Vom Wind und vom Wetter
Die Zukunft der Energie hat schon lange begonnen
Die Zukunft der Energie hat schon lange begonnen. Arrivierte Energieversorger und Start-ups bringen mit neuen Ideen gleichermassen Schwung in die Branche. Zwei dieser Jungfirmen werden an dieser Stelle vorgestellt.
Die Energiebranche befindet sich einmal mehr in einer Phase der Transition. Eine Transition, die tiefgreifender sein wird als die bisherigen Übergänge von der holz- zur kohlebasierten Energie, von wo es weiter ging zur Energie aus Erdöl und Kernspaltung. Waren diese Veränderungen quasi eine «logische» – weil intrinsisch motivierte – Weiterentwicklung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit, ist der derzeit eingeleitete Umbau des Energiesystems neu auf ein gesellschaftliches Umdenken im Umgang mit der Umwelt zurückzuführen. Begriffe wie Nachhaltigkeit, schonender Umgang mit Ressourcen, Regulierung oder Technologiewandel werden in der industrialisierten Welt nun ähnlich gross geschrieben wie Profit oder Gewinn. Die Motivation, auf erneuerbare Energieträger zu setzen, kommt nicht mehr von innen heraus, sondern von aussen. Sie beruht nun auf Forderungen und Vorgaben von Gesellschaft und Politik.
Erneuerbare Energie muss in die Bresche springen
Der zentrale Punkt beim Umbau des Energiesystems respektive der europäischen Energiewende ist der schrittweise Verzicht auf fossile Energieträger und Kernenergie. Das so unweigerlich entstehende Delta zwischen benötigter und produzierter Energie soll dereinst durch erneuerbare Energieträger ausgeglichen werden: Wasser-, Sonnen- und Windkraft heissen folglich also die Trümpfe, um künftig die Energieversorgung sicherzustellen. Wasserkraft ist – zumindest in der Schweiz – schon heute der Energieträger Nummer eins. Drei Fünftel der heimischen Stromproduktion werden mittels Wasserkraft erzeugt; eine europäische Spitzenquote. Die Wasserkraft spielt daher in den Überlegungen zum Umbau des Energiesystems auch eine entsprechend grosse Rolle. Dies zeigt sich auch in der Alimentierung der heimischen Wasserkraftwerke, welche die Energiestrategie 2050 vorsieht. Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft in der Schweiz ist indes nur noch gering – aufgrund des bereits heute bestehenden sehr hohen Optimierungsgrades. Das bedeutet, dass Sonnen- und Windenergie im künftigen Energiesystem eine deutliche Aufwertung erhalten müssen, um das erwähnte Delta zu füllen. Schliesslich stammt rund ein Drittel des in der Schweiz produzierten Stroms aus Kernenergie. Neue Anlagen dürfen aber keine mehr gebaut werden, und die bestehenden müssen vom Netz, wenn sie nicht mehr als sicher eingestuft werden können.
Die Energieversorgung der Schweiz ist – neben der nach wie vor zentralen Wasserkraft – künftig also zu einem guten Teil von «Wind und Wetter» abhängig. Findige Köpfe setzen sich daher zum Teil schon seit Jahren mit möglichen Lösungen auseinander, damit das Potenzial von Sonnen- und Windkraft in naher Zukunft noch effizienter ausgenutzt werden kann. Zwei junge Firmen, die sich über die Energiezukunft Gedanken gemacht und darauf eine Geschäftsidee aufgebaut haben, sollen an dieser Stelle etwas näher vorgestellt werden. Während sich die eine mit der günstigeren und effizienteren Gewinnung von Windenergie auseinandersetzt, nutzt das andere Start-up die Möglichkeiten von Big Data, um Bewertungsmodelle zu erstellen, die auf durch Klimaveränderungen verursachten wirtschaftlichen Risiken für Firmen und Unternehmen basieren.
Skypull merkt, woher der Wind weht
Skypull – der Name ist Programm. Das Start-up-Unternehmen aus Lugano hat ein Verfahren entwickelt, um Energie quasi vom Himmel herunterzuziehen – und damit die Gewinnung von Windenergie zu revolutionieren. Skypull nimmt sich eines altbekannten Problems an: Wind wäre zwar auch in der Schweiz genügend vorhanden, allerdings müssen Anlagen, welche ihn einfangen und dessen Energie in Strom umwandeln können, an stark exponierten und entsprechend schwierig zugänglichen Stellen aufgebaut werden. Die Installation einer Windkraftanlage im Hochgebirge ist jeweils eine grosse logistische und finanzielle Herausforderung. Und bevor an die Überwindung topografischer Hindernisse auch nur gedacht werden darf, müssen in der Regel ebenso viele formale und juristische Hürden beiseite geräumt werden. Sind diese einmal überwunden stellen sich allerlei praktische Fragen: Wie kriegt man das Material für die Windkraftanlage zum geplanten Standort? Immerhin beträgt das Gesamtgewicht einer 1-MW-Windkraftanlage je nach Grösse und Typ gut 2000 t. Und die bis zu 50 bis 60 m langen Rotorblätter werden am Stück geliefert und nicht vor Ort zusammengebaut. Wie wird die Anlage gewartet? Wie schnell kann ein ausgedientes Rotorblatt ausgetauscht werden?
«Alle diese Probleme lösen wir», sagt Nicola Mona, CEO von Skypull, selbstbewusst, denn «Skypull bringt das Windrad dorthin, wo der Wind ist». Das junge Unternehmen arbeitet mit einer Drohne, die mittels Kabel mit einem Generator, der auf der Erde steht, verbunden ist. Diese Drohne steigt autonom so hoch, bis sie aufgrund der vorhandenen Windstärke auf einen antriebslosen Kite-Betrieb umschalten kann, um dann immer höher zu steigen. Die dabei entstehende Kraft überträgt sie auf den Generator am Boden, der diese in Strom umwandelt. Ist das Ende der Leine erreicht, begibt sich die Drohne in einem kontrollierten Sturzflug zurück auf die Ausgangshöhe, um von dort erneut aufzusteigen, ähnlich einem High-Tech-Jojo.
Kein rechter Ausleger, aber eine «Box-Wing-Architektur»
Die Nabenhöhe herkömmlicher Windkraftanlagen liegt bei etwa 150 m. «Mit der Skypull-Drohne ist es möglich, Wind in 600 m Höhe zu ‹ernten›», erklärt Nicola Mona, und «je höher, umso mehr Energie hat der Wind». Ein grosser Vorteil gegenüber heutigen Windkraftanlagen ist die Mobilität von Skypull. Das komplette Material hat ein Gesamtgewicht von rund 10 bis 15 t, mit Fundament sind es 50 t. Im Prinzip kann Skypull an jeden Ort transportiert werden, der mit normalen Lastwagen erreicht werden kann. «Das ist eine echte Demokratisierung der Windenergie», sagt Nicola Mona. Entwickelt hat der ausgebildete ETH-Ingenieur die Drohne gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern Aldo Cattano, der eine Ausbildung als Luftfahrtingenieur absolviert hat, und Marcello Corongiu, ein erfahrener «Airborne Wind Energy»-Spezialist. Das Resultat ist eine neuartige «Box-Wing-Architektur», welche hocheffizient ist und, vor allem, eine hohe Zugkraft erzeugt.
Die Unternehmer haben zwei Zielgruppen für ihr Produkt ausgemacht. Einerseits soll eine Variante mit einer Leistung von 1 MW angeboten werden. Die Zielgruppe dafür seien Stromproduzenten, die Energie ins Netz einspeisten. Die zweite Variante soll 100 kW Leistung erbringen, mobil sein und sich daher vor allem für kürzere Einsätze beispielsweise nach einer Naturkatastrophe oder im militärischen Kontext eignen. «Das ist dann sozusagen ein ‹Mini Grid› oder eine Energie-Insel», sagt Nicola Mona. Der grosse Vorteil sei dabei die Mobilität der Anlage und der dieselfreie Betrieb des Generators. Diese zweite Variante soll 2020 Marktreife erlangen. Als Industriepartner kann Skypull dabei auf die Unterstützung des lokalen Verteilnetzbetreibers Azienda Elettrica di Massagno SA (AEM) zählen.
Big Data statt Wetterschmöcker-Methoden
Einen ganz anderen Ansatz hat das Zürcher Start-up Carbon Delta gewählt. Ausgangspunkt ist die ungefähr 2013 aufgekommene Carbon-Bubble-Theorie. Diese besagt vereinfacht, dass Unternehmen, welche in fossile Energieträger investiert haben, aufgrund des am Kopenhagener Klimagipfel festgelegten Zwei-Grad-Ziels als zu hoch bewertet betrachtet werden müssen. Auf dieser Basis entwickelte Oliver Marchand, CEO von Carbon Delta, ein Bewertungsmodell, welches stark auf für den Klimawandel relevanten Daten basiert.
Zur Anwendung kommen dabei Big-Data-Analyse-Methoden, welche erlauben, riesige Mengen unstrukturierter Daten auszulesen. Die daraus entstehenden Modelle ermöglichen Investoren und Anlegern, ökonomische Risiken von Klimaveränderungen auf Firmenwerte zu berechnen. Dabei können Geschäftsrisiken auch nach geografischen oder sektoralen Kriterien berechnet werden, um sehr spezifische Bewertungen erstellen zu können. Im Zentrum der Analyse stehen die Faktoren Klima, gesetzliche Regulierungen und Technologiewandel, und damit jene Aspekte, welche einen grossen Einfluss auf Geschäftsrisiken haben können.
Die Tragweite des Klimas als Geschäftsrisiko
Oliver Marchand setzt sich schon seit vielen Jahren mit Fragen zum Klima und zum Wetter im Speziellen auseinander. Er beschäftigte sich während vieler Jahre mit Wetterprognose-Programmen und war während zehn Jahren IT-Verantwortlicher und Geschäftsleitungsmitglied eines Vermögensverwalters. «Ich war mir der Tragweite des Klimas als Geschäftsrisiko daher schon früh bewusst.» Von seiner Idee überzeugt, suchte Oliver Marchand Verstärkung für das Unternehmen. Diese fand er schliesslich in den Personen von Elke Schaper und David Lunsford. Den ersten Markteintritt hat das Unternehmen, das Anfang 2016 gestartet ist, schon geschafft. «Wir haben bereits Kunden, für welche wir entsprechende Bewertungsmodelle erstellen dürfen. Nun versuchen wir, an möglichst vielen Projekten teilnehmen zu können, um unsere Modelle bekannter zu machen und um noch mehr Praxis-Erfahrungen damit sammeln zu können.
«Die Zukunft des Ratings»
Im Gegensatz zu herkömmlichen Modellen, die in der Regel nur auf den CO2-Ausstoss eines Unternehmens fokussieren, berücksichtigen die Carbon-Delta-Bewertungen eine Vielzahl von Faktoren. «Wir betreiben statt einer klassischen historischen Analyse ein komplexes Modell, das auf einer viel umfangreicheren Datengrundlage abstützt», erklärt Oliver Marchand. Investoren könnten so auch Chancen aufgezeigt werden: Nämlich dann, wenn sichtbar werde, welche Unternehmen und Firmen besonders gut auf den Klimawandel vorbereitet seien. Der Unternehmer ist überzeugt, dass solche Datenmodelle in 10 bis 15 Jahren integraler Bestandteil jeder Firmenbewertung sein werden: «Das ist die Zukunft des Ratings.»
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