Fachartikel Messtechnik

Überbrückung der Frequenzlücke

Unterschiedliche Referenzen

01.11.2017

Je nach Frequenzbereich werden elektrische Einheiten unterschiedlich realisiert. Die metrologischen Referenzen für niedrige Frequenzen basieren auf Quanteneffekten, diejenigen für hohe Frequenzen auf Watt und Meter. Dazwischen gibt es eine messtechnische Lücke. Wie gelingt die Kalibrierung von Messgeräten über diese Lücke hinweg?

Wer elektrische Grössen genau messen will, braucht dazu kalibrierte Mess­geräte. Kalibrieren bedeutet in der Metrologie, ein Mess­instrument mit einer absolu­ten Referenz zu vergleichen, die auf das interna­tionale Einheiten­system (SI) rückführbar ist. Das ist die Aufgabe der nationalen Metro­logie­institute, in der Schweiz des Eidgenös­sischen Instituts für Metrologie, Metas. Nationale Metro­logie­institute realisieren auf das SI rückführbare, absolute Referenzen (Primär­normale) und geben die Mass­einheiten so in der erforderlichen Genauigkeit den Anwendern weiter.

Die elektri­schen Einheiten weisen bezüglich ihrer Realisierung interes­sante Besonder­heiten auf. Der Grund dafür ist, dass selbst die genauesten Gleich­span­nungs­refe­renzen ungeeignet sind als Referenzen für Hoch­frequenz­signale. Die Referenzen für elektrische Einheiten müssen deshalb nicht nur bei Gleich­spannung realisiert werden, sondern bei jeder Frequenz, die für die heu­tigen Anfor­derungen der Industrie benötigt wird – meist von Gleich­spannung bis etwa 100 GHz.

Die Realisierung elektrischer Einheiten

Das Metas realisiert die elektrischen Primärnormale mit Methoden, die auf zwei Quanteneffekten basieren: dem Josephson-Effekt (Spannung) und dem Quanten-Hall-Effekt (Widerstand).[2, 3] Beide Effekte werden experimentell bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (wenige Kelvin) erzeugt und sind international als absolute Referenzen für elektrische Einheiten akzeptiert. Sie erreichen eine relative Unsicherheit von weniger als 10-9. Leider können diese Referenzen nicht bei Frequenzen über einem GHz eingesetzt werden. Bei solchen Frequenzen ist die Wellenlänge des Signals so klein (ca. 30 cm), dass sie dieselbe Grössen­ordnung aufweist wie der Versuchs­aufbau selbst. Aufgrund von Interferenzen im Kabel, die das zurück­kehrende Signal an jeder Unstetig­keit innerhalb des Aufbaus verursacht (Stecker, Übergang vom Kabel zu anderen Kompo­nenten), hängt die Spannung wesentlich davon ab, an welcher Stelle sie gemes­sen wird. Um alle Unsicher­heiten im Zusammen­hang mit dem Messort auszu­schliessen, misst man die ausgehenden und die reflektierten Signale.

Bei hohen Frequenzen ist deshalb nicht das Volt die Referenz für die Signal­amplitude, sondern das Watt. Der Wert wird mit Hilfe des AC/DC-Transfers ermittelt, indem man die Verlust­wärme eines Hoch­frequenz­signals mit der eines bekannten Gleichspan­nungs­signals vergleicht. Um dabei die Leistung bei hoher Frequenz präzise zu messen, muss die Impedanz des Übertragungs­systems (Koaxialkabel, Wellenleiter) exakt bekannt sein. Die Referenz für die Hoch­frequenz­impedanz ergibt sich aus der mechanischen Dimension (Geometrie) einer idealen Übertragungsleitung, einer soge­nannten Luftleitung. Es mag seltsam erscheinen, dass elektrische Hochfrequenzsignale direkt von der Realisierung des Meters abhängen, zumal sich dies unmittelbar auf die Messgenauigkeit der Referenzen für Hoch­frequenzen auswirkt. Die Hoch­frequenz­refe­renz für die Signal­stärke hat eine typische Genauigkeit von wenigen Pro­millen.

Mit Stromzangen über die Frequenzlücke

Trotz der Frequenzlücke können elektrische Messungen in diesem Frequenz­bereich durch­geführt werden. Die dazu not­wen­digen Refe­renzen erhält man durch Inter­polation der Werte stabiler elektrischer Komponenten über die Frequenz­lücke hinweg. Allerdings lässt sich die Mess­unsicher­heit der Referenz inner­halb der Lücke nicht mit derselben Präzision beurteilen wie ausserhalb.

Zur Bestätigung der Kalibrierfähigkeit über die Frequenz­lücke hinweg wurden die mit Nieder- und Hoch­frequenz­techni­ken erhal­tenen Kalibrier­faktoren verglichen. Der Prüfling war ein Zangen­strom­messer Pearson 110 A. Diese Stromzange misst indirekt die elektrische Stromstärke anhand des Magnetfeldes, das den Leiter umgibt. Nur ein kleiner Teil der Hoch­frequenz­messungen ist formal auf SI-Einheiten rückführbar, da die meisten in der Lücke liegen (50 kHz bis 50 MHz). Die Experi­mente zeigen, dass im Überschneidungsbereich zwischen 10 kHz und 80 kHz die maximale Abwei­chung zwischen beiden Kalibrierfaktoren etwa 0,2–0,3% beträgt. Die detaillierte Unsicherheits­rechnung ergibt für die Methode bei über 10 kHz typische Mess­unsicher­heiten von 0,5%.

Kalibrierservice: State of the Art

Der Vergleich zwischen Kalibrierungen von Stromzangen in hohen und tiefen Frequenzen belegt, dass das Metas in der Lage ist, die Frequenzlücke zu überbrücken. Dieser Kalibrierservice steht unseren Kunden nun zur Verfügung. Eine Stromzangenkalibrierung ist möglich von 5 Hz bis 400 MHz, bei typischen Stromstärken von 20 A, bei tiefen Frequenzen bis 0,5 A bei 400 MHz. Die Messunsicherheiten der beim Metas durchgeführten Kalibrierung von Stromzangen sind international als Stand der Technik anerkannt.

Referenzen

[1] Alessandro Mortara, Frédéric Pythoud, «Wideband ­accurate calibration of a current probe», Conference on precision electromagnetic measurements (CPEM), 1–6 July 2012, Washington DC, USA; Conference digest S. 484.

[2] B. Jeckelmann, B. Jeanneret, «Application de l’effet Hall quantique à la métrologie», OFMET info 4/2, S.  8 – 14, 1997.

[3] B. Jeanneret, A. Rüfenacht, F. Overney, «The ­Josephson Locked Synthesizer: a State of the Art Quantum Based AC Voltage Source», METinfo 18/1, S.  4 – 9, 2011.

[4] CISPR 16-1-2, «Anforderungen an Geräte und Ein­rich­tungen. Teil 1-2: Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit», Ausgabe 1.2.2006.

Autor
Dr. Frédéric Pythoud

leitet das EMV-Labor bei Metas.

  • Metas, 3003 Bern-Wabern
Autor
Dr. Alessandro Mortara

leitet das Labor für Gleichstrom und Niederfrequenz bei Metas.

  • Metas, 3003 Bern-Wabern

Kommentare

Schenk,

Es ist mir nicht erinnerlich, dass mir in meiner Berufspraxis je Unsicherheiten durch Kalibrierung von Messgeräten bewusst geworden wären. Wer ist in der Praxis von solchen Unsicherheiten betroffen?

W. Schenk

Der Begriff der Messunsicherheit ist in der Metrologie (Messwesen) sehr wichtig. Er beschreibt die Qualität eines Messergebnisses. Jeder, der seine Messfähigkeiten professionell verkauft, jeder Hersteller, der vorgegebene Toleranzen erreichen möchte, muss die Qualität seiner Messgeräte kennen. Die Unsicherheit der Messgerätekalibrierungen ist deshalb ein wichtiger Teil davon.

Frédéric Pythoud

Was ist die Summe aus 5 und 2?