Fachartikel Gebäudeautomation , Verbrauch

Wärme­durch­blick mit dem Thermo­Planer3D

Daten für Investi­tions­entscheide

23.10.2023

Die Suche nach Sanie­rungs­poten­zialen bei Gebäuden ist auf eine gross­flächige und detail­lierte Gebäude-Energie­beur­teilung auf Basis hoch­auf­gelöster Thermal­auf­nah­men ange­wiesen. Solche Ther­mal­auf­nah­men ermög­lichen nun die Erstel­lung von Energie­ver­brauchs­karten und Wärme­katas­tern in Stadt-, Gemeinde- und Energie­ver­sor­gungs­gebieten.

Die Energiewende im Gebäude ist beschlossen, bleibt aber eine Heraus­for­de­rung, denn entsprechende Inves­titions­entscheide, wie klima­freund­liche Heizungs­systeme oder energe­tische Gebäude­sanie­rungen benötigen eine gute Grundlage. Das von Innosuisse geförderte, laufende For­schungs­projekt ThermoPlaner3D, hat zum Ziel, Infor­matio­nen zur Wärme­verbrauchs­dichte effizient zu erarbeiten und so fundierte Grundlagen für Investi­tions­entscheide bereit­zu­stellen. Considerate AG und BSF Swissphoto AG arbeiten mit dem Institut Geomatik der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und dem Institute of Computational Physics der Zürcher Hochschule für Ange­wandte Wissen­schaften (ZHAW) zusammen, um hoch­auf­gelöste Thermal­auf­nahmen aus der Luft zukünftig automatisch zu verarbeiten und relevante Infor­mationen über die Gebäude­dächer und Fassaden abzuleiten. Diese werden dann zu Aussagen über das Gesamtgebäude zusammengefasst. Damit stehen Liegenschaftsbesitzern detaillierte Infor­mationen über ihre Gebäude zur Verfügung, die sie zukünftig auch mit eigenem Wissen ergänzen können. Energie­ver­sorgungs­unter­nehmen nutzen die Übersichten über grössere Gebiete für die räumliche und zeitliche Priorisierung von Fernwärme-Netzausbauten oder die Planung von Wärme-Contracting-Angeboten. Betreiber von Fernwärmenetzen können die erfassten Daten verwenden, um Schwach­stellen an der Isolation oder Leckagen der Leitungen ausfindig zu machen.

Hoch­auf­gelöste 3D-Thermal­luftbilder als Grundlage

Heutzutage werden Analysen der aktuellen Wärme­verbrauchs­dichte oft aufwendig aus lücken­haften und allenfalls veralteten Verbrauchs- und Gebäude­daten erstellt. Das kanadische Unter­nehmen MyHeat (myheat.ca) hat schon vor einigen Jahren begonnen, Thermal­luft­bilder von Dach­land­schaften zu analysieren und die Gebäude bezüglich ihres Wärme­verlusts auf einer acht­stufigen Skala zu beurteilen. Die Karten der analy­sierten Städte ermöglichen es, die Dach­analyse der eigenen Liegen­schaft anzuschauen sowie diese mit ähnlichen Dächern in der Nach­bar­schaft zu vergleichen und Energie­spartipps zu erhalten.

ThermoPlaner3D nutzt als Grundlage zudem mit einem Vermes­sungs­flug­zeug erfasste Thermal­auf­nahmen (Bild 1). Zusätzlich zu den hoch­auf­gelösten Senkrecht-Aufnahmen der Dächer (mittlere Boden­auflösung von 25 cm) werden während der Befliegung gleichzeitig mit zusätzlichen schräg eingebauten Thermal­kameras die Fassaden der Gebäude erfasst (Bild 2). Die Thermal­auf­nahmen müssen während der Heizperiode und idealerweise in den Nachtstunden durchgeführt werden, damit sich die Gebäude nicht einseitig durch die Sonnen­ein­strahlung aufheizen und somit die Daten verfälschen. Für die grossflächige, hoch­auf­gelöste und effiziente Datenerfassung in kurzen Zeitfenstern ist die Thermal­auf­nahme aus dem Flugzeug den heute vielfach für die Beurteilung von Einzelgebäuden eingesetzten Drohnen­auf­nahmen überlegen.

Einflüsse der lokalen Mikroklimate

Lokale Charakteristiken einer Siedlung haben einen Einfluss auf die erfassten Dach- und Fassa­den­tempe­raturen. So kann zum Beispiel ein von Mehrfamilienhäusern umschlossener grüner Spielplatz mit Bäumen die umliegenden Fassaden kühlen, während die lokale Wärmeinsel einer gros­sen Strassenkreuzung die umliegenden Gebäudefassaden erwärmt. Mikroklimate müssen bei der Evaluation der Gebäudetemperaturen berücksichtigt werden, damit auch Dächer und Fassaden von verschiedenen Stadtgebieten mit unterschiedlichem Mikroklima miteinander verglichen werden können. Die Mikroklimate eines Aufnahmegebiets wurden im ThermoPlaner3D-Projekt auf der Basis des Turn-Algorithmus [1] berechnet und detektiert. Grundsätzlich wird angenommen, dass das Strassennetzwerk gleiche oder zumindest sehr ähn­liche Eigenschaften über das ganze Gebiet aufweist. Wird nun an zufällig verteilten Orten auf den Strassen die erfasste Temperatur verglichen, kann davon ausgegangen werden, dass Unterschiede in der Temperatur auf lokale Kälte- oder Wärmeinseln zurückzuführen sind. Mit diesem Verfahren lassen sich Mikroklimate eines Gebiets zum Aufnahmezeitpunkt ermitteln (Einstiegsbild). Die Methode kann verwendet werden, um die abgestrahlten Temperaturen der Dächer und Fassaden zu Vergleichszwecken zu korrigieren.

Auswertung der Gebäude­thermal­auf­nahmen

Die erfassten Thermal­auf­nahmen der Gebäudedächer und -fassaden zeigen die abgestrahlte Temperatur der jeweiligen Oberfläche zum Auf­nahme­zeitpunkt. Diese indirekt durch Infra­rot­strahlung gemessene Temperatur setzt sich aber nicht nur aus der Strahlung der Gebäude, sondern beispielsweise auch aus der Atmo­sphären­tempe­ratur und Reflektionen der Umgebung zusammen. Einen erheblichen Einfluss auf die abgestrahlte Temperatur der Gebäude hat insbesondere die Material­eigen­schaft der erfassten Oberfläche. So reflektieren z. B. metallische Oberflächen mehrheitlich die Himmels­tempe­ratur, die in klaren Winter­nächten im zwei­stelligen Minusbereich liegen kann. Zusätzlich müssen die Steilheit und Ausrichtung der Dächer und Fassaden berücksichtigt werden, da trotz Nachtflug die Süd- und West­fassaden nach einem sonnigen Tag den Einfluss der auf­genom­menen Sonnen­wärme deutlich zeigen. Die Infor­mationen zu Materialien, Ausrichtung und Steilheit werden aus vorhandenen oder zusätzlich erfassten RGB- und Lidar-Daten extrahiert.

Bevor aber Aussagen zu den Wärme­verlusten der Gebäude gemacht werden können, werden beeinflussende Elemente wie Kamine, Solaranlagen oder Dachfenster detektiert, um sie zu entfernen oder gesondert zu betrachten. Die Detektion geschieht mittels automatischer Bild­klassi­fikation, welche gleichzeitig auch für die Material­erken­nung der Dachelemente eingesetzt wird. Aktuell sind im Projekt ThermoPlaner3D die Prozesse für die Korrektur und Auswertung der Dachflächen mehrheitlich entwickelt. Die resul­tierenden Aussagen zu Wärme­verlusten wurden unter anderem mit dem Gasverbrauch der Gebäude verglichen, um eine grobe Validierung machen zu können. Der Gas­verbrauch hängt aber natürlich von einer Reihe von Faktoren ab, wie z. B. der Warm­wasser­erzeugung, die nicht direkt mit einem Wärmeverlust über die Dachfläche zusammen­hängt. Trotzdem wurde eine überzeugende Korrelation zwischen dem Gasverbrauch und der analysierten Dach­temperatur festgestellt.

Einige Einfluss­faktoren sind bei der flächen­deckenden Auswertung jedoch schwierig zu berücksichtigen. Sollte ein Gebäude während der Befliegung beispielsweise leer stehen, aufgrund von Abwesenheit unbeheizt sein, oder einen unbeheizten Dachstock haben, könnte es fälschlicher­weise als gut isoliert eingestuft werden. Des Weiteren können über- oder unterdurchschnittliche Raum­tempe­raturen die Auswertung beeinflussen. Schon mit wenigen Infor­mationen der Bewoh­nerinnen und Bewohner der Liegen­schaften könnten diese Ungenauig­keiten jedoch korrigiert und eine detaillier­tere Gesamt­aussage zum Energieverlust über die Gebäudehülle gemacht werden.

Zusätzlich zu den Auswertungen der Gebäude­dächer werden in den nächsten Monaten die Prozesse für die Auswertung der thermalen Fassaden­auf­nahmen evaluiert und die Erkenntnisse zu Gesamt­aussagen über die analysierten Gebäude zusammen­gefasst.

Integration der Infor­ma­tionen und Kommu­nikation

Die Auswer­tungen der Thermal­auf­nahmen der Dächer und Fassaden liefern detaillierte, aber zeitlich auf den Aufnahme­zeit­punkt beschränkte, Infor­mationen zu möglichen Wärme­verlusten. Dies genügt, um im Vergleich mit ähnlichen Bauten eine relative Gesamt­einschätzung zum Sanierungsbedarf zu machen. ThermoPlaner3D wird zusätzlich prototypisch eine Plattform entwickeln, die Liegen­schafts­besitzern die detaillierten Auswer­tungen der Thermal­auf­nahmen ihres jeweiligen Gebäudes interaktiv erläutert und ihnen auch die Möglichkeit gibt, diese Infor­mation mit eigenem Wissen zu ergänzen, um die thermale Gebäude­model­lierung und die darge­stellten Resultate zu verfeinern. Dies wurde bereits in Interviews mit interessierten Personen in einem der Projektaufnahmegebiete diskutiert. Schon die Ergänzung von einzelnen Aspekten kann die Resultate erweitern, oder erlauben, zukünftige Einspar­möglich­keiten zu erkunden. Die Interviews zeigen auch, dass die aus den Thermal­auf­nahmen abgeleiteten Infor­mationen interessant und relevant sind. Der Zweck solcher Thermaldaten und deren Auswertung soll nicht die Kontrolle des Energie­verbrauchs der Bürgerinnen und Bürger sein. Vielmehr dienen sie den Liegen­schafts­besitzenden dazu, eine grobe Einsicht in den Isolations­standard ihres Gebäudes zu erhalten und potenzielle Anreize für Renovie­rungs­massnahmen zu schaffen.

Das Projekt ThermoPlaner3D wird im Sommer 2024 abgeschlossen und ist bestrebt, die Prozesse und Erfah­rungen anschlies­send in kommerzielle Produkte zu überführen. Im Winter 2023/24 besteht nochmals die Möglichkeit, sich als Projektgemeinde oder Energie­versorger an einem Thermal­flug zu beteiligen und so mitzuhelfen, die entwickelten Prozesse zu verfeinern und zu validieren.

Referenz

[1] M. M. Rahman, G. J. Hay, I. Couloigner, B. Hemachandran, «Transforming image-objects into multiscale fields: A GEOBIA approach to mitigate urban microclimatic variability within H-Res thermal infrared airborne flight-lines», Remote Sensing, 6(10), 9435–9457, 2014.

Dieser Artikel über das von Innosuisse geförderte, laufende Forschungsprojekt ThermoPlaner3D ist in Zusammenarbeit mit Mattia Battaglia, Urs Seiffert, Emese Landtwing, Ennio Comi, Natalie Lack sowie Fiona Tiefenbacher entstanden.
Autorin
Prof. Dr. Susanne Bleisch

ist Professorin für Geovisualisierung und Visual Analytics.

  • FHNW, 4132 Muttenz

Kommentare

Bitte rechnen Sie 6 plus 5.