Umsetzung einer Zielnetzplanung
Vorgehen und Resultate für das EBM-Hochspannungsnetz
Die Zielnetzplanung ist ein zentraler Geschäftsprozess eines Netzbetreibers im Rahmen des strategischen Asset Managements: Varianten müssen periodisch und beim Eintreffen wesentlicher Fakten überprüft werden. In der EBM-Organisation wird die Institutionalisierung der Zielnetzplanung erarbeitet.
In der Nordwestschweiz betreibt EBM Netz AG Netze von 400 V bis 145 kV bis mit einer jährlichen Energiedurchleitung von 1,4 TWh. Für das 100 km lange 50-kV- und 145-kV-Hochspannungsnetz mit 13 Unterwerken sowie für das 13-kV-Mittelspannungsnetz mit den rund 1000 Trafostationen wird aktuell eine Zielnetzplanung bis 2070 durchgeführt. Ziel ist, eine Vision für den Investitionszeithorizont bzw. Lebenszyklus des Netzes mit ihren Betriebsmitteln zu erarbeiten. Die wesentlichen Optimierungsgrössen sind einerseits die Versorgungssicherheit (Netzsicherheit) und andererseits die Kosten der Betriebsmittel. Hier werden die Ergebnisse und die Realisierung des Zielnetzes der Hochspannung vorgestellt. Zurzeit wird das Zielnetz der Mittelspannung in Etappen erarbeitet.
Vorgehensweise
Das Projekt wurde in sechs Arbeitspakete aufgeteilt. Die Aspekte Standardnetzregeln, Netzsicherheit und Versorgungsqualität, Instandhaltungs- und Betriebsmittelstrategie, Energie- und Leistungsszenarien waren vorbereitende Tätigkeiten. Sie dienten dazu, die betrieblich-technischen Anforderungen und Rahmenbedingungen an die Zielnetz-Varianten zu konkretisieren.
Die Zielnetz-Varianten wurden in Workshops mit Fachabteilungen und mit externer Beratung erarbeitet. Wichtig waren dabei die Erfahrungen aus dem heutigen Betrieb, aber auch kreative Vorschläge, wie ein Zielnetz aussehen könnte, das ein wenig losgelöst von der derzeitigen Struktur ist. Die Varianten wurden mit einem betriebswirtschaftlichen Bewertungsmodell kommerziell und dem Netzberechnungsprogramm Neplan technisch bewertet. Dabei wurden drei Hauptvarianten (von total 18 Untervarianten) mit unterschiedlichen Lastszenarien vertieft analysiert. Der Einfluss der dezentralen Produktion auf das Hochspannungsnetz wurde als unerheblich eingestuft.
Rahmenbedingungen
Diverse Rahmenbedingungen wurden festgelegt:
- Die örtliche Anbindung an das Übertragungsnetz wird unverändert übernommen.
- Die Unterwerke als Schnittstellen zwischen Hoch- und Mittelspannung werden in ihrer Anzahl und ihrem Standort primär als gegeben betrachtet. Alternativen wurden zwar untersucht, aber als ungeeignet eingestuft.
- EBM hat Schnittstellen zu drei Verteilnetzbetreibern. Die Zielnetzplanung auf Netzebene 3 wurde so durchgeführt, dass Optimierungen an diesen Schnittstellen möglich bleiben. Eine übergreifende Planung mit den benachbarten Netzbetreibern wurde jedoch nicht in Betracht gezogen, die Ergebnisse dieser Planung jedoch mitgeteilt.
- Der betrachtete Zeithorizont erstreckt sich bis 2070. Somit liegt der Erneuerungszyklus aller Betriebsmittel innerhalb dieses Zeithorizontes. Eine Sensitivitätsanalyse mit einem kürzeren Zeithorizont zeigte wesentliche Einschränkungen in der Variantenfreiheit aufgrund langlebiger Infrastrukturen.
- Für die betriebswirtschaftliche Optimierung wurden die Investitionskosten und Netzverluste betrachtet. Es wurde angenommen, dass die Betriebsmittel in der Regel am Ende der technischen Lebensdauer ersetzt werden. Ein vorzeitiger Ersatz zur Umsetzung des Zielnetzes ist berücksichtigt. Der Einfluss der Instandhaltungskosten beim Vergleich von Varianten erwies sich als unwesentlich.
- Die Mindestanforderung an die Netzsicherheit gemäss Branchendokumenten ist die n-1-Netzsicherheit. Für die Zielnetzplanung wurde eine höhere Anforderung festgelegt.
Quantifizierung der Netzsicherheit
Mit Einhaltung des n-1-Kriteriums wird dafür gesorgt, dass das Netz beim Ausfall eines beliebigen Betriebsmittels die Versorgung sicherstellen kann, ohne dass die in Betrieb verbleibenden Betriebsmittel dauerhaft überlastet werden. Für EBM ist die n-1-Netzsicherheit in der NE3 eine notwendige, aber nicht hinreichende Anforderung. Es gilt, eine sinnvolle und quantifizierbare Balance und Vergleichbarkeit von Sicherheit und Kosten zu erreichen. Dazu ist eine Masszahl x festgelegt, welche die Anzahl der topologischen Verbindungen eines Unterwerkes zu den umliegenden Unterwerken, die Ausspeiseleistung des jeweiligen Unterwerkes in die tiefere Netzebene und die Anbindung ans Übertragungsnetz berücksichtigt. Die Ermittlung dieser Kennzahl ermöglicht es, die Netzsicherheit der Varianten zu vergleichen, auch zum bestehenden Netz bzw. Ist-Zustand. x=1 entspricht der Minimalanforderung.
Zur Ermittlung von x wird die Transformierungsleistung jedes Unterwerkes mit dessen eigener n-1-Netzsicherheit, d.h. die um eins reduzierte Anzahl ins Hochspannungsnetz abgehenden Leitungen multipliziert, über alle Unterwerke aufaddiert und die erhaltene Summe durch die Summe aller Leistungen dividiert.
Beispiel: Bei zwei Unterwerken mit Leistungen von 50 und 30 MW, von denen das erste drei und das zweite zwei Zuleitungen hat, ergibt sich die Masszahl x wie folgt:
x = (50*(3–1) + 30*(2-1))/(50+30) = 1,63.
Quantifizierung der Investitionskosten
Wesentlich sind die Anschaffungswerte der Betriebsmittel. Es werden Kabel inklusive Rohrblöcke, Freileitungen, Gebäude, Schaltfelder, Transformatoren und Sekundärtechnik der Unterwerke unterschieden. Für die Bestimmung des heutigen Zeitwertes wurde eine Zusammenstellung der Betriebsmittel mit der oben erwähnten Granularität erstellt, das Baujahr und die getätigten Investitionskosten festgestellt und mit den Zeitwerten der Anlagebuchhaltung abgeglichen. Für künftige Investitionen wurden definierte Einheitskosten hinterlegt. Zusammen mit Parametern wie Baujahr, Teuerung und Erneuerungsjahre (regulär bzw. vorgezogen) ergaben sich somit die Investitionskosten.
In einem Bottom-up-Modell zur betriebswirtschaftlichen Modellierung der Varianten wurden die Kosten für den Base Case sowie die Varianten mit den Aspekten Investition, Amortisation, Zinskosten und Betriebskosten (Wirkverluste) jeweils über den ganzen Zielnetzhorizont ausgerollt und schliesslich miteinander verglichen.
Standardnetzregeln für den Bau von Zielnetz-Varianten
Für die Konstruktion von Varianten wurden Regeln formuliert. Diese sind Leitplanken, um sinnvolle bzw. aussichtsreiche Varianten vorzuschlagen und diese nach betriebswirtschaftlichen und technisch-betrieblichen Kriterien zu beurteilen. Die Standardnetzregeln enthalten die unterschiedlichen Anforderungen der Netzsicherheit, der Anbindungen zum Übertragungs- und Mittelspannungsnetz sowie der Belastungen von Leitungen und Transformatoren, um hier die wichtigsten Belange zu nennen.

Resultate und Auswertungen
In einem iterativen Prozess ergab sich ein schrittweises Ausscheiden nicht aussichtsreicher Varianten bis zur Reduktion auf drei Varianten: «Base Case: 145 und 50 kV» (C1), «50 kV» (C14) und «145 kV» (C18) (Tabelle 1). Diese sind in Bild 1 mit ihren Kenngrössen Netzsicherheit und Investitionskosten gezeigt. Dabei wurde eine über alle Unterwerke gleichförmige Lastzunahme von 1 % pro Jahr angenommen (Maximalvariante) und lokale Netzverstärkungen (Verdoppelungen von Kabeln) in den Kosten berücksichtigt. Bei den Varianten C14 und C18 werden die Unterwerke mit einer einheitlichen Spannungsebene verbunden, was Investitionen vereinfacht. Dies erlaubt eine geringere Anzahl an NE2-Transformatoren.

Aus der Perspektive der Netzsicherheit sind die Varianten C14 und C18 in der Basis gleichwertig: Basierend auf dem Ansatz, dass jedes Versorgungs-Unterwerk zwei- oder dreifach in der NE3 angebunden wird, entsteht dieselbe Netztopologie. Die Variante C14 ist hingegen wegen zahlreichen Netzverstärkungen leicht aufwendiger als C18. Die Lastzunahme von 1% ist der kritische Faktor. Bei einer noch höheren Lastzunahme kommt Variante C14 technisch kaum noch in Frage. Umgekehrt wird bei einer wesentlich geringeren Lastzunahme als 1% der Punkt erreicht, ab dem C14 rein aus Sicht Investitionskosten leicht günstiger als Variante C18 wird.
Die Sensitivität aufgrund der Lastentwicklung zeigt, dass die Kosten für die drei untersuchten ZN-Hauptvarianten bei 0% Lastzunahme sehr nahe zusammenliegen (Tabelle 2), insbesondere unter Berücksichtigung der kumulierten Verlustkosten. Nimmt die Last bis 2070 nur leicht über null zu, so bewährt sich C18 als kostengünstigste und wegen ihrer grossen Transportkapazität auch als sicherste Variante. Die Kosten von C14 sind stark abhängig von der Last, besonders im Falle einer unterschiedlichen Entwicklung der Unterwerk-Lasten, was ganz unterschiedliche Netzverstärkungen bedingt.

Eine Erkenntnis ist, dass neben den Investitionskosten auch die Kosten der Netzverluste im Planungshorizont eine wesentliche Rolle spielen. Diese sprechen klar für eine Wahl von C18, wobei der Kostenvorteil sich erst schrittweise mit der Umsetzung dieser Variante zeigt. Gegen Ende des Planungshorizonts unterscheiden sich die Varianten C14 und C18 um ungefähr 500 kCHF jährliche Netzverlustkosten.
Der Grundsatzentscheid für Variante C18 wurde aufgrund folgender Hauptargumente getroffen:
- Die Variante C14 schränkt im Fall einer Lastzunahme ein. Je nachdem wären nachträglich massive Verstärkungsmassnahmen nötig. Bei vergleichbaren Kosten für C1 und C18 hat Letztere die bessere Netzsicherheit und eine mehr als doppelte Transportkapazität.
- Jeder Umbauschritt in Richtung «145 kV» verringert die Netzverluste, am Ende um 20 % im Vergleich zum Base Case. Dies ist ein nachhaltiger Vorteil der Variante C18.
Umsetzbarkeit des gewählten Zielnetzes «145 kV»
Die Realisierung des reinen 145-kV-Netzes erfolgt schrittweise, startet etwa 2035 und dauert bis zum Ende des Zielnetz-Zeithorizonts. Es wird vorausgesetzt, dass zu ersetzende Kabel, auch wenn zwischenzeitlich mit 50 kV betrieben, später mit 145 kV belastet werden können. Der Übergang vom gemischten Hochspannungsnetz (C1) zu 145 kV (C18) erfolgt in einzelnen Unterwerk-Umbauschritten, die auf ihre Machbarkeit bereits geprüft wurden.
Bei der Umsetzung gibt es Wegmarken, bei welchen ein wesentlicher Schritt in Richtung Umsetzung C18 gemacht werden muss. Dort ist zu entscheiden, ob ein neues Unterwerk für 50 kV oder 145 kV gebaut wird. Die erste Entscheidung ist um 2030 fällig. Ab diesem Punkt unterscheiden sich die Wege für die Varianten 50 kV (C14) und 145 kV (C18), beide ausgehend vom Base Case (C1). Ein nachträglicher Wechsel von 145 kV (C18) nach 50 kV (C14) bleibt möglich, umgekehrt hingegen praktisch nicht («point-of-hard-return»).
Während der Umstellung zeigt sich eine leicht eingeschränkte, jedoch stets ausreichende und am Ende gar grössere Netzsicherheit (Bild 2).

Weiteres Vorgehen
In einem Folgeprojekt wird zurzeit eine Zielnetzplanung für einen ersten Teil des Mittelspannungsnetzes durchgeführt. Trotz grundsätzlich gleicher Aufgabenstellung gibt es Unterschiede. Während im Hochspannungsnetz von Netzsicherheit gesprochen wird, steht im Mittelspannungsnetz der Begriff Versorgungssicherheit im Vordergrund: Es wird ein Zielnetz gesucht, welches bei minimalen Kosten die Kennzahlen der Versorgungssicherheit wie Saidi und ENG (Energie nicht geliefert) erfüllt. Die Anzahl Betriebsmittel ist deutlich grösser, die Umschaltmöglichkeiten sind wesentlich und die Variantenvielfalt steigt, sodass andere Methoden der Variantensuche gefordert sind. Bei der Variantensuche ist wesentlich zu verstehen, wie die Vorgaben zu den Kennzahlen die Netztopologie mitbestimmen. Die Flexibilität und Schnelligkeit bei Umschaltungen beeinflussen die Kennzahlen, bedingen jedoch entsprechende Primär- und Sekundärinfrastrukturen. Eine Prognose für Verbrauch und dezentrale Produktion bezogen auf die einzelnen Trafostationen ist ebenfalls eine wichtige Grundlage zur Prüfung der Varianten. Hierüber wird zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher berichtet.
ZNP als Kern-Planungsprozess
Die Zielnetzplanung (ZNP) ist ein zentraler Geschäftsprozess des Netzbetreibers im Rahmen des strategischen Asset Managements: Zielnetz-Varianten müssen periodisch und beim Eintreffen wesentlicher Fakten überprüft werden. Die Institutionalisierung der Zielnetzplanung in der EBM Organisation ist im Gange.
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