Fachartikel Energiemarkt , Regulierung

Virtuelle Kraftwerke im realen Energiemarkt

Ländervergleich CH-DE-AUT

25.09.2019

Die Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen hat in den letzten Jahren weltweit stetig zugenommen. Bereits heute stammt ein wesentlicher Teil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit grosser Wahrscheinlichkeit weiterhin stark ansteigen.

Virtuelle Kraftwerke sind ein sehr gutes Beispiel für ein digitales Geschäftsmodell in der Energiewelt und bieten grosse Potenziale, um den Umbau des Energiesystems erfolgreich zu gestalten. Die Integration solcher Geschäftsmodelle in die stark regulierten Energiemärkte ist aber auch eine Herausforderung. So ist der regulatorische Rahmen für die Entwicklung von virtuellen Kraftwerken und Flexibilitätsprodukten entscheidend. Dieser Bericht informiert über Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Rahmenbedingungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Fokus liegt hierbei auf Anwendungen virtueller Kraftwerke, bei denen die Erbringung von Flexibilität im Vordergrund steht und die Kraftwerke mitunter neue Rollen im Markt einnehmen.

Rahmenbedingungen für digitale Geschäftsmodelle

Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die damit einhergehende Dezentralität hat die Akteurslandschaft in der Energiewirtschaft stark gewandelt. Die Identifizierung neuer Geschäftsmodelle in einer erneuerbaren, digitalen Energiewelt ist für viele Branchenteilnehmer ein zunehmend relevantes Themenfeld. Virtuelle Kraftwerke sind dabei in vielerlei Hinsicht ein beachtenswertes Geschäftsmodell. Sie bieten ein digitales, plattform-basiertes Geschäft, das ohne eigene Assets Dienstleistungen dezentraler Anlagen anbietet. Sie werden somit der Dezentralität des heutigen Systems gerecht und stellen Systemdienstleistungen bereit, die der Integration erneuerbarer Energien dienen. Potenziale und Erfolge neuer Geschäftsmodelle beruhen jedoch nicht allein auf technologischen und produkt-spezifischen Eigenschaften, sondern auch auf regulatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen.

Der Regelenergiemarkt ist von grossem Interesse

In allen drei Ländern ist der Regel­energiemarkt für virtuelle Kraftwerke besonders interessant. Das relativ hohe Preisniveau für eine Leistungsvorhaltung, kombiniert mit einem relativ geringen Energieeinsatz, gibt den Anreiz, auch Anlagen zu vermarkten, die nur sekundär für die Energiewirtschaft eingesetzt werden. Somit ermöglichen virtuelle Kraftwerke neuen Flexibilitätsoptionen – wie flexible Industrieprozesse – die Teilnahme am Regelenergiemarkt. Das politische Drängen nach einer Marktöffnung und einem «level playing Field» für virtuelle Kraftwerke galt insbesondere deren Teilnahme am Regelenergiemarkt, wodurch sich dort in den vergangenen Jahren einige Änderungen ergeben haben.

Für die Integration virtueller Kraftwerke in den Regelenergiemarkt sind folgende Rahmenbedingungen bedeutsam:

  • Zugang zu Flexibilität in fremden Bilanzkreisen mit klarer Rollenverteilung
  • Regelenergieprodukte und Ausschreibungsbedingungen für Regel­energie
  • Präqualifikation zur Teilnahme am Regelenergiemarkt
  • Standardisierungen und konstante Marktregeln

Zugang zu Flexibilität in fremden Bilanzkreisen

Viele virtuelle Kraftwerke haben sich anfänglich ausschliesslich darauf fokussiert, die Flexibilität von Anlagen zu vermarkten, ohne die Stromversorgung für diese Anlagen zu übernehmen. Sie schufen somit eine neue Rolle in der Energiewirtschaft, die es in den Marktregeln und Prozessen vorher nicht gab. Die Neuheit war, dass der Stromverbrauch nicht in jenem Bilanzkreis abgerechnet wird, in dem die Flexibilität des Stromverbrauchs die Regel­energie bereitstellt. Dies führt zur Unausgeglichenheit des Stromversorgungs-Bilanzkreises.

In der Vergangenheit wurde die Problematik oft durch bilaterale Vereinbarungen gelöst. Deren praktische Ausgestaltung stellte jedoch ein grosses Hindernis für den Marktzugang virtueller Kraftwerke dar. Aus diesem Grund wurden von diversen Seiten Standardisierungen, eindeutig geklärte Verantwortlichkeiten und eine klare Rolle der virtuellen Kraftwerke in energiewirtschaftlichen Prozessen gefordert.

Deutschland, Österreich und die Schweiz haben in den vergangenen Jahren Vereinbarungen für eine sogenannte Drittbilanzierung bei bilanz­übergreifendem Pooling geschaffen. Diese sehen nachträgliche Fahrplankorrekturen vor, um die Bilanzkreise ausgeglichen zu halten. Die obenstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Modelle und Standardisierungen der drei Länder für die bilanzübergreifende Vermarktung von Regelenergie. Das folgende Bild zeigt ausserdem den jeweiligen Fahrplanaustausch und den Umfang abzuschliessender Vereinbarungen gemäss den vorgeschlagenen Modellen der Länder.

Regeln und Produktgestaltung des Regelenergiemarkts

Die allgemeinen Marktregeln und die Ausgestaltung von Energieprodukten sind wesentlich für die Integration virtueller Kraftwerke in die Regelenergiemärkte. Um dort gebündelt teilnehmen zu können, haben Verbraucher, erneuerbare Energieanlagen und Pools unterschiedlicher Anlagen (Mischpools) andere Voraussetzungen als konventionelle Kraftwerke. Einige Produktkriterien und Marktregeln sind für die Systemstabilität nicht ausschlaggebend, jedoch der Marktintegration von Lastmanagement und virtuellen Kraftwerken hinderlich.

In den vergangenen Jahren haben alle drei Länder Änderungen vorgenommen, um unkonventionellen Anlagen den Marktzugang zu erleichtern. Die untenstehenden Tabellen geben einen Überblick über die wesentlichen technischen Anforderungen und Marktregeln der Tertiärregelleistung (TRL) und Sekundärregelleistung (SRL).

Präqualifikationskriterien für den Regelenergiemarkt

Die Präqualifikationskriterien setzen die technischen Anforderungen fest, die Anlagen zur Erbringung von Regelleistung erfüllen müssen. Virtuelle Kraftwerke bestehen aus einer grossen Anzahl kleinerer Anlagen, die zum Teil einzeln präqualifiziert werden müssen. Aus diesem Grund geben die Präqualifikationskriterien wesentliche Rahmenbedingungen für die Integration unkonventioneller und kleiner Anlagen in ein virtuelles Kraftwerk.

Alle drei Länder haben diese in den vergangenen Jahren angepasst, um kleinen Anlagen und Verbrauchern die Marktteilnahme zu ermöglichen. So wurden in der Schweiz und in Österreich die Präqualifikation als Anbieterpool für TRL (in Österreich auch SRL) ermöglicht. Zudem wurden in diesen beiden Ländern die Voraussetzungen für vereinfachte Verfahren zur Präqualifikation vergleichbarer Technologien geschaffen. Die Möglichkeit der Präqualifikation von Mischpools, in denen einzelne Anlagen allein nicht die notwendige Regelenergieart bereitstellen können, ist in Österreich gegeben und nach Einzelfallentscheidung des Übertragungsnetzbetreibers auch in Deutschland.

Die Netzentgelte spielen eine wesentliche Rolle

Eine wesentliche Rolle für die Wirtschaftlichkeit von virtuellen Kraftwerken spielen die Netzentgelte. Da die gebündelten Anlagen mit ihrer Bereitstellung von Flexibilität zwar netzdienliche oder systemdienliche Funktionen konventioneller Kraftwerke übernehmen, aber nicht als diese rechtlich klassifiziert sind, haben sie für die bezogene Energie Netzentgelte zu zahlen.

Dies macht eine Bereitstellung von Flexibilität oft unwirtschaftlich. In Deutschland zahlen Verbraucher für die erbrachte negative Regelenergie die gesamten Abgaben, Umlagen, Steuern und Netzentgelte. In der Schweiz können hierzu noch zusätzliche Kosten durch eine Erhöhung der monatlichen Leistungsspitze auftreten. In Deutschland existiert zudem eine Verordnung zu Sonderformen der Netznutzung [1], die keine Anreize für die Vermarktung am Regelenergiemarkt darstellt.

Österreich hat als einziges Land bereits im Jahr 2014 ein eigenes Netznutzungsentgelt für nachweislich aktivierte Regelenergie eingeführt. Dieses Entgelt ist deutlich geringer und gewährleistet, dass Verbraucher bei der Erbringung von Systemdienstleistungen nicht schlechter gestellt sind als konventionelle Kraftwerke.

Netzdienlicher Einsatz

Virtuelle Kraftwerke können aus technischer Sicht dafür genutzt werden, Flexibilität netzdienlich einzusetzen. Sie können Spitzenlasten reduzieren und lokale kritische Netzsituationen oder Netzengpässe im Übertragungsnetz begrenzen. Gerade durch die zentrale, intelligente Steuerung vieler kleiner im Netz verteilten Einheiten bietet sich ein virtuelles Kraftwerk an, um Kriterien wie prognostizierte Netzengpässe in der Steuerung mitzuberücksichtigen und diese gezielt zu begrenzen.

Allerdings ist das Engpassmanagement in Verteilnetzen heute oft noch beschränkt. Aufgrund der geringen Anzahl von installierten Messsystemen ist der Netzzustand häufig nicht bekannt. Zudem besteht heute kein Regularium, um regionale Flexibilität gezielt für das Verteilnetz einzusetzen und dieses in den Energiehandel einzubinden.

In allen drei Ländern haben die Übertragungsnetzbetreiber die Verantwortung, Massnahmen zur Vermeidung von Netzengpässen (Redispatch) auf Übertragungsnetzebene durchzuführen. Dafür greifen sie auf grosse Kraftwerke (in Deutschland >50 MW) zurück, die sich an den entsprechenden Knotenpunkten befinden.

Die Möglichkeiten für kleinere Anlagen, am Redispatch teilzunehmen, sind sehr begrenzt. In einem Pilotprojekt nutzt der deutsche Übertragungsnetzbetreiber Tennet derzeit die Flexibilität gebündelter, dezentraler Heimspeicher des virtuellen Kraftwerkbetreibers Sonnen, um Engpässe im Netz zu managen. Virtuelle Kraftwerke haben somit gemäss Tennet die Möglichkeit, Transportengpässe im Netz zu reduzieren.

In der Schweiz wird voraussichtlich im Herbst 2019 erstmals durch die Übertragungsnetzbetreiberin Swiss­grid ein integrierter Markt eingeführt, der die manuell abrufbaren Produkte Tertiärregelleistung und internationaler Redispatch vereint. Das Ziel ist, die Redispatch-Kapazitäten zu erhöhen und einen sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten. Dieser integrierte Markt gibt Anlagen auf Verteilnetz­ebene – auch durch die Ansteuerung von virtuellen Kraftwerken – die Möglichkeit, am Redispatch teilzunehmen.

Ähnliche Entwicklungen

Im Grunde zeigen sich ähnliche Entwicklungen in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz, auch wenn die Rahmenbedingungen im Kontext der nationalen Märkte zum Teil stark voneinander abweichen. Untenstehendes Bild zeigt nochmals auf, welche Rahmenbedingungen für netz- und systemdienliche Einsätze virtueller Kraftwerke bestehen und wofür virtuelle Kraftwerke eingesetzt werden können.

Die Rahmenbedingungen für virtuelle Kraftwerke haben sich in allen drei Ländern in den vergangenen Jahren positiv gewandelt. Die Einsatzbedingungen virtueller Kraftwerke werden in Zukunft insbesondere davon bestimmt werden, wie sich die Märkte und Marktregeln auf europäischer und nationaler Ebene weiterentwickeln. Die politischen Ziele eines «level playing Field», der Technologieneutralität und der Dekarbonisierung der Energieversorgung sprechen heute in vielen Punkten für die Geschäftsmodelle virtueller Kraftwerke. Die technologischen und markttechnischen Veränderungen werden einen massgeblichen Einfluss auf Geschäftsmodelle virtueller Kraftwerke haben.

Referenz

[1]   Deutsche Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzentgeltverordnung – StromNEV), §19 Sonderformen der Netznutzung, Bundeministerium für Wirtschaft und Energie.

Autorin
Stella Poelzig

ist stellvertretende Themengebietsleiterin Energiewirtschaft der Energie-Agentur.NRW.

  • Energie-Agentur.NRW, D-40219 Düsseldorf

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