Stromsparen bei Engpässen koordinieren
Erhöhte Notfallbereitschaft
Eine Informationsplattform, die über den aktuellen und prognostizierten Zustand des Schweizer Energiesystems orientiert, könnte in Krisenzeiten ein koordiniertes Energiesparen für viele Haushalte ermöglichen. Und sie wäre ein zusätzlicher Ansatz für den Umgang mit Stromengpässen.
Das Risiko einer Strommangellage in der Schweiz besteht weiterhin. Andere Länder haben Blackouts im Winter mit weitreichenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen bereits erlebt, zum Beispiel der US-Bundesstaat Texas, wo über 4,5 Mio. Menschen von der Stromversorgung abgeschnitten wurden [1, 2].
Um den drohenden Engpässen in der Schweiz zu begegnen, hat der Bundesrat beschlossen, Gaskraftwerke zu kaufen und eine Wasserkraftreserve zu bilden mit einer Gesamtleistung von bis zu 1 GW. Die entsprechenden Kosten werden auf 700 bis 900 Mio. CHF geschätzt [3], wobei allein die Kosten für die Wasserkraftreserve (400 GWh) rund 300 Mio. CHF betragen [4].
Ein solcher Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten ist eine Möglichkeit, um Engpässe zu beheben. Ein alternativer Ansatz besteht darin, die Nachfrage durch Energieeinsparungen in Industrie und Haushalten zu senken. Dazu hat der Bundesrat u. a. eine Initiative gestartet, welche zu spezifischen Energiesparmassnahmen in Haushalten aufruft [5]. Eine zusätzliche Verlagerung der Nachfrage könnte eine Überlastung des Energiesystems in angespannten Situationen verhindern (Bild 1).
In der Schweiz können industrielle Grossverbraucher bereits zu einer Verlagerung ihres Energieverbrauchs aufgefordert werden, wobei der tatsächliche Anteil von flexibler Last voraussichtlich nicht reicht und daher kein Allheilmittel gegen die Stromdefizite im Winter darstellt [6]. Eine Alternative wurde in der Schweiz noch nicht systematisch erfasst: das Potenzial freiwilliger Einsparungen vieler Haushalte während Zeiten mit Spitzenlasten.
Vom Ausland lernen
Die Versorgungssicherheit ist schon länger eine Herausforderung. Vorfälle wie in Texas zeigen, wie wichtig es ist, sowohl die Lasten von industriellen und gewerblichen Verbrauchern als auch jene von Haushalten zu berücksichtigen. Dies erfordert aber eine klare und frühzeitige Kommunikation vor möglichen Engpässen [7]. Haushalte würden die Wahrscheinlichkeit einer systemweiten Beeinträchtigung verringern, wenn sie ihre Nachfrage in kritischen Momenten anpassen könnten. Eine Analyse legt nahe, dass eine auf einem Echtzeitsignal basierende Stromreduktion von 44 % der texanischen Haushalte die Ausfälle weitgehend hätte verhindern können [8].
Informationsplattformen zur Koordination der Lastverschiebung vieler Haushalte wurden in anderen Staaten schon eingeführt (Bild 2). In Südafrika oder Kalifornien können dadurch viele Haushalte über Energiesparmassnahmen zur Verringerung der Spitzenlast informiert werden. Während diese beiden Systeme den Fokus darauf richten, die Nachfrage in Zeiten extremer Hitze und damit hohen Strombedarfs zur Kühlung zu verringern, ist die Einrichtung eines ähnlichen Systems zur Verringerung des Spitzenbedarfs im Winter ebenfalls möglich. Ein Beispiel dafür ist monecowatt.fr in Frankreich, das stündlich über den Zustand des Stromnetzes informiert. Auch wenn die Umsetzung eines ähnlichen Systems für die Schweiz mit Herausforderungen verbunden ist, könnte das ein kostengünstiger Lösungsbeitrag zum Vermeiden von Strommangellagen sein.
In den letzten Monaten wurden in Europa diverse Informationssysteme entwickelt. In Deutschland, dessen Elektrizitätssystem von vier Übertragungsnetzbetreibern abhängt, wurde ein Informationssystem entwickelt, um Lastabwürfe auf regionaler Ebene zu ermöglichen. Transnet, der Übertragungsnetzbetreiber von Baden-Württemberg, hat die Möglichkeit zum freiwilligen Lastabwurf eingeführt, um physikalischen Beschränkungen der Übertragungsleitungen zu begegnen [9]. Ein Informationssystem informiert über den aktuellen Zustand des Stromnetzes und fordert Haushalte durch eine Warnmeldung zum Energiesparen auf. Diese Einsparungen verhindern teure Redispatch-Massnahmen.
Haushalte können nicht nur via Sparappelle zum Energiesparen ermutigt werden, sondern auch durch andere Mechanismen wie finanzielle Anreize. Im Vereinigten Königreich werden Haushalte dafür bezahlt, dass sie ihren Stromverbrauch für einige Stunden reduzieren. Landesweite Versuche ergaben eine Potenzialabschätzung zur Reduktion der Energienachfrage zu Spitzenzeiten von 112 MW. Dabei haben sich mehr als 1 Million Haushalte für solche Massnahmen angemeldet. Der Stromnetzbetreiber National Grid hat einen finanziellen Anreiz für die Flexibilität des Stromkonsums eingeführt, damit Haushalte ihren Energieverbrauch ausserhalb der Spitzenzeiten verlagern [10].
Klare Signale sind nötig
Damit die Öffentlichkeit ihren Energieverbrauch anpassen kann, werden Echtzeitinformationen und -prognosen zum Energiesystem benötigt, ähnlich wie bei der Covid-19-Pandemie. Ein klares und vertrauenswürdiges Signal ist der Schlüssel, um kleine Stromverbraucher zu freiwilligen koordinierten Energiespar- und Lastverschiebungsaktionen zu motivieren. Die Definition und Berechnung solcher Signale ist jedoch anspruchsvoll und erfordert die Modellierung und Verarbeitung vieler Daten unter Berücksichtigung der Unsicherheiten bezüglich Stromnachfrage und -angebot. Eine besondere Herausforderung für die Modellierung des Schweizer Energiesystems ist die starke Integration in den europäischen Energiemarkt. Daher hängt das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur von der inländischen Erzeugung, sondern auch von der Verfügbarkeit ausländischer Erzeugung und grenzüberschreitender Kapazitäten ab. Zudem ist die Solar- und Windenergieerzeugung wetterabhängig.
Auf der Grundlage der Verfügbarkeit von Kraftwerken, von Übertragungskapazitäten sowie von erneuerbarer Energie kann die sogenannte Reservemarge berechnet werden. Diese entspricht der Differenz zwischen der verfügbaren Erzeugung und der Nachfrage. Das Risiko potenzieller Engpässe sollte als die Wahrscheinlichkeit, dass diese Reservemarge nicht ausreicht, berechnet werden. Die Herausforderung besteht darin, dass die für eine solche Berechnung nötigen Daten nicht ohne Weiteres verfügbar sind, insbesondere nicht für Prognosen.
In der Schweiz gibt es einige Plattformen zur Visualisierung von Energiedaten, die zunehmend Daten in Echtzeit sowie Prognosedaten abbilden (z. B. dashboardenergie.admin.ch, energyalert.ch). Was fehlt, ist ein Signal, das auf den Faktoren basiert, die zu einer Strommangellage führen, und welches das Konzept der Reservemarge mit den verknüpften Risiken korrekt abbildet.
Potenzial und Nutzen
Zum Flexibilitätspotenzial der Schweizer Haushalte auf nationaler Ebene wurden mehrere Studien publiziert. So hat das BFE 2019 eine Studie [11] in Auftrag gegeben, die das Flexibilitätspotenzial für verschiedene Verbraucherkategorien untersucht. Für die Haushalte wurde ein Potenzial von 440 MW geschätzt, für den Verkehr ein zusätzliches Potenzial von 140 MW. Von Haushaltsgeräten (Waschmaschinen, elektrische Warmwasserspeicher usw.) weisen Heiz- und Nassgeräte (Waschmaschinen, Geschirrspüler, Wäschetrockner) das höchste Potenzial auf. Nicht alle elektrischen Haushaltsgeräte verbrauchen gleich viel Strom, und bei einigen Geräten ist es schwieriger, den Verbrauch zeitlich zu verschieben. Während sich der Betrieb einer Waschmaschine leicht um mehrere Stunden verschieben lässt, kann es schwieriger sein, die Zeit zum Kochen zu verschieben. Mit der wachsenden Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors nimmt die individuelle Strommenge jedoch ständig zu – und damit auch das Potenzial zur Verlagerung.
Eine genaue Bezifferung des ökonomischen Nutzens der Nachfrageverschiebung in Schwachlastzeiten mit tieferen Strompreisen ist schwierig, aber er dürfte jährlich in Millionenhöhe liegen. Neben diesen direkten wirtschaftlichen Vorteilen wäre der grösste Vorteil jedoch, dass ein solches Instrument rollende Stromausfälle mit ihren weitreichenden Folgen verhindern könnte.
Fazit und Ausblick
Es wurden schon grosse Anstrengungen unternommen, um Anreize zu schaffen für die Verschiebung des Stromverbrauchs auf Tageszeiten mit tieferer Last. Meist stützen sich diese Bemühungen auf intelligente Messsysteme ab, und die Anreize werden durch den Strompreis oder ökologische Aspekte wie CO2-Emissionen gesteuert. Die Covid-19-Pandemie hat jedoch gezeigt, dass die Bevölkerung nicht nur auf wirtschaftliche Vorteile reagiert, sondern auch bereit ist, ihre Anstrengungen freiwillig zu koordinieren, um eine Krise zu überwinden.
Der letzte Winter hat gezeigt, dass koordinierte Stromeinsparungen ein wertvolles Instrument sein könnten. Für die Entwicklung eines robusten Signals der Reservemarge gibt es diverse technische und wissenschaftliche Herausforderungen zu meistern. Es stellt sich auch die Frage, wer die Verantwortung für diese Berechnung übernimmt. In der Schweiz ist die Verantwortung für die Versorgungssicherheit auf mehrere Akteure verteilt. Die Verantwortung für das Auslösen von Massnahmen könnte an denjenigen Akteur delegiert werden, der den besten kurz- und mittelfristigen Überblick über das Stromsystem verfügt.
Für das Stromsparen einzelner Haushalte oder das automatisierte, koordinierte Ansteuern vieler Haushalte ist die Installation von Smart Metern eine Voraussetzung, die in der Schweiz für die meisten Regionen noch nicht gegeben ist. Ein grosser Vorteil des vorgeschlagenen Instruments ist daher, dass er auch ohne Smart Meter zur Anwendung kommt.
Selbstverständlich löst ein Informationssystem die grundsätzlichen Probleme einer nötigen Anpassung des Energiesystems an sich ändernde Randbedingungen nicht. Aber es kann als Unterstützung, Zwischen- oder Notlösung zum aktuellen Zustand des Energiesystems betrachtet werden und könnte einen bisher vernachlässigten Ansatz für Krisenzeiten bieten.
Referenzen
[1] J. W. Busby et al., «Cascading risks: Understanding the 2021 winter blackout in Texas», Energy Res. Soc. Sci. 77, 102106, 2021.
[2] T. Levin et al., «Extreme weather and electricity markets: Key lessons from the February 2021 Texas crisis», Joule 6, S. 1–7, 2022.
[3] UVEK, 2022. Erläuternder Bericht zur Verordnung über eine Stromreserve für den Winter (Winterreserveverordnung, WResV).
[4] Eidgenössische Elektrizitätskommission, 2022, Ergebnisse der Ausschreibung Wasserkraftreserve.
[6] L. Federer, M. Schwarz, «Kann die Schweizer Industrie eine Mangellage verhindern?», Bulletin Electrosuisse 1/2023, S. 57–61.
[7] C. W. King, J. D. Rhodes, J. Zarnikau, N. Lin, «The Timeline and Events of the February 2021 Texas Electric Grid Blackouts», University of Texas, Austin, 2021.
[8] E. Bobbio, S. Brandkamp, S. Chan, P. Cramton, D. Malec, L. Yu, Resilient electricity requires consumer engagement, University of Cologne, 2021.
[9] Transnet BW (2022): StromGedacht: Die neue App von TransnetBW. 15. 11. 2022.
[11] A. Vossebein, S. Muster, U. Betschart, B. Koelliker, Potential Demand Side Management in der Schweiz, 2019.
Kommentare