Interview Fachkräfte

«Unsere Mitarbeiter sollen gesund nach Hause gehen»

Herausforderung Fachkräftemangel

29.05.2017

Pascal Weber und Nils Rappo erklären, wie ihr junges Netzbau-Unternehmen Haveco AG mit Hauptsitz in Gwatt bei Thun mit dem fehlenden Angebot an Fachkräften umgeht, und warum es für sie keine Option ist, ungelernte Mitarbeiter anzustellen.

Bulletin: Fachkräftemangel ist ein akutes Thema. Wie stark und in welcher Form spüren Sie diesen in Ihrem Arbeitsalltag?

Pascal Weber: Da wir auf gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen sind, dauert es jeweils lange, bis wir eine offene Stelle, vor allem bei den Netzelektrikern, besetzen können.

Nils Rappo: Netzelektriker, die ihre Ausbildung eben erst absolviert haben, sind etwas einfacher zu finden. Wirklich schwierig zu rekrutieren sind Netzelektriker mit fünf, sechs Jahren Berufserfahrung.

Weber: Mit zunehmendem Alter werden mögliche Kandidaten verständlicherweise weniger flexibel. Viele haben bereits eine Familie und möchten nicht mehr weit weg von zu Hause arbeiten. Als Unternehmer sind wir aber auf flexible Mitarbeiter angewiesen.

Welche Massnahmen ergreifen Sie, um offene Stellen zu besetzen?

Rappo: Wir schalten Inserate im Internet. Ausserdem arbeiten wir auch mit Temporärbüros zusammen, die uns ganze Dossiers von möglichen geeigneten Netzelektrikern zukommen lassen.

Weber: Sehr wichtig sind für uns auch Mund-zu-Mund-Empfehlungen, insbesondere von unseren aktuellen Mitarbeitern oder solchen, die einmal temporär für Haveco im Einsatz waren.

Was unternehmen Sie, damit Ihr Unternehmen unter den Netzelektrikern weiterempfohlen wird?

Rappo: Mund-zu-Mund-Propaganda ist wohl die beste Werbung überhaupt, weil sie authentisch ist.

Weber: Wir sorgen dafür, dass in unserer Firma ein gutes Klima herrscht. Das Unternehmen soll «familiär» bleiben. Wir legen grossen Wert auf direkte Kommunikation und auf kurze Entscheidungswege.

Bilden Sie Lernende aus?

Rappo: Unser Unternehmen ist aktuell noch nicht so weit, dass es Lernende ausbilden könnte. Dafür sind wir noch zu jung. Die Haveco AG gibt es erst seit 2013.

Weber: Wir können Lernenden noch nicht das notwendige Umfeld anbieten, damit diese eine Lehre auch erfolgreich absolvieren könnten. Wir arbeiten aber daran.

Das heisst, dass Sie dereinst auch Lernende ausbilden möchten?

Rappo: Ja. Unser Ziel ist, ab dem Jahr 2019 Nachwuchskräfte auszubilden.

Weber: Wir verstehen das einerseits als aktive Massnahme gegen den Fachkräftemangel. Anderseits hätte die Ausbildung in unserem Betrieb den grossen Vorteil, dass wir Lernende so ausbilden könnten, dass sie nach drei Jahren Ausbildung so weit sind, dass sie die Anforderungen erfüllen, die wir an gelernte Netzelektriker stellen.

Auf welcher Ausbildungsstufe suchen Sie im Moment Mitarbeiter?

Weber: In erster Linie suchen wir Netzelektriker. Toll wäre natürlich, wenn wir einen Netzelektrikermeister finden würden, der interessiert und bereit wäre, die Firma weiterzuentwickeln.

Rappo: Natürlich sind auch Netzfachleute immer herzlich willkommen. Es ist aber schwierig, Netzfachleute zu finden, weil es davon nicht so viele gibt. Und die meisten Absolventen haben schon einen festen Job in einem Elektrizitätswerk auf sicher und sind nicht auf Jobsuche.

Sie führen ein junges Unternehmen.Welches sind die Vor-, welches die Nachteile?

Rappo: Ein grosser Vorteil ist, dass wir flexibel sind und auf die einzelnen Mitarbeiter eingehen können. Wir haben keine festen Raster, ein Mitarbeiter kann seine Ideen einbringen und so die Firma mitgestalten. Wir haben die Freiheit, Leistung und Engagement individuell honorieren zu können.

Weber: Der grösste Vorteil der Haveco AG ist, dass alle Mitarbeiter gelernte Netzelektriker sind. Auch die Vorgesetzten haben einmal auf der Freileitung oder im Graben gearbeitet. Wir können uns gut in die Arbeitssituation eines Netzelektrikers hineinversetzen und verstehen, dass die Arbeiten bei Kälte oder Regen nicht gleich effizient erledigt werden können wie bei Sonnenschein. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache. Das ist ein Vorteil, den wohl kaum ein Elektrizitätswerk bieten kann.

Gibt es weitere Vorteile?

Weber: Unsere Mitarbeiter können ihre Fähigkeiten in verschiedenste Richtungen verbessern. Da wir für verschiedenste Netzbetreiber arbeiten, lernen sie unterschiedlichste Materialien, Abläufe, Vorgaben etc. kennen. So sammeln unsere Mitarbeiter wertvolle Erfahrung, spezialisieren sich nicht auf ein gewisses Gebiet und bleiben flexibel.

Rappo: Die grossen Elektrizitätswerke haben für alles Spezialisten, während bei uns jeder alles kann, was zum Aufgabengebiet eines Netzelektrikers gehört. Wir sind ausserdem offen für Ideen unserer Mitarbeiter, um unser junges Unternehmen weiterzuentwickeln.

Und welches sind die grössten Herausforderungen für Ihre Firma?

Weber: Heute wird von Unternehmen ein hohes Mass an Flexibilität gefordert. Das bedingt, dass auch die Mitarbeiter flexibel sind. Das Reservoir an Fachkräften verkleinert sich für uns dadurch noch mehr. Ein Netzelektriker, der ein geregeltes Umfeld sucht und immer am gleichen Ort arbeiten möchte, ist bei uns definitiv am falschen Ort.

Rappo: Genau. Es kann schon vorkommen, dass nach einem erledigten Auftrag auch einmal eine Übernachtung vor Ort in Kauf genommen werden muss.

Warum suchen Sie explizit gelernte Netzelektriker? Ungelernte Mitarbeiter wären auf dem Stellenmarkt verfügbar und deren Entlöhnung wäre erst noch tiefer.

Rappo: Wir wollen unseren Kunden Qualität bieten. Dazu benötigen wir qualifizierte Mitarbeiter.

Weber: Wir sind Dienstleister und wir sind ein junges Unternehmen. Uns kennen noch nicht alle Netzbetreiber. In unserer Situation zählt der erste Eindruck, den man als Dienstleister hinterlässt noch viel stärker. Man hat nur eine Chance, um sich zu beweisen und da spielt die Qualität der ausgeführten Arbeiten die Hauptrolle. Das wollen wir nicht aufs Spiel setzen.

Rappo: Wir wollen uns von anderen Dienstleistern abheben. Das geht aber nur mit gelernten und gut ausgebildeten Mitarbeitern. Für uns ist es daher auch selbstverständlich, dass alle Mitarbeiter regelmässig Weiterbildungskurse besuchen, damit sie immer auf dem neusten Stand sind und die Anforderungen unserer Kunden jederzeit erfüllen können.

Weber: Der Beruf Netzelektriker ist nicht ungefährlich, weshalb die Arbeitssicherheit an erster Stelle steht. Unsere Mitarbeiter sollen am Abend auch wieder gesund nach Hause gehen können. Mit einem Lehrabschluss als Netzelektriker und mit dem regelmässigen Besuch von Ausbildungskursen hält man sich die Gefahren dieses Berufs stets vor Augen und agiert entsprechend um- und vorsichtig.

Engagieren Sie sich darüber hinaus für den Beruf Netzelektriker?

Rappo: Unser Kadermitarbeiter Elmar Koch ist bei den überbetrieblichen Kursen für Netzelektriker in Kallnach tätig. Wir beide amtieren in Zürich und Chur als Experten bei den Qualifikationsverfahren, wie heute die Lehrabschlussprüfung bezeichnet wird.

Weber: Wir sind auch beide im Vorstand des Schweizerischen Netzelek­trikermeister-Verbandes (SNMV). Ich gehöre zusätzlich dem Vorstand des Netzelektrikerforums an. Wir machen etwas für den Netzelektrikerberuf und dies nicht nur während der Arbeitszeit. Es ist viel Herzblut dabei, denn der Beruf Netzelektriker liegt uns sehr am Herzen.

Autor
Michael Brunner

war von 2015 bis 31. Dezember 2017 als Projektleiter Berufsbildung und Arbeitssicherheit beim VSE tätig.

  • VSE,  5000 Aarau

Pascal Weber ist stellvertretender Geschäftsführer und Leiter der Region Ost der Haveco AG. Er ist Netzelektrikermeister HFP.

Nils Rappo ist Leiter der Region Nord/Zentral der Haveco AG. Er ist Netzelektrikermeister HFP.

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