Transienten im Niederspannungsnetz
Transiente Spannungsereignisse
Bei vielen Power-Quality-Messungen im Netz wurden öfter transiente Spannungseinbrüche von bis zu 200 V aufgezeichnet. Eine Erklärung für dieses Phänomen wurde bisher nicht abschliessend gefunden. Mit verschiedenen Messkampagnen konnte die PQ-Fachstelle der BKW nun eine konkrete Quelle für diese Spannungstransienten identifizieren.
Im Verteilnetz der BKW wurden transiente Spannungsänderungen festgestellt, bei denen die Spannung im oberen oder unteren Bereich der Sinushalbwelle für etwa 0,1 bis 0,5 ms einbrach, begleitet von einer Stromspitze (Bild 1). Registriert wurde das Phänomen von der Hüllkurventriggerfunktion des Oszilloskops eines PQ-Messgeräts. Diese transienten Vorgänge stehen zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Power Quality, aber es ist im Interesse der PQ-Fachgruppe der BKW, die Quelle dieser Phänomene zu identifizieren.
Die Transienten wurden mit einer praktischen Methode erforscht: Verschiedene Messungen wurden im Hoch- und Niederspannungsnetz der BKW durchgeführt, wobei auf eine grosse Anzahl von PQ-Messungen in der Region Wohlen bei Bern zurückgegriffen wurde. Zusätzliche Labormessungen an spezifischen Verbrauchern halfen, das Phänomen besser zu verstehen.
Um auszuschliessen, dass diese transienten Spannungseinbrüche und Stromspitzen nicht ein Resultat von Ereignissen im Hochspannungsnetz waren, wurde eine mehrwöchige Messung in der Unterstation Mühleberg auf der 132-kV-Sammelschiene durchgeführt. Die Messung bestätigte, dass diese Transienten nicht im Hochspannungsnetz auftraten.
Flächendeckende Messungen in Trafostationen
Im Raum Wohlen bei Bern hat die BKW in diversen Trafostationen (TS) stationäre PQ-Messgeräte installiert. Im Zeitraum vom 9.5.2022 bis 19.5.2022 wurden 23 dieser Messgeräte für die Transientenmessung eingesetzt. Die Auswertung (Bild 2) zeigt, dass in dieser Zeit bei allen Trafostationen der Hüllkurventrigger wegen transienten Spannungseinbrüchen angesprochen hat. Bei sieben TS wurden weniger als fünf Transienten registriert. Die meisten Transienten traten bei vier TS auf, wobei die TS Alpenblick mit 1315 registrierten Transienten heraussticht. Diese TS in Uettligen versorgt ein Schulhaus und viele Einfamilienhäuser. Mit knapp 800 Ereignissen liegt die TS Schleipfen an zweiter Stelle. Dies ist ein Mast-Trafo, der nur drei Hausanschlüsse versorgt.
Der Vergleich der Transienten auf einer Zeitachse zeigt, dass sie bei allen TS zu unterschiedlichen Zeiten registriert wurden. Da ein gemeinsames Muster nicht erkennbar ist, liegt die Quelle der Transienten lokal in den jeweiligen Trafokreisen. Sie werden nicht spürbar über das Mittelspannungsnetz übertragen.
Bei der TS Alpenblick werden die Transienten häufiger auf Phase L1 und meist während den Arbeitszeiten gemessen, was mit der dort angeschlossenen Schule zusammenhängen könnte. Bei der TS Talmatt und Schleipfen sind die Transienten hingegen ohne erkennbare Regelmässigkeit messbar (Bild 3).
Basierend auf den Erkenntnissen dieser flächendeckenden Messkampagne wurde anschliessend eine fokussierte Messkampagne im Trafokreis Schleipfen durchgeführt. Diese wird im Folgenden beschrieben.
Messung Trafokreis Schleipfen
Beim Trafokreis Schleipfen handelt es sich um einen Mast-Trafo, der drei Hausanschlüsse versorgt – ein Bauernhaus und zwei Wohnhäuser. Dieser Trafokreis bietet eine gute Ausgangslage für eine Prüfung der angeschlossenen Verbraucher und für fokussierte Messungen. In der Hauptverteilung des Bauernhauses sowie jener des angrenzenden Auszugshauses (Mundart «Stöckli») wurde je ein PQ-Messgerät (PQ-Box 200) eingebaut. Die Messungen zeigen, dass die Transienten über den ganzen Tag verteilt auftreten, jedoch öfter in den Abendstunden und weniger oft in der Nacht und in den Morgenstunden. Zwischen etwa 3:30 und 5:30 Uhr wurde keine einzige Transiente registriert. Zudem deuten die Messungen an, dass diverse Transienten an beiden Messpunkten simultan auftreten – also eine gegenseitige Wechselwirkung vorhanden ist. Vermutlich breiten sich diese Stromtransienten über die Sekundärwicklung des Trafos auf die anderen Phasen aus. Ausserdem wurden die Verbraucher an beiden Anschlüssen visuell geprüft. Bei den Verbrauchern handelt es sich um gewöhnliche Geräte, Maschinen und Anlagen, wie sie auf Bauernhöfen und in Haushalten vorkommen. Es wurde kein auffälliger Verbrauchertyp gefunden. Die Quelle dieser Transienten in diesem Trafokreis wäre daher nur über längeres Ausschalten der einzelnen Sicherungsgruppen lokalisierbar, was bei diesen Anschlüssen verständlicherweise nicht möglich war. Die Feldmessungen erlauben folgende Schlüsse:
Lokales Phänomen: Die Transienten werden von lokalen Verbrauchern verursacht und verbreiten sich nicht über das Mittelspannungsnetz.
Kein Einfluss auf die Hochspannung: Es kann kein Einfluss der Transienten auf die Hochspannungsebene gemessen werden.
Häufigkeit: Die Transienten treten bei allen gemessenen TS auf, jedoch nur bei vier in konzentrierter Form (309- bis 1315-mal in 20 Tagen)
Teilweise simultanes Auftreten: Die Transienten treten teilweise an zwei Messpunkten im NS-Netz gleichzeitig auf und werden vermutlich über die Sekundärwicklung des Trafos übertragen.
Die beschriebenen Messkampagnen erlauben den Schluss, dass die Transienten von alltäglichen Verbrauchern im NS-Netz verursacht werden.
Labormessung
Gestützt auf die Erkenntnis, dass die Transienten durch gewöhnliche Verbraucher verursacht werden, wurden verschiedene elektronische Verbraucher aus Haushalten (Laptops, Mobiltelefone, Tablets und Fernseher) im Labor mit einem PQ-Messgerät (PQ-Box 200) ausgemessen, um die Quelle der Transienten zu identifizieren. Die Messungen zeigten dabei klar, dass die Transienten von den Netzteilen der Verbraucher verursacht wurden. Beispielhaft ist in Bild 4 der Strom- und Spannungsverlauf aufgezeigt, der beim Einstecken eines Laptop-Netzteils gemessen wurde. Die Ströme betrugen im 10-ms-Mittelwert beim Einstecken nur rund 7 A. Anhand der Oszilloskopaufnahme ist aber erkennbar, dass die Stromspitze deutlich höher ansteigt – auf etwa 85 A. Jede dieser Einschaltspitzen verursacht einen transienten Spannungseinbruch. Dieses Einschaltverhalten kann bei allen gemessenen Verbrauchern beobachtet werden.
Die Messungen zeigen, dass die Einschaltströme beim Einstecken von Laptop-Netzteilen – unabhängig vom Hersteller – Werte von 80 bis 100 A erreichen. Bei kleineren Geräten, Tablets und Mobiltelefonen, liegt der Einschaltstrom mit 45 A und 15 A tiefer.
Die Labormessung wurde analog im Feld wiederholt. Dabei wurden dieselben Geräte bei einer Steckdose in einer Hausinstallation ein- und ausgesteckt, während ein zusätzliches PQ-Messgerät in der vorgelagerten Trafostation die Spannungen und Ströme aufzeichnete. Dabei konnte eindeutig bewiesen werden, dass die Strom- und Spannungstransienten, die beim Einstecken der Netzteile entstehen, auch in der vorgelagerten Trafostation messbar sind. Die beim Trafo gemessenen transienten Spannungseinbrüche erreichten dabei Werte von bis zu 100 V.
Schlussfolgerungen aus der Labormessung:
Grösse der Transienten: Die Einschaltspitzen bei den Laptop-Netzteilen betragen zwischen 80 und 100 A. Die Spannung fällt dabei um 190 bis 220 V ab. Bei kleineren Geräten ist der Einschaltstrom – und somit der Spannungseinbruch – kleiner.
Kurvencharakteristik: Alle Einschaltspitzen haben eine ähnliche Kurvencharakteristik – eine steile ansteigende Flanke mit einer Stirnzeit von ca. 50 bis 220 ms und eine Rückenhalbwertszeit von ca. 150 bis 700 ms mit einer exponentiell abfallenden Charakteristik.
Gradient der Einschaltspitzen: Stirn- und Rückenhalbwertszeit korrelieren mit der Höhe der Einschaltstromspitze. Der Gradient der ansteigenden Flanke ist also bei allen gemessenen Einschaltspitzen ähnlich.
Lichtbogen: Die hohen Einschalttransienten gehen oft mit einem Lichtbogen einher, der beim Einstecken des Verbrauchers an der Steckdose entsteht. Der Lichtbogen äussert sich in einer Oszillation von Strom und Spannung.
Einfluss auf NE6-Trafo: Die Transienten sind ebenfalls in der vorgelagerten Trafostation messbar.
Die aus den beschriebenen Feld- und Labormessungen gewonnenen Erkenntnisse erlauben das folgende Fazit.
Fazit
Es konnte aufgezeigt werden, dass die Transienten, welche bei vielen Power-Quality-Messungen im Niederspannungsnetz registriert werden, unter anderem durch alltägliche Verbraucher im Niederspannungsnetz verursacht werden. Durch das Zuschalten der Netzteile von elektronischen Geräten ans Netz wurden Einschaltspitzen von bis zu 100 A gemessen, welche die Spannung um bis zu 220 V einbrechen lassen.
Die Messungen zeigten, dass sich diese Transienten ebenfalls auf die vorgelagerte Trafostation auswirken, wo zeitgleich mit dem Zuschalten der Netzteile transiente Spannungseinbrüche von bis zu 100 V gemessen wurden. Es ist naheliegend, dass neben den gemessenen Netzteilen noch weitere Verbraucher mit vergleichbaren elektrischen Eigenschaften solche Transienten verursachen. Zudem konnte anhand verschiedener Feldmessungen aufgezeigt werden, dass diese Transienten nur lokal im Niederspannungsnetz auftreten und sich nicht auf die höheren Spannungsebenen ausbreiten. Nach aktueller Kenntnis haben diese Transienten auf die Verbraucher im Netz oder den Netzbetrieb keine nachweisbaren negativen Effekte.
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