Vom Seismografen zum Spektrometer
Gemeinsame Entwicklungen in Zürich
Das Interesse an der Messtechnik in Forschung, Entwicklung und kommerzieller Anwendung stand im Zentrum der Zusammenarbeit der ETH mit dem SEV und Trüb, Täuber. Diverse Geräte wurden gemeinsam entwickelt. Einiges gelang nicht auf Anhieb, bahnte aber den Weg zu Neuem, wie dem heutigen MRI-Verfahren.
Bei der um 1920 beginnenden Kooperation gab es die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) schon rund 65 Jahre, den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein (SEV) rund 30 Jahre. Die seit 1902 in Hombrechtikon produzierende Messgeräte-Firma Trüb, Täuber & Co. (TTC) hatte soeben ihren Hauptsitz nach Zürich verlegt. Eigens für die Herstellung wissenschaftlicher Apparate errichtete sie dort 1929 einen Erweiterungsbau. Die Firmenleitung suchte einen engeren Austausch mit ETH, SEV und dem Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE); sie versprach sich davon ein neues Produktesegment zur angestammten Entwicklung und Fertigung elektromechanischer Messinstrumente. Gestartet wurde mit einem Projekt, das wenig mit Elektrotechnik, aber viel mit Mechanik zu tun hatte.
Der Seismograf
Die 1911 in Zürich Degenried errichtete Schweizerische Erdbebenwarte war mit drei Seismografen neuster Konstruktion bestückt. Der Erdbebendienst wurde dem Physiker Alfred de Quervain (1879 – 1927) übertragen. Er erkannte schon bald, dass sich mit diesen Seismografen zwar Fernbeben, nicht aber relativ schwache alpine Nahbeben registrieren liessen. Das animierte ihn zu einer Neukonstruktion, welche er zusammen mit dem Physiker Auguste Piccard (1884 – 1962) verwirklichte. Der nach ihnen benannte «De Quervain-Piccard-Universalseismograph» wurde von TTC gebaut und 1922 in der Erdbebenwarte Degenried installiert.
Das durch ein Rollenlager getragene Federpendel von 4 m Länge war rund 20 t schwer. Es ermöglichte die gleichzeitige, rein mechanische Registrierung aller drei Komponenten (Nord-Süd, Ost-West und Vertikal). Die damit erreichte 2000-fache Vergrösserung erwies sich bei der Untersuchung alpiner Nahbeben als äusserst vorteilhaft. Mit demselben Instrumententyp wurden in der Folge die Erdbebenstationen Chur, Neuenburg und Basel ausgestattet. Zur Ergänzung liess de Quervain von TTC einen nach gleichem Prinzip funktionierenden mobilen Seismografen mit einer Pendellänge von 1 m und einer Pendelmasse von 25 kg herstellen.
Unter seinem Nachfolger, dem Geophysiker und Mathematiker Fritz Gassmann (1899 – 1990), wurden die Universal-Seismografen weiterentwickelt. Die mobile Ausführung öffnete den Weg für die experimentelle Seismik. Dazu gehören Untersuchungen des Untergrundes durch künstliche, mittels Sprengungen ausgelöste Erdbeben oder solche von Maschinen bzw. Fahrzeugen ausgelösten Schwingungen im Boden oder an Bauwerken. So überwachten die SBB mit dem in einem Normalwagen platzierten Seismografen den Zustand ihrer Gleisanlagen mittels Schwingungsmessungen bei bestimmter Fahrgeschwindigkeit.
Der Oszillograf
ETH-Professor Walter Kummer (1875 – 1962) setzte sich für die Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes ein. Auf seine Anregung und im Auftrag der Fachkommission für Hochspannungsfragen des SEV und VSE wurde die Entwicklung eines Hochspannungs-Kathodenstrahl-Oszillografen (KO) in Angriff genommen. Ein für Netzversuche geeignetes Instrument zur Betrachtung und Aufzeichnung rasch veränderlicher Spannungen und Ströme war gefordert. Mitentwickelt und hergestellt wurde der auf dem Dufour-Modell basierende KO von TTC. Als Vertreter des SEV/VSE und leitender Ingenieur dieses Entwicklungsprojektes wirkte Karl Berger (1898 – 1993), später ETH-Professor und bekannt für seine Blitzforschungen auf dem Monte San Salvatore. Ende 1926 wurde ihm die Aufgabe übertragen.
Erste Versuchsmessungen mit dem neuen einpoligen KO wurden von Berger 1928 auf der bei Zürich gelegenen Station Forch durchgeführt. Zur Verfügung standen eine 8-kV-Drehstromzuleitung und die mit 1,2 kV Gleichspannung betriebenen Fahrleitungen der Forchbahn. Da sich aber Abläufe oft nur mittels zeitgleicher Erfassung mehrerer Grössen verfolgen und erklären lassen – Blitzeinschläge oder Spannungs- und Stromverlauf im Trennungs- und Kurzschlussfall von Leitungen – entschied sich der SEV/VSE für die Anschaffung eines dreipoligen KO, bestehend aus drei einzelnen KO mit gemeinsamer Vakuum-Pumpenanlage, Hochspannungseinheit und Auslösestufe (Trigger). Letztere ermöglicht mit einer Parallelschaltung der Zeitablenkplatten die präzise synchrone Aufzeichnung.
Beim KO wird ein Strahlenbündel freier Elektronen (Kathodenstrahl) durch elektrische oder magnetische Felder aus seiner geraden Flugbahn abgelenkt. Damit die Elektronen auf ihrem Weg nicht durch Luftmoleküle absorbiert (gebremst) werden, verläuft der Strahl von der Kathode durch eine feine Bohrung der Anode bis zum Beobachtungsschirm im Vakuum. TTC setzte von Anfang an auf die Elektronenerzeugung mittels kalter Kathode (Glimmentladung), da sie im Vergleich zur Glühkathode eine erheblich längere Lebensdauer aufweist. Die Strahlbündelung erfolgt mit einer magnetischen Spule, deren Strom so reguliert wird, dass der Brennpunkt auf den Schirm zu liegen kommt. Die zur Erzeugung des Strahls benötigte Gleichspannung liegt je nach Intensität des Strahls zwischen 30 und 60 kV. Zwei um 90° versetzte Ablenk-Plattenpaare, eines für die zu messende Spannung, das andere zur Strahlablenkung längs der Zeitachse, «zeichnen» das Oszillogramm wahlweise auf den einzusehenden Beobachtungsschirm oder die Filmkassette. Die zu messende Spannung kann bis zu 10 kV direkt an die Ablenkplatten angeschlossen werden. Zur Erzeugung des Betriebsvakuums verwendete TTC eine Ölkapselpumpe mit nachgeschalteter Molekularpumpe System Holweck. Um 1940 stand ein zweipoliger KO, vereint in einem Gehäuse und einem gemeinsamen Beobachtungsschirm, zur Verfügung. Der 1949 von TTC auf den Markt gebrachte KO in Kompaktversion bildete den Abschluss einer langen Entwicklung; insgesamt wurden rund 100 Geräte abgesetzt, davon auch einige in die USA.
Das Elektronen-Mikroskop
Ernst A.F. Ruska (1906 – 1988), deutscher Elektroingenieur, gilt als Erfinder des Elektronenmikroskops, für das er 1986 den Nobelpreis erhielt. Entwickelt wurde das bereits 1938/39 serienmässig hergestellte Gerät bei Siemens & Halske. An dieser Neuheit war auch der Botaniker und ETH-Professor Albert Frey-Wyssling (1900 – 1988) interessiert, besonders für die Erforschung submikroskopischer Feinstrukturen von Pflanzenzellen. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verunmöglichte es der ETH, ein solches Instrument aus Deutschland zu beschaffen. TTC konnte, trotz weitgehender Isolierung von internationalen Entwicklungen, für den Bau eines eigenen Elektronenmikroskops gewonnen werden. Dem Entwicklerteam stand der Elektroingenieur Giovanni Induni (1903 – 1977) vor. Unterstützt wurde er auf Empfehlung von Frey-Wyssling durch seinen Doktoranden Kurt Mühlethaler, der bis 1947 mit der bis dahin fertiggestellten Erst- und Zweitausführung des Elektronenmikroskops experimentierte. Er wurde zu einem eigentlichen Spezialisten der noch jungen Elektronenmikrografie. 1948 trat der Physiker Lienhard Wegmann (1918 – 1986) als Nachfolger des inzwischen ausgeschiedenen Induni in die TCC-Entwicklungsabteilung ein.
Wie beim KO werden auch beim Elektronenmikroskop Elektronenstrahlen mit elektromagnetischen und elektrostatischen Linsen fokussiert, wie Licht mit optischen Linsen. Wegen der viel kürzeren Wellenlänge der Elektronenstrahlen ist die Auflösung rund 1000-mal höher als beim Lichtmikroskop. Im TTC-Gerät findet man deshalb einige schon im Oszillografen verwendete Komponenten wie die zur Erzeugung des Elektronenstrahls, dessen Bündelung mit magnetischer Spule (Kondensor), den Ablenkplatten vergleichbare elektrostatische Linsen (Objektiv und Projektiv) und die Vakuum-Pumpenanlage.
Dieser Rückgriff auf Bekanntes brachte aber nicht die erhofften Vorteile. So berichtete Mühlethaler, der Anfang 1948 in den USA seine Kenntnisse in der Anfertigung elektronenoptischer Bilder vertiefte, an Frey-Wyssling, dass das ihm zur Verfügung stehende RCA-Elektronenmikroskop unvergleichlich besser arbeite als das von TTC und dass er wichtige Gründe im Einsatz einer Glühkathode anstelle einer Kaltkathode und von elektromagnetischen anstelle von elektrostatischen Linsen sehe. Verbesserungen beim Nachfolgemodell KM4 wurden mit einem gemischt statisch-magnetischen Linsensatz erreicht und damit eine bessere Scharfstelleinrichtung und die in weiten Grenzen veränderlichen Vergrösserungen (Faktor 700 bis 1400 bzw. 7000 bis 14000).
Der Elektronen-Diffraktograf
In einem Kristall, der aus Atomen, Ionen oder Molekülen bestehen kann, bilden diese ein für die gegebene chemische Zusammensetzung charakteristisches Raumgitter. Kenntnisse über den Bau dieser Raumgitter sind für die Werkstoff-Forschung wichtig. Anfang der 1950er-Jahre standen für die Analyse der Kristallstruktur die Röntgenfeinstrukturuntersuchung und die Elektronenbeugungsmethode zur Verfügung. Letztere erfordert eine wesentlich kürzere Belichtungszeit, welche selbst schnelle Strukturumwandlungen in ihren Einzelheiten verfolgen lässt wie Kristallgitter-Umwandlungen, die Diffusion zweier Metalle und die Oxidation von Metalloberflächen.
Das von TTC hergestellte Elektronenmikroskop KM4 liess sich, wie damals andere auch, als Elektronenbeugungsgerät nutzen. Der nach der Objektkammer folgende Linsensatz wird dabei ausser Funktion gesetzt. Um das Betriebsvakuum möglichst wenig zu beeinträchtigen, wird das Präparat über eine Objektschleuse in die Objektkammer eingebracht. Das Präparat besteht aus vielen sehr kleinen, unterschiedlich ausgerichteten Kristallen. Dadurch wird der Primärstrahl in verschiedenen Beugungswinkeln gestreut und es bilden sich entsprechende Streustrahlenkegel. Ihre Schnittlinie mit dem Beobachtungsschirm lässt die unterschiedlichen Beugungskreise, die Debye-Scherrer-Ringe, entstehen.
Das Sichtbarmachen und Aufzeichnen schneller Strukturumwandlungen, als «kinematische Elektronenbeugung» bezeichnet, erfordert eine komplexere Präparatsaufbereitung (heizbarer Präparatträger, Ionenquelle für die Ätzung von Metallen usw.) und eine kinematische Registriereinrichtung nach Dr. Boettcher. Das speziell darauf ausgerichtete Seriengerät brachte TTC erstmals Ende der 1940er-Jahre als «Elektronen-Diffraktograph» auf den Markt.
Das Kernresonanz-Spektrometer
Der Physiker Hans Staub (1908 – 1983) arbeitete sich an der Stanford University (USA) ins neue Gebiet der Nuclear Magnetic Resonance (NMR, Kernresonanz-Spektroskopie) ein und gründete 1949 an der Universität Zürich die NMR-Schule. An der ETH begann man 1953 unter der Leitung von Professor Hans Günthard (1916 – 2006) mit der Entwicklung eines Kernresonanz-Spektrometers. Beigezogen wurde TTC mit dem von Wegmann geleiteten Entwicklerteam, dem später auch der Physiker Frank Furrer (1927 – 2006) angehörte. Im Jahre 1957 stand das erste, in kleiner Serie gebaute, KIS1-Spektrometer zur Verfügung. Es arbeitete mit einer Frequenz von 25 MHz und war mit einem Permanentmagneten ausgerüstet.
Das Prinzip der NMR-Technologie: Zur Messung bringt man eine Probe in das homogene Hauptmagnetfeld. Die Probe ist von einer Induktionsspule umgeben, die ein hochfrequentes Feld senkrecht zum Hauptmagnetfeld erzeugt. Man variiert anschliessend die Stärke des Hauptmagnetfeldes, bis der Resonanzfall eintritt. Alternativ kann auch die magnetische Feldstärke gehalten und die Frequenz in der Induktionsspule variiert werden. Im Resonanzfall, wenn die Probe Energie aus dem Wechselfeld aufnimmt, verändert sich die Stromstärke, die zum Aufbau des Wechselfeldes benötigt wird. Diese Änderung wird als Information über den eingetretenen Resonanzfall weiterverarbeitet. Es sind nur solche Isotope der Spektroskopie zugänglich, die im Grundzustand einen von Null verschiedenen Kernspin und damit ein magnetisches Moment besitzen. Die Spektrallinie eines Wasserstoffkerns verschiebt sich z.B. um ganz bestimmte messbare Grössen, je nach Molekül, in dem sich der Kern befindet.
TTC wagte den Schritt zur wesentlich kostspieligeren Entwicklung eines auf 90 MHz arbeitenden und mit einem Elektromagneten ausgerüsteten Spektrometers. Seitens der ETH wirkte neu Professor Hans Primas (1928 – 2014) und sein Doktorand Richard Ernst mit. TTC verstärkte sein Team mit dem Elektroingenieur Werner Tschopp und dem im verwandten Radargebiet tätig gewesenen Toni Keller. Zu Beginn der 1960er-Jahre konnten erste Messungen mit dem KIS2-Spektrometer durchgeführt werden. Es wurde nur eine Protonen-Resonanzfrequenz von 75 MHz erreicht. Nur wenige Geräte liessen sich verkaufen. Zudem verursachten sie zusätzliche Kosten, weil sie vertraglich festgelegte Spezifikationen nicht erfüllten. Die nötigen Investitionen für Nachbesserungen und Weiterentwicklung des KIS2 überstiegen die Möglichkeiten von TTC. Der bisherige Ausgleich über die Messgeräte-Sparte war infolge gewachsener Konkurrenz und erhöhtem Margendruck nicht mehr gegeben. Im Jahre 1965 wurde TTC an die Zellweger Uster AG verkauft.
Erfolg unter neuem Namen
Die beim Verkauf herausgelöste Kernresonanz-Spektroskopie mit den Experten Werner Tschopp und Toni Keller formierte sich unter dem Investor Professor Günther Laukien (1924 – 1997) von der Universität Karlsruhe in der neu gegründeten Firma Spectrospin Zürich. Als Besitzer der deutschen Bruker Physik AG war Laukien einer der Pioniere in der NMR-Spektroskopie. Die wichtigste Aufgabe bestand nun in der Verbesserung des KIS2, um eine Protonenfrequenz von 90 MHz zu erreichen. Schon nach zwei Jahren war man am Ziel und es kam zu einer regen Nachfrage des modifizierten Spektrometers. Der grosse Durchbruch bei Spectrospin brachte die Umsetzung des von R. Ernst Ende der 1960er-Jahre in den USA theoretisch formulierten Verfahrens der «Pulsed Fourier Transformed (PFT-NMR) Spectroscopy». Dafür erhielt er 1991 den Nobelpreis für Chemie. Toni Keller gelang als Erstem die praktische Durchführung dieser wesentlich effizienteren Methode. Erst mit seiner 1971 patentierten Erfindung wurden die heutigen MRI-Verfahren für medizinische Anwendungen möglich; als frühe Wegbereiter nahmen auch ETH und TTC an diesem Erfolg teil.
Literatur
- TTC, diverse Betriebs- und Verkaufsunterlagen.
- ETH Bibliothek, Fritz Gassmann, Kurt Mühlethaler.
- Bulletin SEV/VSE 1928/21, 1929/20, 1934/9 und 1939/18.
- Berichte von Toni Keller, Dr. Rudolf Thun und Dr. Lienhard Wegmann.
- Wikipedia, ergänzende Unterlagen.
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