Fachartikel Installationstechnik

Tren­nungs­abstände für Blitz­schutz­systeme

Vergleich SN-EN 62305-3 und SNR 464022

29.11.2023

Damit bei einem Blitz­einschlag in ein Gebäude keine Überschläge zwischen dem Blitz­schutz­system und sonstigen leitenden Teilen entstehen, ist zwischen ihnen ein Abstand nötig. Der minimale Abstand hängt dabei von der geforderten Blitz­schutz­klasse und der jeweiligen Situation ab. Zwei Normen regeln dies in der Schweiz.

In der Schweiz ist die Berechnung des nötigen Trennungs­abstands in zwei Normen geregelt. Einerseits gibt es die europäische Norm SN-EN 62305-3:2011, «Blitzschutz – Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen», die die Blitz­schutz­aus­legung sehr ausführlich beschreibt. Für Praktiker, die Anlagen planen oder überprüfen, ist die Anwendung dieser Norm deshalb aufwendig. Damit Blitzschutzsysteme von kleineren Bauten schneller und einfacher erstellt werden können, wurde in der Schweiz eine Vereinfachung der SN-EN eingeführt: die SN-Regel SNR 464022 «Blitzschutzsysteme».

Da der Tren­nungs­abstand in beiden Normen unter­schiedlich berechnet wird, müssen sich die Planer von Blitz­schutz­anlagen überlegen, welche Berech­nungs­art sie in der Praxis wählen. In dieser Unter­suchung wurden die Berech­nungs­methoden nach SNR und SN-EN anhand verschie­dener Auslegungs­beispiele in Bezug auf die resul­tieren­den Tren­nungs­abstände verglichen.

Berechnungsarten der Abstände nach SN-EN

Die SN-EN führt mehrere Methoden auf, um den Tren­nungs­abstand zu berechnen. Die Grundformel ist bei allen Varianten gleich. Sie wird je nach Ansatz erweitert.

Die SN-EN unterscheidet zwischen drei Ansätzen: Einem Standardansatz, einem vereinfachten sowie einem ausführlichen Ansatz, der für die Berechnung von verzweigten Ableitersystemen verwendet wird.

Der vereinfachte Ansatz der SN-EN berücksichtigt bei der Länge der Ableiter nur die vertikale Distanz. Auch werden in dieser Berech­nungs­methode höchstens drei Ableiter berücksichtigt. Zusätzlich darf der vereinfachte Ansatz nur für Gebäude benutzt werden, deren Höhe mindestens einen Viertel der grössten horizontalen Ausdehnung des Bauwerks beträgt. Dies ist der einzige Ansatz, mit dem Situationen mit einem einzigen Ableiter berechnet werden können. Für die Betrachtung von Teilsystemen ist dies zwar sehr nützlich, aber nach diesem Ansatz werden die Tren­nungs­abstände für die meisten Gebäudeformen grösser sein als die des Standardansatzes, weil Ableiter ignoriert werden, falls mehr als drei davon verbaut sind.

Der Standardansatz der SN-EN berücksichtigt hingegen alle Ableiter eines Gebäudes. Bei dieser Berech­nungs­methode wird neben der vertikalen auch die horizontale Distanz der Ableiter berücksichtigt. Die kc-Werte werden bei diesem Ansatz mit einer zusätzlichen Formel berechnet. Die zweite Formel berücksichtigt, ob zwischen den Ableitern ein grosser oder kleiner Abstand vorhanden ist.

Dieser Ansatz liefert oft die kürzesten Tren­nungs­abstände und ist somit eine gute Wahl für die Berechnung. Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass seine Anwendung aufwendiger ist als die des vereinfachten Ansatzes oder des SNR-Ansatzes.

Der detaillierte Ansatz der SN-EN kann verwendet werden, um die Tren­nungs­abstände in verzweigten oder vermaschten Leitersystemen genauer zu berechnen. Beispielsweise bei einem Maschennetz auf dem Dach. Dazu wird jedem Leiterabschnitt ein eigener Wert für «kc» zugewiesen. Die einzelnen kc-Werte werden anschliessend mit der Länge der jeweiligen Leiterabschnitte multipliziert. Die Längen (l1, l2 …) beschreiben in diesem Ansatz die vertikalen sowie auch die horizontalen Distanzen.

Zwar darf der detaillierte Ansatz in jeder Situation für die Bestimmung der Tren­nungs­abstände genutzt werden, aber er ist viel aufwendiger als die anderen Berech­nungs­methoden. Falls möglich, sollte daher mit einem anderen Ansatz gestartet werden. Falls die Tren­nungs­abstände anschliessend noch genauer benötigt werden, kann dieser Ansatz versucht werden. Es hängt aber von der konkreten Situation ab, ob der detaillierte Ansatz kürzere oder längere Tren­nungs­abstände liefert.

Ansatz nach der SNR

Die Berechnung des Tren­nungs­abstands nach der SNR ist eine Vereinfachung des Standardansatzes der SN-EN. Hier wird der Tren­nungs­abstand jedoch mithilfe des Gebäudeumfangs und des maximal zulässigen Abstands zwischen den Ableitern ermittelt. Weil die SNR im Gegensatz zur SN-EN das Isolationsmaterial nicht berücksichtigt, werden für alle Isolierstoffe gleich grosse Trennabstände errechnet. Falls möglich, sollte daher ein anderer Ansatz gewählt werden, wenn der «km-Wert» höher als 0,5 ist.

Vergleich der Methoden

In Tabelle 1 werden die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren gegenübergestellt.

Für einen anschaulichen Vergleich der Berech­nungs­methoden werden die Tren­nungs­abstände in Beispielszenarien bestimmt. Die Beispiele sind wie folgt aufgebaut: An quaderförmigen Gebäuden (Bild 1) werden Ableiter angebracht, die auf dem Dach miteinander verbunden sind. Nun wird angenommen, dass ein Blitz in das Dach einschlägt. Der nötige Tren­nungs­abstand wird nach dem Ansatz der SNR, dem vereinfachten und dem Standardansatz der SN-EN berechnet. Der detaillierte Ansatz der SN-EN wurde nicht verwendet, weil dieser eine andere Ausgangslage erfordert als die anderen Ansätze und daher nur schwer mit ihnen verglichen werden kann. Die erhaltenen Tren­nungs­abstände werden mit dem Abstand nach dem Standardansatz der SN-EN normiert, um erkennen zu können, welche Ansätze kürzere oder längere Tren­nungs­abstände generieren.

In den folgenden Vergleichs­diagrammen sind jeweils fünf Situationen abgebildet. Gemäss Tabelle 2 sind vier der fünf Beispiele Gebäude unterschiedlicher Grösse; der Blitz schlägt in den Dachrand ein. Beim fünften Beispiel (E) schlägt der Blitz in ein identisches Gebäude ein wie im vierten Beispiel (D), allerdings in der Mitte des Dachs. So wird der Unterschied zwischen den Methoden, welche die horizontale Länge der Ableiter ignorieren und jenen, die sie berücksichtigen, sichtbar.

In Bild 2 werden an verschiedenen Gebäudeformen Ableiter im Abstand von 10 m verlegt. Dies entspricht dem maximalen Abstand der Blitzschutzklasse 1. Als Isolationsmaterial wird Beton angenommen. Man sieht, dass der Ansatz der SNR in allen fünf Fällen die grössten Tren­nungs­abstände liefert. Im Beispiel E schlägt der Blitz in die Mitte des Daches ein. Weil der vereinfachte Ansatz der SN-EN den horizontalen Weg der Ableiter auf dem Dach vernachlässigt, ist dieser Tren­nungs­abstand kürzer als nach dem Standardansatz. Ansonsten bietet der SN-EN-Standardansatz den kürzesten Tren­nungs­abstand. Es ist auch erkennbar, dass die relativen Abweichungen der Tren­nungs­abstände untereinander zunehmen, wenn die Gebäude gross sind. Die Gebäudehöhe hat dabei einen grösseren Einfluss als die Breite.

In Bild 3 wird der Abstand zwischen den Ableitern an der Gebäudefassade auf 5 m gekürzt. Die Ansätze der SNR und SN-EN-Standard berücksichtigen die erhöhte Anzahl der Ableiter und ergeben kürzere Tren­nungs­abstände. Der vereinfachte Ansatz der SN-EN tut dies jedoch nicht, weil alle Gebäude mehr als drei Ableiter haben und dieser Ansatz weitere Ableiter nicht berücksichtigt. Auch ist sichtbar, dass beim kleinsten Gebäude (Beispiel A) der Ansatz der SNR nun den kleinsten Tren­nungs­abstand liefert. Der Grund dafür ist, dass die Rechnung der SNR vom Gebäudeumfang und der Anzahl Ableiter abhängt. Ist der Umfang klein und die Anzahl der Ableiter gross, werden die Tren­nungs­abstände klein. In diesem Beispiel wurde die Blitzschutzanlage über­dimen­sioniert, denn in der Praxis wird selten ein 20x20x10 m Gebäude (Beispiel A) mit 16 Aussenableitern versehen, so wie es hier der Fall ist. Durch die Über­dimensio­nierung entsteht ein aussergewöhnlicher Fall, bei dem die SNR kleinere Tren­nungs­abstände liefert als die SN-EN.

In Bild 4 ist die Distanz zwischen den Ableitern wiederum 10 m und somit gleich wie in Bild 2. Aber diesmal wurde das Isolationsmaterial im Tren­nungs­abstand als Luft angenommen. Man sieht, dass die Ansätze der SN-EN nun kleinere Trennungsdistanzen ergeben als mit Beton als Isolierstoff. Bei der SNR-Rechnung bleiben die Trennabstände identisch. Damit sind sie gegenüber der SN-EN noch stärker über­dimen­sioniert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Tren­nungs­abstand nach SNR der fünfzehn Beispiele nur bei einem Beispiel (Beispiel A, 5 m, Beton) kürzer ist als die Abstände, welche die SN-EN fordert. Man sieht zudem, dass der Stan­dard­ansatz der SN-EN meist kürzere Tren­nungs­abstände als der vereinfachte Ansatz ergibt. In einigen Fällen kann der vereinfachte Ansatz zwar kürzere Abstände liefern, allerdings gibt es in der SN-EN-Norm einige Limitierungen für diese Fälle, beispielsweise, dass beim vereinfachten Ansatz die Gebäudehöhe nicht kleiner als ein Viertel der maximalen Gebäudebreite sein darf oder dass nicht mehr als drei Ableiter für die Berechnung des Tren­nungs­abstandes berücksichtigt werden.

Erkenntnisse

Die Analyse der Auslegungsbeispiele hat gezeigt, dass keine Methode stets die kürzesten Tren­nungs­abstände ergibt. Es hängt von der Situation ab, mit welcher Berech­nungs­methode man die kürzesten Tren­nungs­abstände erhält. Allerdings liefert der Stan­dard­ansatz der SN-EN bei einfach geformten Gebäuden oft die kürzesten Tren­nungs­abstände oder zumindest solche, die gegenüber der kürzesten Variante nur geringfügig über­dimen­sioniert sind. Der Stan­dard­ansatz ist daher eine gute erste Wahl zur Bestimmung der Tren­nungs­abstände, weil diese mit überschaubarem Aufwand ermittelt werden können. Falls noch kürzere Tren­nungs­abstände gewünscht sind, kann der detaillierte Ansatz für verzweigte Systeme versucht werden. Der detaillierte Ansatz kann aber, trotz des erheblichen Mehraufwands, je nach Situation immer noch längere Tren­nungs­abstände liefern als der Stan­dard­ansatz.

Sowohl die SN-EN als auch die SNR sind in der Schweiz gültig. Da aber die SNR auf Basis der SN-EN erstellt wurde, dürfte sie nie einen geringeren Schutz zulassen als die SN-EN. In den erwähnten Beispielen war dies auch meistens der Fall. Einzig bei einem Beispiel eines kleinen Hauses mit stark über­dimen­sioniertem Blitzschutz kann die SNR einen kleineren Tren­nungs­abstand ergeben als die Berech­nungs­methoden der SN-EN. Da diese Situation in der Praxis aber sehr selten anzutreffen ist, kann gesagt werden, dass die SNR für die allermeisten Bauwerke der SN-EN unterliegt und mindestens den gleichen Schutz bietet.

Autor
Marcel Glanzmann

ist Assistent an der BFH.

  • BFH, 3400 Burgdorf
Autor
Patrick Noth

ist Elektroingenieur bei der BKW.

  • BKW Energie AG, 3072 Oster­mundigen
Autor
Prof. Dr. Roman Grinberg

ist Professor für Hoch­span­nungs­technik und EMV an der BFH.

  • BFH, 3400 Burgdorf

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