Tüfteln für die nächste Akkugeneration
Forschung
Unsere zunehmend digitalisierte Gesellschaft beruht auf Strom aus Akkus. Die gängigen Modelle stossen jedoch punkto Kosten, Sicherheit und Kapazität an Grenzen. Auch in der Schweiz wird deshalb an neuen Systemen geforscht. Geht es nach der EU, so soll Europa sogar eine eigene Batterieindustrie aufbauen, um die Abhängigkeit von asiatischen Herstellern zu reduzieren.
Corsin Battaglia ist derzeit ein gefragter Mann. Der Leiter der Abteilung «Materials for Energy Conversion» an der Empa in Dübendorf empfängt regelmässig Vertreter von Batterieherstellern. In seinem Büro, wo Flipcharts und Wandtafeln mit Chemie- und Mathematikformeln übersät sind, gibt er den Angereisten Einblick in seine Forschung. «Die Industrievertreter sind alle aus demselben Grund hier: Keiner will ‹das nächste grosse Ding› verpassen», erzählt er. Das nächste grosse Ding wäre in diesem Fall der nächste Technologiesprung in der Batteriefertigung.
Batterien für die Fahrzeugrevolution
27 Jahre ist es her, seit der japanische Consumer-Electronics-Konzern Sony die erste Lithium-Ionen-Batterie auf den Markt brachte. Sie ermöglichte eine neue Generation von tragbarer Elektronik, wie Smartphones und Tablets. Seither hat die Lithium-Ionen-Batterie die Welt erobert – vor allem in der Form wiederaufladbarer Akkus zur Speicherung von Strom. Alleine 2017 wurden weltweit zwei Milliarden Smartphone-Akkus und 350 Millionen Tablet- und Laptop-Akkus produziert. Hinzu kommen Akkus für portable Bohrmaschinen, Hörgeräte, kabellose Kopfhörer, Elektrovelos, -autos und -busse.
Der aktuelle Boom hinsichtlich Elektromobilität hat der Nachfrage nach effizienten Batterien nochmals einen Schub verliehen. Zwar sind immer noch verhältnismässig wenig Elektrofahrzeuge auf den Strassen zu sehen. 2017 wurden in Deutschland lediglich 25'056 Elektroautos zugelassen. Das soll sich jedoch bald ändern. 2030 sollen 30% der Fahrzeuge von einem Elektromotor angetrieben werden, der durch einen Akku mit Strom gespiesen wird. Das zumindest will die «EV30@30»-Kampagne, die von zwölf Industrieländern, darunter die Vereinigten Staaten, China und Deutschland, getragen wird. Sollen sich jedoch Elektroautos künftig am Markt durchsetzen, so müssen sie vergleichbare Reichweiten wie Benzin- oder Dieselfahrzeuge erreichen. Das wiederum ist nur mit höheren Energiedichten, mehr Effizienz und geringerem Gewicht der Akkus möglich. Und mit tieferen Preisen: Heute entfallen durchschnittlich 40% der Kosten eines Elektrofahrzeugs auf den Akku. Hinzu kommen Fragen der Nachhaltigkeit: Die Produktion von Akkus erfordert Unmengen an Energie. Stammt diese aus Kohle- oder Atomkraftwerken, sieht die Ökobilanz schlecht aus. Zugleich werden mit zunehmender Elektromobilität auch Fragen des Recyclings von verbrauchten Akkus wichtiger.
Welche Herausforderungen sich den Herstellern auf dem Weg der Elektrifizierung stellen, zeigt sich exemplarisch bei Tesla. Wie die meisten Automobilhersteller musste sich das Unternehmen die neue Kernkompetenz der Batterieentwicklung mangels eigener Erfahrung zukaufen. Es ging dafür eine enge Kooperation mit dem japanischen Unternehmen Panasonic ein. Die Batterie des Model 3, das mit über 150'000 Stück bislang meistverkaufte Elektroauto, wiegt 478 kg und macht etwas mehr als ein Viertel des Gesamtgewichts von 1,7 t aus. «Der Tesla wirkt heute wie ein Auto mit einem grossen Anhänger voller Batterien», kommentiert Battaglia.
Substitution kritischer Rohstoffe
Battaglia bittet zum Rundgang durch seine Labors: Hier suchen 25 Mitarbeitende u. a. nach Wegen, um die etablierte Lithium-Ionen-Batterie zu verbessern. «Wir gehen davon aus, dass die Energiedichte von heutigen Lithium-Ionen-Batterien noch um 30 bis 40 Prozent erhöht werden kann», sagt er. Gleichzeitig experimentieren die Forschenden mit alternativen Materialien für die zentralen Bestandteile einer Batterie: für die Kathode, die den Pluspol bildet, die Anode, die den Minuspol bildet, und für den Elektrolyten, der den Lithium-Ionen-Austausch zwischen Kathode und Anode gewährleistet. Die Priorität von Battaglias Abteilung liegt weniger auf der Substituierung des Lithiums, sondern des Kobalts, das in klassischen Lithium-Ionen-Batterien zur Fertigung der Kathode genutzt wird. Kobalt wurde von der EU als kritisches Rohmaterial deklariert, weil das Risiko eines Versorgungsengpasses und die Abhängigkeit hoch sind. Mehr als 60% der bekannten Reserven liegen in der Demokratischen Republik Kongo und werden vorwiegend von chinesischen Bergbauunternehmen im grossen Stil abgebaut. Als mögliche Alternativen zu Kobalt laufen an der Empa derzeit Versuche mit Nickel- und Vanadium-Kathoden. Vielversprechend sind zudem Natrium-Ionen-Batterien mit Kathoden aus Mangan und Eisen; beides Materialien, die in der Natur ausreichend verfügbar sind.
Im Batterielabor
Im «Battery Coating Lab» der Empa finden Battaglias Mitarbeitende sämtliche Apparaturen, um kleine Knopfbatterien für Experimente herzustellen. Dafür werden zuerst eigene Batteriematerialien mit einem Polymerbinder und Lösungsmittel zu einer viskosen Paste vermengt. Diese wird anschliessend auf eine Aluminium- oder Kupferfolie aufgetragen und unter Luftausschluss getrocknet. Mit einer Presse wird die Beschichtung verdichtet. Schliesslich werden die beiden Elektroden für Anode und Kathode von Hand aus der Folie gestanzt. Der Zusammenbau der Batterie erfolgt dann in einer Handschuh-Laborbox unter Luftausschluss in Argon. Dies ist nötig, weil hier der Elektrolyt zur Batterie gegeben wird. Bereits geringste Anteile Wasser können die Batterie beeinträchtigen oder zerstören.
Die Spezifikationen der hier produzierten Laborbatterien werden im Nebenlabor unter kontrollierten Bedingungen getestet. Dafür stehen grosse Lade-/Entladestationen bereit. Mit diesen können gleichzeitig bis zu 180 Knopfbatterien mit Lade-/Entladezyklen von wenigen Minuten bis zu 40 Stunden getestet werden. In einem dritten Labor finden Forschende zudem zwei klobige Röntgenstrahlgeräte: Damit untersuchen sie das Innenleben der Batterien und wie sich dieses über die Betriebsdauer verändert.
Battaglias Abteilung verfolgt zur Entwicklung von Lithium-Ionen- und Natrium-Ionen-Batterien auch andere Pfade auf dem Weg «zum nächsten grossen Ding». Vielversprechend sind Festkörperbatterien. Anstelle einer leicht entflammbaren Elektrolytflüssigkeit für den Ionentransport werden ionenleitende Feststoffe eingesetzt. Solche Batterien können schneller aufgeladen werden, weil sie höhere Temperaturen aushalten. Zudem erhoffen sich Entwickler höhere Energiedichten durch den Einsatz von Lithium-Metall-Anoden und -Kathoden, die eine höhere Zellspannung ermöglichen. Und schliesslich sollen sie weniger gefährlich sein, weil sie keinen brennbaren Elektrolyten enthalten. Tests haben gezeigt, dass Feststoffbatterien bei einem Unfall mit Brand unversehrt bleiben, während herkömmliche Batterien explodieren können. Derzeit wird weltweit mit verschiedenen Materialien für feste Elektrolyten experimentiert. Die Empa hat kürzlich einen anorganischen Borat-Elektrolyten präsentiert, der vielversprechende Eigenschaften besitzt. «Wir stehen noch ganz am Anfang», sagt Corsin Battaglia. «Welches System sich im Bereich der Festkörperbatterie industriell durchsetzen wird, ist noch völlig offen.»
Europäische Aufholjagd
Weniger offen sind die Erwartungen von Wirtschaft und Politik: Anfang 2018 hat die EU-Kommission Batterieexperten aus ganz Europa nach Brüssel eingeladen – auch Battaglia war vor Ort. Dort stellte die Kommission ihre «European Battery Alliance» vor. Dahinter steckt die Einsicht, dass die Batterietechnologie ein Herzstück einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft ist – und damit auch ein riesiger Markt. Die EU-Verantwortlichen rechneten vor, dass die europäische Batterieproduktion – getrieben von der Elektromobilität – einst zu einer 250-Milliarden-Euro-Industrie werden könnte. Zudem argumentierten sie, dass eine solche Industrie für den Automobilsektor und damit für zwölf Millionen Beschäftigte in Europa von zentraler Bedeutung ist.
Doch Europa hat ein Problem: Es beherbergt derzeit weniger als ein Prozent der globalen Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Batterien. Ein Dutzend asiatischer Unternehmen, darunter die südkoreanischen Giganten Samsung und LG sowie Panasonic in Japan und eine Reihe chinesischer Konzerne, teilen sich den Markt untereinander auf. Das schafft Abhängigkeiten. «Auch Schweizer Unternehmen haben heute zwischenzeitlich Probleme, Batteriezellen aus Asien zu beziehen, weil sie manchmal von den Unternehmen zurückgehalten werden», so Battaglia.
Hier kommt nun die Festkörperbatterie ins Spiel: Die EU hat darin eine Chance erkannt, ihren Rückstand in der Batterieproduktion aufzuholen. Sprich: Mit der Entwicklung und Einführung einer komplett neuen Batteriengeneration soll gleich auch die entsprechende Industrie aufgebaut werden. Die Europäische Kommission schätzt die Investitionsanforderungen auf 20 Milliarden Euro für den Aufbau von zehn bis zwanzig Grossfabriken. Bereits hat sich die europäische Investitionsbank mit einem Darlehen von 52,5 Millionen Euro an einer Demonstrationsfabrik des schwedischen Unternehmens «Northvolt» beteiligt. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, die «grünste» Batterie der Welt zu kompetitiven Preisen auf den Markt zu bringen. Derzeit sei auch ein viertes EU-Flagship-Programm im Gespräch, weiss Corsin Battaglia. Darüber könnten bis zu einer Milliarde Forschungsgelder für die Entwicklung neuer Batterietechnologien gesprochen werden. Diesen Februar kündigte die Empa zusammen mit der Fraunhofer-Gesellschaft an, für die Verfahrensentwicklung und den Prototypenbau von Festkörperbatterien zusammenzuspannen. Im dreijährigen Projekt «IE4B» sollen die wichtigsten technischen Barrieren für die industrielle Fertigung von Festkörperbatteriezellen beseitigt und der Weg für eine europäische Technologieführerschaft geebnet werden.
Es ist jedoch umstritten, ob eine solche Aufholjagd auf die asiatische Konkurrenz sinnvoll ist. Forschende der «Energy Politics Group» der ETH Zürich haben im September im renommierten Magazin «Science» vor einem Alleingang der EU gewarnt. Die industrielle Grossproduktion von Batteriezellen sei komplex und erfordere sehr viel Erfahrung, warnten sie. Und diese liege eindeutig bei den asiatischen Herstellern. Von der Entdeckung eines neuen Batteriematerials bis zur Kommerzialisierung einer Batteriezelle vergingen oft 20 Jahre, so die Autoren. Sie argumentieren, dass Europa auch mit einem Technologiesprung nur Schritt für Schritt aufholen könne und dafür gezielt von der Konkurrenz lernen müsse – auch über Kooperationen. Entscheidend sei zudem der Aufbau eines eigenen Marktes. Dies vor allem durch Stärkung der eigenen Elektrofahrzeug-Industrie, indem Emissionsreduktionsvorgaben weiter verschärft würden. Corsin Battaglia anerkennt diese Bedenken. Gleichzeitig ist er überzeugt, dass Europa im Bereich der Batterieforschung führend ist und deshalb in guter Position, um neue Technologien auf den Markt zu bringen.
Grundlage für Schweizer Energiewende
Das gelte auch für die Schweiz. Hier werden die Forschungsanstrengungen durch den Bund in Rahmen der Kompetenzzentren für Energieforschung (SCCER) gefördert. Die Initiative zielt anders als in Deutschland nicht in erster Linie auf die Automobilindustrie, sondern auf die bevorstehende Energiewende von fossilen und atomaren Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien. Grossbatterien spielen in dezentralisierten Stromnetzwerken mit steigenden Anteilen von temporär verfügbaren Energien, wie Wind und Photovoltaik, eine zunehmend wichtige Rolle. EKZ hat 2018 den grössten Batteriespeicher der Schweiz mit einer Leistung von 18 MW in Betrieb genommen. Er dient in erster Linie zur Stabilisierung des Netzes, könnte aber theoretisch 18 500 Einwohner während 8 bis 12 Minuten mit Strom versorgen.
Doch auch die EKZ-Batterie beruht noch auf herkömmlicher Lithium-Ionen-Technologie. «Weil sie derzeit am günstigsten und dauerhaftesten ist», weiss Battaglia. Alternativen gäbe es durchaus: Salzschmelzbatterien zum Beispiel. Sie kommen wie die Festkörperbatterien ohne brennbare Elektrolyt-Lösungsmittel aus und die eingesetzten Rohstoffe sind unkritisch. Statt Kobalt kommt Nickel zum Einsatz, das zugleich sechsmal billiger ist. Dafür müssen die Batterien für den Betrieb jedoch auf rund 300 °C erwärmt werden. Das Tessiner Unternehmen «FZSoNick», mit dem die Empa zusammenarbeitet, gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Salzschmelzbatterien. Telekomunternehmen nutzen sie bereits für die Notstromversorgung von Mobilfunkantennen. Laut «FZSoNick» sind die Batterien zu 100% rezyklierbar. Man dürfe sich jedoch im Hinblick auf den Einsatz von Batterien für die Energiewende keine Illusionen machen, mahnt Battaglia: «Grossbatterien werden unsere Herausforderungen bezüglich der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien nicht komplett lösen. Batterien eignen sich sehr gut, um Solarstrom auch in der Nacht bereitzustellen. Um überschüssige Energie vom Sommer in den Winter zu verlagern, sind Batterien aber nicht geeignet.» Dafür sei die Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder andere synthetische Brennstoffe sinnvoller.
Battaglia bezweifelt mittlerweile, dass es «das nächste grosse Ding» tatsächlich geben wird, wie es sich viele Industrievertreter erhoffen: «Wahrscheinlich werden sich verschiedene Batterietypen für unterschiedliche Anwendungen durchsetzen – jeweils für deren Einsatz optimiert in Hinblick auf die drei zentralen Kriterien Leistung, Kosten und Sicherheit.»
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