Fachartikel Hardware , IT für EVU , Smart Grid

Stromnetz-Monitoring gelingt via Stromnetz

PLC-Datenaustausch zwischen PMUs

01.05.2019

Gut überwachte Netze sind das Rückgrat einer zuverlässigen Stromversorgung. Monitoringsysteme helfen in Übertragungsnetzen, allfällige Störungen schnell aufzudecken und zu beheben. Künftig dürften ähnliche Monitoringsysteme auch im Verteilnetz zum Einsatz kommen. Forscher der HSLU arbeiten an einer kostengünstigen Datenkommunikationslösung.

Schon früh wurden die Kabel von Stromnetzen genutzt, um neben Elektrizität auch Informationen zu übermitteln. Dazu gehörten Radioprogramme, Telefongespräche, Steuersignale für Elektrogeräte und in neuerer Zeit auch Computerdaten. Die Datenübertragung über das Stromnetz – gemeinhin als «Power Line Communication» oder kurz PLC bezeichnet – hat einen gros­sen Vorteil: Statt für die Datenübertragung ein eigenes Leitungs- oder Funknetz bauen zu müssen, können bestehende Kupferleitungen genutzt werden. Auf diesem Weg lassen sich Computer ohne die Verlegung neuer Kabel zu Netzwerken zusammenschliessen oder der Internetanschluss vom Router mit hoher Datenrate in einen benachbarten Raum verlängern.

Die Nutzung von PLC spart Kosten – und Gewicht. Diese Vorzüge machen Power Line Communication interessant für Anwendungen beispielsweise für die Datenkommunikation in Zügen oder Flugzeugen. In einem Airbus 380 liegen 500 km Datenkabel mit einem Gesamtgewicht von 5,7 t. «Mit PLC liesse sich in einem Grossraumflugzeug bis zu einer Tonne Gewicht sparen, und wenn man das Bordnetz von Zügen für die Datenübertragung nutzt, werden erhebliche Kosteneinsparungen möglich», sagt Ulrich Dersch, Professor an der Hochschule Luzern Technik & Architektur (HSLU) in Horw (Einstiegsbild). Der promovierte Physiker hat bei Ascom zwei Jahrzehnte im Bereich PLC geforscht, bevor er 2008 als Dozent und Forscher an die HSLU wechselte.

Kommunikation

Power Line Communication

Die Datenübertragung über das Niederspannungsnetz (NS-Netz) wird heute schon weltweit millionen­fach für die Zählerfernauslesung eingesetzt. Weniger verbreitet ist PLC bisher in ­Mittelspannungsnetzen (MS-Netzen). Als Vorbild für die Nutzung des MS-Netzes zur Datenübermittlung verweist Ulrich Dersch auf den spanischen Energiekonzern ­Iberdrola SA. Das Unternehmen hat seit 2008 rund 11 Mio. Kunden mit Smart Metern ausgestattet, wobei die Daten über das NS-Netz mit PLC an Datenkonzentratoren in den Ortstrafo­stationen übertragen werden. Den Weg von den Trafo­stationen zur Zentrale des Energiekonzerns legen die Daten teilweise über die MS-Netze per PLC zurück. Dafür werden Zellen von 10 bis 15 Trafostationen gebildet, die unter­einander kommunizieren und die Daten schliesslich zu einem Punkt bringen, von wo sie über einen Anschluss an das öffentliche Netz (DSL, Mobilfunk) in die Zentrale gelangen.

Auch wenn Iberdrola PLC bisher nicht für Netzmonitoring nutzt, zeigen die nun bald 10-jährigen Erfahrungen, dass PLC auch auf der MS-Ebene ­zuverlässig und kostengünstig arbeitet. Die gemessene mittlere Verfügbarkeit der PLC-In­stallationen liegt mit 99,95 % deutlich höher als für die Mobilkommunikations-In­stallationen mit 99,6 %. Wie gross der Unterschied ist, wird deutlich, wenn man die jährlichen Ausfallzeiten in absoluten Werten vergleicht: 35 h gegenüber 4,5 h.

Mittelspannungsnetze unter Kontrolle

PLC für Flugzeuge und Züge sind aktuelle Forschungsgebiete, die Dersch mit einem rund 20-köpfigen Team im Kompetenzzentrum für Intelligente Sensoren und Netzwerke (CC ISN) der HSLU bearbeitet. Ein drittes Gebiet, in dem der Einsatz von PLC grosse Vorteile verspricht, ist das Stromnetz. Dieses besteht in der Schweiz aus dem von Swissgrid betriebenen, landesweiten Höchst- und Hochspannungsnetz sowie den Verteilnetzen auf Mittel- und Niederspannungsebene in der Hand von rund 600 Schweizer Verteilnetzbetreibern. Das europäische Übertragungsnetz ist schon seit Jahren mit einem Monitoringsystem ausgerüstet, welches erlaubt, im Swissgrid-Kon­trollzentrum in Aarau den Netzzustand in Echtzeit zu erkennen und schnell zu reagieren. Grundlage des Monitoringsystems sind an weit auseinanderliegenden Netz­knoten installierte Messgeräte (Phasor Measurement Units, PMU), die Spannung und Strom 50 mal pro Sekunde ermitteln und die Messdaten zur Auswertung an die Swissgrid-Zentrale übermitteln. Alle Daten sind mit einem Zeitstempel versehen. So lässt sich der Zustand des Gesamtnetzes praktisch in Echtzeit überwachen.

Ein vergleichbares Monitoringsystem wäre auch für die Verteilnetze wünschbar. Die zunehmende dezen­trale Einspeisung von Strom aus Sonne, Biomasse und Wind verlangt nämlich nach einer Überwachung auch dieser Stromnetze. Allerdings lässt sich das europaweite Monitoringsystem mit PMU nicht 1 zu 1 auf die Verteilnetze übertragen, denn die Leitungslängen sind in den Verteilnetzen kürzer. Die PMU müssen daher zeitlich mit einer höheren Genauigkeit synchronisiert werden. Geeignete PMU für das Mittelspannungsnetz werden beispielsweise von Zaphiro Technologies angeboten. Das Start-up der ETH Lausanne hatte diese Technologie unter anderem im Rahmen eines Pilot- und Demonstrations-Projekts des BFE entwickelt und im Verteilnetz der Stadt Lausanne erfolgreich erprobt. Ein zweites Problem besteht darin, die mit einem präzisen Zeitstempel versehenen PMU-Daten schnell (d. h. mit genügend kurzer Latenzzeit) und zuverlässig an die Zentrale zu übermitteln. Das Forscherteam um Ulrich Dersch will nun diese beiden Ziele – schnelle Datenübertragung und gleichzeitig präzise Zeitsynchronisation mit dem PLC-Signal – im Mittelspannungs-Verteilnetz erreichen, indem für die Datenübertragung das Stromnetz selber genutzt wird. Die Grundlagen dafür haben die Wissenschaftler von 2016 bis 2018 in zwei Forschungsprojekten erarbeitet.

Zustandserkennung

Phasor Measurement Units

Zur frühzeitigen Erkennung, Analyse und Behebung von Spannungs- und Frequenzabweichungen sowie von Schwingungsphänomenen werden in den Übertragungsnetzen seit einigen Jahren Wide Area Monitoring & Control-Systeme (WAMC) eingesetzt. Dabei messen im Netz verteilte Phasor Measurement Units (PMUs) in der Regel 50 mal pro Sekunde die Amplituden von Spannung und Strom. Spannung und Strom können mittels sinusförmiger Schwingungen dargestellt werden, deren Amplitude, Frequenz und Phasenwinkel man als Phasor definieren kann. Die PMUs sind untereinander exakt auf eine gemeinsame Uhrzeit synchronisiert. Jede Messung wird mit einem präzisen Zeitstempel (Genauigkeit in der Grös­senordnung von Mikro-/Nanosekunden) versehen; mit dem Zeitstempel wird der Phasor zum Synchrophasor.Aus den Messwerten der PMUs lassen sich beispielsweise Netzzustand und dynamische Phänomene wie Leistungspendelungen ablesen oder auch Fehler lokalisieren. Künftig können PMUs so auch einen wichtigen Beitrag zum Netzschutz liefern.

PLC gewährleistet Auswertung von PMU-Daten

Die beiden Hauptergebnisse der Studien lassen sich jeweils in einer Zahl zusammenfassen: Mit ihrem ersten Projekt zeigten die Luzerner Forscher, dass die verschiedenen PMU im Mittelspannungsnetz auf 0,5 µs genau synchronisiert werden können, und dies ohne Rückgriff auf eine GPS-Lösung, die zwar hochgenau, aber relativ teuer und störanfällig ist. Damit ist der für Hoch-/Höchstspannungsnetze geltende Maximalwert (3,1 µs) deutlich unterschritten. Ist diese Synchronisierung aber auch genau genug, damit das Monitoring eines Mittelspannungsnetzes mittels PMU verlässlich funktioniert? «Diese Frage ist noch nicht abschliessend geklärt, dafür müssen wir weitere Untersuchungen in einem realen Mittelspannungsnetz machen», sagt Ulrich Dersch.

Im zweiten Projekt, das Ende 2018 abgeschlossen wurde, lieferten die Forscher im Labor und in einem anschlies­senden erweiterten Laborversuch den Nachweis, dass die Latenzanforderung von unter 20 ms für die Datenübertragung mit PLC im Mittelspannungsnetz von den PMU zur zentralen Analyseeinheit möglich ist. «Sollten sich diese beiden Resultate im Feld bestätigen, steht mit der entwickelten PLC-Technologie eine sehr kostengünstige Lösung für die Datenkommunikation und gleichzeitig Zeitsynchronisation für sehr leistungsfähige PMU-basierte Monitoring- und darauf basierende Schutz- und Automationslösungen im Mittelspannungsnetz zur Verfügung», sagt Dersch.

Offen bleibt vorerst die Frage, wie PLC im Vergleich zu alternativ möglichen Kommunikationstechnologien wie Mobilfunk oder Glasfaser insbesondere bezüglich Kosten abschneidet. Diese Frage wollen Ulrich Dersch und sein Forscherteam gemeinsam mit dem Energiekonzern BKW und dem PMU-Technologieanbieter Zaphiro in einem vom BFE unterstützten Pilotprojekt klären.

Günstige Lösungen für Verteilnetzmonitoring

Dr. Michael Moser, im Bundesamt für Energie für das Forschungsprogramm Netze zuständig, ist überzeugt, dass eine entsprechende Lösung im Markt auf eine Nachfrage stossen wird: «Mit dem Ausbau der Photovoltaik und anderer dezentraler Stromeinspeisung werden Verteilnetzbetreiber kostengünstige Lösungen für die Überwachung und Automatisierung ihrer Mittel- und Niederspannungsnetze brauchen», sagt Moser.

Er verweist auf innovative Lösungen, die in den letzten Jahren bereits unter den Namen Gridbox, GridEye und GridSense entwickelt wurden (vgl. BFE-Fachartikel «Augen im Stromnetz», abrufbar unter www.bfe.admin.ch/ CT/strom). Diese und vergleichbare Systeme bedürfen einer möglichst genauen Zeitbasis und müssen vor allem auch ihre Daten kommunizieren. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Zeitsynchronisierung über GPS-Antennen relativ teuer und sabotageanfällig ist. Michael Moser sagt: «Die Erkenntnisse der Luzerner Forscher zur Datenübertragung per Stromnetz können dabei helfen, den Monitoringsystemen auf der Ebene der Verteilnetze zum Durchbruch zu verhelfen.»

Literatur

Die Schlussberichte zu den beiden HSLU-Projekten «Precise Time Synchronization of Phasor Measurement Units with Broadband Power Line Communications» und «Mission- & Time Critical Medium Voltage Broadband Power Line Communications für Synchrophasor-Applikationen im Verteilnetz» findet man unter:

www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=38158

www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=40191

Auskünfte zu dem Projekt erteilt Prof. Dr. Ulrich Dersch, Leiter Kompetenzzentrum Intelligent Sensors and Networks an der Hochschule Luzern Technik & Architektur.

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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