Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Strom schützt Fische vor Turbinen

BFE-Forschungsprojekt

27.05.2020

Betreiber von Laufwasserkraftwerken treffen seit einigen Jahren besondere Vorkehrungen, damit Fische die Anlagen unbeschadet passieren können. Ein Forscherteam der ETH Zürich entwickelt und testet für diesen Zweck elektrifizierte Fischleitrechen. Der Ansatz scheint vielversprechend, um den Schutz der Flussbewohner weiter zu verbessern.

Laufwasserkraftwerke stellen für Fische schwer überwindbare Hindernisse dar. Seit 2011 verlangt die schweizerische Gewässerschutzgesetzgebung eine Revitalisierung der Gewässer, und das bedeutet unter anderem die ungehinderte Bewegungsfreiheit für Fische. So gibt es heute bei praktisch allen Flusskraftwerken technische Fischpässe oder Umgehungsgewässer, die Forellen, Barben und den weiteren einheimischen Fischarten als Aufstiegshilfe dienen, wenn sie flussaufwärts wandern. Für den Fischabstieg werden seit einigen Jahren bei einzelnen kleinen und mittleren Kraftwerken Fischleitrechen eingesetzt. Sie hindern die Fische am Einschwimmen in den Turbinentrakt, leiten sie stattdessen zu einem Bypass, mit dem sie das Kraftwerk gefahrlos umschwimmen können.

Die Fischleitrechen bestehen bisher in der Regel aus horizontalen Metallstäben im Abstand von 10 bis 20 mm (sogenannte Horizontalrechen). Die Rechen stellen für die meisten Fische eine Barriere dar; für besonders kleine Fische hingegen bieten sie keinen guten Schutz. Fischleitrechen haben mitunter auch betriebliche Nachteile: Die engmaschigen Rechen werden rascher durch Laub und Gräser verstopft als klassische Turbineneinlaufrechen. Das erfordert regelmässige Wartung, soll der Durchfluss nicht reduziert und die Stromproduktion nicht gemindert werden. Gerade bei grossen Kraftwerken, wo hohe Fliessgeschwindigkeiten herrschen, würden mit Geschwemmsel verstopfte Rechen zu grossen Produktionsausfällen führen. Um dies zu vermeiden, entstünde bei Einsatz der heute gebräuchlichen Horizontalrechen ein hoher Betriebsaufwand.

Strom schreckt ab

Ein Forscherteam der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich möchte neuartige Rechen ohne diese Nachteile entwickeln. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen dafür unterschiedliche Horizontalrechen, wie sie heute vorwiegend zum Einsatz kommen, aber auch verschiedene Arten von Rechen mit vertikalen Stäben. Eine noch junge Idee besteht in der Elektrifizierung der Fischleitrechen: «So wie Strom bei einem Weidezaun die Kühe abschreckt, könnte Strom die Fische vom Rechen fernhalten», sagt VAW-Forscherin Claudia Beck. «Damit wollen wir zum einen die Fische noch wirksamer vor der Turbine bewahren und zum anderen die Voraussetzung schaffen, dass die Abstände zwischen den Stäben vergrössert werden können. Das hätte grosse betriebliche Vorteile und könnte den Einsatz solcher Rechen künftig auch bei grösseren Kraftwerken ermöglichen.»

Claudia Beck hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit einen Vertikalrechen entwickelt, dessen vertikale Stäbe nicht gerade sind wie in bisher gebräuchlichen Vertikalrechen, sondern gebogen (engl. Curved-Bar Rack/CBR). Dieser neuartige Vertikalrechen leitet die Fische im Labor wirksam zum Bypass und verursacht aufgrund der strömungsoptimierten Stabform deutlich geringere Verluste in der Stromproduktion. Im Rahmen eines vom BFE unterstützten Zusatzprojekts hat die Forscherin im Herbst 2019 untersucht, ob sich dieser vertikale Rechen durch Elektrifizierung weiter verbessern lässt, insbesondere für Aale, die durch den Rechen bisher unzureichend geschützt sind. Zu diesem Zweck wurde der 30 m lange Versuchskanal der VAW mit einem Rechen ausgerüstet, an den eine zwischen 38 und 80 V regulierbare Spannung aufgebracht wird. Anschliessend wurde untersucht, wie sich Aale und Schneider verhalten, wenn sie sich dem Rechen nähern.

Hoher Schutz für Aale

Ein Hauptergebnis der Studie: Der Aal profitiert in hohem Mass von der Elektrifizierung des CBR-Vertikalrechens. Während beim nicht elektrifizierten Rechen 73% der untersuchten Fische durch den Rechen schlüpften, war das mit der Elektrifizierung bei keinem der Tiere der Fall. Vielmehr schwammen die meisten Tiere zum Bypass. Die übrigen Tiere «verweigerten» die Passage, das heisst, sie gelangten weder zum Bypass noch durch den Rechen, sondern sie schwammen flussaufwärts zurück. Die Verweigerung ist zwiespältig: Für die Tiere ist zwar die Gefahr gebannt, die die Turbine für sie darstellt, allerdings um den Preis, dass sie auf die Wanderung flussabwärts verzichten, was aus ökologischer Sicht unerwünscht ist.

Eher ungünstig wirkte sich die Elektrifizierung des Vertikalrechens beim Schneider aus: Hier brachte die Elektrifizierung keinen Vorteil, weil die Fische auch den nicht elektrifizierten Rechen schon mieden und erfolgreich zum Bypass geleitet wurden. Die Elektrifizierung war sogar nachteilig, denn ein erheblicher Anteil der Fische «verweigerte» den Abstieg über den Bypass und schwamm flussaufwärts zurück. «Wir wollen in einem Nachfolgeprojekt jetzt untersuchen, ob wir mit einer Abschwächung der eingesetzten Spannungen und anderen Anordnungen der Elektroden erreichen können, dass die Fische wirksam geschützt werden und ihnen gleichzeitig noch häufiger der Abstieg durch den Bypass gelingt», blickt Claudia Beck in die Zukunft.

Artspezifisches Verhalten am Horizontalleitrechen

In einem zweiten Teilprojekt untersuchten die VAW-Forscher die Elektrifizierung eines Horizontalrechens (engl. Horizontal Bar Rack/HBR), dessen Optimierung Julian Meister an der ETH Zürich seine Doktorarbeit widmet. In diesem Fall profitiert der Aal von der Elektrifizierung nur unwesentlich, weil die Schutzwirkung bei 20 mm Stababstand auch ohne Elektrifizierung schon gut ist.  Wohl noch wichtiger ist eine zweite Erkenntnis: Offenbar kann man die Schutzwirkung der Elektrifizierung bei der getesteten Konfiguration nicht nutzen, um die Stababstände zu vergrössern, wie die Versuche zeigten. Vielmehr passierte rund ein Drittel der Aale den Rechen, wenn der Stababstand auf 51 mm vergrössert wurde. «Spannend zu beobachten war dabei, dass die Ausrichtung der Aale zum Rechen einen entscheidenden Einfluss auf die Schutzwirkung hatte. Diese Information ist sehr wichtig, um das elektrische Feld weiter zu optimieren, sodass die Aale – unabhängig von ihrer Ausrichtung – erfolgreich geschützt werden», betont Julian Meister.

Temporär elektrifizieren?

Schon heute steht fest, dass es nicht den einen Fischleitrechen für alle Kraftwerke geben wird. Vielmehr hängt die Wahl des «richtigen» Rechens von verschiedenen situativen Faktoren ab, darunter der Bauweise des Kraftwerks, der Fliessgeschwindigkeit des Flusses oder von den im jeweiligen Gewässer zu schützenden Fischarten. «Der von uns entwickelte Vertikalrechen mit gebogenen Stäben kommt als potenzielle Lösung auch für grosse Kraftwerke in Frage», sagt ETH-Forscherin Claudia Beck. Sie und ihre Kollegen simulieren derzeit den Einsatz eines solchen Rechens für das grosse Aare-Kraftwerk in Wildegg bei Brugg. Eine Idee geht dahin, Fischleitrechen nur zeitweilig zu elektrifizieren, wie Claudia Beck sagt. Dies könnte zur Hauptmigrationszeit der Aale geschehen.

Links

Der Schlussbericht zum Projekt «Etho-hydraulische Modellversuche an elektrifizierten Fischleitrechen (EthoMoSt)» ist abrufbar unter www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=41590

Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Wasserkraft findet man unter www.bfe.admin.ch/ec-wasser.

Auskünfte zu dem Projekt erteilt Dr.-Ing. Klaus Jorde, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Wasserkraft.

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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