Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Stromzukunft des Kantons Aargau

AKW-Ablösung

07.12.2020

Der Kanton Aargau produziert heute etwa dreimal mehr elektrische Energie als er verbraucht. Gemäss der Energiestrategie sollen die Atomkraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Diese Studie zeigt, dass die Annahmen des Kantons optimistisch sind, dass die Ablösung zögerlich stattfindet und dass Strom-Autonomie des Kantons in weiter Ferne liegt.

Eine ganzjährige positive Energiebilanz ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um die Versorgung sicherzustellen. Was zählt, ist die Verfügbarkeit von Leistung zu jeder Zeit. Bild 1 zeigt als Beispiel die elektrische Leistung für den Aargau von Januar 2017 bis August 2020 nach Daten von Swissgrid [2] pro 15 Minuten. Die Solarleistung wurde aus der Meteostation Beznau abgeleitet, die Wasserleistung aus den Aaredaten von Eniwa. Export und Import ergeben sich aus der Bilanz, sie werden gespiegelt dargestellt, um sie deutlicher zu machen.

Auffällig ist die starke Produktionsschwankung durch planmässige und unplanmässige Ab- und Zuschaltung der AKWs. Als im September 2017 alle AKWs stillstanden (Ellipse in Bild 1), importierte der Kanton 0,4 TWh Strom mit 600 MW Spitzenleistung (fast so viel wie Beznau I & II). Es ist ein Zeugnis für die Robustheit des Netzes, dass eine Notabschaltung von über 1 GW ohne Flackern überwunden wird. Auch der Verbrauch schwankt um ±30% täglich und saisonal. Selbst die Flusswasserkraftwerke, die eigentlich Bandenergie liefern, schwanken täglich und saisonal. Die Schwankungen des Solarstroms sind zwar prozentual höher, sind aber heute im Vergleich zur Schwankung des Verbrauchs vernachlässigbar. Eine Speicherung des Solarstroms erübrigt sich heute, da er sofort verbraucht oder exportiert wird.

Energiebetrachtung 2012–2050

Die Energiestrategie des Kantons, EnergieAargau [1] setzte Ziele für Produktion und Verbrauch der Elektrizität als jährliche Energie in TWh, wie Tabelle 1 zeigt. Die formulierten Ausbauziele gehen nicht über das Jahr 2035 hinaus, die Zahlen für 2050 wurden geschätzt unter der Annahme, dass der Kanton 2050 etwa so viel Strom produziert, wie er verbraucht.

Die Ziele 2050 basieren auf folgenden Annahmen: Der Stromverbrauch pro Kopf sinkt. Das tut er zwar bisher um mehr als vorgesehen war, dank Sparmassnahmen (LED-Lampen, effizientere Haushaltgeräte, …). Da aber die Bevölkerung im gleichen Zeitraum zunimmt [3], bleibt der Verbrauch nahezu gleich. In Zukunft dürfte der Verbrauch zunehmen, weil neue Verbraucher dazukommen:

  • +0,5 TWh/a durch E-Autos, wenn nur die Hälfte der 500’000 Autos elektrisch (mit 16 kWh/100 km und 12’000 km/a) fahren,
  • +0,6 TWh/a durch Heizung, wenn 200’000 t Heizöl durch viermal effizientere Wärmepumpen ersetzt werden,
  • +0,4 TWh/a durch Datenzentren und Telekommunikation, bei + 3% Wachstum pro Jahr,
  • +0,1 TWh/a durch Klima-Anlagen, als Folge der Klimaerwärmung, wobei dieser Beitrag durch Sonnenenergie gedeckt werden kann, weil die Sonne dann scheint, wenn die Klimaanlage läuft.

 

Auf der anderen Seite kann man Einsparungen von 1,1 TWh/a erwarten:

  • -0,3 TWh/a durch dreimal effizientere Wärmepumpen, die Widerstandsheizungen (Warmwasser und Wohnen) ersetzen,
  • -0,8 TWh/a durch allgemeine Massnahmen zur Energieeffizienz (optimistische Annahme).

Insgesamt nimmt also der Verbrauch um 0,5 TWh/a bis 2050 zu.

Die Atomkraftwerke liefern 2050 nichts mehr. Das Abschaltdatum steht zwar nicht fest, aber mit einer geschätzten Betriebszeit von 66 Jahren werden bis 2035 Beznau I, bis 2037 Beznau II und bis 2050 Leibstadt abgestellt sein. Selbst wenn das Volk den Atomausstieg rückgängig machen sollte, könnte ein neues Atomkraftwerk innerhalb nützlicher Frist kaum erstellt werden, denn man bräuchte 15 Jahre für die Planung und den Bau. Nach der Abschaltung fallen nur Energiekosten für Kühlung und Entsorgung an.

Die Flusskraftwerke liefern etwas mehr als 2020. Das ist optimistisch, da die Produktion wegen Klimaveränderungen und Umweltauflagen sinkt. Investitionen in Wasserkraft rentieren heute kaum, die Konzessionserneuerungen sind umstritten. Jedes Erweiterungsprojekt wird von Naturfreunden bekämpft. Zum Beispiel steckt die Erneuerung des Kraftwerkes Aarau, die lediglich 0,022 TWh/a mehr bringen soll, nach jahrelanger Planung immer noch im Bewilligungsverfahren.

Die Sonnenenergie liefert bis 2035 0,9 TWh/a und bis 2050 1,7 TWh/a. Um dies zu erreichen, wären 50 MW Leistung pro Jahr zu installieren, also 2,5-mal so viel wie im Jahr 2019. In Wirklichkeit bräuchte es wesentlich mehr, denn die bestehenden Anlagen müssen nach etwa 25 bis 30 Jahren ersetzt werden. Der Kanton überlässt den Ausbau der Photovoltaik privaten Liegenschaftsbesitzern und gibt dazu keine Anreize – er nimmt durch Steuern auf den verkauften Solarstrom sogar mehr ein als das, was er bei der Erstellung der Anlagen erlassen hat. Das abgelehnte Energiegesetz 2020 des Kantons sah zwar vor, bei jedem Neubau etwas Strom zu produzieren, nur hätte dies bei der heutigen Bautätigkeit (133 ha/Jahr) nur einen Bruchteil des benötigten Zubaus gebracht, selbst wenn alle neuen Dächer voll mit Modulen bedeckt worden wären – was nicht vorgeschrieben war. Trotz gewinnbringendem Eigenverbrauch sind nur wenige Eigentümer von bestehenden Liegenschaften bereit, Photovoltaik jetzt zu installieren, die anderen warten die Renovation ab oder verzichten ganz darauf. Zur Erfüllung der Ziele bräuchte es erhöhte Fördergelder für grosse Freiflächenanlagen und die Freigabe von Land- und Forstwirtschaftsflächen, was politisch kaum durchsetzbar ist.

Die Windenergie liefert 0,05 TWh/a. Der Windkataster erlaubt nur wenig Produktion im Aargau. Falls alle ausgewählten Standorte gebaut würden, erbrächten sie 2035 eine Produktion von 0,02 TWh/a. Doch jedes Projekt stösst auf Widerstand der Bevölkerung und riskiert, dass jahrelange Planung durch eine Gemeindeversammlung zu Fall gebracht wird.

Die Kehrichtverbrennung, Holz und Biogas liefern 0,3 TWh/a. Es sind keine neuen Kehrichtverbrennungsanlagen geplant. Holz- und Biogasanlagen liefern vorwiegend Wärme oder Gas. Im Kanton gibt es nur zwei Holzkraftwerke, die Strom liefern. Andere geplante Kraftwerke scheiterten am politischen Widerstand.

Die Geothermie sollte nach der Energiestrategie des Bundes 4,0 TWh/a liefern. Der Kanton Aargau hat dazu die besten Voraussetzungen und alle Parteien unterstützen die Geothermie, doch läuft keine einzige Anlage. Grund ist die politische Opposition nach den schlechten Erfahrungen in Basel und St. Gallen und die grosse Unsicherheit beim Erfolg der Bohrungen sowie eine Gefährdung der Thermalquellen.

Importe oder Gaskraftwerke sind nicht vorgesehen: 2050 soll der Kanton so viel produzieren, wie er verbraucht. Eine Reserve für den Notfall ist nicht eingeplant. Zur Deckung der täglichen und saisonalen Schwankungen sind jedoch Importe notwendig, wie folgende Simulation zeigt. Ob diese Importe noch möglich sind und zu welchem Preis, ist offen. Denn schon ab 2023 werden dem europäischen Netz 12 GW an nuklearer Leistung fehlen. Die Ostländer rüsten zwar auf mit neuen Kohle- und Atomkraftwerken, Frankreich plant sechs neue AKWs, diese werden aber nicht einmal die Kapazität ersetzen, die stillgelegt werden soll. Nur eine europaweite Rezession könnte die heutige Stromschwemme erhalten.

Elektrizitätswerke, an denen der Kanton beteiligt ist (z.B. durch Axpo), die ausserhalb des Kantonsgebietes liegen, werden nicht berücksichtigt – ihr Besitzer könnte wechseln z.B. in Folge einer Heimfallregelung. Sie werden hier als Import dargestellt.

Obige Prognosen werden in Bild 2 pro Quartal dargestellt als mittlere Energie pro Jahr in TWh/a und als mittlere Leistung in GW.

Aargau 2050 mit Wasser und Sonne ohne Speicherung

Für eine genaue Prognose ist aber nicht der Energieverlauf pro Quartal, sondern der Leistungsverlauf massgebend.

In der Folge wird angenommen, dass die Ziele 2050 von EnergieAargau erreicht werden. Zur Verfügung stehen jährlich aus nicht steuerbaren Quellen 5,3 TWh/a (3,3 TWh Wasser, 1,7 TWh Solar und 0,3 TWh Kehrichtverbrennung, Wind und Biomasse) gegenüber einem Verbrauch von 5,3 TWh bei gleichem Verlauf wie 2019. Bei der Biomasse wird angenommen, dass die Hälfte in der Heizperiode produziert wird. Bild 3 zeigt den Leistungsverlauf 2050, gerechnet alle 15 Minuten.

Der Kanton produziert so viel wie er verbraucht, dennoch müssten jährlich 1,1 TWh mit einer Spitzenleistung von 500 MW importiert werden, also mehr als AKW Beznau I geliefert hatte. Anstelle von Importen könnten Gaskraftwerke auf dem Kantonsgebiet diese 1,1 TWh liefern, jedoch ist fraglich, ob sie für diesen stockenden Betrieb rentieren.

Der Kanton könnte dafür im Sommer 1,1 TWh exportieren. Das Verteilnetz dürfte zwar die dazugehörige Spitze von 1,5 GW verkraften, aber der überschüssige Strom müsste dennoch gekappt werden, wenn er keine Käufer fände, z.B. bei negativem Elektrizitätspreis.

Aargau 2050 mit Wasser, Sonne und Batterien

Wie verändert es sich, wenn jede Photovoltaikanlage eine Batterie zur Erhöhung des Eigenverbrauchs bekommt? In diesem Szenario lädt sich die Batterie, sobald die Sonnenleistung den Verbrauch übersteigt und entlädt sich, sobald die Produktion kleiner als der Verbrauch ist (es wird nur Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage gespeichert).

 

Bild 4 zeigt den Leistungsverlauf, wenn jede PV-Anlage pro Kilowatt installierter Leistung eine Batterie von 0,555 kWh mit einem Wirkungsgrad von 80% bekommt. Diese Batterien verhalten sich wie ein grosser Speicher von insgesamt 1 GWh (entspricht 20’000 Batterien für E-Autos).

Der Kanton müsste trotz Batterien etwa 1/5 des Verbrauchs mit unveränderter Spitzenleistung von 500 MW importieren und immer noch für 0,9 TWh/a Exporte Abnehmer finden. Auch eine Erhöhung der Solarproduktion ändert wenig. Im Sommer wird der Überschuss kaum Abnehmer finden und im Winter bleibt die Sonne rar und die Batterien füllen sich nicht.

Aargau 2050 mit saisonaler Speicherung (Power-To-Gas)

Angenommen, das Ausland kann im Winter nichts mehr liefern. Um das Jahr ohne Importe zu überstehen, braucht der Aargau eine saisonale Speicherung. Die benötigte Energiemenge lässt sich aus dem jährlichen Import ableiten: etwa 1,0 TWh. Batterien sind für eine einmalige jährliche Entladung viel zu teuer und technisch ungeeignet. Pumpspeicherwerke eignen sich auch nicht. Erstens hat es auf dem Gebiet des Kantons Aargau keine solche (obwohl Axpo einige ausserhalb des Kantons besitzt), und zweitens wäre dazu die 30-fache Kapazität des Pumpspeicherwerks Linth-Limmern (0,038 TWh) nötig (das allerdings für Leistung und Tagesbetrieb konzipiert wurde).

Da Speicherseen kaum ausgebaut werden können, drängt sich eine Speicherung der Energie in chemischer Form als Wasserstoff, Methan oder Methanol auf (Power-To-Gas, Power- To-Liquid). Eine Pilotanlage von 2,5 MW ist im Bau.[7] Doch hat die Kette Strom–Wasserstoff–Speicherung–Transport–Stromerzeugung einen niedrigen Wirkungsgrad (25% bis 30%), der noch schlechter wird, wenn der Wasserstoff zu Methan oder Synfuel verarbeitet wird. Dazu muss der Überschuss an Solarstrom etwa dreimal bis viermal höher werden.

Für diese Analyse wurde ein unbegrenzter Speicher angenommen – die Energiedichte eines Treibstofftanks ist sehr hoch. Bild 5 zeigt den Speicherinhalt und die Solarproduktion, die eine Autarkie beinahe möglich machen würden. Es zeichnet drei Jahre auf, um zu zeigen, dass es sich um einen eingependelten Prozess handelt.

 

Dazu musste die Solarproduktion auf 5,7 TWh/a erhöht werden, mehr als doppelt so viel, wie das optimistischste Potenzial des Kantons. Also müsste zusätzlich eine land- und forstwirtschaftliche Fläche von etwa 30 km2 mit Modulen bedeckt werden. Dies macht wenig Sinn, nur um einen kurzen Engpass im Frühling zu überwinden.

Der benötigte Speicherinhalt erreicht hier 0,8 TWh. Angenommen, die Energie sei in Form von Methanol gespeichert (4,4 kWh/Liter), bräuchte diese Speicherung etwa ein Drittel des Tanklagers Mellingen, was realisierbar wäre.

Die Leistung des Gas-To-Power-Kraftwerkes wäre 300 MW, also so viel wie Beznau I. Dabei könnte auch Wärme produziert werden, die in der Fernheizung verteilt würde.

Power-To-Gas kostet noch ein Vielfaches mehr als Erdgas und es ist nicht zu erwarten, dass die Gestehungskosten eine so gute Lernkurve aufweisen wie die Photovoltaik oder die Auto-Batterien. Es fehlen die Stückzahlen.

Schlüsse

Die Energiestrategie des Kantons, EnergieAargau, ist eine «best case»-Betrachtung mit optimistischen Zahlen, die beweisen sollen, dass die politische Energiestrategie des Bundes nicht unmöglich ist. EnergieAargau berücksichtigt weder momentane Lieferbarkeit der Leistung noch Sicherheitsmargen, und unterschätzt deshalb die benötigte Energiemenge.

Selbst wenn die Potenziale des Kantons ausgeschöpft würden, könnten die einheimische Wasserkraft, Sonne, Wind und Biomasse/KVA die stillgelegten AKWs nicht ersetzen, weder bezüglich Energiemenge noch bezüglich Leistung.

Der heutige, zögerliche Ausbau der Wasserkraft wird sich rächen, denn sie wird für die Winterversorgung unentbehrlich sein.

Der Zubau der erneuerbaren Energien ist ein langsamer Prozess, der nicht erst dann anfangen darf, wenn es eng wird. Aber beim heutigen Zubau würde die Ausschöpfung des Solarpotenzials des Kantons mehr als 50 Jahre beanspruchen. Die bereits installierten Anlagen in 2020 helfen wenig, denn sie werden das Ende ihrer Lebenszeit erreichen, wenn die AKWs abgestellt werden. Der Solarzubau sollte mit der Ablösung der AKWs abgestimmt werden, aber dazu sollten nicht mehr die privaten Hausbesitzer, sondern der Staat den Zubau in der ganzen Schweiz vorgeben.

Zur Sicherstellung der Stromversorgung im Winter wird der Kanton auf Importe angewiesen sein, falls diese noch möglich sind. Womöglich werden beim unvermeidlichen Engpass in Eile Gaskraftwerke erstellt, ungeachtet der CO2-Ziele der Schweiz. Die Bevölkerung würde damit beruhigt, dass dies nur eine Übergangsphase sei, bis Power-To-Gas umweltfreundliches Gas für die Gaskraftwerke liefere. Doch das Versprechen von einheimischem Power-To-Gas ist unerfüllbar, weil das Solarpotenzial nicht ausreicht.

Wenn sich der Kanton mit erneuerbarem Strom voll versorgen möchte, dann müsste er diesen vom Ausland importieren. Die Technik existiert, siehe [8] und [9]. Wenn ein Schweizer Energieversorger Biogas aus Dänemark beziehen darf, dann soll auch der Stromimport aus Nordafrika möglich sein.

Dem Klima bringt diese Energiestrategie nichts, der CO2-Fussabdruck des Stromverbrauchs wird nach 2050 höher als heute sein. Die erneuerbaren Energien rechtfertigen sich damit, dass sie nach dem Atomausstieg helfen werden, den CO2-Ausstoss der Gaskraftwerke oder des importierten Kohlestroms allmählich zu reduzieren. Man soll den alten Ackergaul deshalb nicht schlachten, bevor der neue Traktor bereit ist.

Autor
Prof. Dr. Hubert Kirrmann

war Mitglied CES/TK 57 – Netzleit­technik und zuge­hörige Kommunika­tions­technik.

  • Solutil
    5405 Baden

Kommentare

Walter Rüegg,

Hervorragende Analyse. Einzig beim zukünftigen Stromverbrauch könnten die in 20-30 Jahren in grossen Massen aufkommenden Roboter (Pflege, Landwirtschaft, Bau, Reinigung, Transport, dann Haushalt, ...) einen Strich durch die Rechnung machen.

Bitte addieren Sie 7 und 8.