Fachartikel Energieeffizienz

Stromsparen bei Eng­pässen koordi­nieren

Erhöhte Notfallbereitschaft

19.04.2023

Eine Informa­tions­platt­form, die über den aktuellen und prognos­tizier­ten Zustand des Schweizer Energie­sys­tems orientiert, könnte in Krisen­zeiten ein koordi­nier­tes Energie­sparen für viele Haus­halte ermög­lichen. Und sie wäre ein zusätz­licher Ansatz für den Umgang mit Strom­eng­pässen.

Das Risiko einer Strom­mangel­lage in der Schweiz besteht weiterhin. Andere Länder haben Blackouts im Winter mit weit­reichen­den sozialen und wirt­schaft­lichen Folgen bereits erlebt, zum Beispiel der US-Bundesstaat Texas, wo über 4,5 Mio. Menschen von der Strom­ver­sor­gung abge­schnitten wurden [1, 2].

Um den drohenden Engpässen in der Schweiz zu begegnen, hat der Bundesrat beschlossen, Gaskraftwerke zu kaufen und eine Wasser­kraft­reserve zu bilden mit einer Gesamt­leistung von bis zu 1 GW. Die ent­spre­chenden Kosten werden auf 700 bis 900 Mio. CHF geschätzt [3], wobei allein die Kosten für die Wasser­kraftreserve (400 GWh) rund 300 Mio. CHF betragen [4].

Ein solcher Ausbau der Strom­erzeugungs­kapa­zitäten ist eine Möglichkeit, um Engpässe zu beheben. Ein alter­nativer Ansatz besteht darin, die Nachfrage durch Energie­ein­sparungen in Industrie und Haushalten zu senken. Dazu hat der Bundesrat u. a. eine Initiative gestartet, welche zu spezi­fischen Energie­spar­mass­nahmen in Haus­halten aufruft [5]. Eine zusätzliche Verlage­rung der Nach­frage könnte eine Über­lastung des Energie­systems in ange­spannten Situationen verhindern (Bild 1).

In der Schweiz können industrielle Gross­ver­braucher bereits zu einer Verlage­rung ihres Energie­verbrauchs aufgefordert werden, wobei der tatsächliche Anteil von flexibler Last voraus­sichtlich nicht reicht und daher kein Allheil­mittel gegen die Strom­defizite im Winter darstellt [6]. Eine Alternative wurde in der Schweiz noch nicht systematisch erfasst: das Potenzial freiwilliger Ein­spa­rungen vieler Haushalte während Zeiten mit Spitzen­lasten.

Vom Ausland lernen

Die Ver­sor­gungs­sicher­heit ist schon länger eine Heraus­forde­rung. Vorfälle wie in Texas zeigen, wie wichtig es ist, sowohl die Lasten von industriellen und gewerblichen Verbrauchern als auch jene von Haushalten zu berücksichtigen. Dies erfordert aber eine klare und frühzeitige Kommu­nika­tion vor möglichen Engpässen [7]. Haushalte würden die Wahr­schein­lich­keit einer system­weiten Beein­trächti­gung verringern, wenn sie ihre Nachfrage in kritischen Momenten anpassen könnten. Eine Analyse legt nahe, dass eine auf einem Echtzeit­signal basierende Strom­reduktion von 44 % der texanischen Haushalte die Ausfälle weitgehend hätte verhindern können [8].

Informations­platt­formen zur Koordi­nation der Last­ver­schie­bung vieler Haushalte wurden in anderen Staaten schon eingeführt (Bild 2). In Südafrika oder Kalifornien können dadurch viele Haushalte über Energie­spar­mass­nahmen zur Verringe­rung der Spitzen­last informiert werden. Während diese beiden Systeme den Fokus darauf richten, die Nachfrage in Zeiten extremer Hitze und damit hohen Strom­bedarfs zur Kühlung zu verringern, ist die Einrichtung eines ähnlichen Systems zur Verringe­rung des Spitzen­bedarfs im Winter ebenfalls möglich. Ein Beispiel dafür ist monecowatt.fr in Frankreich, das stündlich über den Zustand des Stromnetzes informiert. Auch wenn die Umsetzung eines ähnlichen Systems für die Schweiz mit Heraus­forde­rungen verbunden ist, könnte das ein kosten­günstiger Lösungs­beitrag zum Vermeiden von Strom­mangel­lagen sein.

In den letzten Monaten wurden in Europa diverse Infor­mations­systeme entwickelt. In Deutschland, dessen Elektrizitätssystem von vier Über­tragungs­netz­betreibern abhängt, wurde ein Infor­mations­system entwickelt, um Lastabwürfe auf regionaler Ebene zu ermöglichen. Transnet, der Über­tragungs­netz­betreiber von Baden-Württemberg, hat die Möglichkeit zum frei­willigen Last­abwurf eingeführt, um physika­lischen Beschrän­kungen der Über­tragungs­leitungen zu begegnen [9]. Ein Infor­mations­system informiert über den aktuellen Zustand des Stromnetzes und fordert Haushalte durch eine Warnmeldung zum Energiesparen auf. Diese Einsparungen verhindern teure Redispatch-Massnahmen.

Haushalte können nicht nur via Sparappelle zum Energie­sparen ermutigt werden, sondern auch durch andere Mecha­nismen wie finanzielle Anreize. Im Vereinigten Königreich werden Haushalte dafür bezahlt, dass sie ihren Strom­verbrauch für einige Stunden reduzieren. Landesweite Versuche ergaben eine Potenzial­abschätzung zur Reduktion der Energie­nachfrage zu Spitzenzeiten von 112 MW. Dabei haben sich mehr als 1 Million Haushalte für solche Mass­nahmen angemeldet. Der Strom­netz­betreiber National Grid hat einen finan­ziellen Anreiz für die Flexibilität des Strom­konsums eingeführt, damit Haushalte ihren Energie­verbrauch ausserhalb der Spitzenzeiten verlagern [10].

Klare Signale sind nötig

Damit die Öffent­lich­keit ihren Energie­verbrauch anpassen kann, werden Echt­zeit­informa­tionen und -prognosen zum Energie­system benötigt, ähnlich wie bei der Covid-19-Pandemie. Ein klares und vertrauens­würdiges Signal ist der Schlüssel, um kleine Strom­verbraucher zu freiwil­ligen koordi­nierten Energie­spar- und Last­verschie­bungs­aktionen zu motivieren. Die Definition und Berech­nung solcher Signale ist jedoch anspruchsvoll und erfordert die Modellierung und Verarbeitung vieler Daten unter Berück­sichtigung der Unsicher­heiten bezüglich Strom­nachfrage und -angebot. Eine besondere Heraus­forde­rung für die Modellierung des Schweizer Energie­systems ist die starke Integration in den europäischen Energie­markt. Daher hängt das Gleich­gewicht zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur von der inländi­schen Erzeu­gung, sondern auch von der Verfüg­barkeit auslän­discher Erzeugung und grenz­über­schrei­tender Kapazitäten ab. Zudem ist die Solar- und Wind­energie­erzeugung wetterabhängig.

Auf der Grundlage der Verfüg­barkeit von Kraft­werken, von Über­tra­gungs­kapa­zitäten sowie von erneuer­barer Energie kann die sogenannte Reserve­marge berechnet werden. Diese entspricht der Differenz zwischen der verfüg­baren Erzeugung und der Nachfrage. Das Risiko potenzieller Engpässe sollte als die Wahr­schein­lich­keit, dass diese Reserve­marge nicht ausreicht, berechnet werden. Die Heraus­forde­rung besteht darin, dass die für eine solche Berech­nung nötigen Daten nicht ohne Weiteres verfügbar sind, insbe­sondere nicht für Prognosen.

In der Schweiz gibt es einige Platt­formen zur Visuali­sierung von Energie­daten, die zuneh­mend Daten in Echtzeit sowie Prognose­daten abbilden (z. B. dashboardenergie.admin.ch, energyalert.ch). Was fehlt, ist ein Signal, das auf den Faktoren basiert, die zu einer Strom­mangel­lage führen, und welches das Konzept der Reserve­marge mit den verknüpften Risiken korrekt abbildet.

Potenzial und Nutzen

Zum Flexi­bilitäts­poten­zial der Schweizer Haus­halte auf nationaler Ebene wurden mehrere Studien publiziert. So hat das BFE 2019 eine Studie [11] in Auftrag gegeben, die das Flexi­bilitäts­poten­zial für verschiedene Verbraucher­kategorien untersucht. Für die Haushalte wurde ein Potenzial von 440 MW geschätzt, für den Verkehr ein zusätzliches Potenzial von 140 MW. Von Haushalts­geräten (Wasch­maschinen, elektrische Warm­wasser­speicher usw.) weisen Heiz- und Nass­geräte (Wasch­maschinen, Geschirrspüler, Wäsche­trockner) das höchste Potenzial auf. Nicht alle elektrischen Haus­halts­geräte verbrauchen gleich viel Strom, und bei einigen Geräten ist es schwieriger, den Verbrauch zeitlich zu verschieben. Während sich der Betrieb einer Wasch­maschine leicht um mehrere Stunden verschieben lässt, kann es schwieriger sein, die Zeit zum Kochen zu verschieben. Mit der wachsenden Elektri­fizie­rung des Wärme- und Verkehrs­sektors nimmt die individuelle Strom­menge jedoch ständig zu – und damit auch das Potenzial zur Verlagerung.

Eine genaue Bezif­ferung des ökono­mischen Nutzens der Nach­frage­verschie­bung in Schwach­last­zeiten mit tieferen Strom­preisen ist schwierig, aber er dürfte jährlich in Millionen­höhe liegen. Neben diesen direkten wirt­schaft­lichen Vorteilen wäre der grösste Vorteil jedoch, dass ein solches Instru­ment rollende Strom­ausfälle mit ihren weit­reichen­den Folgen verhin­dern könnte.

Fazit und Ausblick

Es wurden schon grosse Anstren­gungen unter­nommen, um Anreize zu schaffen für die Verschie­bung des Strom­verbrauchs auf Tageszeiten mit tieferer Last. Meist stützen sich diese Bemü­hungen auf intelligente Mess­systeme ab, und die Anreize werden durch den Strom­preis oder ökologische Aspekte wie CO2-Emis­sionen gesteuert. Die Covid-19-Pandemie hat jedoch gezeigt, dass die Bevöl­kerung nicht nur auf wirt­schaft­liche Vorteile reagiert, sondern auch bereit ist, ihre Anstren­gungen freiwillig zu koordi­nieren, um eine Krise zu überwinden.

Der letzte Winter hat gezeigt, dass koordi­nierte Strom­einspa­rungen ein wertvolles Instru­ment sein könnten. Für die Entwick­lung eines robusten Signals der Reserve­marge gibt es diverse technische und wissen­schaft­liche Heraus­forde­rungen zu meistern. Es stellt sich auch die Frage, wer die Verant­wortung für diese Berechnung übernimmt. In der Schweiz ist die Verant­wor­tung für die Ver­sor­gungs­sicher­heit auf mehrere Akteure verteilt. Die Verant­wor­tung für das Auslösen von Mass­nahmen könnte an denjenigen Akteur delegiert werden, der den besten kurz- und mittelfristigen Überblick über das Strom­system verfügt.

Für das Strom­sparen einzelner Haushalte oder das auto­mati­sierte, koor­dinierte Ansteuern vieler Haushalte ist die Instal­lation von Smart Metern eine Voraus­setzung, die in der Schweiz für die meisten Regionen noch nicht gegeben ist. Ein grosser Vorteil des vorge­schlagenen Instru­ments ist daher, dass er auch ohne Smart Meter zur Anwen­dung kommt.

Selbst­ver­ständlich löst ein Infor­mations­system die grund­sätz­lichen Probleme einer nötigen Anpassung des Energie­systems an sich ändernde Rand­bedin­gungen nicht. Aber es kann als Unter­stützung, Zwischen- oder Not­lösung zum aktuellen Zustand des Energie­systems betrachtet werden und könnte einen bisher vernach­lässigten Ansatz für Krisen­zeiten bieten.

Referenzen

[1] J. W. Busby et al., «Cascading risks: Understanding the 2021 winter blackout in Texas», Energy Res. Soc. Sci. 77, 102106, 2021.

[2] T. Levin et al., «Extreme weather and electricity markets: Key lessons from the February 2021 Texas crisis», Joule 6, S. 1–7, 2022.

[3] UVEK, 2022. Erläuternder Bericht zur Verordnung über eine Stromreserve für den Winter (Winterreserveverordnung, WResV).

[4] Eidgenössische Elektrizitätskommission, 2022, Ergebnisse der Ausschreibung Wasserkraftreserve.

[5] www.nicht-verschwenden.ch

[6] L. Federer, M. Schwarz, «Kann die Schweizer Industrie eine Mangellage verhindern?», Bulletin Electrosuisse 1/2023, S. 57–61.

[7] C. W. King, J. D. Rhodes, J. Zarnikau, N. Lin, «The Timeline and Events of the February 2021 Texas Electric Grid Blackouts», University of Texas, Austin, 2021.

[8] E. Bobbio, S. Brandkamp, S. Chan, P. Cramton, D. Malec, L. Yu, Resilient electricity requires consumer engagement, University of Cologne, 2021.

[9] Transnet BW (2022): StromGedacht: Die neue App von TransnetBW. 15. 11. 2022.

[10] energeiaplus.com/2023/03/06/strom-sparen-geld-verdienen-wie-grossbritannien-der-stromknappheit-trotzt

[11] A. Vossebein, S. Muster, U. Betschart, B. Koelliker, Potential Demand Side Management in der Schweiz, 2019.

Autor
Dr. Elliot Romano

ist Wissenschaftler an der Universität Genf und an der Empa.

  • Universität Genf, 1211 Genf
Autor
Dr. Sven Eggimann

ist Professor an der Hebräischen Universität am Jerusalemer Zentrum für Urbane Innovation.

  • The Hebrew University of Jerusalem
    91905 Jerusalem, Israel

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