Fachartikel Erneuerbare Energien , IT für EVU

Verluste reduzieren mit maschinellem Lernen

Vorausschauende Wartung von Windparks

09.08.2021

Mit maschinellem Lernen können von Energie­systemen erzeugte Signale erfasst, segmentiert und klassifiziert werden, um Ausfallrisiken zu erkennen. Basierend auf dieser Technik wurde ein Tool entwickelt und implementiert, um eine voraus­schauende Wartung (Predictive Maintenance) einer grossen Anzahl von Wind­anlagen zu optimieren.

Die neuen dezentralen Energiequellen (Windturbinen, PV-Anlagen, Batterien) stellen Betreiber vor zahlreiche operative Heraus­forderungen.[1] Dank der neuesten technologischen Fortschritte im Bereich Datengewinnung und -verarbeitung können einige dieser Probleme jedoch gemeistert oder zumindest verringert werden. Dies gilt insbesondere für den Wartungsprozess, bei dem Predictive-Maintenance-Lösungen implementiert werden können, um die Verfügbarkeit der Anlagen zu erhöhen.

In Zusammenarbeit mit seinen Partnerinnen, der BKW-Gruppe und Proxima Solutions GmbH, hat das CSEM eine Softwarelösung für die vorausschauende Wartung von Windanlagen entwickelt. Sie basiert auf maschinellem Lernen und wurde in die Wind-Log Plattform der Proxima Solutions GmbH integriert. Damit wird eine Verbesserung des korrektiven Wartungsprozesses und damit eine Reduzierung der durch Ausfälle von Windanlagen verursachten Betriebsverluste ermöglicht.

Vorausschauende Wartung – Vorbeugen statt Heilen

Bei einem breiten Spektrum von Systemen treten Funktionsstörungen nicht spontan auf, sondern entwickeln sich meist über einen Zeitraum hinweg. Dadurch werden sie frühzeitig detektierbar. Ein Leistungsabfall nimmt oft über die Zeit zu (Bild 1) und manifestiert sich dabei als Signalanomalie.[2] Diese Beobachtung bildet die Grundlage der vorausschauenden Wartung.

Mit verschiedenen Sensoren und einer Feinanalyse der erzeugten Daten ist es also theoretisch möglich, die Ausfälle vieler Anlagen vorherzusagen, rechtzeitig Wartungsteams vor Ort zu schicken und so die Betriebs­verluste zu minimieren. Die Schwelle der Erkennbarkeit hängt von den installierten Sensoren ab. Vibrations­sensoren können zum Beispiel potenzielle Ausfälle von rotierenden Teilen eher erkennen als Temperatursensoren.[3]

In komplexen Systemen wie Windanlagen stellen sich bei der Umsetzung der vorausschauenden Wartung jedoch zahlreiche Probleme ein. Erstens unterscheiden sich die unter ähnlichen Bedingungen gemessenen Signale (Temperatur, Druck, Vibration) von Windkraft­anlagen ganz bedeutend, selbst dann, wenn es sich um Anlagen desselben Modells eines Herstellers handelt. Zweitens entsteht aufgrund der Wartungsarbeiten selbst ein Problem. Windanlagen, die in Betrieb sind, stellen kein isoliertes System dar. Es werden nämlich permanent zahlreiche präventive oder korrektive Interventionen vor Ort vorgenommen. Ausserdem werden Fern-Updates von Sensoren und Steuerungssystemen durchgeführt. All diese Änderungen beeinflussen die Messwerte und erschweren die Implementierung von Lösungen für die automatischen Fehlererkennung, da sie darauf angewiesen sind, Informationen über die durchgeführten Arbeiten zu erhalten, um Fehlalarme bestmöglich zu vermeiden.

Gezielte Warnmeldungen

Das in diesem Projekt entwickelte Tool soll die oben genannten Probleme lösen und basiert auf drei Säulen (Bild 2).

Die Verwendung eines maschinellen Lernalgorithmus, um das messbare Verhalten jeder einzelnen Turbine, basierend auf ihren historischen Daten, vorherzusagen, stellt die erste Säule dar. Dazu werden verschiedene Daten gesammelt: die vom Scada-System übertragenen Daten wie z.B. Temperatur, Druck, Blattanstellwinkel oder Leistung, mit einer zeitlichen Auflösung von 10 Minuten, sowie die Daten der Vibrationssensoren, in einer weit höheren zeitlichen Auflösung. Die in neuronalen Netzen [4] ablaufenden Algorithmen sind von einer Turbine nur dann auf eine andere übertragbar, wenn exakt die gleichen Signale verwendet werden. Oder sie können rasch auf eine andere Turbine oder eine Gruppe von anderen Turbinen «umgeschult» werden. Für die Wahl der Architektur dieser neuronalen Netze und für die Verknüpfung der externen Parameter mit den gemessenen Signalen wurde ein physikalischer Ansatz verwendet, der auch die in den Temperatur- und Drucksignalen beobachteten Latenzen berücksichtigt.

Die zweite Säule besteht darin, die Vorhersagen des Algorithmus mit den Beobachtungen vor Ort zu vergleichen – also den Modellfehler zu bestimmen. Um falsch positive Ergebnisse zu begrenzen, wurde viel Arbeit in statistische Analysen und die Segmentierung der Zeitreihen investiert. Bei diesem Bearbeitungs­prozess wird jede erkannte Abweichung nach ihrem Schweregrad klassifiziert.

Die letzte Säule ist schliesslich die immer noch wichtige Schnittstelle Mensch-Maschine. Selbst bei einer sorgfältigen Klassifizierung zeigen mehrere grössere Abweichungen nicht immer zwingend einen schwerwiegenden Fehler an. Bevor man solche Unstimmigkeiten den Nutzerinnen und Nutzern des Tools präsentiert, werden die Abweichungen für jede einzelne Turbine zusammengefasst und es wird automatisch eine Liste mit den potenziellen Störungen erstellt. Diese Liste stützt sich auf eine Root-Cause-Analyse (Failure Mode and Effects Analysis, FMEA), die in enger Kooperation mit Turbinen- und Wartungs­fachleuten erarbeitet wurde. Die Analytiker in der Leitstelle können dann den Inhalt der Liste sortieren, den Schweregrad der Einträge ändern, die Unregelmässigkeiten kommentieren oder Interventions­aufträge für die technischen Teams im Feld generieren (Bild 3).

Um den Überblick über alle Informationen aus dem Wartungsprozess zu behalten, müssen alle im Interventions­bericht aufgeführten Störungen im Nachhinein von der Leiterin bzw. vom Leiter der Leitstelle abschliessend bearbeitet werden. Die von den Teams vor Ort festgestellten Störungen und die durchgeführten korrektiven Massnahmen werden dabei genau analysiert und festgehalten. Diese Informationen werden gespeichert und dann in eine Feedbackschleife gespeist, um die Algorithmen weiter zu trainieren und somit die Fehlerquote zu verringern und die Genauigkeit der Voraussagen zu erhöhen.

In einem Jahr vierzig Störungen zuvorgekommen

Nach einer vielversprechenden Testphase wurde das Software-Tool in der BKW-Leitstelle in Betrieb genommen. Dort überwacht es nun rund um die Uhr mehr als 200 Anlagen in Italien, Deutschland, Frankreich, Norwegen und der Schweiz. Seit Mitte 2020 wurden rund 40 Störungen vorausgesehen und abgewendet. Dadurch konnten Produktionsausfälle verhindert und die Anlagenverfügbarkeit erhöht werden. Durch die Anwendung wird ein breites Spektrum an Mängeln (Bild 4) erkannt. Neben kleineren Problemen, wie z.B. verschmutzten Filtern, defekten Lüftern oder zu geringen Lagerfettmengen wurden auch grössere Probleme, wie defekte Thermostatventile in Getrieben, defekte Generatoren­lager oder grössere Verschleiss­stellen an Getrieben frühzeitig entdeckt.

Einbezug der Techniker ist unerlässlich

Für die erfolgreiche Durchführung einer vorausschauenden Wartung bei dezentralen Energiesystemen sind verschiedene technische und organisatorische Faktoren wesentlich. Ob bei Windkraft­anlagen, Solarpanels oder Batterien, das Hauptaugenmerk bei der vorausschauende Wartung ist der Gewinn an Verfügbarkeit, der dank der Früherkennung von Anomalien erreicht wird. Der früher oft praktizierte reaktive Ansatz der «Intervention erst im Störfall» wird dadurch obsolet. Aus organisatorischer Sicht ist die Einbindung der Wartungsfachleute das wichtigste Element. Da die stete Verbesserung des Tools auf mehreren Feedback­schleifen basiert, die darauf abzielen, möglichst viele Informationen über die durchgeführten Reparaturen zu erfassen, stellen die Technikerinnen und Techniker ein unverzichtbares Glied in der Kette dar. Deshalb müssen auch sie von dieser Lösung und der Bedeutung ihres eigenen Feedbacks überzeugt sein. Dann wird das Tool auch nicht als lästige administrative Pflicht empfunden, sondern als eine Interventions- und Entscheidungs­hilfe zur Sicherstellung der optimalen Anlageleistung erkannt.

Referenzen

[1] National Energy Technology Laboratory, «Electric Power System Asset Optimization», NETL Report, US Department of Energy, 2011.
[2] P. Tchakoua, R. Wamkeue, M. Ouhrouche, F. Slaoui-Hasnaoui, T. A. Tameghe, G. Ekemb, «Wind Turbine Condition Monitoring: State-of-the-Art Review, New Trends, and Future Challenges», Energies 2014, 7(4), pp. 2595-2630, 2014.
[3] K. Fischer, F. Besnard, L. Bertling, «Reliability-Centered Maintenance for Wind Turbines Based on Statistical Analysis and Practical Experience», IEEE Transactions on Energy Conversion, Vol. 27, no. 1, pp. 184-195, March 2012.
[4] I. Goodfellow, Y. Bengio, A. Courville, Deep learning, The MIT Press, 2016, ISBN: 0262035618.

Danksagung

Die Autoren danken den folgenden Mitarbeitenden der verschiedenen europäischen Tochter­gesellschaften der BKW-Gruppe für ihr wertvolles Feedback und ihr Fachwissen im Bereich Windenergie: Arthur Chevalier, Francesco Piersanti, Michele Cacciacarro, Frank Krause, Danilo Grande, Giuseppe Zazzera, Gianpasquale Gambacorta und Alejandro Sampedro Senen.

 

Die deutsche Version dieses Artikels ist nur online verfügbar.

 

Autor
Pierre-Jean Alet

ist Leiter der Abteilung Digital Energy Solutions am CSEM.

  • CSEM SA
    2002 Neuchâtel
Autor
Baptiste Schubnel

ist Senior Data Scientist am CSEM.

  • CSEM SA
    2002 Neuchâtel
Autor
Giuseppe Madia

ist General Manager von Proxima Solutions.

  • Proxima Solutions GmbH
    DE-12159 Berlin

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