Fachartikel Infrastruktur

Ver­gleich neu­er Tra­fo­tech­no­lo­gi­en

Verteilnetze sollen flexibler werden

02.05.2019

Im Rahmen der Energie­strategie 2050 wird erwartet, dass die Energie­produktion zuneh­mend dezentralisiert (PV) und eine Elektrifi­zierung der indivi­duellen Mobilität stattfinden wird. Dies stellt hohe Anforde­rungen an die regionalen Verteil­netze bezüglich Belas­tung und Spannungs­stabilität. Neue Trafo­techno­logien könnten hier wichtige Dienste leisten.

Um die Verteilnetze für künftige Heraus­for­derungen zu rüsten, werden diverse Mass­nahmen diskutiert, u. a. ein Ausbau der Netze, intelligente Last- und Erzeuger­steue­rungen oder der Einsatz neuer Trans­formator­techno­logien auf Netz­ebene 6 (zwischen Mittel- und Nieder­spannung). Bezüglich der Spannungs­stabilität werden heute die folgenden drei Trans­formator­techno­logien diskutiert:

  • Regelbarer Ortsnetz­trans­formator (Ront) (Einstiegsbild)
  • Hybrider Trans­formator (HT), d.  ein konven­tioneller Trafo mit leistungs­elektro­nischer Erweiterung
  • Rein leistungs­elektro­nischer Trafo (engl. Solid-State Transformer, SST)

 

Alle diese Trans­for­matoren können die Spannung auf Netzebene 7 (Nieder­span­nungs­netz) beeinflussen. Zudem können mit dem HT und dem SST Blindleistungsflüsse auf Netzebene 5 (Mittel­span­nungs­netz) und damit das Spannungsniveau zu einem gewissen Grad beeinflusst werden. Als Nachteile dieser Technologien gegenüber herkömmlichen Orts­netz­trans­for­matoren werden die höhere Komplexität, die geringere Verläss­lichkeit und der niedrigere Wirkungs­grad genannt. Die Wirkungs­grade der Transfor­matoren hängen unterschiedlich stark vom Betriebspunkt bzw. von der Auslastung ab und wurden daher in der hier vorge­stellten Studie untersucht. Der HT und der SST befinden sich noch im Entwicklungs­stadium, weshalb keine Erfahrungs­werte für den Einsatz als Verteil­netz­trans­formator in realen Netzen vorliegen.

Am Institut für Elektrische Energie­technik der Fach­hoch­schule Nord­west­schweiz wurde im Auftrag des Bundesamts für Energie untersucht, welche Wirkungsgrade für die neuartigen Transformatortechnologien in einer realen Schweizer Netzumgebung zu erwarten sind. Anhand von Lastfluss­simula­tionen wurde untersucht, wie sich der Einsatz der neuen Technologien auf die Gesamtverluste des Systems Transformator + Netz auswirkt. Die Unter­suchung wurde für ein Gegenwarts- und zwei Zukunfts­szenarien durchgeführt, die sich in der Markt­durch­dringung von PV-Anlagen und Elektro­mobilität unterscheiden. Zudem wurde untersucht, wie viele PV-Anlagen die Netze aufnehmen können, bis Spannungs­grenz­werte verletzt oder Leitungen überlastet werden.

Als Grundlage dienten eher ländliche Netze aus dem Netzgebiet Wohlen bei Bern der BKW Energie AG. Die zugehörigen Lastprofile der Verteilnetztransformatoren wurden über ein Jahr gemessen (August 2017 bis Juli 2018) und für die Studie zur Verfügung gestellt. Für die Transformatoren, speziell HT und SST, wurden anhand von Literatur­daten Modelle erstellt.

Die verglichenen Technologien

Im untersuchten Mittel­span­nungs­netz sind in allen 39 Abgängen konven­tionelle Orts­netz­trans­for­matoren (ONT) mit einer fixen Spannungs­über­setzung im Einsatz. Sie zeichnen sich durch einen hohen Wirkungsgrad bis über 99%, ihre einfache Bauweise und hohe Zuver­lässigkeit aus. Bei sehr tiefer Auslastung dominieren die Leerlauf­verluste (Eisenverluste), mit zuneh­mender Auslastung fallen verstärkt die Leitungs­verluste (Kupferverluste) ins Gewicht.

Der regelbare Orts­netz­trans­for­mator (Ront) funktioniert gleich wie der ONT, kann jedoch zusätzlich die Spannung im belasteten Zustand über einen Stufenschalter variieren. Steigt der Verbrauch in einem Netz stark an, kann durch Erhöhung der Spannung auf der Unter­spannungs­seite des Trafos die geforderte Spannung beim Verbraucher länger eingehalten werden. Bei einem Ront fallen ähnliche Verluste wie bei einem ONT an. Ein Nachteil gegenüber dem ONT ist die erhöhte Komplexität durch den Stufen­schalter, was die Zuver­lässigkeit reduzieren kann.

Der rein leistungs­elektronische Transfor­mator (SST) unter­scheidet sich funda­mental von einem ONT. Er besteht aus je einem AC/AC-Konverter auf der Primär- und Sekundärseite, sowie einem Mittel­frequenz­transformator mit galvanischer Trennung (Bild 1). Die höhere Frequenz ermöglicht eine kompak­tere Bauweise des Trans­formators. Der SST bietet Möglich­keiten zur Beein­flussung von Spannung, Spannungs­qualität, Strom oder (Blind-)Leistungsfluss. Die Primär- und Sekundärseite sind bezüglich Frequenz und Phasenlage von Strom und Spannung komplett voneinander entkoppelt. Industrielle Proto­typen erreichen gemäss [1] im besten Arbeitspunkt einen Wirkungs­grad von bis zu 97%. Bei tiefen Auslas­tungen nimmt der Wirkungs­grad jedoch ab.

Der hybride Trans­formator (HT) ist eine Kombi­nation aus einem konven­tionellen ONT und einem SST. Der leistungs­elektro­nische Teil besteht in einer möglichen Topo­logie aus einem AC/AC-Konverter mit DC-Zwischen­kreis. Der Konverter befindet sich an der Tertiär­wicklung des konven­tionellen Transfor­mator­teils. Ausgangs­seitig ist der Konverter in Serie mit der ­Sekundärwicklung des konven­tionellen Trans­formator­teils verbunden, wodurch sich die Span­nungen addieren (Bild 1). Je nach Dimen­sio­nierung der Leistungs­elektro­nik ermöglicht der HT auf der Unter­span­nungs­seite eine Regelung der Nenn­spannung um z. B. ±10%. Zudem ist es möglich, durch Blind­leistungs­einspeisung die Spannung auf der Ober­spannungs­seite zu beeinflussen. Gegen­über dem SST hat der HT den Vorteil, dass nur ein Teil der Leistung über die Leistungs­elektronik transformiert wird. Dadurch fällt nur für diesen Teil ein gegenüber dem ONT erhöhter Energie­verlust an.

Die untersuchten Szenarien

Das Gegen­warts­szenario «Ausgangs­lage» basiert auf den gemes­senen Last­profilen des genannten Zeitraums. Das erste Zukunfts­szenario «ES2050» widerspiegelt die Energie­strategie des Bundes und beinhaltet eine schweizweite PV-Produktion von 11 TWh wie auch einen Zusatzbedarf der E-Mobilität von 6 TWh. Diese Energien wurden propor­tional zur Bemes­sungs­leistung der speisenden Trans­formatoren auf die bestehenden Netze herunter­gebrochen. Das zweite Zukunfts­szenario «Swissolar» beschreibt ein extremeres Zubauszenario für Photo­voltaik in der Schweiz mit 30 TWh. Es basiert auf einer Ausbaustudie des Branchenv­erbands Swissolar, welche die Schnittmenge zwischen dem technischen, wirtschaftlichen und dem gesell­schaft­lichen Potenzial für Photovoltaik quantifiziert.[2] Der Zusatzbedarf durch die E-Mobilität wurde für dieses Szenario mit 7,5 TWh festgelegt. Die Prognosen für die Elektro­mobilität wurden aus der Studie [3] abgeleitet.

Um die Möglichkeit der Blind­leistungs­bereit­stellung von PV-Wechsel­richtern zu berück­sichtigen, wurden die beiden Szenarien «ES2050» und «Swissolar» in jeweils zwei Varianten (mit und ohne Blind­leistungs­bereit­stellung) untersucht.

Netz- und Trafoverluste

Die Netzverluste sind von den Strömen in den Leitungen abhängig. Sie steigen somit in den unter­suchten Zukunfts­szenarien durch die höhere mittlere Auslastung der Leitungen an. Die Effizienz der Transfor­ma­toren hängt von der Techno­logie ab, steigt jedoch grundsätzlich mit der Auslastung bis zu einem gewissen Punkt an. Die Zusatz­funktionen wie die Spannungs­regelung von HT und SST verursachen zudem zusätzliche Verluste im jeweiligen Trans­formator. In Bild 2 sind die relativen Verluste für die verschie­denen Trans­formator­techno­logien und Szenarien dargestellt. Auffallend sind die deutlich höheren Verluste für den SST in allen Szenarien, was auf die vergleichsweise tiefere Effizienz dieser Techno­logie zurück­zuführen ist. Tabelle 1 enthält weitere Details.

Maximale PV-Leistung

Bild 3 zeigt die Aufnahmefähigkeit für PV-Anlagen aus Perspektive der Netz­ebene 5 (Mittelspannungsnetz). Es wird klar, dass die Trafotechnologie einen grossen Einfluss auf die maximal installierbare PV-Leistung hat. Die Vorgabe einer Blindleistungskennlinie für PV-Wechselrichter wirkt sich für ONT/Ront sowie HT positiv auf die erreichbare Aufnahmekapazität aus.

Begrenzend für die installier­bare Leistung sind entweder das erlaubte Span­nungs­band (gemäss Betreiber 0,98 – 1,06 p. u.) oder die Auslastung der Mittel­span­nungs­leitungen. Bei ONT und Ront ist der begren­zende Faktor unabhängig von der Blind­leistungs­bereit­stellung das Span­nungs­band. Beim HT ohne Blind­leistungs­bereit­stellung wird ebenfalls zuerst das Spannungs­band verletzt, während mit Blind­leis­tungs­bereit­stel­lung die Leitungen limitie­rend wirken. Beim SST sind unabhängig von der Blind­leis­tungs­bereit­stel­lung die Leitungen der limitierende Faktor.

Die maximale Aufnahme­kapazität von PV-Anlagen aus Sicht der Netz­ebene 7 (Nieder­span­nungs­netz) hängt stark von der Verteilung der Anlagen im Netz ab. Bei einer gleich­mässigen Verteilung kann in den untersuchten Netzen mit den beste­henden Trans­for­matoren bereits das Szenario «ES2050» erreicht werden. Sind die Anlagen jedoch ungleichmässig verteilt, was eher der Realität entspricht, kann das Szenario nur durch den Einsatz von regelbaren Trans­for­matoren (Ront, HT oder SST) erreicht werden.

Der Einsatz von regelbaren Trafos würde in den unter­suchten Netzen sogar einen Ausbau gemäss dem Szenario «Swissolar» ermöglichen, auch wenn die PV-Anlagen inhomogen im Netz verteilt sind.

Weitere Erkenntnisse

Die Erkennt­nisse dieser Studie gelten für das unter­suchte Mittel­span­nungs­netz mit einzelnen daraus versorgten Nieder­span­nungs­netzen. Sie gelten somit nicht ohne Weiteres für andere Netze in der Schweiz, können aber vor allem für eher ländlich geprägte Netzgebiete als Anhaltspunkt dienen.

  • Mittelfristig besteht kein Bedarf, flächendeckend span­nungs­gere­gelte Trans­for­matoren auf Netzebene 6 einzuführen. Die Auslegung der Verteilnetze sowie die herkömmliche Trans­for­mator­techno­logie reicht vielerorts aus, um die Zubauziele der Energiestrategie 2050 ohne substanzielle Netz­verstär­kungs­mass­nahmen zu erreichen.
  • Der hybride Trans­for­mator ist eine Alternative zur heute verbreiteten Ront-Technologie, denn er bietet bei vergleichbaren Verlusten dieselbe Erweiterung der Aufnahme­kapazität für PV-Anlagen im Nieder­span­nungs­netz. Zudem ermöglicht er im Unterschied zum Ront die Entlastung des Mittel­span­nungs­netzes bezüglich der erlaubten Spannungs­bänder durch die gezielte Aufnahme von Blind­leis­tung. Er erhöht somit dessen Aufnahme­kapazität für PV-Anlagen. Voraussetzung für den Einsatz von HT ist eine hohe Zuverläs­sigkeit und Effizienz der Leistungs­elektronik. Das Konzept befindet sich noch im Entwicklungsstadium und die Praxis­tauglichkeit muss im realen Betrieb in einem Verteilnetz noch untersucht werden.
  • Neben der Möglichkeit, die Netz­aufnahme­kapazität für PV-Anlagen auszuweiten, gibt es noch andere Gründe, welche für die Wahl eines leistungs­elek­tronischen Trans­for­mators (HT oder SST) sprechen. Die Leistungs­elektronik ermöglicht die Implemen­tierung zusätzlicher Funktio­nalitäten wie z. B. der aktiven Filterung von Harmonischen im Netz oder eines Ausgleichs von asymmetrisch belasteten Phasen. Die Vorteile solcher Funktionen können u. U. auch den negativen Aspekt erhöhter Trans­for­mationsverluste überwiegen.
  • In den unter­suchten Szenarien bringen vor allem PV-Anlagen die Mittel- und Nieder­span­nungs­netze an ihre Grenzen. Die Elektromobilität hat sich nicht als kritisch erwiesen, wobei keine Schnell­lade­stationen (> 22 kW) betrachtet wurden.
  • Der flächendeckende Einsatz span­nungs­gere­gelter Trans­for­matoren auf Netzebene 6 in einem regionalen Verteilnetz ermöglicht es, die Spannungsbänder im Mittel­span­nungs­netz nach anderen Grundsätzen auszulegen. Es wäre möglich, die Spannungsbänder im Last-, aber auch Einspeisefall auszuweiten, da alle Trans­for­matoren auf Netz­ebene 6 grössere Abwei­chungen von der Nenn­spannung ausgleichen können. Dies eröffnet dem Netz­betreiber neue Möglich­keiten im Netzbetrieb.

Referenzen

[1]       J. W. Kolar, J. W. Huber, «Applicability of Solid-State Transformer in Today’s and Future Distribution Grids», in IEEE Transactions on Smart Grid, 2017.

[2]      J. Remund, Solarpotenzial Schweiz, Meteotest, 2017.

[3]      P. de Haan, R. Zah, Chancen und Risiken der Elektromobilität in der Schweiz, VDF-Hochschulverlag, 2013.

Literatur

Die Studie ist online frei verfügbar unter:
www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=40310

Autor
Thomas Keller

ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für elektrische Energietechnik der FHNW.

  • FHNW, 5210 Windisch
Autor
Dr. Christoph Hunziker

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für elektrische Energietechnik der FHNW.

  • FHNW, 5210 Windisch
Autor
Dr. Nicola Schulz

ist Professor am Institut für elektrische Energietechnik der FHNW.

  • FHNW, 5210 Windisch

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