Fachartikel Infrastruktur

Störlichtbogenschutz heute

Sicherheit für Personen und Anlagen

29.08.2019

Störlichtbögen sind gefürchtete Zwischenfälle in der Energietechnik, denn sie können den Weiterbetrieb von Leistungsabnehmern beeinträchtigen und so immense Folgekosten verursachen. Bei Menschen können sie zu schwersten Verbrennungen oder Verletzungen führen. Ein Blick auf den Stand der Technik zum Schutz von Personen und Anlagen.

Gemäss eidgenössischem Starkstrominspektorat ESTI konnte bis 2017 kein Rückgang von Elektro­unfällen verzeichnet werden. Nebst der elektrischen Durchströmung sind Stör­licht­bögen eine häufige Ursache von lebens­gefährlichen Verlet­zungen. Die Gründe für die Entstehung solcher Störlicht­bögen können in drei Kate­gorien eingeteilt werden:

  • Handhabungsfehler: Diese treten bei Wartungsarbeiten und Inspektionen, bei Arbeiten an unter Spannung stehenden Teilen sowie beim Ersetzen von Sicherungen und Anschlüssen auf. Zudem können liegengebliebene Fremdkörper wie Werkzeuge oder Arbeitsmaterialien Störlichtbögen auslösen.
  • Betriebsbedingte Fehler: Darunter fallen beispielsweise Überspannungen, mangelhafte Isolationen, schlechte Kontaktierungen, fehlerhafte Dimensionierungen oder eine zu hohe Packungsdichte eingebauter Geräte. Unverhältnismässige Verschmutzungen sowie die Entstehung von Kondenswasser gehören auch dazu.
  • Verbiss von Nagetieren: Solche Fälle sind bei Arbeiten an der Gebäudehülle oder bei schlecht abgedichteten Räumen möglich und werden auch statistisch erfasst.

Technische Definition des Störlichtbogens

Bei einem Lichtbogen handelt es sich um eine elektrische Gasentladung mit hohem Strom zwischen zwei Elektroden, die sich mit einer Geschwin­digkeit von bis zu 100 m/s in Stromrichtung fortbewegt. Dabei bildet sich zwischen zwei aktiven Leitern oder einem aktiven und einem passiven Leiter ein elektrisch leitfähiges Plasma, dessen Temperatur bis zu 13000°C betragen kann. Tritt dieser Lichtbogen nicht betriebsmässig, sondern durch eine Störung auf, spricht man von einem Störlichtbogen.

Durch die hohe Temperatur kommt es zu einer explosions­artigen Druck­erhöhung, die einem Gewicht von 20'000 kg/m2 entspricht, und die mit den Auswir­kungen eines Sprengsatzes verglichen werden kann. Bei Menschen kann es dadurch zu schweren Verbren­nungen, Schäden des Augenlichts durch den Lichtblitz, Beeinträchtigung des Hörvermögens durch den Detonations­knall sowie zu Verletzungen durch wegfliegende Anlagenteile kommen. Zudem drohen Vergiftungen durch das Entstehen von gesundheits­schäd­lichen Gasen und Metalldämpfen. Ein zentrales Ziel des Störlicht­bogen­schutzes ist daher die Personen­sicherheit.

Neben der Personen­sicherheit zielen die zu ergreifenden Schutzmass­nahmen auch auf den Erhalt der Funktions­fähigkeit einer Anlage ab. Mehrheitlich führen Störlicht­bogenunfälle zu Schäden an der Anlage und in der Folge zu kosten­inten­siven Produktions- und Serviceausfällen. Da die Verfügbarkeit einer NS-Schaltanlage im professionellen Umfeld, wie beispiels­weise in Rechenzentren, Unter- und Kraftwerken oder industriellen Prozessen, eine entscheidende Rolle spielt, tragen die normativen Vorgaben hinsichtlich des Störlicht­bogen­schutzes dieser Zielsetzung Rechnung.

Die Normenlage

Eine zusätzliche Sicherheit aktiver Schutzsysteme im Bereich von Niederspannungsanlagen wird durch das Absolvieren einer Sonderprüfung unter Störlichtbogenbedingungen nach IEC/TR 61641 ed. 3 dokumentiert. Zu beachten ist, dass diese Prüfung keine Bauartprüfung nach EN 61439 ist, sondern eine Sonderprüfung, die zwischen Anwender und Hersteller zu vereinbaren ist. Dabei erfolgt die Zündung eines Lichtbogens durch einen Zünddraht zwischen den Aussenleitern an Punkten mit den höchsten Auswirkungen. Ziel ist es, die Auswirkungen eines Störlichtbogens – bezogen auf den Personen- und Anlagenschutz – so klein wie möglich zu halten. Dies wird durch die Einhaltung verschiedener Prüfkriterien sichergestellt.

Für den Personenschutz (Lichtbogenklasse A, Tabelle 1) sind folgende Kriterien zu erfüllen:

  • Gesicherte Türen oder Abdeckungen dürfen sich im Störfall nicht öffnen.
  • Es dürfen keine Teile wegfliegen.
  • Der Lichtbogen darf in den Umhüllungsteilen keine Löcher verursachen.
  • Angebrachte Indikatoren dürfen sich nicht entzünden.
  • Der Schutzleiterstromkreis PE muss nach einem Störfall weiterhin funktionsfähig sein.

Für den Personen- und Anlagenschutz (Lichtbogenklasse B, Tabelle 1) muss zudem folgendes Kriterium erfüllt werden:

  • Der Störlichtbogen bleibt am Entstehungsort. Er darf keine umliegenden Bereiche neu entfachen.

Für Personen- und Anlagenschutz mit eingeschränkter Betriebsfähigkeit (Lichtbogenklasse C, Tabelle 1) kommt noch folgendes Kriterium hinzu:

  • Nach der Störungsbeseitigung oder einer Abtrennung des defekten Anlagenteils muss nachgewiesen werden, dass die verbleibenden Anlagenteile für einen Notbetrieb tauglich sind.

Passive Schutzmassnahmen

Oberstes Schutzziel bei der Planung und Projektierung einer Schaltanlage ist es, die Entstehung und das unkontrollierte Ausbreiten von Störlichtbögen zu verhindern. Bei passiven Störlichtbogenschutzsystemen stellt in der Planungs- und Projektierungsphase bereits die Wahl der inneren Unterteilung (Bauform 1, 2b und 4b) bei der Auslegung der Anlage einen Anlagenschutz dar, da auf diese Weise innerhalb der Funktionsräume (Sammelschienenraum, Geräteraum und Kabelanschlussraum) das Eindringen fester Fremdkörper verhindert wird. Damit wird die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Störlichtbogens begrenzt und ein Ausbreiten in benachbarte Funktionseinheiten teilweise verhindert. Sollte es dennoch zu einem Störlichtbogen kommen, so schränken Massnahmen wie Druckentlastungsklappen, Lichtbogenbarrieren oder eine mechanische Verstärkung der Schaltanlagenhülle die Auswirkungen ein. Die Begrenzung des Störlichtbogens auf die betroffene Funktionseinheit bedeutet jedoch meist, dass diese komplett zerstört und ausgetauscht werden muss. Zudem wird der Personenschutz meist über die verstärkte Gehäusehülle bei geschlossenen Türen realisiert. Daher ist für Wartungsarbeiten bei geöffneten Schaltanlagentüren nur ein geringer oder kein Personenschutz geboten.

Aktive Schutzsysteme

Ein aktives Störlicht­bogen­schutz­system greift in den Entstehungsprozess eines Störlichtbogens ein und löscht diesen innert Millisekunden. So werden die Auswirkungen eines Störlichtbogens stark reduziert oder ganz vermieden. Hierzu wird ein ausgefeiltes System elektrischer und elektronischer Komponenten eingesetzt, wie das Beispiel des aktiven Störlicht­bogen­schutz­systems von Hager zeigt. Dieses besteht aus fünf Bauteilen:

  • Lichtsensoren erfassen den Lichtbogen.
  • Stromwandler erfassen den Stromanstieg.
  • Das Steuergerät überwacht, schaltet im Störfall ab und zeigt den Entstehungsort des Fehlers an.
  • Löschgeräte klemmen die Energie des Lichtbogens ab.
  • Leistungsschalter schalten die Schaltanlage frei.

Nach der Störungsbehebung kann die Anlage im Idealfall nach nur einer halben Stunde wieder in Betrieb genommen werden.

Beherrschen der fünf Sicherheitsregeln

Ein konsequentes Anwenden der fünf Sicherheitsregeln ist zur Vermeidung von Elektrounfällen unabdingbar. Aktive Störlicht­bogen­schutz­systeme ersetzen diese Regeln zwar nicht, schützen jedoch bei Nachlässigkeit. Nebst der Löschung eines Störlichtbogens wird nach einem Fehlerfall das System automatisch freigeschaltet, wobei grundlegende Elemente der fünf Sicherheitsregeln angewendet werden.

  • Freischalten und allseitig trennen
  • Gegen Wiedereinschalten sichern
  • Auf Spannungslosigkeit prüfen
  • Erden und kurzschliessen
  • Gegen benachbarte, unter Spannung stehende Teile schützen

Aktive Schutzsysteme verkürzen die Lichtbogenzeit durch Löschgeräte an den Aussenleitern deutlich. Anlageschäden durch Störlichtbögen werden so verhindert und das Personal wird auch bei offenen Anlagetüren geschützt.

Eine Investition, die sich lohnt

Bei Anlagen mit dem Anspruch an eine hohe Verfügbarkeit ist die Wirtschaft­lichkeit eines Störlicht­bogen­schutz­systems einfach nachzuweisen. Dies kann über eine Risikoanalyse erfolgen oder man berücksichtigt die Reduktion des sogenannten MTTR (Mean Time To Repair) der gesamten Anlage.

Wurde ein aktives Störlichtbogen­schutz­system gewählt, hat die Anlage im Fehlerfall keinen grossen Schaden erlitten und kann den Betrieb rasch wieder aufnehmen. Nach der Beseitigung des Schadens muss bei einem passiven Schutzsystem noch sichergestellt werden, dass ein Notbetrieb mit den unbeschädigten Teilen weiterhin garantiert werden kann. Dies dauert etwas länger, aber garantiert nicht so lange wie bei einem Ausfall ohne jeglichen Störlichtbogenschutz.

So kann die Investition für ein Störlicht­bogen­schutz­system auch mit dem sonst nötigen Ersatz von Anlageteilen aufgewogen werden. Letztlich kann der erhöhte Personen­schutz nur eingeschränkt finanziell bewertet werden. Betreiber, die Wert auf ihre Betriebs­sicherheit legen, berücksichtigen ein Störlicht­bogen­schutz­system in ihrer Sicherheitsplanung.

Autor
Franco Barria

ist Produkt-Manager Energie­systeme/Leis­tungs­schalter bei Hager.

  • Hager AG, 6020 Emmenbrücke

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