Fachartikel Energienetze , Infrastruktur

Ultraschnell gelöscht

Aktiver Störlichtbogenschutz für höhere Sicherheit

01.06.2017

Störlichtbogenfehler in Schaltanlagen sind fast immer verbunden mit höchsten thermischen und mechanischen Belastungen. Neben einer möglichen Gefährdung des Personals beeinträchtigen sie auch die Verfügbarkeit der Schaltanlage. Durch das Löschen eines Störlichtbogens in der Entstehungsphase kann die Sicherheit deutlich erhöht werden.

Durch Schäden, Fehlbedienung oder aussergewöhnliche Betriebsbedingungen können Fehler in der Kapselung von Schaltanlagen entstehen, die im schlimmsten Fall zu dem gefürchteten Phänomen eines Störlichtbogens führen. Ein solcher Störlichtbogen stellt einen ungewollten, niederohmigen Kurzschluss über eine Isolierstrecke dar, der während des Betriebes einer Schaltanlage durch einen elektrischen Überschlag von Leiter zu Leiter oder von einem Leiter zu Erdpotenzial entsteht.

Störlichtbogenfehler verursachen extreme Bedingungen am Entstehungsort und in der direkten Umgebung, wodurch eine starke Gefährdung für Personen, Equipment und Gebäude entstehen kann. Es werden schlagartig Temperaturen von bis zu 20000°C generiert, die innerhalb weniger Millisekunden zu einem rapiden Druckanstieg im Inneren der Schaltanlage führen. Unter diesem Einfluss verbrennen, schmelzen und verdampfen Kabel, Kupfer- und Stahlteile und verbinden sich zu einem heissen Plasmagemisch. Der enorme Überdruck, dessen Spitzenwert innerhalb der Schaltanlage bereits nach 10–15 ms erreicht ist, führt zu einer erheblichen mechanischen Belastung für die Schaltanlage. Ohne geeignete Druckentlastungsmassnahmen kann die entstehende Druckwelle dann, nur weitere hundertstel Sekunden später, auch zu einer Belastung für die umgebenden Decken und Wände des Aufstellungsraums werden.

Schutzkonzepte

Die Motivation der Anlagenbetreiber für Störlichtbogenschutzmassnahmen kann sehr unterschiedlich sein. Während die Einhaltung des Personenschutzes nach den allgemein gültigen technischen Regeln oder nach gesetzlichen Vorschriften in den meisten Fällen massgebend ist, können auch Umgebungsbedingungen, Investmentschutz oder Verfügbarkeits­aspekte die Entscheidung über notwendige Schutzmassnahmen beeinflussen. Ein passiver Anlagenschutz ist die heute am meisten angewandte und bekannteste Form, um einen bestimmten Grad an Personenschutz für den Nahbereich von elektrischen Schaltanlagen herzustellen. Er betrifft im Wesentlichen den konstruktiven Aufbau einer elektrischen Schaltanlage mit dem Ziel, ein Lichtbogenereignis auf den inneren Bereich der Anlage zu begrenzen und Personen ausserhalb der Schaltanlage vor austretenden heissen Gasen und wegfliegenden Teilen zu schützen.

Zusätzlich zu einer ausreichend widerstandsfähigen Konstruktion als Basis werden beispielsweise auch Druck­entlastungskanäle eingesetzt. Sie leiten das heisse Plasmagemisch aus der Schaltanlage hinaus, in dafür vorgesehene sichere Bereiche. Für Mittelspannungsschaltanlagen und -schaltgeräte sind solche technischen Rahmenbedingungen für den Personenschutz bei einem Störlichtbogenfehler in der Norm IEC 62271-200 definiert und müssen durch eine entsprechende Typprüfung nachgewiesen werden. Die im Prüffeld nachgebildeten Bedingungen, wie z.B. eine Mindest-Deckenhöhe, sicher verschlossene Türen oder die maximale Lichtbogendauer, entsprechen dann, nach bestandener Prüfung, den Betriebsbedingungen, unter denen dieser passive Schutz gewährleistet ist.

Neben dem Personenschutz gilt es aus ökonomischer Sicht jedoch auch, Schäden an der Schaltanlage sowie den Systemkomponenten zu verhindern. Zum einen sind hier Kosten für die In­standsetzung zerstörter Anlagen­bereiche zu nennen, die mancherorts aufgrund von eingeschränkter Zugänglichkeit nur mit erheblichem Aufwand durchgeführt werden kann. Zum anderen bringt eine nicht verfügbare Energieversorgung Prozesse zum Stillstand und führt zu hohen Produktionsausfallkosten. Besonders für hochproduktive Industrien, wie z.B. Papierfabriken oder Ölplattformen, lassen sich dann solche ungewollten Produktionsstillstände schnell mit 6- bis 7-stelligen Franken-Beträgen beziffern. An Bord von Schiffen oder in Krankenhäusern führt der Wegfall der Energieversorgung zudem auch zu einer unsicheren Situation, obgleich sie hier in der Regel ­redundant ausgeführt ist. Eine zuverlässige und hochverfügbare Energieversorgung ist daher für die meisten Betreiber essenziell. Hier bieten sich aktive Störlichtbogenschutzsysteme mit ihrem hohen Nutzen an.

Aktiv gegensteuern

Während ein passiver Schutz im Rahmen der geprüften Störlichtbogendauer wie ein Schutzwall zwischen Fehlerort und Bedienpersonal wirkt, leiten aktive Schutzsysteme schnell Massnahmen gegen einen Störlichtbogen ein. Es gilt, die freigesetzte Lichtbogenenergie so weit wie möglich zu begrenzen. Da Fehlerstrom und Lichtbogenspannung nicht direkt beeinflusst werden können, besteht die einzige Möglichkeit darin, den Störlichtbogen so schnell wie möglich zu unterbinden.

Um einen inneren Störlichtbogen von einem für die Anlage unkritischen externen Fehler zu unterscheiden, macht man sich dessen Eigenschaften zunutze. Ein energiereicher Störlichtbogen gibt sofort grosse Mengen an Strahlungsenergie frei, wobei seine Lichtintensität tausendmal höher sein kann als die des normalen Umgebungslichts. Zudem tritt ein hoher Fehlerstrom auf. Schnelle Lichtbogenerfassungsrelais, als erste Stufe aktiver Schutzsysteme, sind speziell auf diese Grössen ausgerichtet. Sie überwachen festgelegte Schutzbereiche mit entsprechenden Erfassungseinheiten und senden ein Auslösesignal direkt an den vorgeschalteten Leistungsschalter, sobald ein Lichtbogen erkannt ist. Hierfür vergehen in der Regel nicht mehr als 1 – 2 ms. Die Gesamtabschaltoperation wird jedoch durch die Abschaltzeit des Leistungsschalters «ausgebremst». Durchschnittlich liegen daher die Lichtbogenlöschzeiten solcher Systeme bei ca. 60 – 80 ms (Bild 2), wodurch druckbedingte mechanische Belastungen für Schaltanlage und Raum nicht vermieden werden, jedoch eine gewisse Begrenzung der thermischen Auswirkungen erfolgt.

Funktionsweise UFES

Mit der Entwicklung von aktiven Systemen mit eigenen Löschgeräten wurde die technisch realisierbare Sicherheit für Schaltanlagen auf ein neues Niveau gehoben. Sie stehen für ein Prinzip, bei dem der verhältnismässig langsame Leistungsschalter von der entscheidenden Rolle der Lichtbogenunterbrechung entbunden und durch ein wesentlich schnelleres Löschgerät ersetzt wird. Ein solches Löschgerät verwendet der ultraschnelle Erdungsschalter UFES.

UFES vereinigt eine Gerätekombination, bestehend aus einer elektronischen Einheit sowie drei zugehörigen Primärschaltelementen (PSE), welche im Fehlerfall eine 3-phasige Kurzschlusserdung im Schutzbereich der überwachten Anlage einleiten (Bilder 1 und 3). Durch die so erzeugte niederohmigere Impedanz kommutiert der Fehlerstrom des Störlichtbogens von der Fehlerstelle auf die PSE-Kurzschlusserdung, wodurch die unkontrollierte Freisetzung von Energie durch einen Störlichtbogen effektiv verhindert wird. Die extrem kurze Schaltzeit des Primärschaltelements, in Verbindung mit der gleichermassen schnellen Erfassung des Fehlers, führt zum Verlöschen des Störlichtbogens nahezu unmittelbar nach seiner Entstehung. Der gesamte Vorgang von der Erkennung des Lichtbogens bis zu dessen Verlöschen ist nach weniger als 4 ms abgeschlossen. Durch diese extrem kurze Lichtbogendauer werden die Auswirkungen auf ein Minimum reduziert.

Die Erkennung des Störlichtbogens erfolgt dabei durch Licht- und Stromerfassungs­einheiten. Mit Licht­sensoren wird der gewählte Schutzbereich permanent überwacht. Zu diesem Zwecke stehen unterschiedliche Sensortypen zur Verfügung. Linsensensoren haben am Ende der mit der Elektronik verbundenen Faserleitung eine kleine Optik zur Lichtaufnahme. Sie überwachen punktuell kleinere, in sich abgeschlossene Schaltfeldbereiche, wie z.B. Leistungsschalter- oder Kabelanschlussräume. Der Vorteil: Der Fehlerort ist schnell eindeutig identifiziert. Sogenannte Schleifensensoren dagegen haben die Eigenschaft, dass sie über die gesamte Länge einer nicht ummantelten Faserleitung Licht aufnehmen können. Hierdurch bietet diese Technologie u.a. den kostentechnischen Vorteil, dass man mit nur einem Sensor eine grössere Schutzzone abdecken kann. Kombiniert wird das optische Kriterium typischerweise noch mit dem Strom. Bei Überschreiten des eingestellten Schwellwertes der Momentanstrom­werterfassung erhält das System dann auch das zweite Auslöse­kriterium zur eindeutigen Identifizierung eines Störlicht­bogenfehlers.

Der Primärteil macht den entscheidenden Unterschied. Neben der Voraussetzung, dass der Störlichtbogen schnell und eindeutig erkannt wird, besteht die weitere Herausforderung darin, diesen so schnell wie möglich zu löschen. Beim UFES sind dafür drei einzelne PSE zuständig, welche zwischen dem spannungsführenden Schienensystem und einer geerdeten Kurzschlussschiene installiert werden. Jedes PSE ist eine autarke, in Epoxidharz eingebettete Einheit, mit eigenem Schalt- und Antriebsmechanismus (Bild 4). Mit Abmessungen von 210 mm Höhe und 137 mm Durchmesser ähnelt das kompakte Hochleistungsschaltgerät äusserlich der einfachen Form eines 24-kV-Isolierstützers. Für die Einschaltung im Ernstfall ist ein speziell für diesen Zweck entwickelter Typ Vakuumschaltkammer verantwortlich. Die Vakuumschaltkammer schaltet nicht nur Fehlerströme sicher bis 100 kA, sondern sorgt auch für den zuverlässigen Erhalt der dielektrischen Festigkeit über die gesamte Lebensdauer im ausgeschalteten Zustand. Der Antrieb differenziert das PSE von gewöhnlichen Schaltgeräten. Er beherbergt einen ul­traschnellen Mikro-Gasgenerator, welcher den Gasgeneratoren von PKW-Airbags ähnelt. Nach elektrischer Zündung treibt der Gasdruck den Schaltkontakt durch die Vakuumschaltkammer, worauf dieser prellfrei und dauerhaft mit dem Festkontakt verrastet. Verglichen mit einem Mittelspannungs­leistungsschalter bewegt sich der Schaltkontakt des PSE mit einer 30-fach höheren Geschwindigkeit. Der gesamte Schaltvorgang nach Erhalt des Steuersignals dauert nicht mehr als 1,5 ms.

Umfassender Schutz für alle Anlagen

Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Störlichtbogenfehler eine gefährliche Situation darstellt, der man mit unterschiedlichen Schutzkonzepten entgegenwirken kann. Durch ein aktives Störlichtbogenschutzkonzept mit dem Ultraschnellen Erdungsschalter lässt sich die Sicherheit für Nieder- und Mittelspannungsschaltanlagen maximieren. Die sonst gravierenden Auswirkungen werden vermieden und betroffene Anlagen können kurz nach Beseitigung der Fehlerursache wieder in Betrieb genommen werden. Zudem lassen sich Randerscheinungen wie hohe optische und akustische Belastung sowie die Emission toxischer Gase in die Umgebungsraumluft stark reduzieren.

Das System, das für Bemessungsspannungen bis 40,5 kV und Bemessungs-Kurzzeitströme bis 100 kA ausgelegt ist, ist prinzipiell in jeder neuen oder bereits installierten kurzschlussfesten Schaltanlage einsetzbar. Gerade in Bereichen, wo hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit der Energieversorgung gestellt werden oder ein stark erhöhter Schutz für Personen im Vordergrund steht, ist ein aktives Schutzkonzept eine effiziente Lösung. Der hohe Nutzen im Fall der Fälle macht es im übertragenen Sinne vergleichbar mit einer «Versicherung» für die Schaltanlage. Aktiver Schutz kann jedoch auch eine Lösung sein, wo passive Massnahmen an ihre Grenzen stossen. In schwer zugänglichen Aufstellungsräumen bzw. nicht druckfesten Bereichen kann aufgrund fehlender Druck­entlastungsmöglichkeiten die ultraschnelle Störlichtbogenunterbindung die einzig realisierbare Möglichkeit sein.

Autor
Wolfgang Hakelberg

ist Product Manager für UFES bei ABB Calor Emag Mittelspannungsprodukte.

  • ABB AG
    DE-40472 Ratingen
Autor
Stephan Keller

ist Head of Engineering & Product Management bei ABB Séchéron.

  • ABB Sécheron S.A.
    1217 Meyrin, Genève

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