Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Tausendsassa der Energieträger

Wasserkraft belegt in der Stromversorgung der Schweiz eine Spitzenposition

25.01.2017

Die Wasserkraft belegt in der Stromversorgung der Schweiz eine unangefochtene Spitzenposition. 60 % des in der Schweiz produzierten Stroms stammen aus der Wasserkraft. Das bedeutet auch im internationalen Vergleich einen Spitzenwert. Und ihre Bedeutung wird in Zukunft weiter zunehmen, der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation zum Trotz

Die Nutzung der Wasserkraft hat eine lange Tradition. Schon vor zirka 5000 Jahren machten sich die Menschen in China die Kraft des Wassers zunutze. Primär kam die Wasserkraft damals – und in den rund 4900 folgenden Jahren – in der Landwirtschaft zum Einsatz. Grosse Bedeutung erlangte die Wasserkraft in der Folge auch beim Betrieb von Mühlen aller Art. In elektrische Energie umgewandelt wurde Wasser erstmals 1866, dank Werner von Siemens Erfindung des elektrodynamischen Generators. Seither hat sich die Wasserkraft als eine der wichtigsten erneuerbaren Quellen für elektrischen Strom etabliert, die nicht mehr wegzudenken ist. Schon 1880 entstand im englischen Northumberland das erste Wasserkraftwerk, mit dem sich Strom erzeugen liess, und 1895 ging an den Niagarafällen in den USA das erste Grosswasserkraftwerk der Geschichte ans Netz.

In der Schweiz wird seit 1875 Strom aus Wasserkraft gewonnen. Ein findiger Hotelier nahm damals in St. Moritz eine durch Wasserkraft betriebene Beleuchtungsanlage in Betrieb. In der Folge avancierte die Wasserkraft zum wichtigsten Faktor in der Energieproduktion in unserem Land. 60 % des in der Schweiz produzierten Stroms stammten 2015 aus der Wasserkraft [1]. Mit diesem Wert reiht sich die Schweiz im europäischen Vergleich hinter Norwegen, Österreich und Island ganz weit vorne ein.

Ideale Bedingungen in der Schweiz

Natürlich sind die Voraussetzungen zur Nutzung der Wasserkraft in der Schweiz hervorragend: Das Dargebot ist umfangreich, und auch die Topografie eignet sich bestens zur Energiegewinnung. Dank einem nationalen Wasserrechtsgesetz, der kantonalen Wasserhoheit sowie den langen Konzessionsintervallen bestehen in der Schweiz auch stabile politische und gesetzliche Rahmenbedingungen. Darüber hinaus geniesst die Wasserkraft in der Schweizer Bevölkerung hohe Akzeptanz. Und dies nicht nur, weil der Energieträger Wasser erneuerbar ist und damit praktisch CO2-frei Energie produziert werden kann, sondern auch, weil damit Arbeitsplätze in Randregionen und strukturschwachen Gebieten geschaffen und gesichert werden.

Daneben besticht die Wasserkraft auch durch ihre ausgereifte Technologie und lange Lebensdauer. Und sie ist flexibel genug, um sowohl Band- als auch Spitzenenergie liefern zu können. Letzteres, weil Wasserkraft speicherbar und damit bedarfsgerecht abrufbar ist. Diese Möglichkeit, mit Wasserkraft Nachfragespitzen umgehend bedienen zu können, ist denn auch einer der grössten Vorteile.

Wasserkraft hat Systemrelevanz

Dank Speicherkraftwerken können nicht nur Nachfragespitzen, sondern auch witterungs- sowie tages- und jahreszeitbedingte Schwankungen anderer erneuerbarer Energien wie Wind oder Solarkraft ausgeglichen werden. Aufgrund ihrer Flexibilität darf die Wasserkraft als das Rückgrat der hohen Versorgungssicherheit in der Schweiz betitelt werden. Michael Frank, Direktor des VSE, formuliert es noch deutlicher: «Die Wasserkraft ist für die Schweizer Stromversorgung systemrelevant.» Der Wasserkraft käme darüber hinaus auch im Fall eines grossflächigen «Blackouts» entscheidende Bedeutung zu: Die Wiederinbetriebnahme des schweizerischen Netzes erfolgte in diesem Fall nämlich durch die Einspeisung von Strom aus Wasserkraftwerken, weil diese schwarzstartfähig sind, das heisst, sie brauchen nur sehr wenig Energie, um wieder Strom produzieren zu können.

Die Wasserkraft ist nicht nur für das heutige Energiesystem der Schweiz von grosser Wichtigkeit, sondern wird auch im Energiesystem der Zukunft eine zentrale Rolle einnehmen, da der absehbare Wegfall der Kernenergie in der Stromversorgung der Schweiz eine beträchtliche Lücke zur Folge haben wird. Dieses Delta wird auch die Wasserkraft ausgleichen müssen – direkt und indirekt. Das Potenzial der Wasserkraft wird zwar bereits heute nahezu optimal ausgeschöpft, weshalb eine Steigerung der produzierten Strommenge nur im kleinen Rahmen möglich ist. Die Flexibilität der Wasserkraft ermöglicht es jedoch, die anderen erneuerbaren, aber volatilen Energien wie Sonne und Wind besser ins Schweizer Energiesystem zu integrieren.

Unter Preisdruck

Die Wasserkraft kämpft bekanntlich aber mit finanziellen Schwierigkeiten – trotz ihrer Systemrelevanz. So liegen die Gestehungskosten von aus Wasserkraft gewonnener Energie über dem Marktpreis. Dies ist die Folge verschiedener Faktoren, wie zu tiefe CO2-Preise im EU-Emissionshandelssystem, tiefe Gas- und Kohlepreise auf den internationalen Märkten – auch infolge weltweiter Schiefergasförderung –, tiefer Stromverbrauch aufgrund des geringen Wirtschaftswachstums in Europa und starke Förderung erneuerbarer Energien in einigen Ländern Europas. Diese auf globalen Energiemärkten erzeugten Rahmenbedingungen machen der Wasserkraft das Leben schwer und führen zu Wettbewerbsverzerrungen und Stromüberfluss.

Das Parlament hat sowohl die Bedeutung als auch die Situation der Wasserkraft erkannt und im Rahmen der Beratung zur Energiestrategie 2050 erste Massnahmen ergriffen, um die Lage der Wasserkraft etwas zu entspannen. Das System der Marktprämien greift Grosswasserkraftwerken, die ihre Produktion unter Gestehungskosten am Markt absetzen müssen und dadurch Verluste einfahren, finanziell unter die Arme. Ausserdem sollen auch die anderen erneuerbaren Energien an den Markt – und damit weg von den Subventionen – geführt werden. Das ist ein wichtiger Schritt zu faireren Bedingungen.

Kaum Emissionen

Wasserkraft ist nicht nur erneuerbar, sondern auch sehr emissionsarm. Zwar produzieren Speicher- und Flusswasserkraftwerke die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan. Der Anteil der Wasserkraft am globalen Ausstoss von CO2 und Methan bleibt mit nur gerade etwa 0,5 Prozent [2] aber marginal.

Bei Stauseen hängt die Menge der produzierten Gase primär vom Ausmass des Bewuchses vor der Stauung ab. Mit fortschreitendem Abbau der ursprünglich vorhandenen Vegetation nimmt der Ausstoss dieser Stoffe kontinuierlich ab. Weil das Gros der Schweizer Stauseen in alpinen Gegenden mit karger Vegetation und ausserdem schon vor mehreren Jahrzehnten errichtet worden ist, produzieren diese Kraftwerke heute wenig bis keine Treibhausgase mehr. Dass sie hauptsächlich mit kaltem Gletscherwasser gespeist werden, bremst den Zersetzungsprozess von organischem Material zusätzlich.

Gleichgewichtung von «Schutz und Nutzen»

Obwohl die Wasserkraft im Betrieb also kaum Emissionen verursacht, bedeutet jeder Bau eines Wasserkraftwerks einen mehr oder weniger starken Eingriff in den lokalen Wasserhaushalt. Um die Auswirkungen solcher Eingriffe zu minimieren, hat der Bund entsprechende Gesetze erlassen. So verlangt das Bundesgesetz über die Fischerei, dass beim Bau eines Wasserkraftwerks Massnahmen getroffen werden müssen, welche den Fischen freie Wanderung innerhalb der Gewässer ermöglichen sollen. Geradezu musterhaft wurden diese Vorgaben beim Wasserkraftwerk Hagneck am Bielersee umgesetzt. Punktgenau platzierte Steinblöcke gewährleisten ideale Strömungsverhältnisse innerhalb des grosszügig angelegten Umgehungsgerinnes. Ausserdem renaturiert die Bielersee Kraftwerke AG den Unterwasserlauf des alten Wasserkraftwerks, wodurch eine ausgedehnte Auenlandschaft entsteht.

Gleichermassen rücksichtsvoll werden Neu- und Umbauten heute auch in die bestehende Landschaft integriert. Der Anstrich der Hagneck-Anlagen wurde exakt dem Farbton des hier vorherrschenden Felsgesteins angepasst. Generell schreibt das Gewässerschutzgesetz seit 2011 Anlagebetreibern und -inhabern vor, negative Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf die Gewässer bis 2030 zu reduzieren. Das Ziel dieser Bemühungen und Massnahmen ist, Flüsse, Bäche und Seeufer wieder aufzuwerten. Einst getätigte und heute womöglich als übermässig wahrgenommene Eingriffe in Natur und Landschaft sollen in einem Masse rückgängig gemacht werden, das erlaubt, ökonomische und ökologische Anforderungen miteinander zu vereinbaren. Generell ist aber bei Betreibern von Wasserkraftwerken das Bewusstsein für einen nachhaltigen Betrieb ihrer Anlagen stark ausgeprägt. Weil die Wasserkraft jedoch auch eine zentrale Rolle spielt, um dem Anspruch der Gesellschaft auf eine sichere Stromversorgung zu entsprechen, ist immer wieder aufs Neue die richtige Balance zu finden, um «Schutz» und «Nutzen» adäquat zu berücksichtigen.

Ob Wasserkraft auch in 5000 Jahren noch die gleiche zentrale Bedeutung für die Schweizer Energieversorgung haben wird wie bisher, werden dereinst die Nachfolger heutiger Historiker herausfinden müssen. Für die nächsten paar Generationen wird sie jedoch mit grosser Sicherheit die bedeutendste einheimische und erneuerbare Energiequelle bleiben.

Referenzen

[1]   BFE: Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2015.
[2]   SWV: «Sind Stauseen schädlich für das Klima?», Faktenblatt, 2012/rev. 2016.

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

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