Trennungsabstände für Blitzschutzsysteme
Vergleich SN-EN 62305-3 und SNR 464022
Damit bei einem Blitzeinschlag in ein Gebäude keine Überschläge zwischen dem Blitzschutzsystem und sonstigen leitenden Teilen entstehen, ist zwischen ihnen ein Abstand nötig. Der minimale Abstand hängt dabei von der geforderten Blitzschutzklasse und der jeweiligen Situation ab. Zwei Normen regeln dies in der Schweiz.
In der Schweiz ist die Berechnung des nötigen Trennungsabstands in zwei Normen geregelt. Einerseits gibt es die europäische Norm SN-EN 62305-3:2011, «Blitzschutz – Teil 3: Schutz von baulichen Anlagen und Personen», die die Blitzschutzauslegung sehr ausführlich beschreibt. Für Praktiker, die Anlagen planen oder überprüfen, ist die Anwendung dieser Norm deshalb aufwendig. Damit Blitzschutzsysteme von kleineren Bauten schneller und einfacher erstellt werden können, wurde in der Schweiz eine Vereinfachung der SN-EN eingeführt: die SN-Regel SNR 464022 «Blitzschutzsysteme».
Da der Trennungsabstand in beiden Normen unterschiedlich berechnet wird, müssen sich die Planer von Blitzschutzanlagen überlegen, welche Berechnungsart sie in der Praxis wählen. In dieser Untersuchung wurden die Berechnungsmethoden nach SNR und SN-EN anhand verschiedener Auslegungsbeispiele in Bezug auf die resultierenden Trennungsabstände verglichen.
Berechnungsarten der Abstände nach SN-EN
Die SN-EN führt mehrere Methoden auf, um den Trennungsabstand zu berechnen. Die Grundformel ist bei allen Varianten gleich. Sie wird je nach Ansatz erweitert.
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Die SN-EN unterscheidet zwischen drei Ansätzen: Einem Standardansatz, einem vereinfachten sowie einem ausführlichen Ansatz, der für die Berechnung von verzweigten Ableitersystemen verwendet wird.
Der vereinfachte Ansatz der SN-EN berücksichtigt bei der Länge der Ableiter nur die vertikale Distanz. Auch werden in dieser Berechnungsmethode höchstens drei Ableiter berücksichtigt. Zusätzlich darf der vereinfachte Ansatz nur für Gebäude benutzt werden, deren Höhe mindestens einen Viertel der grössten horizontalen Ausdehnung des Bauwerks beträgt. Dies ist der einzige Ansatz, mit dem Situationen mit einem einzigen Ableiter berechnet werden können. Für die Betrachtung von Teilsystemen ist dies zwar sehr nützlich, aber nach diesem Ansatz werden die Trennungsabstände für die meisten Gebäudeformen grösser sein als die des Standardansatzes, weil Ableiter ignoriert werden, falls mehr als drei davon verbaut sind.
Der Standardansatz der SN-EN berücksichtigt hingegen alle Ableiter eines Gebäudes. Bei dieser Berechnungsmethode wird neben der vertikalen auch die horizontale Distanz der Ableiter berücksichtigt. Die kc-Werte werden bei diesem Ansatz mit einer zusätzlichen Formel berechnet. Die zweite Formel berücksichtigt, ob zwischen den Ableitern ein grosser oder kleiner Abstand vorhanden ist.
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Dieser Ansatz liefert oft die kürzesten Trennungsabstände und ist somit eine gute Wahl für die Berechnung. Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass seine Anwendung aufwendiger ist als die des vereinfachten Ansatzes oder des SNR-Ansatzes.
Der detaillierte Ansatz der SN-EN kann verwendet werden, um die Trennungsabstände in verzweigten oder vermaschten Leitersystemen genauer zu berechnen. Beispielsweise bei einem Maschennetz auf dem Dach. Dazu wird jedem Leiterabschnitt ein eigener Wert für «kc» zugewiesen. Die einzelnen kc-Werte werden anschliessend mit der Länge der jeweiligen Leiterabschnitte multipliziert. Die Längen (l1, l2 …) beschreiben in diesem Ansatz die vertikalen sowie auch die horizontalen Distanzen.
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Zwar darf der detaillierte Ansatz in jeder Situation für die Bestimmung der Trennungsabstände genutzt werden, aber er ist viel aufwendiger als die anderen Berechnungsmethoden. Falls möglich, sollte daher mit einem anderen Ansatz gestartet werden. Falls die Trennungsabstände anschliessend noch genauer benötigt werden, kann dieser Ansatz versucht werden. Es hängt aber von der konkreten Situation ab, ob der detaillierte Ansatz kürzere oder längere Trennungsabstände liefert.
Ansatz nach der SNR
Die Berechnung des Trennungsabstands nach der SNR ist eine Vereinfachung des Standardansatzes der SN-EN. Hier wird der Trennungsabstand jedoch mithilfe des Gebäudeumfangs und des maximal zulässigen Abstands zwischen den Ableitern ermittelt. Weil die SNR im Gegensatz zur SN-EN das Isolationsmaterial nicht berücksichtigt, werden für alle Isolierstoffe gleich grosse Trennabstände errechnet. Falls möglich, sollte daher ein anderer Ansatz gewählt werden, wenn der «km-Wert» höher als 0,5 ist.
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Vergleich der Methoden
In Tabelle 1 werden die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren gegenübergestellt.
Für einen anschaulichen Vergleich der Berechnungsmethoden werden die Trennungsabstände in Beispielszenarien bestimmt. Die Beispiele sind wie folgt aufgebaut: An quaderförmigen Gebäuden (Bild 1) werden Ableiter angebracht, die auf dem Dach miteinander verbunden sind. Nun wird angenommen, dass ein Blitz in das Dach einschlägt. Der nötige Trennungsabstand wird nach dem Ansatz der SNR, dem vereinfachten und dem Standardansatz der SN-EN berechnet. Der detaillierte Ansatz der SN-EN wurde nicht verwendet, weil dieser eine andere Ausgangslage erfordert als die anderen Ansätze und daher nur schwer mit ihnen verglichen werden kann. Die erhaltenen Trennungsabstände werden mit dem Abstand nach dem Standardansatz der SN-EN normiert, um erkennen zu können, welche Ansätze kürzere oder längere Trennungsabstände generieren.
![<b>Bild 1</b> Darstellung der Situation beim Vergleich der Berechnungsmethoden für den Trennungsabstand.](files/content/news-articles/B_Artikel/Archiv/2023/2308/B_2308_Grinberg/B_2308_Grinberg_Bild_1.png)
In den folgenden Vergleichsdiagrammen sind jeweils fünf Situationen abgebildet. Gemäss Tabelle 2 sind vier der fünf Beispiele Gebäude unterschiedlicher Grösse; der Blitz schlägt in den Dachrand ein. Beim fünften Beispiel (E) schlägt der Blitz in ein identisches Gebäude ein wie im vierten Beispiel (D), allerdings in der Mitte des Dachs. So wird der Unterschied zwischen den Methoden, welche die horizontale Länge der Ableiter ignorieren und jenen, die sie berücksichtigen, sichtbar.
In Bild 2 werden an verschiedenen Gebäudeformen Ableiter im Abstand von 10 m verlegt. Dies entspricht dem maximalen Abstand der Blitzschutzklasse 1. Als Isolationsmaterial wird Beton angenommen. Man sieht, dass der Ansatz der SNR in allen fünf Fällen die grössten Trennungsabstände liefert. Im Beispiel E schlägt der Blitz in die Mitte des Daches ein. Weil der vereinfachte Ansatz der SN-EN den horizontalen Weg der Ableiter auf dem Dach vernachlässigt, ist dieser Trennungsabstand kürzer als nach dem Standardansatz. Ansonsten bietet der SN-EN-Standardansatz den kürzesten Trennungsabstand. Es ist auch erkennbar, dass die relativen Abweichungen der Trennungsabstände untereinander zunehmen, wenn die Gebäude gross sind. Die Gebäudehöhe hat dabei einen grösseren Einfluss als die Breite.
![<b>Bild 2</b> Vergleich von Trennungsabstandsrechnungen mit einer Distanz zwischen den Ableitern von 10 m und Beton als Isolationsmaterial.](files/content/news-articles/B_Artikel/Archiv/2023/2308/B_2308_Grinberg/B_2308_Grinberg_Bild_2.png)
In Bild 3 wird der Abstand zwischen den Ableitern an der Gebäudefassade auf 5 m gekürzt. Die Ansätze der SNR und SN-EN-Standard berücksichtigen die erhöhte Anzahl der Ableiter und ergeben kürzere Trennungsabstände. Der vereinfachte Ansatz der SN-EN tut dies jedoch nicht, weil alle Gebäude mehr als drei Ableiter haben und dieser Ansatz weitere Ableiter nicht berücksichtigt. Auch ist sichtbar, dass beim kleinsten Gebäude (Beispiel A) der Ansatz der SNR nun den kleinsten Trennungsabstand liefert. Der Grund dafür ist, dass die Rechnung der SNR vom Gebäudeumfang und der Anzahl Ableiter abhängt. Ist der Umfang klein und die Anzahl der Ableiter gross, werden die Trennungsabstände klein. In diesem Beispiel wurde die Blitzschutzanlage überdimensioniert, denn in der Praxis wird selten ein 20x20x10 m Gebäude (Beispiel A) mit 16 Aussenableitern versehen, so wie es hier der Fall ist. Durch die Überdimensionierung entsteht ein aussergewöhnlicher Fall, bei dem die SNR kleinere Trennungsabstände liefert als die SN-EN.
![<b>Bild 3</b> Trennungsabstandsvergleich mit 5 m Distanz zwischen den Ableitern und Beton als Isolationsmaterial.](files/content/news-articles/B_Artikel/Archiv/2023/2308/B_2308_Grinberg/B_2308_Grinberg_Bild_3.png)
In Bild 4 ist die Distanz zwischen den Ableitern wiederum 10 m und somit gleich wie in Bild 2. Aber diesmal wurde das Isolationsmaterial im Trennungsabstand als Luft angenommen. Man sieht, dass die Ansätze der SN-EN nun kleinere Trennungsdistanzen ergeben als mit Beton als Isolierstoff. Bei der SNR-Rechnung bleiben die Trennabstände identisch. Damit sind sie gegenüber der SN-EN noch stärker überdimensioniert.
![<b>Bild 4</b> Trennungsabstandsvergleich mit 10 m Distanz zwischen den Ableitern und Luft als Isolationsmaterial.](files/content/news-articles/B_Artikel/Archiv/2023/2308/B_2308_Grinberg/B_2308_Grinberg_Bild_4.png)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Trennungsabstand nach SNR der fünfzehn Beispiele nur bei einem Beispiel (Beispiel A, 5 m, Beton) kürzer ist als die Abstände, welche die SN-EN fordert. Man sieht zudem, dass der Standardansatz der SN-EN meist kürzere Trennungsabstände als der vereinfachte Ansatz ergibt. In einigen Fällen kann der vereinfachte Ansatz zwar kürzere Abstände liefern, allerdings gibt es in der SN-EN-Norm einige Limitierungen für diese Fälle, beispielsweise, dass beim vereinfachten Ansatz die Gebäudehöhe nicht kleiner als ein Viertel der maximalen Gebäudebreite sein darf oder dass nicht mehr als drei Ableiter für die Berechnung des Trennungsabstandes berücksichtigt werden.
Erkenntnisse
Die Analyse der Auslegungsbeispiele hat gezeigt, dass keine Methode stets die kürzesten Trennungsabstände ergibt. Es hängt von der Situation ab, mit welcher Berechnungsmethode man die kürzesten Trennungsabstände erhält. Allerdings liefert der Standardansatz der SN-EN bei einfach geformten Gebäuden oft die kürzesten Trennungsabstände oder zumindest solche, die gegenüber der kürzesten Variante nur geringfügig überdimensioniert sind. Der Standardansatz ist daher eine gute erste Wahl zur Bestimmung der Trennungsabstände, weil diese mit überschaubarem Aufwand ermittelt werden können. Falls noch kürzere Trennungsabstände gewünscht sind, kann der detaillierte Ansatz für verzweigte Systeme versucht werden. Der detaillierte Ansatz kann aber, trotz des erheblichen Mehraufwands, je nach Situation immer noch längere Trennungsabstände liefern als der Standardansatz.
Sowohl die SN-EN als auch die SNR sind in der Schweiz gültig. Da aber die SNR auf Basis der SN-EN erstellt wurde, dürfte sie nie einen geringeren Schutz zulassen als die SN-EN. In den erwähnten Beispielen war dies auch meistens der Fall. Einzig bei einem Beispiel eines kleinen Hauses mit stark überdimensioniertem Blitzschutz kann die SNR einen kleineren Trennungsabstand ergeben als die Berechnungsmethoden der SN-EN. Da diese Situation in der Praxis aber sehr selten anzutreffen ist, kann gesagt werden, dass die SNR für die allermeisten Bauwerke der SN-EN unterliegt und mindestens den gleichen Schutz bietet.
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