Fachartikel Erneuerbare Energien

Ungewisse Zukunft der Schweizer Wasserkraft

NFP-70-Projekt

04.02.2020

Wissenschafter diverser Schweizer Forschungsanstalten und Universitäten befassten sich im Rahmen eines Projekts mit den Perspektiven der Wasserkraft in der Schweiz. Nach Abschluss der Untersuchung zeigt sich: Die Wasserkraft muss lernen, mit Unsicherheiten umzugehen. Und sie muss sich dem Wettbewerb mit anderen Energie- und Speicheranbietern stellen.

Im NFP-70-Projekt «The Future of Swiss Hydropower: An Integrated Economic Assessment of Chances, Threats and Solutions» widmeten sich Forscher der HES-SO, der HTW Chur, der ZHAW sowie der Universitäten Basel und Genf von 2014 bis 2018 den Zukunftsperspektiven der Schweizer Wasserkraft. Dabei lagen vier Dimensionen in besonderem Fokus:

  • Was sind operative Möglichkeiten und Optimierungspotenziale im sich wandelnden Marktumfeld?
  • Wie sehen langfristige Investitionsoptionen für eine unsicherere Zukunft aus?
  • Was sind die lokalen Auswirkungen aus einer umfassenden Nachhaltigkeitsperspektive?
  • Welche Rolle spielen die Wasserzinsen?


Erste Zwischenergebnisse zu den Fragen 1–3 konnten bereits im Bulletin vom Februar 2018 präsentiert werden.[1] Nach Abschluss des Projektes hat sich an diesen Erkenntnissen nicht viel geändert.

Markt, Unsicherheit und Stakeholder

Die europäische Marktentwicklung ist der wichtigste Treiber für die Rentabilität der Schweizer Wasserkraft. Die Projektanalysen zeigen, dass sich die hohe Flexibilität von Wasserkraftwerken in den heutigen Märkten nur begrenzt auszahlt. Das zusätzliche Umsatzpotenzial aus einem optimierten Handel über Energie- und Systemdienstleistungsmärkte hinweg dürfte zwischen 10 und 25 % liegen. Bei Marktpreisen von 40 bis 60  CHF/MWh kann dies für die Kostendeckung von entscheidender Bedeutung sein. Bei niedrigeren Preisen ist es jedoch zu wenig, und bei höheren ist die Einnahmensituation bereits positiv. Da die Haupttreiber der Marktentwicklung (Brennstoff- und Zertifikatspreise sowie die Ausbaupfade in den Nachbarländern) ausserhalb der Schweizer Einflusssphäre liegen, müssen sich Unternehmen auf verschiedene Entwicklungen vorbereiten.

In der langen Frist dominiert die hohe Unsicherheit der vielen möglichen Marktentwicklungen jedwede Investitionsentscheidung. Aufgrund der langen Lebensdauer, der hohen Kapitalkosten und der langen Bauphase erfordern Wasserkraftinvestitionen normalerweise eine lange Amortisationszeit. In einem Marktumfeld, das durch leicht skalierbare und schneller installierbare erneuerbare Kapazitäten geprägt ist, sind diese eher inflexiblen Investitionscharakteristiken nicht unbedingt vorteilhaft. Die Schweizer Wasserkraftbetreiber müssen sich daher darauf konzentrieren, die Flexibilität ihrer Investitionsprojektpläne zu erhöhen. Eine Strategie könnte darin bestehen, dass Investoren zunächst kleine Installationen durchführen und Optionen offenhalten, um den Umfang später zu erhöhen. Mit anderen Worten: «Start small and think large.» Dieser Ansatz erlaubt, mit verschiedenen Unsicherheiten umzugehen, da er die Anpassung an eine sich ändernde Umgebung erleichtert.

Sowohl Betrieb als auch Investitionen haben Auswirkungen auf eine Vielzahl von gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Bereichen und auf unterschiedliche Stakeholder-Gruppen. Entsprechend ist es wichtig, einen Kompromiss zwischen den Gewinnperspektiven der Unternehmen, den Energiezielen des Bundes, den kantonalen und kommunalen Budgetanforderungen, den regionalen Entwicklungszielen sowie nationalen und internationalen Vorschriften zu finden. Zu diesem Zweck ist eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung erforderlich, da sie sowohl einen strukturierten Rahmen für die Bewertung von Projekten bietet als auch die Interessengruppen für die vielfältigen Facetten von Wasserkraft sensibilisieren kann. Mit diesem Ansatz kann die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigt werden und damit der «Social Net Present Value» von Projekten identifiziert werden. Mit anderen Worten: Möglicherweise können Projekte auch in unsicheren Strommarktumfeldern positive Anhaltspunkte erhalten, welche ein Investment rechtfertigen, wenn man über die betriebswirtschaftliche Perspektive hinausgeht.

Wasserzinsen: Ruin der Energieunternehmen?

Die Wasserzinsen haben in den letzten Jahren eine zentrale Position in der Diskussion um die Zukunft der Schweizer Wasserkraft eingenommen. Bisher konnte kein neuer Kompromiss in Bezug auf die Verteilung der aus der Wassernutzung resultierenden Ressourcenrente auf die verschiedenen beteiligten Akteure gefunden werden. Entsprechend ist der Höchstsatz weiterhin auf CHF  110 pro Kilowatt installierter Leistung festgesetzt. Die Gebühren sind physisch festgelegt und berücksichtigen keine wirtschaftlichen Faktoren wie schwankende Strompreise. Von den verschiedenen diskutierten Optionen wurden flexible Wasserzinsen, die Strompreisschwankungen ganz oder teilweise berücksichtigen, innerhalb des Projektes näher auf ihre Wirkung hin untersucht.

Aus Unternehmenssicht führen variable Wasserzinsen nicht unbedingt zu einer deutlich anderen Bewertung: Auch weiterhin dominieren die möglichen Marktentwicklungen die Rentabilitätsaussichten. Basierend auf einer Kostenschätzung für 62 Schweizer Wasserkraftunternehmen, welche zirka 63 % der Schweizer Wasserkraftproduktion abdecken, zeigt sich, dass unter günstigen Marktbedingungen auch die derzeitige feste Gebühr für die meisten Unternehmen nicht zu Verlusten führt, während eine vollständige Abschaffung der Gebühren unter negativen Marktentwicklungen nur wenige Unternehmen in die Gewinnregion treiben würde. Insbesondere wenn Marktpreis und Kostenniveau nahe beieinander liegen (das heisst innerhalb eines Bereichs von zirka 40 bis 60  CHF/MWh), können die Wasser­zinsen die entscheidende Kostenkomponente darstellen. Allerdings zeigt die Untersuchung auch, dass die Gewinnspanne zwischen den 62 Firmen deutlich höher ist als die durch variable Wasserzinsen verursachten Verschiebungen (Bild  unten).

Wasserzinsen: Lebensader der Berge?

Für die Kantone und Gemeinden, welche die Wasserzinseinnahmen erhalten, sind die direkten Auswirkungen von Änderungen des Wasserzinsregimes ausgeprägter. Die vorgeschlagenen variablen Zinssysteme basieren auf einem Referenzmarktpreis, welcher das Zinslevel für das jeweilige Jahr bestimmt. Entsprechend können bei einem hohen variablen Anteil die Zins­einnahmen bei niedrigen Marktpreisen deutlich unter den aktuellen Einnahmen liegen und umgekehrt bei hohen Marktpreisen deutlich darüber.

Allerdings ist es in Anbetracht der Komplexität der Aktionärsbeziehungen der Schweizer Wasserkraft nicht einfach, ein klares Bild der gesamten Finanzströme zu erhalten. Insbesondere wenn man den Zusammenhang zwischen Steuereinnahmen und Unternehmensdividenden berücksichtigt, werden die Auswirkungen der Wassergebühren und die Marktdynamik weniger deutlich. Obwohl die Marktdynamik der wichtigste Treiber für Unternehmen ist, haben die daraus resultierenden Verluste oder Gewinne wichtige Konsequenzen für die Aktionäre. Bei günstigen Marktbedingungen und niedrigen Wassergebühren ist zu erwarten, dass Aktionäre durch zusätzliche Erträge in Form von Dividenden profitieren, während in Zeiten von Verlusten erwartet wird, dass sie die Unternehmen unterstützen. Zudem führen die Besitzverhältnisse dazu, dass die Standortkantone indirekt für einen Teil der Wasserzinsen selber aufkommen müssen. So können 2016 beispielsweise 16 % der Wasserzinszahlungen nach Graubünden dem Kanton und den Gemeinden selbst zugerechnet werden.

Auch ist die Bedeutung der Wasser­zinseinnahmen in Relation zu anderen Budgetposten sehr heterogen. Insbesondere für die Bergkantone stellen die Wasserzinsen eine wichtige Einnahmequelle dar: Wallis und Graubünden erhalten rund 50 % der gesamten Wasserzinseinnahmen; Aargau, Tessin, Bern und Uri zirka 30 %. Diese Einnahmen stellen jedoch nur einen Teil der interkantonalen Transfers dar, was zum Beispiel im direkten Vergleich mit dem nationalen Finanzausgleich ersichtlich wird (Bild  unten).

Regionale Bedeutung von Wasserzinsen

Am Bespiel Graubündens wird die Komplexität der Thematik Wasserzins ersichtlich. In Graubünden teilen sich der Kanton und die Konzessionsgemeinden die Zinseinnahmen zu gleichen Teilen. Vorliegende Analyse zeigt, dass diese Einnahmen ohne den ausgleichenden Effekt des innerkantonalen Haushaltsausgleichs zu erheblichen Disparitäten führen würden. Wie aus dem nächsten Bild  hervorgeht, machen die Wassergebühren in einigen Gemeinden derzeit mehr als 30 % ihres Ressourcenpotenzials (Summe aus Steuereinnahmen plus Wasserzinsen) aus. Dieses wird zur Berechnung der relativen Ressourcenstärke einer Gemeinde herangezogen, welche wiederum bestimmt, ob eine Gemeinde in das Ressourcenausgleichssystem einzahlt oder Auszahlungen daraus erhält.

Der Ressourcenausgleichsmechanismus zielt darauf ab, die unterschiedlichen Einnahmenbeschaffungsmöglichkeiten zwischen den Gemeinden teilweise auszugleichen und indirekt einen Teil der gesamten Wasserzins­einnahmen unter den ressourcenschwachen Gemeinden umzuverteilen. Eine Änderung des Zinsregimes betrifft somit jede Gemeinde – einige direkt, andere indirekt. Höhere Wasserzinseinnahmen führen bei den empfangenden Gemeinden direkt zu höheren Erlösen, aber ebenso zu einer Erhöhung der Transferzahlungen durch das Ressourcenausgleichssystem – und damit profitieren auch alle anderen Gemeinden. Niedrigere Zins­einnahmen würden die öffentlichen Einnahmen für alle empfangenden Gemeinden verringern und deren jeweiliges Ressourcenpotenzial senken. Infolgedessen würde die Anzahl der ressourcenstarken Kommunen sinken und die verbleibenden ressourcenstarken Kommunen müssten ihre Einzahlungen in das Ausgleichssystem erhöhen. Dies würde insbesondere die am stärksten touristisch geprägten Gemeinden betreffen, da der Tourismus neben der Wasserkraft das zweite wirtschaftliche Rückgrat in Graubünden ist.

Dieses Beispiel zeigt die Bedeutung indirekter Effekte aus Wasserzinsanpassungen und Marktdynamik, welche für die verschiedenen beteiligten Akteure berücksichtigt werden müssen. Aufgrund der komplexen Beziehungsstruktur zwischen Unternehmen, Gemeinden und Kantonen sowie der Heterogenität zwischen den kantonalen Regelungen konnte im Rahmen des Projektes jedoch keine generelle Aussage über mögliche Auswirkungen getroffen werden.

Was ist jetzt zu tun?

Was also sind die wichtigsten Herausforderungen, die in den nächsten Jahren angegangen werden müssen? Mit der Verlängerung des aktuellen Wasserzinsregimes bis 2024 bleiben einige Jahre, um die vermutlich wichtigste Baustelle anzugehen. Der zentrale Konflikt hierbei ist die Verteilung des finanziellen Risikos, welches mit den verschiedenen Zinsdesigns verbunden ist. Die aktuelle fixe Struktur setzt das Risiko auf die Unternehmensseite, eine völlig variable Gebühr auf die Kantons- und Gemeindeseite. Eine gemischte Gebühr mit fixen und variablen Teilen könnte daher einen Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen bilden. Dabei wären dennoch viele weitere Details zu klären. Daher ist ein Stakeholder-Prozess erforderlich, um einen Kompromiss zu finden, auf den sich alle Seiten einigen können.

In Bezug auf die langfristige Perspektive besteht das zentrale Thema darin, mit Unsicherheiten umzugehen und Wasserkraftwerken den Wettbewerb mit anderen Energie- und Speicheranbietern zu ermöglichen. Betrachtet man die gesamte Lebensdauer von Wasserkraftwerken, so besteht kaum ein Zweifel daran, dass diese einen wichtigen Teil unseres zukünftigen Stromsystems darstellen sollten. Angesichts der Marktrealitäten reicht ein «Sollte» jedoch nicht unbedingt aus. Neben den bereits erwähnten Ansätzen zu einer Flexibilisierung der Investitionsentscheidungen erfordert dies potenziell auch Anpassungen des Konzessionsrahmens. Die Einbeziehung des «Social Net Present Value» in diese Betrachtung kann helfen, Lösungen zu identifizieren. Auf der allgemeineren Marktgestaltungsseite muss schliesslich die Rolle potenzieller neuer Marktkomponenten (zum Beispiel die im überarbeiteten Energiegesetz vorgesehene Speicherreserve oder Kapazitätsmärkte in Nachbarländern) berücksichtigt werden.

Vier Jahre scheinen viel Zeit, um diese Punkte anzugehen, aber dies erfordert einen klaren und zielgerichteten Ansatz. Die Interessengruppen müssen Kompromisse finden und wahrscheinlich auf einige der Vorteile verzichten, die in einem regulierten Elektrizitätssystem realisierbar waren, aber nicht in die neuen Realitäten passen. Andernfalls kann die «Übergangslösung» – Lücken mit Bundesgeldern zu füllen – zur langfristigen Lösung werden; und Sektoren, die auf staatliche Subventionen angewiesen sind, haben selten eine erfolgreiche langfristige Perspektive.

Referenzen

[1]   Michael Barry, Regina Betz, Sandro Fuchs, Ludovic Gaudard, Thomas Geissmann, Gianluca Giuliani et al., «The Future of Swiss Hydropower Realities, Options and Open Questions», SCCER CREST Discussion Paper WP3 – 2019/02.
[2]   Regina Betz, Thomas Geissmann, Mirjam Kosch, Moritz Schillinger & Hannes Weigt, «The design of variable water fees and its impact on Swiss hydropower companies and resource owners», SCCER CREST Discussion Paper WP3 – 2019/06.
[3]   Werner Hediger, Marc Herter, Christoph Schuler, «The Future of Swiss Hydropower: Water Fee-induced Financial Flows in Switzerland», Final Report, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung, HTW Chur, Institute of Public Management, ZHAW, Winterthur.

Links

nfp-energie.ch/en/key-themes/200/synthese
fonew.unibas.ch
www.sccer-crest.ch

Autor
Hannes Weigt

ist Professor für Energieökonomie an der Universität Basel.

  • Universität Basel, 4002 Basel

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