Veränderungsmanagement in Organisationsprojekten
Kulturwandel bei der Einführung von Enterprise-Content-Management-Systemen in der Energiebranche
Projekte zur Einführung von Enterprise-Content-Management-Systemen (ECMS) sind in erster Linie Organisationsprojekte und bringen deshalb besondere Herausforderungen mit sich. Eingriffe in Arbeitsabläufe bewirken Veränderungen, die häufig Widerstände hervorrufen oder zu mangelnder Motivation, Desinteresse gegenüber dem neuen System oder sogar zu Resignation führen. Die potenziellen Effizienzsteigerungen sind so nur schwer zu erreichen. Um mit der Einführung einen erfolgreichen Kulturwandel zu vollziehen, müssen die Betroffenen einbezogen und überzeugt werden.
Monteure und Netzelektriker sollen mit Tablets ausgestattet werden, um Netzpläne und technische Anleitungen nicht mehr in Papierform beschaffen und zum Einsatzort mitnehmen zu müssen. Gerade als Bestandteil zunehmender Integrations- und Automatisierungsvorhaben stellt dies ein wichtiges Bindeglied zur Optimierung der Netzaktivitäten dar. Zum Erstaunen ihrer Vorgesetzten lehnen die Mitarbeitenden die Tablets und die neue Arbeitsweise ab, obwohl die funktionalen Anforderungen – mindestens theoretisch – erfüllt scheinen. Was lief falsch?
Bei der Einführung von Informatiklösungen wird häufig zu technisch gedacht. Die betroffenen Menschen gehen oft vergessen oder ihr Einbezug hat im Vergleich zu den technischen Aspekten zweite Priorität. Dabei hängt der Erfolg einer Anwendungseinführung in der Regel von der Akzeptanz durch die betroffenen Mitarbeitenden ab.
Eine Anwendungseinführung bringt immer Veränderungen mit sich, insbesondere wenn sie sich, wie im Fall eines ECMS, beträchtlich auf die Fachprozesse und die Arbeitsweise auswirkt. Sie verursacht bei den meisten Menschen erst einmal Ablehnung, sofern sie nicht von ihnen selbst angestossen wurde. Der polnisch-amerikanische Psychologe Kurt Lewin (1890 –1947) befasste sich mit dem Thema der Ablösung von alten Theorien oder Paradigmen und entwickelte ein 3-Phasen-Modell. [1] Das Modell beschreibt, wie mithilfe der Gruppendynamik ein Kulturwandel herbeigeführt werden kann.
Wie hängt dieses Modell nun mit der Einführung von Informatiklösungen zusammen? Auch hier geht es um einen Kulturwandel. Wie sich Lewins 3-Phasen-Modell in einem Informatikprojekt nutzbringend einsetzen lässt, soll am Beispiel von ECMS-Projekten gezeigt werden.
Angst vor Veränderungen
Bei der Einführung von ECMS geht es unter anderem darum, papiergetriebene, manuelle Geschäftsprozesse in digitalisierte, automatisierte Prozesse zu überführen. Dadurch sollen Effizienzsteigerungen erzielt und die Nachvollziehbarkeit und Auffindbarkeit von Dokumenten verbessert werden. Nennenswerte Effizienzsteigerungen lassen sich jedoch nur durch die Nutzung des ECMS-Potenzials und die Neugestaltung von Geschäftsorganisation und -prozessen erreichen. Eine blosse Übertragung papiergetriebener in digitalisierte Prozesse führt zu keiner spürbaren Produktivitätssteigerung. Einführungen von ECMS sind daher zu einem wesentlichen Teil Organisationsprojekte.
Die Nutzung eines ECMS greift tief in die Arbeitsumgebung und Arbeitsabläufe der betroffenen Mitarbeitenden ein. So sollen beispielsweise Dateien künftig versioniert und zentral abgelegt werden. Persönliche Verzeichnisse entfallen oder ihr Speicherplatz wird beschränkt. Mitarbeitende, die bisher z.B. das Planarchiv führten und sich in dessen Struktur perfekt auskannten, sollen eine neue Struktur und Zugriffsart für digitalisierte Dokumente akzeptieren, in die sie sich erst einarbeiten müssen. Zuständigkeiten ändern sich. Die Einführung einer neuen, den Betroffenen fremden Anwendung – und Technologie – erscheint deshalb allenfalls bedrohlich.
Widerstände beeinflussen die Produktivität negativ und können zu einer grösseren Personalfluktuation führen. Darum ist es wichtig, den Kulturwandel bereits sehr früh durch geeignete Kommunikation zu steuern und die Befindlichkeiten der Betroffenen zu erfassen. Idealerweise findet dies bei der Formulierung der Projektvision statt, also noch vor dem eigentlichen Projektbeginn.1) Ziel ist es, mit einem soziotechnischen Management des Vorhabens den technischen und organisatorischen Erfordernissen gerecht zu werden. Dazu müssen die drei Phasen Lewins über die Phasen der funktionsbezogenen Projektdurchführung gelegt werden. In unserem Beispiel beziehen wir uns auf das Phasenmodell der Projektmanagementmethode Hermes 5. [2]
Auftauen
Die erste Phase in Lewins Modell nennt sich Unfreezing (Auftauen). Wie die Bezeichnung andeutet, geht es um die Ablösung bestehender Verhaltensmuster, Denkmuster und Strukturen. Vertrautes soll verändert werden. Dies betrifft vor allem soziale Strukturen und Rollen in einer Abteilung oder einem Unternehmen. Für die Anwendung von Lewins Ansatz ist es wichtig, alle Betroffenen frühzeitig in den Veränderungsprozess einzubeziehen. Am besten wird mit der Information der betroffenen Mitarbeitenden vor Projektbeginn gestartet. Den Mitarbeitenden ist das Gefühl zu vermitteln, aktiv am Veränderungsprozess teilzuhaben und ihn mitgestalten zu können. Sie und ihre Erfahrungen sind in die Überlegungen einzubeziehen, ihre Zielvorstellungen abzuholen und ihre Benutzerbedürfnisse entgegenzunehmen (sowohl die technischen Bedürfnisse in Bezug auf die Anwendung als auch jene in Bezug auf die organisatorischen Veränderungen und die Schulung). Auch sollten bereits jetzt Massnahmen eingeleitet werden, um erkannte Widerstände abzubauen und die Sorgen der Betroffenen in Einzelgesprächen zu klären.
Kommen wir auf unser Beispiel zurück: Die Monteure verweigerten die Verwendung der Tablets unter anderem, weil sich die grossformatigen Pläne auf einem Tablet schlecht darstellen liessen und das vorgesehene Dateiformat (PDF) das Anbringen von Notizen in den Plänen erschwere. Hätte man die Erfahrung der Monteure und ihre Bedürfnisse frühzeitig eingeholt, wäre dieser Widerstand von vornherein zu vermeiden gewesen. Stattdessen fühlten sich die Mitarbeitenden von der Idee der Digitalisierung der Montagepläne übergangen. Solche negativen Erfahrungen müssen wieder abgebaut und die Vorteile aufgezeigt werden, was meistens mehr Aufwand verursacht als der rechtzeitige Einbezug der Betroffenen.
Die Unfreezing-Phase endet mit der Initialisierung des Projektmanagements.
Verändern
In Lewins Moving-Phase (Verändern) geht es darum, die bestehenden Muster und Strukturen basierend auf den mit den Betroffenen in der Unfreezing-Phase entwickelten Vorstellungen zu verändern. Dies geschieht parallel zu den Phasen Konzeption und Realisierung des funktionsbezogenen Projektmanagements. Beim Einleiten von Veränderungen werden nie alle Betroffenen gleichermassen zufrieden sein. Eine erfolgreiche Unfreezing-Phase sollte aber erreichen, dass die Gruppe unzufriedener Mitarbeitender möglichst klein ist und andere, sich neutral verhaltende oder die Veränderungen unterstützende Mitarbeitende wenig beeinflusst.
Eine transparente Information und der Einbezug der Betroffenen sind nach wie vor wichtig. Widerstände während der Umsetzung wirken sich direkt auf das Vorhaben aus und dürfen daher nicht mehr geduldet, sondern müssen mit geeigneten Massnahmen beseitigt werden. Die Ausgestaltung dieser Massnahmen sollte jeweils sorgfältig analysiert werden. Druck ist in der Regel kontraproduktiv. Hingegen könnte Überzeugungsarbeit mit Unterstützung der motivierten Gruppe hilfreich sein. Oft hilft es auch, Anpassungszeiten zu gewähren. Voraussetzung dafür ist, dass in der Planung des Vorhabens genug Zeit für ein solches elastisches Vorgehen vorgesehen wurde.
Für den Einbezug der Mitarbeitenden bieten sich während der Moving-Phase viele Möglichkeiten: Arbeitsplätze und Aufgaben müssen neu beschrieben, Arbeitsteams eventuell neu zusammengesetzt, Schulungsmassnahmen geplant und vorbereitet werden.
Mit inkrementellen Vorgehensweisen, z.B. der Durchführung von Pilotprojekten, haben wir durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Für die erste Umsetzung wird ein Bereich ausgewählt, in dem die Mitarbeitenden technikaffin sind oder dem Vorhaben aus anderen Gründen positiv gegenüberstehen. Die positive Einstellung erleichtert die Umsetzung und Einführung der neuen Anwendung sowie weitgehend die problemlose Nutzung. Eine erfolgreiche Einführung in einem Geschäftsbereich wirkt überzeugend und beraubt die Gegner ihrer Argumente. Zufriedene Anwender können helfen, Zauderer und Gegner zu überzeugen oder wenigstens deren Widerstände abzubauen.
Werfen wir erneut einen Blick auf unsere Monteure: Zu Beginn des Vorhabens war es versäumt worden, sie transparent zu informieren und in geeigneter Weise einzubeziehen. In der Folge hielten sie ihren Widerstand in den Phasen Konzeption und Realisierung weiterhin aufrecht. Eine Analyse führte zutage, dass sich diese Gruppe fast ausschliesslich aus älteren Mitarbeitenden zusammensetzte, die in ihrem bisherigen Berufsleben kaum mit Informatikmitteln gearbeitet hatten. Offenbar verbarg sich hinter ihrem Widerstand auch die Angst vor dem Unbekannten.
Nach Kurt Lewin sollte Widerstand nicht mit einer Aufweichung der Ziele beantwortet werden. Er propagiert vielmehr ein schrittweises Vorgehen in einer Atmosphäre ohne Zwang. Unseren Monteuren kann beispielsweise eine Übergangszeit eingeräumt werden, in der sie selbst entscheiden, ob sie Papierdokumente oder Tablets einsetzen. Um die Ängste vor der ungewohnten Technologie abzubauen, könnte die Projektleitung die Tablets bereits früh verteilen und die Mitarbeitenden zur privaten Nutzung (Surfen im Internet, Fotografieren, Spiele) ermuntern.
Die Moving-Phase dauert bis zum Beginn der Integrationstests, also bis fast zum Ende der Phase Realisierung.
Einfrieren
Die dritte Phase in Lewins Modell (Freezing) beinhaltet die Überführung der umgesetzten Veränderungen in den Alltag. Im Wesentlichen geht es darum, die Betroffenen während der Einführung der neuen Anwendung und der ersten produktiven Nutzung zu begleiten und zu unterstützen. Die Umstellung auf Neues geht nie reibungslos vonstatten: Unvorhergesehene Probleme tauchen auf, Schulungen erweisen sich als unzulänglich, die neue Anwendung ist fehlerhaft. Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden ihre Probleme und Kritik deponieren können und innerhalb kurzer Zeit eine Antwort darauf erhalten. Das wiederum setzt eine entsprechende Planung der notwendigen Ressourcen voraus.
Bewährt haben sich sogenannte «floor-walkers». Sie sind in der Lage, die Anwender bei Problemen zu unterstützen. Sie schauen ihnen über die Schulter, holen unmittelbar und unkompliziert Feedback ein und erkennen sowohl Anwendungsfehler als auch Schulungsdefizite.
Nachschulungen sollten als Teil der Freezing-Phase ebenfalls eingeplant werden. Daneben braucht es besondere Massnahmen für diejenigen Mitarbeitenden, die sich in der neuen Arbeitsorganisation und mit der neuen Anwendung schwertun. Für sie muss es spezielle Trainings geben oder möglich sein, in ein anderes Arbeitsumfeld zu wechseln.
Die Dauer der Freezing-Phase reicht über das Projektende hinaus bis in die erste Phase der produktiven Nutzung hinein.
Bedeutung der Gruppendynamik
Die Eigenheit von Lewins Vorgehensmodell besteht in der Nutzung der Gruppendynamik bei der «motivierenden Beeinflussung» der Betroffenen. Er empfiehlt, keine Druckmittel einzusetzen, sondern flexibel auf Widerstände zu reagieren. Durch Druck auf Bremser, Resignierte und Veränderungsverlierer können Schuldzuweisungen zu Solidarisierungen führen und sich damit negativ auf andere Gruppenmitglieder auswirken. Im Gegensatz dazu motivieren Unterstützungsmassnahmen und Anpassungszeiten für Bremser und Verlierer die Neutralen, sich auf die Veränderungen einzulassen.
Natürlich erfordert ein Vorgehen nach dem 3-Phasen-Modell zusätzliche Zeit und Ressourcen. Da ein positives Klima im Team oder Unternehmen die Produktivität steigert, erfolgt der Return on Investment schliesslich ab der produktiven Nutzung.
Referenzen
[1] Kurt Lewin, «Frontiers in group dynamics», in Human Relations, 1947, 1, S. 5 – 41.
[2] www.hermes.admin.ch/onlinepublikation/index.xhtml?element=kategorie_phasen_und_meilensteine.html
[3] Bruno Jenny, Projektmanagement – das Wissen für den Profi, VDF, 2009 (2. Auflage), S. 669ff.
1) Bruno Jenny, der sich mit der Anwendung von Lewins 3-Phasen-Modell in Projekten befasste, lässt die erste Phase Lewins zeitgleich mit der Projektinitialisierung beginnen. Da dann bereits ein Entscheid für ein Vorhaben gefällt wurde, könnte dieser Zeitpunkt zu spät sein, um den Betroffenen das Gefühl des Einbezugs zu vermitteln. [3]