Fachartikel Messtechnik , Regulierung

Viel Aufwand ohne ersichtlichen Ertrag

Liberalisierung des Messwesens

01.09.2021

Die Diskussion darum, wer Stromzähler installieren und auswerten darf, wird seit einiger Zeit geführt. Die der Forderung nach einer Liberalisierung zugrunde liegende Annahme, dass das Messwesen eine einfache und durch den Netzbetreiber zu teuer verkaufte Dienstleistung sei, ist aber falsch. In diesem Artikel wird gezeigt, warum.

«Es kann ja nicht so eine Hexerei sein, einen Zähler zu installieren und abzulesen.» Solche und ähnliche Meinungen sind häufig zu hören. Doch entsprechen sie auch den Tatsachen? Ist die Messung des Stromverbrauchs tatsächlich eine einfache Aufgabe und bei den (Verteil-)Netzbetreibern überteuert? Oder liegt diesen Vorwürfen mangelndes Wissen zugrunde? Auf jeden Fall haben sie dazu geführt, dass das Bundesamt für Energie BFE die Liberalisierung des Messwesens im Strombereich ins Auge gefasst hat.1)

In diesem Artikel wird erörtert, welche Aufgaben das Messwesen im Strombereich erfüllen muss und inwieweit diese durch den Netzbetreiber wahrgenommen2) werden sollen. Es wird untersucht, ob und wie diese Aufgaben alternativ durch den Kunden3) oder einen durch diesen beauftragten Dritt-Dienstleister sinnvoll ausgeführt werden könnten. Dabei wird insbesondere geprüft, ob die Liberalisierung des Messwesens tatsächlich zu einer Erhöhung der Datenqualität und -verfügbarkeit führt unter Wahrung oder gar Verbesserung der Gesamteffizienz.

Ausgangslage

Die Messung des Strombezugs aus dem Verteilnetz liegt heute in der Verantwortung des Netzbetreibers – dies aus guten Gründen, auf welche in der Folge näher eingegangen wird.

Während in der Vergangenheit für Haushaltskunden Registerzähler installiert wurden, welche die kumulierte Erfassung des Verbrauchs erlaubten und welche vor Ort abgelesen werden mussten, werden seit mehreren Jahren und mit dem verordneten Smart-Meter-Roll­out seit 2018 praktisch ausschliesslich Messgeräte mit Lastgang­erfassung in­stalliert. Diese erlauben eine Messung des Strombezugs in Viertelstundenwerten und eine Fernauslesung.

Im Monopolbetrieb war die Zuständigkeit des Netzbetreibers für die Erfassung und Abrechnung des Stromverbrauchs unbestritten. Dabei unterliessen es die Netzbetreiber oft, auf die einleitend zitierten Klagen zu reagieren oder die Aufwände beziehungsweise Preise den Kunden zu erläutern. Die Zählergebühren enthalten meist nicht allein die Miete des Zählers, sondern auch Kosten wie die Ablesung, Verwaltung der Daten und die Rechnungsstellung für die Netznutzung. Die Annahme, dass es sich bei der Grundgebühr allein um die Zählermiete handle, herrscht bis heute dennoch bei vielen Kunden vor.

Mit der voranschreitenden Öffnung des Strommarkts sowie der Dezentralisierung der Stromproduktion wurde die Aufgabenzuteilung an den Netzbetreiber vermehrt infrage gestellt, insbesondere aus zwei Gründen:

  • Produzenten mussten bis 2017 selbst für die Messkosten ihrer Produktion respektive Netzeinspeisung aufkommen. Einige dieser Produzenten erachteten die angewandten Mess­preise als zu hoch und klagten bei der ElCom.
  • Multisite-Kunden mit Filialen verteilt über unterschiedliche Netzgebiete klagten bei der ElCom, dass sie ihre Verbrauchswerte nicht einheitlich und zeitnah von den verschiedenen Netzbetreibern erhalten.

Stromproduzenten und Multisite-Kunden fordern als Lösung die Möglichkeit der Messdatenerfassung in eigener Verantwortung, um die eigenen Bedürfnisse abzudecken. Dies beruht auf der Vorstellung, dass es sich beim Messwesen im Strombereich um eine grundsätzlich einfache und viel zu teuer verkaufte Dienstleistung des Netzbetreibers handle. Vorerst die ElCom und danach auch das BFE nahmen diese Klagen auf, mitsamt der geforderten Liberalisierung des Messwesens als richtige und einzige Möglichkeit, die Missstände zu beseitigen.

Die Möglichkeit einer Liberalisierung des Messwesens in der Schweiz wurde darauf durch das BFE in einer Studie untersucht.[1] Deren Ergebnisse waren alles andere als eindeutig. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Wechselraten sehr gering waren und die erwünschten Kostenreduktionen weitgehend ausblieben. Demgegenüber ist der regulatorische Aufwand enorm. Alternativ wurde die Möglichkeit einer Teil-Liberalisierung für Grosskunden erwogen, um zumindest deren Bedürfnisse zu erfüllen. Nicht einbezogen in diese Untersuchung wurden die Folgen aus volkswirtschaftlicher Sicht. Eine Teil-Liberalisierung dürfte noch weniger sinnvoll sein, da der gesamte technische, regulatorische und administrative Aufwand zur Umsetzung der Liberalisierung trotzdem nötig wäre, letztendlich aber nur, um den Partikularinteressen einer kleinen Gruppe nachzukommen.

2017 hat das Bundesgericht den Antrag eines Dienstleisters gutgeheissen, die «Messdienstleistung» (Teile Datenerfassung und Datenauf­bereitung des Messprozesses gemäss obenstehendem Bild) für einen Produzenten gegen den Willen des Netzbetreibers erbringen zu dürfen.[2] Das Bundesgericht hat damit den Markt für den Teil Messdienstleistung für Produzenten über 30 kVA Anschlussleistung faktisch geöffnet. Die Dienstleistungserbringung wurde bisher trotzdem nicht wahrgenommen – obwohl der Netzbetreiber dies ermöglichen musste. Seit 2018 werden die Messkosten für Produzenten durch die Netznutzungsentgelte der Konsumenten finanziert. Produzenten müssen heute also ihre Messkosten nicht mehr selbst tragen. Verständlich, dass sie damit keinen Bedarf an einer Dienstleistungserbringung mehr haben. Sie müssten sie selbst bezahlen.

Seit 2018 ist der Smart-Meter-Rollout verordnet und in Umsetzung. Dazu gehören strenge Vorgaben an die Datensicherheit und Systemintegrität. Das intelligente Messsystem dient dabei gleichzeitig als intelligentes Steuersystem. Diese Tatsachen machen heute eine Trennung von Messstellenbetrieb und Messdienstleistung sehr aufwendig. Eine Liberalisierung des Messwesens würde wohl die parallele Installation von intelligenten Mess- und Steuersystemen bedingen.

Die Auswirkungen einer Liberalisierung des Messwesens auf die Erfüllung der primären Aufgabe des Messwesens und auf die Gesamteffizienz wurden bisher nicht untersucht. Neben dem Aufbau einer parallelen Infrastruktur wären der regulatorische und administrative Aufwand zur Umsetzung gross. Die zu erfüllenden Aufgaben müssten dem vom Kunden bestimmten Messdienstleister als Pflicht überbunden werden, inklusive den Haftungsfolgen, um das Funktionieren des Netzbetriebs und auch des Strommarkts zu gewährleisten. Es entstünden neue, zusätzliche Schnittstellen, die die Abläufe und damit auch die Prozesssicherheit gefährdeten. Für eine volkswirtschaftliche Bewertung der Liberalisierung des Messwesens muss die Gesamtheit der Folgen betrachtet werden. Zudem muss geprüft werden, ob sich die bemängelte Datenqualität und -verfügbarkeit durch andere, effizientere Massnahmen verbessern lässt, wie beispielsweise durch den bereits in Umsetzung befindlichen Smart-Meter-Rollout und den Bau von Datahubs.

Kosten des Messwesens

Unter Messkosten fallen nicht nur die Kosten des Zählers. Die Messkosten umfassen neben den reinen Gerätekosten auch die Aufwände für Installation und Betrieb der Mess- und Kommunikationsgeräte, die notwendigen Systeme und Lizenzen sowie die Kosten des gesamten Datenverarbeitungsprozesses von der Ablesung über die Datenaufbereitung, -prüfung und -verwaltung bis hin zur Verteilung an die berechtigten Akteure (Bild oben).

Zum Prozessschritt «Messstellenbetrieb» gehören die Beschaffung, Installation und der Betrieb der Messstelle. Die Messstelle besteht aus Messgeräten und Kommunikationseinrichtungen. Neben den Gerätekosten schlagen vor allem die Personalkosten für In­stallation und Inbetriebnahme inklusive Parametrierung zu Buche. Die Installation bedingt eine Anfahrt vor Ort mindestens eines ausgebildeten und berechtigten Elektroinstallateurs. Der Messstellenbetrieb umfasst auch die Aufwände für die Zählerverwaltung, für die Zählpunktvergabe sowie für die Eichung der Messgeräte bei einer akkreditieren Eichstelle. Ebenso Teil der Betriebskosten sind Kosten für Servicearbeiten und Fehlerbehebungen vor Ort.

Die übrigen Prozessschritte des Mess- und Datenlieferungsprozesses betreffen die Erfassung, Aufbereitung, Verarbeitung und Lieferung der Messdaten. Dafür sind aufwendige IT-Systeme mit entsprechender Infrastruktur und Personal für die Systempflege und deren Bedienung erforderlich. Hier entstehen Synergien durch Skaleneffekte, womit die Effizienz gesteigert wird.

Die ElCom hatte die Kosten von fernabgelesenen Lastgangmessungen geprüft und einen Betrag von bis zu 600 Franken pro Jahr und Messpunkt als «nicht auffällig» taxiert.[3] Darin waren die Kosten für die Datenübertragung (zum Beispiel GSM-Abo) nicht enthalten. Mit einem flächendeckenden Smart-Meter-Rollout (Vorbereitung, Beschaffung und Abwicklung vor Ort) mit integralem Kommunikationskonzept werden diese Kosten tiefer ausfallen, inklusive der Datenübertragung. Intelligente Messsysteme werden aber teurer sein als bisherige Zähler ohne Kommunikation, Datensicherheitsvorschriften und automatische Datenübermittlung.

Kostenregulierung

Das Faktenblatt des BFE vom 11. November 2020 zur Revision EnG und StromVG führt unter Messwesen wie folgt aus: «Die Preise der von den Netzbetreibern erbrachten Messdienstleistungen unterscheiden sich heute stark, sind teils überhöht, und es gibt teilweise Probleme mit der Datenqualität.»[4]

Seit dem Jahr 2018 werden aufgrund der Anpassung der StromVV die Messkosten nicht mehr ausgewiesen und den Produzenten in Rechnung gestellt. Sie sind seither Teil der anrechenbaren Netzkosten und werden durch die Endverbraucher getragen. Es gibt somit bereits seit 2018 keine separat verrechneten «Messpreise» mehr. Die Überlegungen des BFE basieren auf einer veralteten Ausgangslage und entsprechenden Situationsbeurteilung.

Selbst vor dem Jahr 2018 ist die Klage über zu hohe Preise im korrekten regulatorischen Licht zu sehen. Bei allen Netzbetreibern entsprachen die Mess­preise maximal den tatsächlichen Kosten. Die vereinzelt hohen Messpreise lassen sich wie folgt erklären:

  • Kostenstruktur und Effizienz der Netzbetreiber sind unterschiedlich. Insbesondere hat der Skalierungseffekt einen grossen Einfluss auf die Kosten. Von den rund 620 in der Schweiz tätigen Netzbetreibern sind der grösste Teil kleine und Kleinst-Gemeindewerke mit einigen Hundert bis zu einigen Tausend Messpunkten. Die Messkosten bei solch kleinen Mengen sind aufgrund hoher Fixkosten für Systeme und Personal höher als bei einem Netzbetreiber mit 100 000 Messpunkten und mehr. Ein Teil der Mehrkosten liesse sich durch Kooperationen und Zusammenschlüsse oder den Bezug der Dienstleistung als Service reduzieren. Der Entscheid dazu liegt bei diesen Gemeindewerken in der Hand der Gemeinden.
  • Während der eine Netzbetreiber die Preise für die Messdienstleistung allein auf die Kosten für den Messstellenbetrieb zurückführte, hat der andere die Kosten des gesamten Messprozesses vom Messstellenbetrieb bis hin zum Datenversand in die Messpreise einbezogen. Letzteres wäre aus Sicht der Verursachergerechtigkeit wohl korrekt, führte aber in einigen Fällen zu den hohen Preisen mit den bekannten Vorwürfen und Beanstandungen.

Die Frage, ob die Preise kostenbasiert korrekt waren, kann die ElCom eigenständig klären und allfällige Missstände beseitigen. Die ElCom kann erstens mit einer entsprechenden Weisung Klarheit schaffen, welche Prozessschritte in die Preise einzubeziehen sind. Zweitens prüft sie die Kosten und kann allfällige Missachtungen ahnden. Ausreisser und Einzelfälle können somit mit den bestehenden Kompetenzen und Mitteln der ElCom leicht bereinigt werden. In diesem Licht betrachtet wäre die Liberalisierung des Messwesens als Lösung, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen. Ob die Kanone «Liberalisierung» den Spatzen «Messkosten» treffen würde, bleibt dabei fraglich.

Folgen einer Liberalisierung

Im Folgenden werden die resultierende Gesamteffizienz beziehungsweise das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Liberalisierung untersucht. Dazu werden die einzelnen Prozessschritte bezüglich der Umsetzung im liberalisierten Umfeld und deren Folgen untersucht.

Messstellenbetrieb Ein intelligentes Messsystem besteht im Minimum aus einem intelligenten Messgerät, einem Kommunikationssystem und einem Head-End-System. Diese Komponenten sind über herstellerspezifische Schnittstellen verbunden und arbeiten als ein Gesamtsystem zusammen. Insbesondere für die Datensicherheit sind sie als Ganzes aufeinander abgestimmt. Das intelligente Messsystem nimmt zumeist gleichzeitig die Funktion eines intelligenten Steuersystems wahr, mit dem der Netzbetreiber zur Netzoptimierung und zur Wahrung der Versorgungssicherheit Kundengeräte steuern kann. Er braucht also zwingend Zugriff über sein Head-End- und Kommunikationssystem auf die lokal installierten intelligenten Mess- und Steuergeräte.

Mit den bestehenden Sicherheitsanforderungen und bereits im Rollout befindlichen Lösungen ist kein paralleler Zugriff verschiedener Akteure auf die Geräte vorgesehen. Eine Liberalisierung des Messstellenbetriebs würde daher meist die parallele Installation von intelligenten Messsystemen bedeuten, mit den notwendigen Parallelfahrten an den gleichen Ort. Verschiedene Anbieter würden verschiedene Messgeräte am gleichen Messort installieren. Das wäre nicht effizient und würde Mehrkosten verursachen. Mit jedem weiteren Dienstleister würde sich diese Ineffizienz vergrössern. Der Platz für die Installation mehrerer Geräte lokal beim Kunden ist oft nicht vorhanden, was eine parallele Installation quasi verunmöglichen würde. Die Liberalisierung des Messstellenbetriebs würde somit die Gesamteffizienz aus volkswirtschaftlicher Sicht enorm verschlechtern, und das ohne funktionalen Mehrwert.

Datenerfassung Zur Erbringung dieses Prozessschrittes ist der Zugriff auf die lokal installierten Messgeräte über ein Head-End-System und eine Kommunikationsverbindung nötig. Wie beschrieben, benötigt der Netzbetreiber die Geräte samt eigener Zugriffsberechtigung, Kommunikations- und Head-End-System auch als Steuersystem, was wiederum die In­stallation und den Betrieb eines pa­rallelen intelligenten Messsystems durch den Dritt-Dienstleister bedingen würde. Die Datenerfassung muss somit durch den Messstellenbetreiber erfolgen. Eine Liberalisierung des Prozessschrittes Datenerfassung wäre folglich nur umsetzbar, wenn auch der Messstellenbetrieb liberalisiert würde. Ein Mehrwert durch die Liberalisierung des Prozessschrittes Datenerfassung ist nicht ersichtlich.

Datenaufbereitung Dieser Prozessschritt enthält im Wesentlichen die Plausibilisierung und Ersatzwertbildung sowie die Datenarchivierung. Für eine Erbringung durch einen Dritt-Dienstleister müsste dieser die abgelesenen Rohdaten vom Netzbetreiber beziehungsweise dem Erbringer des Prozessschrittes «Datenerfassung» erhalten. Für die Ersatzwertbildung bräuchte er allenfalls auch historische Daten des Kunden. Dieser Prozessschritt ist heute weitgehend automatisiert. Die Ausführung durch einen vom Kunden gewählten Dienstleister wäre zwar möglich und würde dem Kunden erlauben, seine Daten direkt vom Dienstleister zu erhalten. Bei den bestehenden Vorgaben zu Kundenschnittstellen und zur Datenlieferung an den Netzbetreiber brächte dies aber keinen ersichtlichen Vorteil – weder in der Effizienz noch in der Qualität. Demgegenüber entstünden neue Schnittstellen für den Austausch der Rohdaten und der geprüften Daten, welche sowohl die Fehlerrisiken als auch den Aufwand erhöhen würden.

Datenverarbeitung und Datenlieferung Mit der heutigen branchenweiten Umsetzung des standardisierten Datenaustauschs für den Strommarkt Schweiz (SDAT-CH des VSE) braucht der Netzbetreiber die aus dem Prozessschritt «Datenverarbeitung» resultierenden Daten. Mit ihnen muss er für verschiedene Akteure wie vorgelagerte Netzbetreiber, Übertragungsnetzbetreiber, Bilanzgruppenverantwortliche und Lieferanten die korrekten Datenaggregate bilden. Ein zentraler Datahub unterstützt die Netzbetreiber bei der Umsetzung dieser Aufgabe und schafft mehr Prozesssicherheit.

Ein vom Kunden beauftragter Dienstleister könnte einzelne Datenlieferungen erbringen, wie beispielsweise den Versand von Einzelzeitreihen des Kunden an den Kunden, an den Lieferanten und an die Bilanzgruppe. Die Aggregation pro Netzgebiet sowie die Bilanzierung und Bildung von Bruttolastgangsummen je Netzebene und -gebiet können durch den vom Kunden beauftragten Dienstleister nicht erbracht werden, da die notwendige Gesamtheit der Daten bei ihnen nicht vorhanden ist. Eine Liberalisierung würde hier eine Neuregelung der Datenprozesse bedingen.

VSGS lehnt die Liberalisierung des Messwesens ab

Das Messwesen im Strombereich ist im Umbruch. Entstanden aus der Notwendigkeit, die bezogene Strommenge für Verrechnungszwecke zu erfassen, bildet es heute die Grundlage für eine sichere Stromversorgung. Grund dafür sind die immer schwierigere Planbarkeit von Strombezug und -einspeisung sowie die Strommarktöffnung. Dadurch ist das Messwesen wesentlich komplexer und aufwendiger geworden. Während In­stallation und Betrieb der Messstellen Starkstromkompetenzen bedingen, spielen sich die übrigen Prozessschritte des Messwesens im Wesentlichen in der digitalen Datenwelt ab. Entsprechend sind die Anforderungen an Datensicherheit und Systemintegrität stark gestiegen. Für die Ermöglichung der Erbringung der Messdienstleistung durch einen vom Kunden gewählten Dienstleister müssten folgende Fragen vorgängig geklärt werden:

  • Wer haftet für die Korrektheit der Daten?
  • Was sind die Risiken betreffend Netzsicherheit?
  • Welches sind die nötigen regulatorischen Leitplanken und Aufwendungen?
  • Wie hoch sind der Nutzen und der Gesamtaufwand aus volkswirtschaftlicher Sicht?

Die vorliegende Analyse zeigt, dass eine Liberalisierung des Messwesens, oder von Teilen davon, gesamtwirtschaftliche Mehraufwände verursachen würde. Zur Wahrung der Datensicherheit und Systemintegrität und zur Nutzung der intelligenten Messsysteme als intelligente Steuersysteme wären bei einer Liberalisierung von Messstellenbetrieb und Datenerfassung parallele Infrastrukturen nötig. Die geforderte Verbesserung von Datenqualität und Datenverfügbarkeit für die Kunden wird durch den bereits in Umsetzung befindlichen Smart-Meter-Rollout auch ohne Liberalisierung erreicht. Zentrale Datahubs optimieren die Datenprozesse zusätzlich. Die Liberalisierung von übrigen Teilaufgaben des Messwesens brächte im Vergleich dazu keinen ersichtlichen Mehrwert, verursachte aber wesentliche Mehrkosten zulasten der Volkswirtschaft. Eine Teil-Liberalisierung nur für Grosskunden verstärkte diesen Effekt sogar noch. Von einer Liberalisierung sowie von einer Teil-Liberalisierung des Messwesens muss daher Abstand genommen werden. Der Verein Smart Grid Schweiz (VSGS) lehnt die Liberalisierung des Messwesens entschieden ab.

1) Dieses Whitepaper wurde kurz vor Erscheinen der Botschaft zum neuen Mantelerlass StromVG/EnG fertiggestellt. Die erschienene Botschaft mit dem Entwurf des neuen StromVG bestätigt diese Absicht des BFE. Die in diesem Whitepaper beschriebene Thematik trifft auch auf die im StromVG publizierte Variante der Teil-Liberalisierung zu.
2) «Durch den Netzbetreiber wahrgenommen» bedeutet «durch ihn selbst oder ganz oder teilweise durch einen von ihm beauftragten Dienstleister ausgeführt». Die hier besprochene Liberalisierung betrifft die Möglichkeit, dass nicht der Netzbetreiber, sondern der Kunde selbst seinen Messdienstleister bestimmen kann.
3) Zur besseren Lesbarkeit werden die Netznutzer (Endverbraucher, Produzenten, Prosumer) als «Kunde» (des Netzbetreibers) bezeichnet.

Referenzen

[1]   «Kosten-Wirksamkeits-Analyse von Organisationsmodellen des Messwesens in Stromverteilnetzen in der Schweiz», BFE/WIK, Abschlussbericht 12. August 2015.
[2]   Bundesgerichtsurteil 2C_1142/2016, 14. Juli 2017.
[3]   «Messkosten und Zugriff auf Messdaten bei Endverbrauchern mit Lastgangmessung mit automatischer Datenübermittlung», ElCom, 12. Mai 2011 sowie ElCom-Informationsveranstaltung 2014.
[4]   «Faktenblatt Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», BFE, Revision Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz, 11.  November 2020.

Autor
Andreas Beer

ist Co-Geschäftsführer des Vereins Smart Grid Schweiz.

  • Verein Smart Grid Schweiz, 2560 Nidau.
Autor
Maurus Bachmann

ist CEO von Swisseldex.

  • Swisseldex AG, 3011 Bern

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