieren. Die grösste Kundenkenntnis ist bei Mitarbeitenden mit direktem Kundenkontakt vorhanden. Nach dem neuen Rollenverständnis geben Führungskräfte daher einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnisse an ihre Mitarbeitenden ab. Die Mitarbeitenden vernetzen sich abteilungsübergreifend, um schnelle und unbürokratische Lösungen entlang der Customer Journey umzusetzen.
Die Folgen für das Management sind weitreichend. Klassische Steuerungs- und Kontrollinstrumente sind nur bedingt anwendbar. Hierarchie und Kontrolle werden durch Leadership und Vertrauen ersetzt. Dieses Vorgehen birgt jedoch auch Risiken für das Unternehmen. Es braucht ein klares unternehmerisches Leitbild und eine Identität, an denen sich Führungskräfte und Mitarbeitende orientieren können.
Lösungsansätze
Kundenzentrierung findet man heute vielerorts in Strategien und Geschäftsmodellen. In erster Linie ist sie aber eine Denkhaltung. Unternehmen müssen sie in ihrer Kultur verankern und aktiv danach handeln. Für diese Anpassung der Unternehmenskultur braucht es ein Leitbild als Rahmenbedingung, ein entsprechendes Betriebsmodell als Befähiger, Führungspersönlichkeiten als Motivatoren und vor allem genügend Zeit.
Customer Centricity betrifft das gesamte Unternehmen. Oftmals ist die Kundenzentrierung im Betriebsmodell unzureichend abgebildet. In einem durchgängig kundenzentrierten Unternehmen findet man diese in den Anreizsystemen, in den Prozessen, in der Ablauforganisation und in der Systemlandschaft.
Um all diese Themen richtig anzugehen, hat sich ein Lösungsansatz bewährt, der die Analyse, Beantwortung und Umsetzung der vier Fragestellungen beinhaltet, die in der obenstehenden Grafik dargestellt sind.
Know your Customer: Wer sind die relevanten Kunden? In einem ersten Schritt werden wie oben beschrieben die heute und zukünftig relevanten Kunden identifiziert. Basierend auf umfassenden Kundeninformationen und -analysen werden entsprechende Kundensegmente gebildet. Dies erfolgt unter Berücksichtigung der sogenannten «Customer Lifetime Value», die das Kundenpotenzial dem Kundenbindungsaufwand gegenüberstellt.
Customer-centric Design: Wie entwickelt man Produkte, die der Kunde will? Die Kunden werden in alle Phasen des Produktdesigns miteinbezogen. Dies stellt sicher, dass die Value Proposition des Angebots sowohl die Bedürfnisse der Kunden grösstmöglich erfüllt als auch potenzielle Störfaktoren eliminiert. Nach Möglichkeit widerspiegeln sich die Kundenbedürfnisse in entsprechend individualisierten Angeboten und Produkten.
Customer-centric Business Model: Wie schafft man Wert für den Kunden und für das Unternehmen? Die gewonnenen Erkenntnisse werden nicht nur für einzelne Produkte, sondern für die Geschäftsmodelle als Ganzes genutzt. Die Kundensegmente und genutzten Kanäle, die Geschäftsideen und Produkte sowie die internen Schlüsselressourcen werden ergo fortlaufend entlang der sich ändernden Kundenbedürfnisse weiterentwickelt.
Customer-centric Operating Model: Wie erfüllt das Unternehmen die Bedürfnisse der Kunden? Letztlich muss auch das Betriebsmodell auf den Kunden ausgerichtet sein. Dazu gehören insbesondere die erwähnte Aufbauorganisation mit dezentralen Entscheidungsstrukturen, die kundenzentrierte Kultur, die Befähigung der Mitarbeitenden und das Ökosystem der externen Partner.
Den Kunden ins Zentrum zu stellen, ist sicher einfacher gesagt als getan. Die konkrete und erfolgreiche Umsetzung ist ein sehr ambitioniertes Ziel, das aufgrund der zugrundeliegenden und notwendigen Kulturänderung nur langfristig erreichbar ist. Für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens wird Customer Centricity jedoch zunehmend unumgänglich.
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