Überdimensionierte elektrische Antriebe
Systembetrachtung
Obwohl der Wirkungsgrad von Elektromotoren kontinuierlich steigt, ist der Systemwirkungsgrad oft nicht optimal, weil in der Industrie häufig elektrische Antriebe eingesetzt werden, die überdimensioniert sind. Dies erzeugt unnötige Investitions- und Betriebskosten sowie einen zu hohen Energieverbrauch und entsprechend höhere CO2-Emissionen.
Das Phänomen der Überdimensionierung ist aus früheren Untersuchungen bei industriellen Anlagen in der Schweiz bekannt. Die Evidenz aus einer Befragung von Fachleuten aus der internationalen Antriebstechnik zwischen August 2023 und Januar 2024 ist eindeutig: Die Antworten von 39 Experten der ISO & IEC JAG 22 aus 11 Ländern bestätigen, dass elektrische Antriebssysteme für Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren etc. in der Regel überdimensioniert sind, d.h. die einzelnen Komponenten sind schlecht aufeinander abgestimmt und die Anpassung an den tatsächlichen Leistungsbedarf ist ungenügend.
Elektrische Antriebssysteme werden in der internationalen Normung in insgesamt neun verschiedenen Technischen Komitees behandelt (Tabelle 1), die jeweils für sich an ihrem Thema arbeiten. Erst seit Oktober 2022 gibt es die IEC & ISO Joint Advisory Group JAG 22, die sich intensiv mit der Koordination von mechanischen (ISO-Normen) und elektrischen Systemen (IEC-Normen) und deren möglichen Problemen und Entwicklungschancen befasst.
Die Nachteile der Überdimensionierung
Ein Antriebssystem besteht mindestens aus einem Elektromotor und einer Anwendung (Pumpe, Ventilator, Kompressor usw.). Oft werden zudem Getriebe oder Transmissionen mit Riemen zwischen Motor und Anwendung zur Anpassung der Drehzahl eingesetzt. Zunehmend werden für die Stromversorgung des Motors elektronische Frequenzumrichter eingesetzt, mit denen die Drehzahl stufenlos geregelt werden kann. Dadurch kann die Leistung des Elektromotors näher an den effektiven Bedarf (Drehzahl, Drehmoment, Leistung) gebracht und damit Strom gespart werden.
Eine überdimensionierte Maschine ist grösser, schwerer und sowohl in der Anschaffung als auch im Betrieb teurer als ein optimal dimensioniertes Antriebssystem. Die Komponenten laufen dann oft oder ständig im Teillastbereich und haben dadurch einen schlechteren Wirkungsgrad (Bild 1).

Eine Überdimensionierung bringt keine direkten Vorteile: Die nicht ausgelastete Maschine hat keine längere Lebensdauer und keinen wesentlich geringeren Wartungs- und Unterhaltsbedarf. Sie läuft zwar etwas kühler und verbraucht dadurch eventuell etwas weniger Schmiermittel, was sich aber nicht wesentlich auf die Betriebskosten und die störungsfreie Nutzungsdauer auswirkt. Bei stark überdimensionierten Anlagen kann es im Teillastbetrieb mit reduzierter Drehzahl zu Betriebsproblemen kommen, da die Kühlleistung des Antriebs durch den auf der Achse montierten Ventilator nicht immer gewährleistet ist.
Eine Überdimensionierung bei einer Neuanlage hat nur den Vorteil, dass eine zum Zeitpunkt der Projektierung noch unbekannte Leistung später bewältigt werden kann. Der Preis für die oft jahrelang nicht genutzte Investition ist jedoch selten gerechtfertigt.
Zwei Arten der Überdimensionierung
Eine Überdimensionierung kann durch zwei Planungsmängel verursacht werden:
- Die Bestimmung der maximal nötigen mechanischen Ausgangsleistung der Anwendung im Betrieb (z. B. bei einem Ventilator: der gewählte Luftvolumenstrom und die angenommene Druckdifferenz für das Kanalsystem) ist ungenau oder falsch.
- Die Abstimmung der Komponenten des Antriebssystems untereinander auf die maximal erforderliche Leistung ist ungenügend.
Bei der Überprüfung und Verbesserung bestehender Anlagen kann die Ermittlung der maximal erforderlichen Leistung der Anwendung und der übrigen Komponenten durch Messung am elektrischen Eingang und bei grösseren Anlagen durch mechanische Messung während weniger Stunden am Ausgang genügend genau erfolgen. Bei neu geplanten Anlagen müssen diese Bestimmungsgrössen dagegen durch Berechnung oder Simulation des Tages- und Wochenverlaufs des Gesamtsystems ermittelt werden. Dazu stehen diverse elektronische Tools zur Verfügung, die aber immer auf den Angaben (Betriebspunktschätzungen) des Anlagenbetreibers basieren. Für die Bestimmung des maximalen Leistungsbedarfs gibt es Angaben in einzelnen Normen. Diese setzen voraus, dass der maximale Leistungsbedarf (Volumenstrom und Druckdifferenz) bekannt bzw. gut abschätzbar ist. Dies ist in vielen Anlagen nicht der Fall, da beispielsweise das Verteilsystem für die Luftkanäle oder Wasserleitungen noch nicht genügend genau bestimmt ist. Oft werden sekundäre Druckwiderstände (Filter, Wärmetauscher, Klappen etc.) ungenau oder falsch berechnet. In vielen Anwendungsfällen wird bei Lüftungsanlagen einfach ein schematischer «sicherer» Standardwert für die Druckdifferenz angenommen, der später nie erreicht wird.
Ausmass und Folgen
Das Ausmass der Überdimensionierung kann durch Reihenuntersuchungen und Messungen nur abgeschätzt werden. Als Mass für die Dimensionierung wird der Lastfaktor verwendet, d. h. das Verhältnis der tatsächlich gemessenen elektrischen Eingangsleistung des Motors zur elektrischen Nennleistung, also der mechanischen Ausgangsleistung des Motors gemäss Typenschild dividiert durch den nominalen Wirkungsgrad (Tabelle 2). Bei der Reduzierung der Motorgrösse sind der leicht verminderte Nennwirkungsgrad und der etwas bessere Teillastwirkungsgrad zu berücksichtigen.

Mit unserer nicht repräsentativen Schweizer Stichprobe aus dem Jahr 2013 mit 104 gemessenen Industrieanlagen zwischen 1 kW und 1000 kW konnte festgestellt werden, dass die mittlere Auslastung der untersuchten Antriebssysteme nur 52% betrug und 68% der gemessenen Anlagen unter einem Lastfaktor von 60% liefen. Rund ein Viertel der Anlagen lief mit einem mittleren Lastfaktor zwischen 70% und 100% und ist somit gut dimensioniert.
Eine erste grobe Abschätzung der Grössenordnung des durch die Überdimensionierung von Antriebssystemen unnötig investierten Kapitals und der damit verschwendeten elektrischen Energie wurde in den USA 2019 veröffentlicht [1]; siehe auch [2]. Die Untersuchung an 342 Pumpen ergab eine mittlere Überdimensionierung von 22% über den ganzen Leistungsbereich, wobei kleinere Pumpen tendenziell stärker überdimensioniert sind.
Bezogen auf den Gesamtstromverbrauch der Schweiz im Jahr 2023 von 56 TWh/a, bei dem rund 29 TWh/a auf elektrische Antriebssysteme fallen, wird der Mehrverbrauch durch Überdimensionierung auf 9% (2,6 TWh/a), geschätzt. Dadurch entstehen jährlich unnötige Stromkosten von rund 400 Mio. CHF. Die überdimensionierten Anlagen führen zudem zu unnötigen Mehrinvestitionen im Bestand der Antriebsanlagen von rund 20%, also 400 Mio. CHF.
Es gibt viele Gründe
Die Begründungen für überdimensionierte Anlagen sind vielfältig und oft nachvollziehbar, aber nur teilweise gerechtfertigt (folgende Auflistung von Antworten aus der erwähnten internationalen Expertenumfrage und eigenen Erfahrungen):
- Ein Antriebssystem wird für die bei der Planung bekannten Anwendungen und Prozesse gebaut, soll aber später auch für andere, noch unbekannte Anwendungen mit höheren Lasten und längeren Betriebszeiten genutzt werden können.
- Die Planungskosten für eine ingenieurmässige Auslegung und Dimensionierung werden eingespart, d.h. eine Anlage wird nur basierend auf groben Schätzungen bestellt.
- Die nur ungenau bekannte maximal benötigte Ausgangsleistung wird aus Angst vor einer möglichen Überlastung mit einem grosszügigen Sicherheitszuschlag für alle Komponenten erhöht. Werden Motor, FU und Anwendung jeweils um eine Grösse zu gross gewählt, ist das Gesamtsystem um rund die Hälfte überdimensioniert.
- Am Schluss wird der Motor dimensioniert, wobei für jede vorgelagerte Komponente ein Sicherheitszuschlag berücksichtigt wird.
- Die an der Planung und Ausführung der Anlage beteiligten Planer und Lieferanten empfehlen dem Kunden aus kommerziellem Interesse eine grössere und teurere Anlage.
- Der planende Ingenieur ist nicht unabhängig vom Lieferanten.
- Das Ingenieurhonorar ist ein Prozentsatz der Anlagekosten.
- Der Startprozess der Anlage wird nicht geklärt und ein überhöhtes Startdrehmoment angenommen.
- Motoren haben grosse, starr definierte Grössenunterscheide von 15–20%, die keine Zwischendimensionen erlauben.
- Bei Mehrfachanlagen bleibt die Gleichzeitigkeit unberücksichtigt.
- Oft werden Ersatzmotoren für verschiedene Anwendungen an Lager gehalten.
- Die vermeintlich höhere Zuverlässigkeit einer Anlage wird höher gewichtet als ihre Energieeffizienz und Kostengünstigkeit.
- Eine konstante Leistung von 70% bis 100% wird als starke Belastung des Systems empfunden, die Störungen und einen höheren Wartungsaufwand bedingt.
- Eine schwankende Versorgungsspannung wird zum Anlass genommen, höhere installierte Motorenleistungen zu planen.
- Der Einsatz eines Frequenzumrichters zur Lastregelung wird als Vorwand genommen, um auf eine genauere Dimensionierung verzichten zu können.
- Die einzelnen Komponenten des Systems (FU, Motor, Getriebe, Anwendung) sind nicht richtig aufeinander abgestimmt.
Für die Dimensionierung der Komponenten eines Antriebssystems gibt es derzeit keine verbindlichen nationalen Richtlinien oder internationalen Normen. Es wird nach «Erfahrungswerten» vorgegangen, was zu überdimensionierten Antriebssystemen führt.
Integrierte Antriebssysteme
Viele kleine, in Grossserien hergestellte Pumpen, Ventilatoren und Kompressoren bis etwa 5 kW werden heute von einem Hersteller hergestellt bzw. ihre massgeschneiderten Komponenten assembliert. Dabei entfallen in der Regel durch die Integration von FU, Motor, evtl. Getriebe und Anwendung die Überdimensionierungsprobleme einzelner Komponenten, da die Hersteller gerne leichte, kompakte und kostengünstige Systeme anbieten. Das Problem der richtigen Anpassung an den tatsächlichen maximalen Leistungsbedarf bleibt bestehen. Viele Umwälzpumpen in Heizungen, viele Abluftventilatoren und viele Kältekompressoren in Kühlgeräten sind überdimensioniert. Die Erfahrungen aus den EU-Ecodesign-Richtlinien z. B. bei Staubsaugern, sind hierfür ein anschauliches Beispiel.
Überdimensionierung künftig vermeiden
Bis IEC- und ISO-Normen, wie in der JAG 22 diskutiert, die Dimensionierung der elektrischen Antriebssysteme und deren Komponenten durch Checklisten oder Empfehlungen regeln, sind wir auf verbesserte «Milchmädchenrechnungen» und einfache Ingenieur-Daumenregeln angewiesen. Der wichtigste Punkt ist dabei die möglichst präzise Bestimmung der maximal erforderlichen Ausgangsleistung und der dafür benötigten mechanischen Leistung an der Welle der Anwendung (Pumpe, Ventilator, Kompressor etc.). Während bei bestehenden Antriebssystemen dieser Maximalpunkt leicht und genau durch Messungen ermittelt werden kann, müssen bei neuen Anlagen vorher etwa 20 Planungsschritte und entsprechende Berechnungen und Entscheidungen durchlaufen werden.
Fortschrittliche Berechnungsprogramme wie das unabhängige Motor-Systems-Tool [3] können die systematische Auswahl der Komponenten und die Optimierung des Antriebssystems erleichtern und internationale Normen und Mindestanforderungen direkt berücksichtigen. Herstellerabhängige Optimierungsprogramme sind selten auf das Gesamtsystem ausgerichtet und bevorzugen a priori nur Produkte aus dem Katalog eines Herstellers.
Fazit
Schon lange ist bekannt, dass elektrische Antriebssysteme weltweit – auch in der Schweiz – für rund die Hälfte des Stromverbrauchs verantwortlich sind [4]. Die Entwicklung von effizienteren Motoren und den von ihnen angetriebenen Anwendungen wie Ventilatoren und Pumpen, sowie von Frequenzumrichtern für ihre bessere Regelung ist dank den EU-Mindestanforderungen seit einem Jahrzehnt in vollem Gange. Die Vorteile effizienter Antriebssysteme sind jedoch noch wenig bekannt, auch weil das IEC- und ISO-Normensystem noch wenig dazu beigetragen hat.
Mit der Gründung der Joint Advisory Group JAG 22 in IEC und ISO wurde 2022 der Startschuss für eine bessere Integration der mechanischen und elektrischen Komponenten zu lastabhängig geregelten Systemen gegeben.
Das Thema der korrekten Dimensionierung wurde aber bisher vernachlässigt und weder unter Kosten- noch unter Energieeffizienzgesichtspunkten berücksichtigt, obwohl überdimensionierte Systeme weltweit verbreitet sind. Um die Überdimensionierung bei neuen Systemen zu reduzieren, sind noch erhebliche Änderungen der Gewohnheiten von Ingenieuren und Herstellern nötig. Das internationale Programm 4E EMSA [5] liefert hierfür wichtige Grundlagen.
Referenzen
[1] NEEA: Extended Motor Products Savings Validation Research on Clean Water Pumps and Circulators, Report #E19-307, Portland Oregon, USA, 2019.
[2] Conrad U. Brunner, Maarten van Werkhoven, ISO and IEC work together to improve Energy Efficient Electric Motor Driven Systems, (IEC & ISO JAG 22), EEMODS 2023, Lucerne, Switzerland.
[3] EMSA Motor-Systems-Tool, Danish Institute of Technology.
[4] Paul Waide, Conrad U. Brunner et al.: Energy-Efficiency Policy Opportunities for Electric Motor-Driven Systems, IEA, France 2011.
[5] IEA 4E, Technical Cooperation Programme, Electric Motor Systems Platform.
Kommentare