Überbrückung der Frequenzlücke
Unterschiedliche Referenzen
Je nach Frequenzbereich werden elektrische Einheiten unterschiedlich realisiert. Die metrologischen Referenzen für niedrige Frequenzen basieren auf Quanteneffekten, diejenigen für hohe Frequenzen auf Watt und Meter. Dazwischen gibt es eine messtechnische Lücke. Wie gelingt die Kalibrierung von Messgeräten über diese Lücke hinweg?
Wer elektrische Grössen genau messen will, braucht dazu kalibrierte Messgeräte. Kalibrieren bedeutet in der Metrologie, ein Messinstrument mit einer absoluten Referenz zu vergleichen, die auf das internationale Einheitensystem (SI) rückführbar ist. Das ist die Aufgabe der nationalen Metrologieinstitute, in der Schweiz des Eidgenössischen Instituts für Metrologie, Metas. Nationale Metrologieinstitute realisieren auf das SI rückführbare, absolute Referenzen (Primärnormale) und geben die Masseinheiten so in der erforderlichen Genauigkeit den Anwendern weiter.
Die elektrischen Einheiten weisen bezüglich ihrer Realisierung interessante Besonderheiten auf. Der Grund dafür ist, dass selbst die genauesten Gleichspannungsreferenzen ungeeignet sind als Referenzen für Hochfrequenzsignale. Die Referenzen für elektrische Einheiten müssen deshalb nicht nur bei Gleichspannung realisiert werden, sondern bei jeder Frequenz, die für die heutigen Anforderungen der Industrie benötigt wird – meist von Gleichspannung bis etwa 100 GHz.
Die Realisierung elektrischer Einheiten
Das Metas realisiert die elektrischen Primärnormale mit Methoden, die auf zwei Quanteneffekten basieren: dem Josephson-Effekt (Spannung) und dem Quanten-Hall-Effekt (Widerstand).[2, 3] Beide Effekte werden experimentell bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (wenige Kelvin) erzeugt und sind international als absolute Referenzen für elektrische Einheiten akzeptiert. Sie erreichen eine relative Unsicherheit von weniger als 10-9. Leider können diese Referenzen nicht bei Frequenzen über einem GHz eingesetzt werden. Bei solchen Frequenzen ist die Wellenlänge des Signals so klein (ca. 30 cm), dass sie dieselbe Grössenordnung aufweist wie der Versuchsaufbau selbst. Aufgrund von Interferenzen im Kabel, die das zurückkehrende Signal an jeder Unstetigkeit innerhalb des Aufbaus verursacht (Stecker, Übergang vom Kabel zu anderen Komponenten), hängt die Spannung wesentlich davon ab, an welcher Stelle sie gemessen wird. Um alle Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Messort auszuschliessen, misst man die ausgehenden und die reflektierten Signale.
Bei hohen Frequenzen ist deshalb nicht das Volt die Referenz für die Signalamplitude, sondern das Watt. Der Wert wird mit Hilfe des AC/DC-Transfers ermittelt, indem man die Verlustwärme eines Hochfrequenzsignals mit der eines bekannten Gleichspannungssignals vergleicht. Um dabei die Leistung bei hoher Frequenz präzise zu messen, muss die Impedanz des Übertragungssystems (Koaxialkabel, Wellenleiter) exakt bekannt sein. Die Referenz für die Hochfrequenzimpedanz ergibt sich aus der mechanischen Dimension (Geometrie) einer idealen Übertragungsleitung, einer sogenannten Luftleitung. Es mag seltsam erscheinen, dass elektrische Hochfrequenzsignale direkt von der Realisierung des Meters abhängen, zumal sich dies unmittelbar auf die Messgenauigkeit der Referenzen für Hochfrequenzen auswirkt. Die Hochfrequenzreferenz für die Signalstärke hat eine typische Genauigkeit von wenigen Promillen.
Mit Stromzangen über die Frequenzlücke
Trotz der Frequenzlücke können elektrische Messungen in diesem Frequenzbereich durchgeführt werden. Die dazu notwendigen Referenzen erhält man durch Interpolation der Werte stabiler elektrischer Komponenten über die Frequenzlücke hinweg. Allerdings lässt sich die Messunsicherheit der Referenz innerhalb der Lücke nicht mit derselben Präzision beurteilen wie ausserhalb.
Zur Bestätigung der Kalibrierfähigkeit über die Frequenzlücke hinweg wurden die mit Nieder- und Hochfrequenztechniken erhaltenen Kalibrierfaktoren verglichen. Der Prüfling war ein Zangenstrommesser Pearson 110 A. Diese Stromzange misst indirekt die elektrische Stromstärke anhand des Magnetfeldes, das den Leiter umgibt. Nur ein kleiner Teil der Hochfrequenzmessungen ist formal auf SI-Einheiten rückführbar, da die meisten in der Lücke liegen (50 kHz bis 50 MHz). Die Experimente zeigen, dass im Überschneidungsbereich zwischen 10 kHz und 80 kHz die maximale Abweichung zwischen beiden Kalibrierfaktoren etwa 0,2–0,3% beträgt. Die detaillierte Unsicherheitsrechnung ergibt für die Methode bei über 10 kHz typische Messunsicherheiten von 0,5%.
Kalibrierservice: State of the Art
Der Vergleich zwischen Kalibrierungen von Stromzangen in hohen und tiefen Frequenzen belegt, dass das Metas in der Lage ist, die Frequenzlücke zu überbrücken. Dieser Kalibrierservice steht unseren Kunden nun zur Verfügung. Eine Stromzangenkalibrierung ist möglich von 5 Hz bis 400 MHz, bei typischen Stromstärken von 20 A, bei tiefen Frequenzen bis 0,5 A bei 400 MHz. Die Messunsicherheiten der beim Metas durchgeführten Kalibrierung von Stromzangen sind international als Stand der Technik anerkannt.
Referenzen
[1] Alessandro Mortara, Frédéric Pythoud, «Wideband accurate calibration of a current probe», Conference on precision electromagnetic measurements (CPEM), 1–6 July 2012, Washington DC, USA; Conference digest S. 484.
[2] B. Jeckelmann, B. Jeanneret, «Application de l’effet Hall quantique à la métrologie», OFMET info 4/2, S. 8 – 14, 1997.
[3] B. Jeanneret, A. Rüfenacht, F. Overney, «The Josephson Locked Synthesizer: a State of the Art Quantum Based AC Voltage Source», METinfo 18/1, S. 4 – 9, 2011.
[4] CISPR 16-1-2, «Anforderungen an Geräte und Einrichtungen. Teil 1-2: Festlegung der Verfahren zur Messung der hochfrequenten Störaussendung (Funkstörungen) und Störfestigkeit», Ausgabe 1.2.2006.
Kommentare
Schenk,
Es ist mir nicht erinnerlich, dass mir in meiner Berufspraxis je Unsicherheiten durch Kalibrierung von Messgeräten bewusst geworden wären. Wer ist in der Praxis von solchen Unsicherheiten betroffen?
W. Schenk
Der Begriff der Messunsicherheit ist in der Metrologie (Messwesen) sehr wichtig. Er beschreibt die Qualität eines Messergebnisses. Jeder, der seine Messfähigkeiten professionell verkauft, jeder Hersteller, der vorgegebene Toleranzen erreichen möchte, muss die Qualität seiner Messgeräte kennen. Die Unsicherheit der Messgerätekalibrierungen ist deshalb ein wichtiger Teil davon.
Frédéric Pythoud