Use Cases basierend auf Smart-Meter-Daten
Neue Möglichkeiten
Die Abkehr von fossilen Energiequellen führt zu einem Ausbau der nachhaltig erzeugten Elektrizität. Weil diese oft dezentral produziert wird, verändern sich die Anforderungen an das Verteilnetz stark. Für eine Um- bzw. Ausbaustrategie sind verlässliche Daten des Verteilnetzes zentral. Hierbei spielt der fortschreitende Smart-Meter-Rollout eine wichtige Rolle.
Mit dem Smart-Meter-Rollout stehen Daten für immer mehr Anschlusspunkte zur Verfügung. Es wird einfacher, die Daten zu erfassen, sie zu analysieren und basierend auf den Resultaten strategische und operative Entscheide zu treffen.
Smart Meter haben die Hauptaufgabe, Energiemesswerte für Abrechnungen zu erfassen. Den grössten Mehrwert für die Lastflussberechnung stellen die gemessenen 15-Minuten-Profile dar. Sie ermöglichen Aussagen über die Netzauslastung und bilden die Grundlage für Prognosen. Die von Smart Metern erfassten Daten haben auch für die Analyse des Niederspannungsnetzes ein grosses Potenzial. Genau hier setzte die Arbeitsgruppe Smart Data des VSGS an. Sie hat untersucht, welchen Mehrwert solche zusätzlichen Smart-Meter-Daten generieren können. Im Folgenden wird anhand einiger Beispiele (Use Case) der Mehrwert aufgezeigt.
Grundlagen
Die Messfunktionalität von Smart Metern ist eine Kombination von Messgrössen und Messarten und dient in erster Linie der Abrechnung. Zu den typischen Messgrössen gehören Wirkleistung, Blindleistung, Scheinleistung, Spannung, Strom, Leistungsfaktor sowie die Frequenz. Mit Lastprofilen und Netzqualitätsmessungen stehen wertvolle Messwerte zur Verfügung.
Smart Meter protokollieren zudem unterschiedliche Ereignisse wie Manipulationen, Änderungen an Konfigurationen oder Spannungsausfälle. Diese Ereignisse werden in der Regel mit einem Ereigniscode sowie mit einem Datum/Uhrzeit-Stempel registriert. Dabei werden unkritische Ereignisse als «Ereignis» und kritische Ereignisse als «Alarm» gespeichert. Die Alarm-/Ereignislogs ermöglichen interessante Use Cases, wenn die Informationen in einem zentralen System zur Verfügung stehen.
Systemaufbau
Mit dem Einsatz von Smart Metern wird eine neue Systemebene zwischen Verbrauchserfassung und Abrechnungssystem geschaffen, die der Kommunikation der Smart Meter mit dem Abrechnungssystem dient. Die Kommunikationsstrecke wird zwischen den dezentralen Smart Metern und dem Head End System (HES) aufgebaut. Das HES stellt die Daten dem Abrechnungssystem über das Metering Data Management (MDM) zur Verfügung und speichert sie für Datenanalysen (Bild 1). Die Architektur der Kommunikation, des HES inkl. MDM und des Datenspeichers muss auf die zu verarbeitende Datenmenge ausgelegt sein. Zukünftige Anwendungen sollten dabei berücksichtigt werden. Die Übertragung und Verarbeitung von 15-Minuten-Lastgängen aller Zähler am Folgetag ist anzustreben. Diverse Kommunikationstechnologien (PLC, LTE usw.) stehen dafür zur Verfügung, jede mit gewissen Vor- und Nachteilen. Die Wahl sollte die Netzsituation und Strategie des Netzbetreibers sowie mögliche Abhängigkeiten von Drittanbietern berücksichtigen.
Use Cases im Bereich der Versorgungsqualität
Die Erfassung der Störungen und der geplanten Ausschaltungen beispielsweise im VSE-Tool «NeDisp» erfolgt meist manuell. Die wichtigen Zahlen – wie die Anzahl der betroffenen Kunden, die nicht zeitgerecht gelieferte Energie usw. – werden häufig geschätzt und hochgerechnet. Dieses Vorgehen braucht einerseits viel Zeit und ist, je nach Komplexität der Störung, oft ungenau.
Alarmwerte oder Ereignisse aus Smart Metern ermöglichen eine effizientere und genauere Statistik. Konkret dient die Information über die vom Stromausfall betroffenen Smart Meter (z.B. Alarm «Stromausfall») der Quantifizierung der Anzahl betroffener Kunden resp. Messstellen. Mit den Informationen aus den Eventlogs (Zeitstempel) der betroffenen Smart Meter, wie zum Beispiel «Beginn des Stromausfalls» und «Wiederherstellung der Stromversorgung», kann die Dauer der Versorgungsunterbrechung bestimmt werden. Nach dem Pull-Prinzip kann – bei allen betroffenen Smart Metern – die Leistung vor der Versorgungsunterbrechung abgefragt werden. Diese drei Kenngrössen ermöglichen die Berechnung der nicht zeitgerecht gelieferten Energie einer Störung.
Die Nutzung von Smart-Meter-Daten erleichtert einerseits die Erfassung der Störungskennzahlen und erhöht andererseits deren Qualität. Korrekt geführte Störungsstatistiken sind ein gutes Abbild der Realität und helfen, künftige Massnahmen im Netz festzulegen und ihre Wirkung zu überprüfen.
Detektion von Netzstörungen
Bei den meisten Verteilnetzbetreibern erfolgt die Störungsmeldung mehrheitlich durch die betroffenen Kunden. Mehrere Meldungen – meistens telefonisch – ermöglichen die Eingrenzung der Störung. Diese Informationen liegen aber nie vollständig vor. Darum muss ein geografisch grösseres Gebiet untersucht werden, was entsprechend lange dauern kann. Der Ort eines Phasenausfalls kann heute oft erst nach längerem Suchen eruiert werden.
Eine automatische Übertragung von Alarmwerten der betroffenen Smart Meter (wie zum Beispiel «Ausfall aller Phasen») und entsprechende Lokalisierung ermöglichen eine genaue Beurteilung der Netzstörung. Mit den Smart-Meter-Daten erfolgt die Meldung über eine Netzstörung schneller und genauer. Dies erlaubt eine bessere Einschätzung der Dringlichkeit und der Ausprägung der Störung. Sie kann deshalb besser priorisiert und schneller behoben werden. Hier ermöglichen die Smart-Meter-Daten eine signifikante Verbesserung der Störungsbehebungen.
Nutzung von Eventlogs
Die Einhaltung der Spannungsqualität am Anschlusspunkt wird heute durch netzplanerische Grundsätze und Stichproben in Messkampagnen sichergestellt. Bei Meldungen von Kunden erfolgt eine spezifische Messung am Anschlusspunkt und, bei Bedarf, die Einleitung von Massnahmen zur Verbesserung der Spannungsqualität. Mit Smart Metern kann die Einhaltung der Spannungsqualität kontinuierlich überwacht werden. Allfällige Verletzungen definierter Grenzwerte können mit einem Zeitstempel in einem Eventlog protokolliert werden. Diese Informationen werden täglich an das HES gesendet. In der Regel ist ein Export der Eventlogs mit spezifischen Daten für einen Messpunkt aus dem ERP-System ohne Probleme möglich. Da der Einbauort des Smart Meters bekannt ist, lässt sich die Störung geografisch positionieren (Bild 2). Auch eine Zuordnung zu einzelnen Netzelementen (Hausanschluss, Verteilkabine usw.) ist möglich. Mit der Verknüpfung zur Netztopologie kann die Ursachenforschung noch weiter unterstützt werden.
Mit dem Smart-Meter-Rollout bringt der Netzbetreiber Intelligenz an die Übergabestelle zu den Kunden, welche bestimmte Parameter auf eine Über- bzw. Unterschreitung von Grenzwerten überprüfen kann. Die Ereignisse (Events) werden in den Smart Metern in Eventlogs gespeichert. Durch die Auswertung dieser Eventlogs kann die Einhaltung der Grenzwerte am Messpunkt überprüft werden. Bei einer Verletzung kann bereits vor einer Kundenreklamation reagiert werden. Durch die Einordung der Smart Meter in die Netztopologie kann unter Umständen auf den Ort eines Netzengpasses bzw. einer Störungsquelle geschlossen werden.
Use Cases «Kontrolle und Analyse»
Viele Smart Meter erlauben es, die momentane Energieflussrichtung (Bezug und Rücklieferung) pro Phase (also nicht nur über alle drei Phasen saldiert) zu messen, oft sogar mit der Leistung der jeweiligen Phase. Dies ermöglicht es, neue Kontrollmechanismen zu entwickeln und automatisiert einzusetzen.
Schweizweit werden jedes Jahr unzählige PV-Anlagen neu in Betrieb genommen oder erweitert. In Einzelfällen wird eine solche Inbetriebnahme oder Erweiterung dem Netzbetreiber nicht gemeldet, was zu einer ungenauen Kenntnis über das eigene Netzgebiet führt. Ist hinter einem Messpunkt der Verbrauch grösser als die Produktion, wird im üblichen (über alle Phasen saldierten) Registerwert oder Lastgang keine Rücklieferung gemessen. Das Messen der Energieflussrichtung oder gar deren Leistungswert pro Phase erhöht die Wahrscheinlichkeit massgeblich, dass eine Produktionsanlage automatisiert erkannt wird und fehlende Inbetriebnahme- oder Erweiterungsmeldungen nachgefordert werden können.
Aufgrund der besseren Kenntnis über die PV-Anlagen im Netzgebiet kann eine genauere Simulation der Netzlast vorgenommen werden, was wiederum Einfluss auf die Bewilligung weiterer Produktionsanlagen sowie die Planung des Netzausbaus hat.
Erkennen von falsch angeschlossenen Zählern
Mit der Messung der Energieflussrichtung pro Phase kann zudem folgender Problemfall aufgedeckt werden. Bei der Installation von Zählern kann es passieren, dass aus Versehen die Zuleitung an der Klemme für die hausseitige Installation und das Kabel der hausseitigen Installation an der Klemme für die Zuleitung angeschlossen werden (Bild 3b).
Der Zähler rechnet damit den an dieser falsch angeschlossenen Phase gemessenen Verbrauch als Rücklieferung in den über alle drei Phasen saldierten Wert ein. Geschieht dies nur an einer Phase, so reduziert sich der über alle drei Phasen saldierte Verbrauch durchschnittlich auf einen Drittel des eigentlichen Verbrauchs. Nach einem Zählerwechsel oder wenn mehrere Phasen falsch angeschlossen sind, kann ein solcher Fehler anhand unplausibler Verbrauchsveränderungen oder eingespeister Energie ohne PV-Anlage festgestellt werden. Bei Neuinstallationen hingegen ist der verkehrte Anschluss an nur einer Phase ohne Kenntnis des effektiv zu erwartenden Verbrauchs nicht feststellbar. Über die Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg können so mehrere Tausend oder gar Zehntausende Franken an Mindereinnahmen zusammenkommen.
Wenn an allen Messpunkten ohne PV-Produktion die Lieferrichtung pro Phase gemessen und eine Rücklieferung auf nur einer Phase festgestellt wird, so handelt es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um einen falsch angeschlossenen Zähler. Bei dieser Prüfung müssen Messungen mit jederzeit möglichen Rücklieferungen ausgeschlossen werden, wie dies beispielsweise bei der Rekuperation von Liftanlagen der Fall sein kann. Mit der beschriebenen Prüfung können solche Mindereinnahmen sowie spätere, unangenehme Nachforderungen vermieden werden.
Nutzung von Tageswerten für Kontrollzwecke
Smart Meter ermöglichen das Speichern und Übertragen von Tageswerten wie die Energie-Zählerstände oder die Maximalleistung. Eine regelmässige Auswertung und Darstellung dieser Daten dienen der Analyse, ob bewilligte resp. vertraglich vereinbarte Werte eingehalten werden. Um dies umsetzen zu können, müssen die definierten Werte der Anschlussobjekte wie beispielsweise die bezugsberechtigte Leistung oder die maximale Rückspeiseleistung bekannt, digitalisiert und einem Messpunkt zugeordnet sein.
Werden die Tageswerte regelmässig übertragen und automatisiert mit den definierten Werten abgeglichen, so kann über das gesamte Verteilnetz geprüft werden, ob die bewilligten resp. vertraglich vereinbarten Werte eingehalten wurden.
Fazit und Ausblick
Die Smart Meter können aber weit mehr. Es sind kleine Messcomputer, positioniert an jedem Hausanschluss. Diese Messcomputer liefern zusätzlich zu den Energiemesswerten weitere Daten. Mit diesen Daten sind viele neue Anwendungen möglich.
Die Schwierigkeit für den Netzbetreiber wird darin bestehen, sich aus diesen Möglichkeiten auf die für ihn sinnvollen Anwendungen zu konzentrieren. Dazu ist das für ihn spezifische Kosten-Nutzen-Verhältnis zu berücksichtigen. Mit der Wahl der Infrastruktur, beispielsweise der Art der Kommunikation über PLC oder Glasfaser, sind bestimmte Use Cases möglich oder eben nicht. Daher sollten die Use Cases schon bei der Wahl der Infrastruktur berücksichtigt werden.
Für die neuen Möglichkeiten sind neue Kompetenzen nötig. Der Netzbetreiber kann diese intern aufbauen oder extern beziehen. Wichtig ist, dass mit den neuen Möglichkeiten auch die zusätzlichen Gefahren betrachtet werden. Der Netzbetreiber muss die Verantwortung für die Daten übernehmen. Dazu muss er eventuell seine Prozesse erweitern oder zumindest überprüfen. Die Erkenntnisse aus der Arbeitsgruppe Smart Data des VSGS zeigen, dass die Smart Meter weit mehr können.
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