Fachartikel Fachkräfte

Strukturen und Ganzheitlichkeit

Berufliches Gesundheits-Management

07.04.2022

Unternehmen und Arbeitgeber sind in der Pflicht, die Arbeitsumgebung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicher zu gestalten. Ein Überblick über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Präventionskultur in der Energiebranche.

«Es ist einfacher, eine Sache richtig zu machen, als zu erklären, warum man sie falsch gemacht hat.» Mit diesem Zitat fordert Henry Wadsworth Longfellow (1807–1888), rechtzeitig eine Situationsbeurteilung zu erstellen. Gerade psychische Belastungen rücken mit der Corona-Krise durch die wirtschaftliche Bedrängnis vieler Unternehmen, die zunehmend virtuelle Zusammenarbeit sowie ­weitere Herausforderungen in der Arbeitswelt in den Fokus. Zusätzlich zum Gesundheits-Management be­züglich Infektionen haben dadurch Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (ASGS) an Bedeutung zugenommen.

Zielsetzung(en)

Der Mensch ist die wertvollste Ressource eines Unternehmens. Es sollte daher eigentlich selbstverständlich sein, dass dem Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein besonderes Augenmerk geschenkt wird. Trotzdem müssen Massnahmen zur Verhütung von Berufsunfällen, Berufskrankheiten und gesundheitlichen Beschwerden am Arbeitsplatz durch den Staat verbindlich festgehalten werden. Hierbei gilt es zu beachten, dass, wenn Massnahmen zum Beispiel nur auf Basis der Androhung von Bestrafung umgesetzt werden, die Nachhaltigkeit vielfach nicht gegeben ist.[1] Der Mensch muss verstehen, dass es Sinn ergibt und zweckmässig ist, die vorgeschriebenen Massnahmen einzuhalten und umzusetzen. Der Mensch begeht aber auch Fehler, unbewusste Missgeschicke und Unterlassungen. Ein Beispiel dafür ist die breitflächige Diskussion über die Normen von Schutzmasken. Denn was nützt eine normkonforme und baumustergeprüfte Hygienemaske, wenn sie nicht korrekt getragen wird?

Gesetze für die Gesundheit und Sicherheit?

Die Gefahren der elektrischen Energie für Menschen und Gegenstände sowie die Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung führten in der Schweiz bereits im Jahr 1903 zur Legiferierung des noch gültigen Elektrizitätsgesetzes (EleG; SR 734.0), in welchem der Bundesrat aufgefordert wurde, Vorschriften zur Vermeidung von Gefahren und Schäden, welche durch Stark- und Schwachstromanlagen entstehen können, zu erstellen. Die Ausführungsbestimmung, die Starkstromverordnung vom 30. März 1994, reihte sich in Pionierleistungen ein. Es ist eine Vorschrift, welche in Art. 12 eine Verschriftlichung im Sinne eines systematischen Konzeptes für Betreiber elektrischer Anlagen verlangt. Der Einfluss des Rechts hat einen traditionellen Hintergrund und lenkte die Branche merklich zum sicheren Handeln.

Fachkräfte für Gesundheit und Sicherheit

Die Richtlinie über den Beizug von Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit, kurz ASA-Richtlinie, fordert die Betriebe dazu auf, Spezialisten beizuziehen, wenn es zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und -nehmer erforderlich ist. Als Spezialisten der Arbeitssicherheit gelten «Arbeitsärzte, Arbeitshygieniker, Sicherheitsingenieure und Sicherheitsfachleute, welche die Anforderungen über die Eignung der Spezialistinnen und Spezialisten der Arbeitssicherheit erfüllen oder Personen, welche die eidgenössische Berufsprüfung für Spezialistin und Spezialist für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (ASGS) erfolgreich absolviert haben, in der Funktion als Sicherheitsfachleute». Dazu zeigt das Bild unten die Stellung des Spezialisten ASGS in der Gesetzeshierarchie auf.

Die Pflicht des Arbeitgebers ist, zwecks Gewährleistung der Arbeitssicherheit, präventiv alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sind.

Was darunter zu verstehen ist, wird im Zehn-Punkte-ASA-Konzept präzisiert. In der Darstellung wurde die betriebliche Gesundheitsförderung aufgeführt; die dabei fehlende Nummerierung deutet auf die Freiwilligkeit hin. Es geht um strategische Ziele und daraus abgeleitete operative Massnahmen durch die Erzeugung einer Sicherheitskultur und durch explizite und formale Regelungen, wie es auch ein betriebliches Gesundheitsmanagement darstellt.

In der Schweiz ist die Gefährdungsbeurteilung zur Thematik Arbeitssicherheit inklusive Berufskrankheiten obligatorisch (Art. 11e VUV; SR 832.30), freilich erst ab einer gewissen Betriebsgrösse und einem gewissen Gefahrenpotenzial. Diverse Wirtschaftszweige haben Lösungen zur Beurteilung von Gefährdungen und Risiken mit branchenspezifischen Massnahmen erarbeitet (Link am Ende des Artikels). Der VSE hat die Ekas-Branchenlösung Nr.  5, welche 2021 rezertifiziert worden ist.

Im Recht wird die psychische Gesundheit, in der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz vom 18. August 1993 (ArGV 3; 822.113) explizit genannt. In den Verordnungen werden ergänzende Punkte beschrieben, die als relevant eingeschätzt werden, wie physikalische, chemische und biologische Einflüsse, Hygiene, Ergonomie und übermässig Beanspruchung. Beachtung fand im Regelwerk auch der Hinweis auf eine geeignete Arbeitsorganisation. Der Terminus «geeignet» führt dazu, dass zuerst die Judikative bemüht werden muss, damit der Rahmen verbindlich wird. Spezialisten und Spezialistinnen der Arbeitssicherheit Gesundheitsschutz, welche von den Unternehmen für die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen hinzugezogen werden, sollen die Anforderungen an vulnerable Zielgruppen (zum Beispiel Mutter- und Jugendschutz) bei der Beurteilung berücksichtigen (Art. 7 Abs. 3 ArGV 3; 822.113).

Diese rechtlichen Anforderungen haben auch für Netzelektrikerinnen und Netzelektriker in Ausbildung Gewicht. So wurden begleitende Massnahmen zu allen gefährlichen Arbeiten im Zusammenhang mit der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz formuliert.[3]

Arbeitssicherheit Gesundheitsschutz — ein Rundumblick

Die technischen Errungenschaften und die Verlagerung vom produzierenden Werkbetrieb zum Dienstleistungssektor sind erkennbar. Die globalen und marktwirtschaftlichen Einflüsse auf die EVUs sind gestiegen, was zu vermehrten psycho-sozialen Belastungen im Arbeitsalltag führt.

Betriebliches Gesundheitsmanagement stellt eine Weiterentwicklung der klassischen geforderten Belange von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz dar. Zusätzlich runden Absenz- und Case-Management sowie Gesundheitsförderung und proaktive Arbeitsgestaltung in einer umfassenden Management-Betrachtung das Konzept ab. Untenstehendes Bild illustriert weitere flankierende Einflüsse wie die Betrachtung der Umwelt und Qualitätssicherung. Im «Dach» wird mit hemmenden und förderlichen Faktoren aufgezeigt, dass Niedergeschriebenes noch nicht gelebte Realität bedeutet.

Für den Arbeitsalltag empfiehlt sich der Aufbau von konzeptionellen Leitplanken, wie oben dargestellt. Die Vorteile sind bekannt: Gesunde, motivierte und gut gebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sowohl in sozialer als auch ökonomischer Hinsicht Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens.

Dies kann nach dem Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung durch folgende Ansätze erreicht werden:

  • Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen
  • Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung
  • Stärkung persönlicher Kompetenzen

Gesundheitsförderung Schweiz erarbeitete dazu in einer Arbeitsgruppe die Qualitätskriterien für das betriebliche Gesundheits-Management nach dem Label «Friendly Work Space». Interessierten Unternehmen steht der Leitfaden auf der Website von Gesundheitsförderung Schweiz kostenlos zur Verfügung. Das Label ist eine schweizerische Auszeichnung für Organisationen, die berufliches Gesundheits-Management erfolgreich umsetzen. Letzteres wir durch sechs Qualitätskriterien definiert:

  • Betriebliches Gesundheitsmanagement und Unternehmenspolitik
  • Personalwesen und Arbeitsorganisation
  • Planung
  • Soziale Verantwortung
  • Betrieblichem Gesundheitsmanagement
  • Gesamtevaluation


Ganzheitlicher Ansatz ist nachhaltig

Das Risikobewusstsein ist subjektiv und folglich sehr unterschiedlich. Professionelles Vorgehen ist daher ein Muss, und es braucht viel Fachwissen. Jede Analyse ist nur so viel wert, wie die Massnahmen, die anhand der gewonnenen Erkenntnisse getroffen werden. Die Gefährdungsermittlung und die daraus resultierenden Schutzmassnahmen bilden einen wirksamen Schlüssel zur Präventionskultur, welche nur als solche beschrieben werden darf, wenn es, wie folgendes Beispiel aus Deutschland, einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Die RWE AG wurde mit dem Corporate Health Award geehrt, weil sie mit ihrem beruflichen Gesundheits-Management eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Jury fand vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeit und das «doppelte Multiplikatorenkonzept» ausgezeichnet. Pro RWE-Betrieb werden je eine Führungskraft und ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin geschult, um Massnahmen zu integrieren und die Belegschaft zu gesunden Verhaltensweisen zu animieren. Mit 870 Arbeitsschützern und Ergonomie-Scouts gelinge es RWE besonders gut, ihr Gesundheitskonzept in die Fläche zu bringen.[4]

Es braucht jedoch alle Personen für eine sichere und gesunde Umsetzung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche sich zum Wohle der Gesundheit an die Vorgaben halten, Systembetreuer, die mehr als eine Aufgabe erledigen, und die Führungskräfte und Inhaberschaft, die sich bedingungslos hinter die menschenfreundlichen Rahmenbedingungen stellen.

Leadership, die Führung, denkt und lenkt, und dieser Einfluss lässt sich gestalten und messen. Dazu braucht es die «Drivers of Change», deren Einfluss nicht unbeachtlich ist bei der Steuerung und Lenkung. Die Führung (Commitment und Support durch das Management) ist die Startvoraussetzung für einen Wandel. Die Fachkräfte «Drivers of Change» sind das Resultat gelebter Sicherheit- und Gesundheitskultur.

Die hiesige Elektrizitätswirtschaft wird daher aller Voraussicht nach ihren Elan und das arbeitssichere Umfeld zukünftig mit einer ganzheitlichen Betrachtung auf die Gesundheit erweitern. Diese vernetzte Betrachtung ist auch notwendig, wie einige neuere Studien zu den Auswirkungen der Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung der Schweiz zeigten.

Ein regelmässiges Monitoring mit «Friendly Work Space»-Job-Stress-Analyse ist ein gutes Werkzeug, um den Überblick über das Stressgeschehen in den Unternehmen zu behalten. Berufliches Gesundheits-Management zeigt Wirkung in Kennzahlen, die sich vergleichen lassen und macht auf mögliche Schwachstellen aufmerksam, welche behoben werden können.

Handbücher oder Leitfäden stehen interessierten «Drivers of Change» kostenlos zur Verfügung. Damit können Schritt für Schritt der Weg in Richtung berufliches Gesundheits-Management aufgezeigt und das Commitment und der Support durch das Management abgeholt werden. Was am Schluss bleibt, ist die Umsetzung: Durch eine Zertifizierung oder das Erarbeiten bis zu einem Label besteht dafür eine formale Zielvorgabe.

Als Erfolgsfaktor muss ein «systematisches Vorgehen mit Diagnose, Intervention, Prozess- und Ergebnisevaluation» bezeichnet werden. Das ist wohl der wirkungsvollste Weg zum Ziel gesünderer Menschen und sicherer Arbeitsplätze. In der Gesamtbetrachtung und als Empfehlung ist es der Aufbau eines betrieblichen Gesundheits-Managements.

Referenzen

[1]   H. J. Albrecht, «Die Determinanten der Sexualstrafrechtsreform», Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft, 111, 1999, S. 863–888.
[2]   «Die 10 Elemente des ASA-Konzeptes für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und der betrieblichen Gesundheitsförderung», Ekas (Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit), 2006.
[3]   «Begleitende Massnahmen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes für Netzelektriker/in EFZ», Checklisten für die Instruktion und Nachinstruktion in den Betrieben, VSE-Kommission Berufsentwicklung und Qualität Netzelektriker/in EFZ, 1. Oktober 2018.
[4]   «Ausgezeichnetes Gesundheits-Management», Prävention aktuell, 2021, praevention-aktuell.de/ausgezeichnetes-gesundheitsmanagement.

Literatur

«Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung», Europäisches Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (Hrsg.), 1997.
«Friendly Work Space Job-Stress-Analysis. Mitarbeitendenbefragung mit Fokus psychische Gesundheit», Gesundheitsförderung Schweiz (Hrsg.), 15. Oktober 2019.
«Wegleitung Qualitätskriterien für das betriebliche Gesund­heitsmanagement. Gesundheitsförderung Schweiz/Arbeitsgruppe BGM-Kriterien», Gesundheitsförderung Schweiz, 2017.

Autor
Andreas Meier

ist Netzelektrikermeister und Geschäftsführer der MIT Sicherheit AG.

  • MIT Sicherheit AG, 9403 Goldach

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