Fachartikel Energienetze , ICT

Synergien von Strom- und Breitbandnetz

Strategie einer Energie- und Telekom-Genossenschaft

27.04.2020

Wie soll sich ein lokales Versorgungsunternehmen angesichts der Innovationen und Herausforderungen beim Strom- und Breitband-Netz positionieren? Die Elektra Sissach verfolgt die Synergien von Strom- und Breitbandnetz, während sie ihre lokale Verankerung und ihre Organisation für die Zukunft stärkt.

Das gemeindeweite Stromnetz der Elektra Sissach versorgt beinahe 4500 Strombezüger, während ihr Breitbandnetz fast 2400 Breitbandkunden erreicht. Auch wenn dieses lokale Versorgungsunternehmen technisch aktuell und wirtschaftlich gesund dasteht, ist es dennoch mit verschiedenen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft konfrontiert.

Im Stromnetz gibt es den Trend zur Dezentralisierung mit dynamischeren Verbrauchern und Prosumern, z. B. Wärmepumpen, Elektroauto-Ladestationen, PV-Anlagen und Batteriespeichern. Daraus ergeben sich entsprechende Aufgaben für das EVU.[1] Dazu kommen kommerzielle Fragestellungen bei der Tarifgestaltung, nicht zuletzt durch die erwartete weitere Liberalisierung des Strommarkts.

Das heutige Hybrid-Fiber-Coaxial-Telekomnetz (HFC) ist wie das Stromnetz am regionalen Versorger Genossenschaft Elektra Baselland (EBL) angeschlossen und nutzt bereits die Signale und Produktpaletten der zwei Breitbandanbieter UPC und
breitband.ch. Der aktuelle technische Betriebsstandard und abnehmende Kundenzahlen erfordern eine epochale Erneuerung und Investition, um sich im rasch entwickelnden Breitbandmarkt behaupten zu können. Diese Herausforderungen sind vergleichbar mit denen anderer Kabelnetzunternehmen.[2]

In Zusammenarbeit mit dem Competence Center Energiewirtschaft der Hochschule Luzern wurde in dieser Unternehmenssituation eine Strategie formuliert, um die Elektra Sissach angesichts der Innovationen und Herausforderungen im Strom- und Breitband-Umfeld optimal zu positionieren und voranzubringen.

Synergie-Strategie

Da die Elektra Sissach abhängig von nationalen bzw. regionalen Strom- und Breitband-Firmen ist, hat sie sich für einen proaktiven Ansatz entschlossen: Sie möchte ihr Mandat zur hochqualitativen Versorgung der Gemeinde, ihrer Einwohner und Institutionen eigenständig erfüllen.

Die Essenz ihrer Strategie für die nächsten Jahre besteht in der synergistischen Kombination von Strom und Breitband in Richtung eines Smart Grid und FTTH-Glasfasernetzes. Statt der erwogenen Alternativen, zum Beispiel dem Verkauf des HFC-Netzes mit Ausstieg aus der Telekom und dem DOCSIS-Upgrade (Data Over Cable Service Interface Specification), setzt sie auf ein modernes FTTH-Netz für den ganzen Ort. Parallel dazu wird das Stromnetz für besseres Monitoring, Last- und Verbrauchs-Management sowie automatische Auslesung der Smart Meter ausgebaut. Ausser den Vorteilen des gemeinsamen Baus und Betriebs strebt die Elektra Sissach auch die Stärkung ihrer lokalen Verankerung und ihrer Organisation als solches an. So sollen insbesondere das Eigentum an den Netzen und die entsprechende Entscheidungshoheit in Sissach gehalten werden.

Mit dieser Form der «Sektorkonvergenz» stellt sich die Elektra Sissach neu auf und gibt ihrer Telekomsparte mehr Gewicht als bisher. Dazu wird sie sich auf dem freieren Breitband-Markt neue Ertragschancen eröffnen und Wettbewerbserfahrung sowie tieferes Kundenverständnis gewinnen, was ihr als EVU auch auf dem zukünftigen Strommarkt nutzen wird.

Nach dem bereits erfolgten glasfaserbasierten Anschluss der Transformatoren an das neue Leitsystem sieht die Umsetzung der Strategie nun vordringlich den Ausbau des FTTH-Netzes in den kommenden drei Jahren vor. Parallel dazu erfolgen die Vorbereitungen und schliesslich die flächendeckende Installation von Smart Metern sowie Massnahmen zur Unterstützung der E-Mobilität.

Natürlich fordert diese Synergie-Strategie mit generationenübergreifenden Infrastrukturbauten das kleine EVU auf Jahre, finanziell und organisatorisch. Deshalb hat die Elektra Sissach eine umfassende Vorbereitung durchgeführt. Für ihre Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsstudie hat sie sich mit Expertenrat, Referenzbesuchen bei anderen EVUs und mittels erfahrenen Planungspartnern das nötige Know-how zusammengetragen. Besonderer Wert wurde auf die Wirtschaftlichkeit mit Szenarioanalysen gelegt, um zu verifizieren, dass das FTTH-Netz eine vernünftige und verlässliche Amortisationsdauer aufweist. Ausserdem wurde eine unabhängige Qualitätssicherung des technischen Konzepts durchgeführt.

Stromnetz

Bei ihrem Stromnetz strebt die Elektra Sissach die Bewahrung der traditionellen Verlässlichkeit an, aber auch die sinnvolle Fortentwicklung für neue technische und kommerzielle Optionen.

Dazu soll das Stromnetz intelligenter werden, für besseres Netz-Management im Tagesverlauf und saisonal, aber auch für die voranschreitende stärkere Dezentralisierung. Das durch das FTTH mögliche verlässliche und häufigere Auslesen der Smart Meter und der künftige Ersatz der traditionellen Rundsteuerung helfen dem EVU, seinen Netzbau und -betrieb besser zu gestalten. Investitionen ins Stromnetz dürften künftig fokussierter und mit geringerer Leistungsreserve erfolgen.

Auf der Prosumer-Seite kann das smartere Stromnetz ausreichend Flexibilität einräumen, aber auch die Bereitstellung von EVU-eigenen Dienstleistungen für Kunden und Partner ermöglichen: Letzteres dient der optimalen Verbrauchssteuerung oder innovativen Leistungsangeboten in den Liegenschaften wie Eigenverbrauchsoptimierung und Smart Home. Auch für weitere technische Lösungen und Geschäftsmodelle wird die Elektra Sissach mit ihrem weiterentwickelten Stromnetz gut aufgestellt sein, je nachdem was Regulierung, Marktbedarf und Technikangebote in den kommenden Jahren verlangen bzw. ermöglichen.

Konkret werden im Moment zur Umsetzung der Stromnetz-Strategie eine Studie zur Positionierung des EVU für die E-Mobilität durchgeführt, Anpassungen der Tarifstruktur evaluiert und der Investitionsplan für den weiteren Umbau des Stromnetzes aktualisiert.

FTTH

Bezüglich Netztopologie entschied man sich sozusagen für die Maximallösung: für ein Punkt-zu-Punkt-FTTH auf der Basis des Standards des Bundesamts für Kommunikation. Nachdem nun in allen grossen Städten und in vielen anderen Regionen und Gemeinden der Schweiz Glasfasernetze existieren, konnte man auf zahlreiche Erfahrungen zurückgreifen. Auch wenn Sissach in der Schweiz nicht zu den ersten ortsweiten FTTH-Netzen gehören wird, ist der Sprung zu einem faseroptischen Ortsnetz immer noch auf absehbare Zeit die modernste und chancenreichste Option. Ein DOCSIS-Upgrade würde nur wenige Jahre Neuwert schaffen, während das FTTH-Netz eine neue Technik-Generation darstellt, mit mehr Möglichkeiten und besserer Konvergenz mit dem Stromnetz.

Mit der für diese Netzgrösse üblichen Investition im mittleren bis hohen einstelligen CHF-Millionen-Bereich erhält die Elektra Sissach in drei Jahren die Anbindung aller Stromnetzelemente, einen Building Entry Point (BEP) in jeder Liegenschaft und einen Optimal Termination Outlet (OTO) für alle bisherigen Nutzereinheiten. Mit dem gleichzeitigen Abbau des HFC- Netzes werden die technische und die finanzielle Komplexität reduziert, die volle Migration auf das FTTH ermöglicht und damit auch die niedrigeren Betriebskosten realisiert.

Die FTTH-Nutzer in Sissach können bei höchstem Datendurchsatz durch die offene Architektur von mehr Anbietern und Diensten profitieren. Die Gemeinde wird damit der erste Ort in der Region mit einer derart leistungsfähigen Breitband-Infrastruktur.

Stärkung der lokalen Verankerung und Organisation

Nicht zuletzt deshalb hat die Elektra Sissach von Beginn an die enge Abstimmung mit der Gemeindeverwaltung und den bestehenden Strom- und Telekom-Partnern gesucht. Die Genossenschafter als Eigentümer der Elektra Sissach wurden frühzeitig informiert und eingebunden, genauso wie das lokale Radio-TV-Fachgeschäft. Letzteres ergänzt die Elektra Sissach bei der Beratung, dem Verkauf, der Installation und der Betreuung im Kontext des FTTH-Netzes.

Über diese lokale Verankerung hinaus hat sich die Elektra Sissach erprobte Partner für die Formulierung und Umsetzung der Strategie, zu Netzplanung und -bau sowie insbesondere zum Marketing verpflichtet. Eine juristische Begleitung sorgt u. a. für die Anpassung des Genossenschaftsreglements und die Ausgestaltung der Anschlussverträge mit den Liegenschaftseigentümern.

Angesichts der ehrgeizigen Synergie-Strategie ist sich die Elektra Sissach bewusst, dass sie als Organisation weiter reifen muss, sowohl für die Projektarbeiten wie auch im laufenden Betrieb. Das FTTH-Netz erfordert eine hohe Qualität der techniknahen, kundenbezogenen und administrativen Prozesse, erstere sogar mit vertraglichen Qualitätsvereinbarungen (Service-Level Agreement, SLA), z. B. für Service-Freischaltungen und Störungsbehebung. Mit der komplexeren Produktwelt in der Telekomsparte ist die Elektra Sissach rund um die Kundenbeziehungen stärker gefordert; sie lernt mehr über Kunden-Charakteristika und -Bedürfnisse, was ihr später bei einem auch für Kleinverbraucher liberalisierten Strommarkt Nutzen bringen wird.

In Zeiten der Digitalisierung und angesichts der Netzkonvergenz ist klar, dass die Elektra Sissach auch ihre Datenbestände und IT-Systeme weiterentwickeln muss. Über bereits vorgenommene Massnahmen zur Verbesserung der Datenqualität von erfassten Liegenschaften (z. B. Einführung von Eidgenössischen Gebäude- bzw. Wohneinheits-IDs) und Kundentypen wird die regulatorisch geforderte Trennung der Kundenbestände für Stromnetz, Energie und Telekom sichergestellt. Für die IT-Systemlandschaft bedeutet die Umsetzung der Synergie-Strategie eine engere Integration und automatisierte Schnittstellen.

Entsprechend ihrer Schlüsselrolle macht die Elektra Sissach auch ihr Personal für die neue, anspruchsvollere und enger verzahnte Strom- und Breitband-Welt bereit, mit Weiterbildungen und gezielter Ergänzung.

Fazit und Ausblick

Die Elektra Sissach ist überzeugt, mit ihrer Synergie-Strategie auf dem richtigen Weg zu sein. Bisher erhielt sie ein gutes Echo und Unterstützung von ihren Genossenschaftern und in der Gemeinde insgesamt. Nun steht die disziplinierte Umsetzung der Strategie im Vordergrund, unmittelbar anstehend insbesondere die Auswahl der richtigen Mischung von Angeboten und Anbietern für das FTTH-Netz sowie der zügige Bau und die geordnete Migration. Als konkrete Erfolgsfaktoren sind u. a. identifiziert:

  • gute Aufnahme der heutigen räumlichen und technischen Gegebenheiten in den Liegenschaften, zum überraschungsfreien und effizienten Ausbau zu und in den Gebäuden,
  • tiefes Verständnis für die Kundenbedürfnisse und proaktive Kommunikation mit allen Partnern für einen geordneten Übergang bei Technik, Verträgen und Diensten sowie die effiziente Behandlung von Ausnahmen,
  • Bereitschaft für neue regulatorische, technische und wirtschaftliche Entwicklungen und Einwirkungen, z. B. von Seiten der Konkurrenz, und die Reaktion darauf im Sinne der zugrundeliegenden Strategie sowie
  • Beobachtung und Herabsetzung der Risiken.

 

Mit ihrer Erfahrung können die Projektbeteiligten nun auch anderen Versorgungsunternehmen und Gemeinden in vergleichbarer Situation beratend zur Seite stehen.

Referenzen

[1] Christof Bucher, «Flexible Prosumer im Netzbetrieb», Bulletin, Nr. 6, S. 30–32, 2019.

[2] Iwan Nussbaumer, «Herausforderungen für Kabelnetzunternehmen – Auslegeordnung der Herausforderungen für KNU mit dem Zielmarkt Privatkunden auf den Ebenen Geschäftsmodelle, Dienste und Infrastruktur», EVU Partners AG, Aarau, 2019.

Link

www.hslu.ch/PowerEconomy

Autor
Dr. Achim Schneider

ist Forscher und Lehrbeauftragter im Competence Center Energiewirtschaft der Hochschule Luzern.

Autor
Stephan Jurt

ist Geschäftsleiter der Elektra Sissach.

  • Elektra Sissach
    4450 Sissach

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