Fachartikel Energienetze , ICT , Messtechnik

Transienten im Nieder­span­nungs­netz

Transiente Spannungsereignisse

01.12.2023

Bei vielen Power-Quality-Messungen im Netz wurden öfter transiente Span­nungs­einbrüche von bis zu 200 V auf­ge­zeichnet. Eine Erklärung für dieses Phänomen wurde bisher nicht ab­schlies­send gefunden. Mit verschie­denen Mess­kampagnen konnte die PQ-Fachstelle der BKW nun eine konkrete Quelle für diese Span­nungs­transienten identifizieren.

Im Verteilnetz der BKW wurden transiente Spannungs­änderungen festgestellt, bei denen die Spannung im oberen oder unteren Bereich der Sinus­halb­welle für etwa 0,1 bis 0,5 ms einbrach, begleitet von einer Stromspitze (Bild 1). Registriert wurde das Phänomen von der Hüllkurven­trigger­funktion des Oszilloskops eines PQ-Messgeräts. Diese transienten Vorgänge stehen zwar nicht in direktem Zusammen­hang mit der Power Quality, aber es ist im Interesse der PQ-Fach­gruppe der BKW, die Quelle dieser Phänomene zu identifizieren.

Die Transienten wurden mit einer praktischen Methode erforscht: Verschiedene Messungen wurden im Hoch- und Nieder­span­nungs­netz der BKW durchgeführt, wobei auf eine grosse Anzahl von PQ-Messungen in der Region Wohlen bei Bern zurück­gegriffen wurde. Zusätzliche Labor­messungen an spezifischen Ver­brau­chern halfen, das Phänomen besser zu verstehen.

Um auszuschliessen, dass diese transienten Spannungs­einbrüche und Strom­spitzen nicht ein Resultat von Ereignissen im Hoch­spannungs­netz waren, wurde eine mehrwöchige Messung in der Unterstation Mühleberg auf der 132-kV-Sammelschiene durchgeführt. Die Messung bestätigte, dass diese Transienten nicht im Hoch­spannungs­netz auftraten.

Flächendeckende Messungen in Trafostationen

Im Raum Wohlen bei Bern hat die BKW in diversen Trafostationen (TS) statio­näre PQ-Messgeräte installiert. Im Zeitraum vom 9.5.2022 bis 19.5.2022 wurden 23 dieser Messgeräte für die Transienten­messung eingesetzt. Die Auswertung (Bild 2) zeigt, dass in dieser Zeit bei allen Trafostationen der Hüll­kurven­trigger wegen transienten Spannungs­einbrüchen angesprochen hat. Bei sieben TS wurden weniger als fünf Transienten registriert. Die meisten Tran­sienten traten bei vier TS auf, wobei die TS Alpenblick mit 1315 regis­trierten Transienten heraussticht. Diese TS in Uettligen versorgt ein Schulhaus und viele Einfamilien­häuser. Mit knapp 800 Ereignissen liegt die TS Schleipfen an zweiter Stelle. Dies ist ein Mast-Trafo, der nur drei Hausanschlüsse versorgt.

Der Vergleich der Transienten auf einer Zeitachse zeigt, dass sie bei allen TS zu unter­schied­lichen Zeiten registriert wurden. Da ein gemeinsames Muster nicht erkennbar ist, liegt die Quelle der Transienten lokal in den jeweiligen Trafokreisen. Sie werden nicht spürbar über das Mittel­spannungs­netz übertragen.

Bei der TS Alpenblick werden die Transienten häufiger auf Phase L1 und meist während den Arbeitszeiten gemessen, was mit der dort angeschlossenen Schule zusammenhängen könnte. Bei der TS Talmatt und Schleipfen sind die Transienten hingegen ohne erkennbare Regelmässigkeit messbar (Bild 3).

Basierend auf den Erkenntnissen dieser flächendeckenden Messkampagne wurde anschliessend eine fokussierte Messkampagne im Trafokreis Schleipfen durchgeführt. Diese wird im Folgenden beschrieben.

Messung Trafokreis Schleipfen

Beim Trafokreis Schleipfen handelt es sich um einen Mast-Trafo, der drei Hausanschlüsse versorgt – ein Bauernhaus und zwei Wohnhäuser. Dieser Trafokreis bietet eine gute Ausgangslage für eine Prüfung der angeschlossenen Verbraucher und für fokussierte Messungen. In der Hauptverteilung des Bauernhauses sowie jener des angrenzenden Auszugshauses (Mundart «Stöckli») wurde je ein PQ-Messgerät (PQ-Box 200) eingebaut. Die Messungen zeigen, dass die Transienten über den ganzen Tag verteilt auftreten, jedoch öfter in den Abendstunden und weniger oft in der Nacht und in den Morgenstunden. Zwischen etwa 3:30 und 5:30 Uhr wurde keine einzige Transiente registriert. Zudem deuten die Messungen an, dass diverse Transienten an beiden Messpunkten simultan auftreten – also eine gegenseitige Wechselwirkung vorhanden ist. Vermutlich breiten sich diese Stromtransienten über die Sekundärwicklung des Trafos auf die anderen Phasen aus. Ausserdem wurden die Verbraucher an beiden Anschlüssen visuell geprüft. Bei den Verbrauchern handelt es sich um gewöhnliche Geräte, Maschinen und Anlagen, wie sie auf Bauernhöfen und in Haushalten vorkommen. Es wurde kein auffälliger Verbrauchertyp gefunden. Die Quelle dieser Transienten in diesem Trafokreis wäre daher nur über längeres Ausschalten der einzelnen Sicherungsgruppen lokalisierbar, was bei diesen Anschlüssen verständlicherweise nicht möglich war. Die Feldmessungen erlauben folgende Schlüsse:

Lokales Phänomen: Die Transienten werden von lokalen Verbrauchern verursacht und verbreiten sich nicht über das Mittelspannungsnetz.

Kein Einfluss auf die Hochspannung: Es kann kein Einfluss der Transienten auf die Hoch­spannungs­ebene gemessen werden.

Häufigkeit: Die Transienten treten bei allen gemessenen TS auf, jedoch nur bei vier in konzentrierter Form (309- bis 1315-mal in 20 Tagen)

Teilweise simultanes Auftreten: Die Transienten treten teilweise an zwei Messpunkten im NS-Netz gleichzeitig auf und werden vermutlich über die Sekundär­wicklung des Trafos übertragen.

Die beschriebenen Mess­kampagnen erlauben den Schluss, dass die Transienten von alltäglichen Verbrauchern im NS-Netz verursacht werden.

Labormessung

Gestützt auf die Erkenntnis, dass die Transienten durch gewöhn­liche Ver­brau­cher verursacht werden, wurden ver­schiedene elektro­nische Verbraucher aus Haushalten (Laptops, Mobiltelefone, Tablets und Fernseher) im Labor mit einem PQ-Messgerät (PQ-Box 200) ausgemessen, um die Quelle der Transienten zu identifizieren. Die Messungen zeigten dabei klar, dass die Transienten von den Netzteilen der Verbraucher verursacht wurden. Beispielhaft ist in Bild 4 der Strom- und Spannungs­verlauf aufgezeigt, der beim Einstecken eines Laptop-Netzteils gemessen wurde. Die Ströme betrugen im 10-ms-Mittelwert beim Einstecken nur rund 7 A. Anhand der Oszilloskop­aufnahme ist aber erkennbar, dass die Stromspitze deutlich höher ansteigt – auf etwa 85 A. Jede dieser Einschaltspitzen verursacht einen transienten Spannungs­einbruch. Dieses Einschalt­verhalten kann bei allen gemessenen Verbrauchern beobachtet werden.

Die Messungen zeigen, dass die Einschaltströme beim Einstecken von Laptop-Netzteilen – unabhängig vom Hersteller – Werte von 80 bis 100 A erreichen. Bei kleineren Geräten, Tablets und Mobiltelefonen, liegt der Einschaltstrom mit 45 A und 15 A tiefer.

Die Labormessung wurde analog im Feld wiederholt. Dabei wurden dieselben Geräte bei einer Steckdose in einer Hausinstallation ein- und ausgesteckt, während ein zusätzliches PQ-Messgerät in der vorgelagerten Trafostation die Spannungen und Ströme aufzeichnete. Dabei konnte eindeutig bewiesen werden, dass die Strom- und Spannungs­transienten, die beim Einstecken der Netzteile entstehen, auch in der vorgelagerten Trafostation messbar sind. Die beim Trafo gemessenen transienten Spannungs­einbrüche erreichten dabei Werte von bis zu 100 V.

Schlussfolgerungen aus der Labormessung:

Grösse der Transienten: Die Einschaltspitzen bei den Laptop-Netzteilen betragen zwischen 80 und 100 A. Die Spannung fällt dabei um 190 bis 220 V ab. Bei kleineren Geräten ist der Einschaltstrom – und somit der Spannungs­einbruch – kleiner.

Kurvencharakteristik: Alle Einschaltspitzen haben eine ähnliche Kurven­charakteristik – eine steile ansteigende Flanke mit einer Stirnzeit von ca. 50 bis 220 ms und eine Rücken­halb­wertszeit von ca. 150 bis 700 ms mit einer exponentiell abfallenden Charakteristik.

Gradient der Einschaltspitzen: Stirn- und Rücken­halb­wertszeit korrelieren mit der Höhe der Einschaltstromspitze. Der Gradient der ansteigenden Flanke ist also bei allen gemessenen Einschalt­spitzen ähnlich.

Lichtbogen: Die hohen Einschalt­transienten gehen oft mit einem Lichtbogen einher, der beim Einstecken des Verbrauchers an der Steckdose entsteht. Der Lichtbogen äussert sich in einer Oszillation von Strom und Spannung.

Einfluss auf NE6-Trafo: Die Transienten sind ebenfalls in der vorgelagerten Trafostation messbar.

Die aus den beschriebenen Feld- und Labor­messungen gewonnenen Erkenntnisse erlauben das folgende Fazit.

Fazit

Es konnte aufgezeigt werden, dass die Transienten, welche bei vielen Power-Quality-Messungen im Nieder­span­nungs­netz registriert werden, unter anderem durch alltägliche Verbraucher im Nieder­span­nungs­netz verursacht werden. Durch das Zuschalten der Netzteile von elektronischen Geräten ans Netz wurden Einschalt­spitzen von bis zu 100 A gemessen, welche die Spannung um bis zu 220 V einbrechen lassen.

Die Messungen zeigten, dass sich diese Transienten ebenfalls auf die vorgelagerte Trafostation auswirken, wo zeitgleich mit dem Zuschalten der Netzteile transiente Spannungs­einbrüche von bis zu 100 V gemessen wurden. Es ist naheliegend, dass neben den gemessenen Netzteilen noch weitere Verbraucher mit vergleichbaren elektrischen Eigenschaften solche Transienten verursachen. Zudem konnte anhand verschiedener Feldmessungen aufgezeigt werden, dass diese Transienten nur lokal im Nieder­span­nungs­netz auftreten und sich nicht auf die höheren Spannungs­ebenen ausbreiten. Nach aktueller Kenntnis haben diese Transienten auf die Verbraucher im Netz oder den Netzbetrieb keine nachweisbaren negativen Effekte.

Autor
Lukas Heiniger

ist Elektroingenieur bei der BKW.

  • BKW AG, 3203 Mühleberg
Autor
Philippe Rothermann

ist Leiter Netzbetrieb Planung & Engineering bei der BKW.

  • BKW AG, 3203 Mühleberg
Autor
Stefan Providoli

ist Redaktor beim VSEK.

  • VSEK, 5200 Brugg

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