Spannungsregelung in Verteilnetzen
Möglichkeiten und Entscheidungskriterien
Der Ausbau der dezentralen Einspeisung aus erneuerbaren Energien kann zu Situationen führen, die die Integration ins Verteilnetz zu einer Herausforderung machen. Denn es ist beispielsweise nicht immer einfach, die Stromqualitätsstandards einzuhalten. Ein Pilotprojekt hat nun aufgezeigt, wie dies ohne teuren Netzausbau möglich ist.
Zwischen 2016 und 2017 haben ABB, das Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen AG (EKS) und die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Rahmen eines KTI-finanzierten Projektes ein Pilotprojekt mit dem Namen «Economic Voltage Control» durchgeführt. Die beteiligten Partner entwickelten, simulierten, implementierten und testeten eine Pilotanlage in Dettighofen (DE), einem ländlichen Gebiet des EKS-Netzes in der Regelzone Schweiz. Die Anlage besteht aus einem Spannungsregler für das Niederspannungsnetz, der die Spannungsregelung mit einer koordinierten Blindleistungsregelung und der Wirkleistungsregelung von PV-Wechselrichtern kombiniert. Neben der Funktion der direkten und indirekten Spannungsregelung beinhaltet sie auch eine aktive Leistungsbegrenzung als Reserve-Funktion zum Schutz der betroffenen Infrastruktur vor temporärer Überlastung. Dadurch kann eine grössere Anzahl schwankender, erneuerbarer Energiequellen ins Netz eingespeist werden.
Die Hauptmotivation bestand darin, die Integration vieler erneuerbarer Energiequellen ohne teuren Netzausbau zu ermöglichen, die vorgegebenen Stromqualitätsstandards [1, 2] zu erfüllen und die Infrastruktur vor einer möglichen Überlastung zu schützen. Dies wenn möglich in einem für den Endkunden kleinstmöglichen Eingriff bei minimalen Kosten für alle Beteiligte. Die Installation soll so einfach wie möglich sein, idealerweise ohne vorherige Rastermodellanalyse.
Probleme und Lösungen
Das untersuchte Gebiet (Bild 1) ist Teil des Niederspannungsnetzes in Dettighofen mit einer hohen Durchdringungsrate von PV-Anlagen (über 50% der erzeugten Energie).
In einer Vorstudie wurden mögliche technische Lösungen zur Spannungsregelung in Abschnitten von Verteilnetzen mit hohem Anteil an erneuerbaren Energien untersucht. Der Schwerpunkt der Vorstudie lag auf der qualitativen und quantitativen Abschätzung des Spannungsregelpotenzials von PV-Wechselrichtern und Niederspannungs-Verteiltransformatoren mit Laststufenschaltern.
Die Studie zeigte, dass die Spannungsregelung in Verteilnetzen, die überwiegend aus Freileitungen bestehen, entweder durch eine Leistungsfaktorregelung der Wechselrichter (Teil der dezentralen Erzeugung) oder durch einen bestimmten Niederspannungs-Verteiltransformator mit Laststufenschalter erreicht werden kann.
In Simulationen wurde festgestellt, dass die Spannungen derzeit den bestehenden Normen entsprechen. Dennoch liegen einige Knotenspannungen nahe an den Grenzwerten. Somit würde das Netz sicherlich von zusätzlichen Betriebsmitteln zur Spannungsregelung profitieren.
Die entwickelte Spannungsregelung beruht auf der koordinierten Wirkung von einem Netzspannungsregler und Wechselrichtern von Photovoltaikanlagen, welche den grössten Einfluss auf die lokale Spannung haben.
Nach den Ergebnissen der Analyse in [3] wurden drei Wechselrichter am Standort 1 und ein Wechselrichter am Standort 2 durch je einen regelbaren Wechselrichter ersetzt. Die neuen Wechselrichter sind in der Lage, den Leistungsfaktor zu regeln (serienmässig eingebaute Funktion) und bei Bedarf die Leistung bis zu 100% zu reduzieren.
Die gewählten Wechselrichter sind vom Typ ABB Trio-8.5-TL-OUTD-S und Trio-8.5-TL-OUTD. Sie kommunizieren mit Fernwirkeinheiten (Remote Terminal Units, RTU) über das Modbus-Protokoll.
Ein Spannungsregler für das Niederspannungsnetz (Low Voltage Line Voltage Regulator, LV LVR) mit einer Leistung von 125 kVA und elf Stufen für einen Spannungsregelbereich von ±6% wurde installiert. Der ABB LV LVR ist ein Trockentransformator mit Booster/Feeder-Technologie in Kombination mit mechanischen Schaltern.
Die Steuerlogik und Kommunikationsfunktionen sind auf zwei Fernwirkeinheiten der ABB RTU 500-Familie implementiert. Am Standort 1 wurde eine RTU 540 installiert. Ihre Hauptaufgabe ist die Kommunikation mit den beiden PV-Wechselrichtern und dem LVR. In dieser RTU wurde die übergeordnete EVC-Steuerlogik implementiert. Messungen und Sollwerte vom/zum LV LVR werden über das Protokoll IEC 60870-5-104-übertragen.
Eine zweite RTU (RTU 520) wurde am Standort 2 installiert. Wie bei der obigen RTU 540 werden die Messungen der Wechselrichter an dieser Stelle gesammelt und mittels IEC 60870-5-104-Protokoll an die RTU 540 der Stelle 1 übertragen.
Die Kommunikation zwischen dem LVR und den RTUs an den Standorten der Wechselrichter erfolgt über vermaschte Wireless Router (Funkrouter) der ABB-Tropos-Familie. Das Gerät am LVR ist ein Tropos-1410-Modell und wird als Funkknoten eingesetzt. Bei den beiden anderen Geräten handelt es sich um Tropos 7320, die als Funkknoten an Standort 2 und als Funk-Gateway an Standort 1 eingesetzt werden.
Installation
Die Installation erfolgte in mehreren Schritten. Zuerst wurde der LV LVR im Frühjahr 2017 am ausgewählten Standort installiert und im Sommer in Betrieb genommen. Eine erste Messung wurde zwischen Juni und Juli 2017 durchgeführt, um eine Messbasis für die Sommermonate zu erhalten.
Die neuen Wechselrichter und die Tropos-Router wurden im September 2017 installiert. Die neuen Trio-Wechselrichter blieben nach Abschluss der Pilotphase auf dem Gelände installiert. Die Tropos-Installation war nur vorübergehend erlaubt und die Geräte wurden nach der Testkampagne wieder entfernt. Diese Art der Kommunikation wurde für die Feldtests ausgewählt, da der Betriebsaufwand im Vergleich zu einer GPRS-Lösung geringer ist.
Die RTUs an den Standorten 1 und 2 wurden im Oktober installiert, um die Kommunikation zwischen den Wechselrichtern und dem Tropos zu gewährleisten. Zusätzlich wurde die RTU an eine externe RTU angeschlossen, um die relevanten Messwerte zur Auswertung ans EKS-Leitsystem zu übertragen.
Die Messwerte werden mit den vorgeschriebenen Grenzwerten nach der europäischen Norm EN 50160 verglichen. EKS toleriert in diesem Gebiet Spannungsschwankungen im Bereich von ±5%.
Auswertung und Analyse
Bild 4 zeigt die typische Verteilung der Spannungen an allen 550 betrachteten Netzknoten. Die optimalen Einflusspunkte des Regelvorgangs werden durch die rot/grünen Pfeile angezeigt. Die blauen Pfeile zeigen hingegen, wie eine klassische Änderung der Abgriffsposition des Verteiltransformators zu einer Verschiebung aller Knotenspannungen nach links (unten) oder rechts (oben) entlang der horizontalen Spannungsachse führt. Mit anderen Worten, das Über-/Unterspannungsproblem kann mit einem regelbaren Verteiltransformator gelöst werden, nur solange die angezeigte Spannungskurve schmal bleibt und stets vollständig innerhalb vorgegebener Grenzen liegt. Mit der neu entwickelten Lösung kann das obere und untere «Ende» der Kurve unabhängig voneinander verschoben werden, sodass die Knotenspannungskurve verengt wird und somit innerhalb vorgegebener Spannungsgrenzen bleibt, wie mit den grünen oder rot gestrichelten Linien angezeigt.
Der hier untersuchte Netzabschnitt wurde gewählt, weil dort mehr als 50% des jährlichen Energiebedarfs des betrachteten Netzes mit PV-Produktion abgedeckt wird. Verschiedene Spannungsregelungen wurden entwickelt, implementiert und evaluiert:
- Netzspannungsregler (LVR)
- Blindleistungsregelung (RPC)
- Wirkleistungsregelung (APC)
Mit dem neuen Ansatz (lokale Koordination von LVR, RPC, APC) kann das Problem lokal ohne Einfluss auf alle Knotenspannungen angegangen werden. So kann das L-förmige Gesamtknotenspannungsprofil verschmälert werden, bis es innerhalb der angestrebten Grenzen liegt. Die koordinierende RTU priorisiert die LVR-Regelung (deaktiviert die APC- und RPC-Regelung), solange der LVR innerhalb der Grenzwerte arbeitet und die beobachteten/kritischen Knotenspannungen innerhalb der vorgegebenen Grenzwerte liegen. Sobald der LVR seine Grenzen erreicht und die beobachteten Knotenspannungen die Grenzwerte überschreiten, wird die RPC-Regelung aktiviert. Überschreiten die Knotenspannungen danach noch immer die vorgegebenen Grenzwerte, aktiviert die koordinierende RTU zuletzt auch die APC an der beobachteten Stelle. Die P(V)- und Q(V)-Kennwerte können für jeden Wechselrichter individuell definiert werden. In der Praxis kann die Knotenspannung durch RPC im typischen städtischen Kabelnetz nur um ca. 2% geregelt werden, was meist nicht ausreicht, um die Spannung wieder in die erforderlichen Grenzwertbereiche zu bringen. Es kann jedoch beobachtet werden, dass der Einfluss von RPC auf die Amplitude zwar gering ist, sich aber im Vergleich zu APC- oder LVR-Regelungen geografisch weiter im Netz ausbreitet, was sich positiv auf die Spannung im ganzen Netzabschnitt auswirkt.

Zusammenfassung
Die Spannungsregelung im Verteilnetz kann nicht kostenfrei erfolgen. Sie ist immer mit einem gewissen Aufwand für die benötigte Hardware und deren Energieverluste beim Einsatz verbunden. In diesem Projekt wurde dies quantifiziert. Die entwickelten Lösungen wurden diesbezüglich verglichen. Praktische Kriterien für den richtigen Entscheid sind: Wie gross ist der erreichbare Spannungsregelungseffekt? Muss der Endkunde miteinbezogen werden? Kann die Netzinfrastruktur auch geschützt und gleichzeitig der Anteil der erneuerbaren Energien maximiert werden? Mit der entwickelten Lösung profitieren sowohl die Endkunden als auch der Netzbetreiber. Die Netzspannung kann innerhalb vorgegebener Grenzen gehalten werden und der Schutz der Netzinfrastruktur ist gewährleistet, da durch die Koordination auch der Lastfluss auf einen Maximalwert begrenzt werden kann. Gleichzeitig wird der Anteil der PV-Erzeugung ohne Netzausbau erhöht und die durch Abregelung verlorene Sonnenenergie minimiert.
Referenzen
[1] «DACHCZ - Technische Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen», VSE, 2007.
[2] EN 50160, «Voltage Characteristics of electricity supplied by public distribution networks».
[3] Valerijs Knazkins, «Complementary Power Flow Calculations of the Dettighofen Distribution Grid», ZHAW, 2017.
[4] Valerijs Knazkins, «On the Voltage Control in LV Grids», ZHAW, 2017.
Literatur
- «Technische Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen», VEÖ, 2007.
- Carigiet, F. Baumgartner, P. Korba, R. Knecht, M. Niedrist, «Optimization of the load-flow calculation method in order to perform techno-economic assesment of low-voltage distribution grids», 33rd European Photovoltaic Solar Energy Conference and Exhibition, 2017.
- Lukas Baumgartner, «Economic voltage regulation in electrical distribution grids», MSE thesis, ZHAW, 2015.
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