Strategien für die Trafo-Instandhaltung
Diagnostik als Ausgangspunkt
Leistungstransformatoren gehören zu den strategisch wichtigsten Betriebsmitteln der Energieversorgung. Ihr Isolationssystem wird elektrisch, thermisch, mechanisch und chemisch kontinuierlich beansprucht und dadurch über die Jahre geschwächt. Um einen zuverlässigen Betrieb sicherzustellen, werden verschiedene Instandhaltungsstrategien eingesetzt.
Die Lebensdauer von Leistungstransformatoren kann bis zu 60 Jahre betragen. Da es sich um teure und wichtige Komponenten handelt, ist eine sachgemässe Instandhaltung zentral. Dabei können unterschiedliche Strategien verfolgt werden: Neben der zeitbasierten oder gelegentlich der korrektiven Instandhaltung, bei der der Unterhalt ausgesetzt und ein Ausfall oder ein Schaden in Kauf genommen wird, wird seit vielen Jahren im In- und Ausland meist die zustandsorientierte Instandhaltung (ZOI) angewendet. Letztere basiert auf den aktuellen Zuständen der gealterten Komponenten und erfordert diagnostische Messungen sowie visuelle Kontrollen (ViKo) vor Ort. Die ZOI bietet den entscheidenden Vorteil, dass durch gezielte Massnahmen die Lebensdauer der Komponenten erhöht und die Unterhaltskosten minimiert werden.
Unsere Stromnetze wurden weitgehend vor 60 Jahren erstellt, weshalb etliche Anlagen, inklusive Leistungstransformatoren, nun überdurchschnittlich gealtert sind. Gleichzeitig stehen die EVUs wegen schwindender Erträge unter zusätzlichem Kosten- und Spardruck, weshalb sich die Frage einer erweiterten Instandhaltung oder ggf. eines Ersatzes stellt. Sollte die Lebensdauer der elektrischen Betriebsmittel über der projektierten Lebensdauer (der VSE empfiehlt 35 Jahre) ausgereizt werden, gewinnt die ZOI zusätzlich an Bedeutung, wobei die wirtschaftlichen Aspekte des Instandhaltungsmanagements ungenügend durch die ZOI abgebildet sind. Einerseits basiert ZOI auf Messergebnissen oder ViKo, die Fachexperten zuweilen unterschiedlich «nach Gutdünken» beurteilen. Andererseits wird ZOI punktuell eingesetzt, basierend auf dem aktuellen Zustand einzelner Prüflinge, ohne den Gesamtzustand der Transformatorenflotte zu berücksichtigen.
Um Instandhaltungsstrategien gezielt, optimiert und quantifiziert zu verfolgen, arbeitet die BKW AG deshalb fortlaufend an der Weiterentwicklung diverser Zustandsindizes (basierend auf ZOI) für Transformatoren, Generatoren und Schaltanlagen. In diesen Zustandsindizes werden mehrere Hundert Komponenten miteinander verglichen und deren Zustand bewertet. Diese Bewertung durch Noten basiert auf messbaren und quantitativ belastbaren Zustandsparametern. Dadurch werden Willkür und persönliche Erfahrungswerte zum grossen Teil aus den Zustandsindizes eliminiert, was zu statistisch belastbaren technischen Bewertungen der Betriebsmittel führt.
Durch Instandhaltungsklassen werden neben dem allgemeinen (messbaren) Zustand der Komponenten auch die Wirtschaftlichkeit, Verfügbarkeit, Dringlichkeit (wie schnell sind Korrekturen nötig, um grössere Schäden zu vermeiden) sowie strategische Bedeutung bewertet. Dazu werden in umfangreichen Simulationen alle Netzkomponenten in einer Anlagenmanagementsoftware (AMS) berücksichtigt, welche auf valide Daten angewiesen ist. Dank des Zustandsindex wird die Wirksamkeit der Instandhaltung über die Laufzeit (in Franken) messbar. Als Folge können nicht nur die Total- Cost-of-Ownership reduziert, sondern auch die Betriebsmittel länger als ursprünglich geplant im Einsatz belassen werden, ohne auf die Qualität oder Verfügbarkeit verzichten zu müssen.
Zustandsbewertung mit Noten
Im operativen Anlagenmanagement der BKW AG werden Entscheidungen bezüglich der Netztransformatoren unter anderem auf Basis des Zustands und der Wichtigkeit getroffen. Eine wichtige Grundlage dafür sind die benoteten Daten der Transformatordiagnostik (Bilder 1 und 2). Sollte ein Transformator beispielsweise eine defekte Durchführung oder erhöhte Konzentrationen von Zersetzungsgasen im Öl (z. B. aufgrund lokaler Überhitzung oder Teilentladungen) aufweisen, kann dies zu unmittelbaren, operativen und dringlichen Massnahmen führen (Quadrant II und III in Bild 2). Korrosion oder leicht erhöhte Feuchtigkeit in der Isolation sind zwar nicht optimal, müssen aber nicht zu unmittelbaren Massnahmen führen und sind deshalb weniger dringlich. Eine schlechteste Teil-Note kleiner als 4,0 bedeutet also nicht automatisch, dass ein Transformator betriebsuntauglich ist. Vielmehr sind die Gründe für die Note relevant. Transformatoren, bei denen die Gesamtbewertung gut ist und kein Analyseparameter als kritisch angesehen werden kann, befinden sich im Quadrant I. Dabei repräsentiert die Punktgrösse die Aussagekraft respektive Qualität der Benotung. Je grösser der Punkt, desto belastbarer ist die Zustandsbewertung. Die Definition der Teilnoten-Kriterien garantieren, dass die Zustandsbeurteilung über einen längeren Zeitraum keinen subjektiven Schwankungen unterliegt. Somit sind kleine Unterschiede zwischen arithmetisch gemittelten integralen Noten für die gesamte Flotte (oder für Klassen) von einem zum anderen Jahr statistisch signifikant.

Die integrale Note bewertet den Gesamtzustand eines Transformators und ist für die langfristige Strategie im operativen Anlagenmanagement von Bedeutung. Dies ist gut an der Zustandsbewertung eines 400-MVA-Netztransformators für den Betrachtungszeitraum 2016 bis 2018 ersichtlich (Punkte 1 bis 3 in Bild 2). Die schlechteste Teilnote (Punkt 1) wurde in der visuellen Kontrolle festgestellt (unzureichender Korrosionsschutz). Dank Nachbesserung des Korrosionsschutzes stieg die integrale Note von 5,1 auf 5,4 (Punkt 2). Die schlechteste Teilnote von 3,9 in Punkt 2 geht auf den Zustand des Stufenschalters zurück. Nach dessen Revision stieg die integrale Note von 5,4 auf 5,6 (Punkt 3) und die schlechteste Teilnote liegt nun bei 4,6 (gelöste Gase im Öl). Nach der Revision (Punkt 3) ist der Transformator vollständig betriebstüchtig. Abgesehen von den regelmässigen Diagnose-Messungen sind vorläufig keine weiteren Massnahmen zu planen.
Die Massnahmen im operativen Anlagenmanagement beruhen auf dem konkreten Zustand einer Anlage sowie auf der Wichtigkeit des Betriebsmittels. Die Wichtigkeit eines Netztransformators kann beispielsweise nach den folgenden Faktoren definiert werden:
- Verhalten im Wiederversorgungsfall
- Ranking nach Transformatortyp
- transformierte Jahresenergie
Die grossen Netzkupplungstransformatoren in strategisch relevanten Unterwerken sind deutlich wichtiger als leistungsschwächere Transformatoren anderer Netzebenen. Die grafische Übersicht (Bild 3) einer Gesamtflotte hilft, die Prioritäten für Betrieb, Instandhaltung und Erneuerung zu setzen.

Die integrale Note einer Transformatorenflotte nimmt infolge der Alterung stetig über die Betriebsdauer ab (Bild 4). Letztlich wird die Steigung dieser Weibullverteilung durch die Instandhaltungsmassnahmen mitbestimmt.
In einem weiteren Schritt stellen die umfangreichen Diagnostikdaten eine ideale Datenbasis dar, um den Anlagenzustand in einer operativen AMS zuverlässig abzubilden. Durch die zusätzliche Integration der Wichtigkeitsdaten kann das operative Anlagenmanagement eine Priorisierung vornehmen und schliesslich einfacher finanzielle Entscheidungen treffen.
Diagnostik stärkt strategisches Anlagenmanagement
Für die globale Instandhaltung eines EVU wird jährlich ein Budget erstellt. Mit den begrenzten Mitteln sollen nicht nur Leistungstransformatoren, sondern alle Komponenten im Netz bewirtschaftet werden. Bei der BKW AG handelt es sich um rund 70 Betriebsmittelgruppen (Masten und Beseilungen von Freileitungen, Rohranlagen, Gebäude, Kabel, Schaltfelder, Netzanschlüsse, Isolatoren, Transformatorstationen etc.).
Der Zustand der einzelnen Komponenten in den Betriebsmittelgruppen ist massgebend für den Gesamtzustand und somit den Wert des Gesamtnetzes. Um eine maximal-optimierte Zustandsverbesserung über alle Betriebsmittelgruppen mit begrenzten Instandhaltungsmitteln zu erzielen, müssen Transformatoren also nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen Betriebsmitteln verglichen werden. Um unterschiedliche Betriebsmittel vergleichen zu können, müssen die Zustandsverbesserungen pro eingesetztem Franken (Instandhaltung) bekannt sein. Deshalb verwendet die BKW AG numerische Modelle des gesamten Netzes in einer strategischen AMS. In der AMS sind die Betriebsmittelgruppen, auch die Leistungstransformatoren, pro Spannungsebene mit ihren Abhängigkeiten, Parametern und durchgeführten Massnahmen abgebildet. Die aus der Diagnostik gewonnenen Zustandsdaten sind, neben zahlreichen anderen Parametern, ein integraler Bestandteil der zugrunde liegenden Datenmodelle.
Mit den Daten aus der Diagnostik können folgende Mehrwerte generiert werden:
- Verwenden realer, kontinuierlich aktualisierter Zustandsdaten statt synthetischer Daten.
- Abbilden des detaillierten Anlagenzustands in den Berechnungsmodellen.
- Beobachten der Zustandsentwicklung einer Anlage über einen Zeitraum.
- Verbessern der modellierten Prognosen zur Zustandsverschlechterung.
- Kalibrieren der Zustandsübergänge in Asset-Simulationen besser möglich.
- Abschätzen des Einflusses von Massnahmen (Generalrevision, Wartung usw.) auf den Zustand der Transformatoren zur Übernahme in die Simulationsmodelle.
- Kenntnis über das Zustandekommen der Zustandsdaten und dadurch gute Interpretation der Softwareergebnisse.
In manchen Fällen existieren für diverse Betriebsmittel nur synthetische Daten, welche entweder auf Annahmen oder qualitativ «weichen» Bewertungen beruhen. Im Gegensatz dazu liefert die Diagnostik belastbare, quantitativ «fundierte» Daten, mit denen die Massnahmen in der AMS kalibriert werden können. Beispielsweise kann die Wirksamkeit eines Korrosionsschutzes oder einer Generalrevision eines Transformators in der AMS erfasst und in Franken bemessen werden. Deshalb sind auf Diagnosedaten basierende Modelle präziser und aussagekräftiger als Modelle, welche nur auf theoretischen Annahmen beruhen.
Zusammenfassung
Es ist Aufgabe der Diagnostik, anhand von Messtechnik und visueller Kontrolle den allgemeinen Zustand der Betriebsmittel zu erfassen und durch gewichtete Noten reproduzierbar zu bewerten. Die erfassten Daten erlauben dem Anlagenmanager, auch ohne detaillierte Fachkenntnisse den Zustand für eine Betriebsmittelgruppe (Transformatoren, Schaltanlagen, Generatoren etc.) quantitativ, grafisch und in numerischen Modellen zu erfassen und durch optimierte Instandhaltungsmassnahmen zu steuern. Dank des Zustandsindex kann die Wirksamkeit der Massnahmen in Bezug auf eine gewählte Strategie quantitativ bewertet und gesteuert und infolgedessen die Total-Cost-of-Ownership reduziert werden. In einer Zeit geprägt von Kosten- und Spardruck gewinnt dadurch die Diagnostik in der Instandhaltung an Bedeutung.
Die Autoren möchten gerne folgenden am Projekt beteiligten Personen danken: T. Gränicher, M. Scholz, M. Riederer, J. Brodard, L. Eggimann, M. Zbinden sowie P. Kunz.
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