Fachartikel Energienetze , Infrastruktur

Spannungs­qualität in Verteil­netzen

Forschungs­resultate des Projekts OptiQ

30.11.2021

Die Verteil­netze werden durch die zuneh­mende dezen­trale Ein­speisung und Speiche­rung, aber auch durch die Elektro­mobi­li­tät und Wärme­pumpen intensiver genutzt. Dies beein­flusst die Span­nungs­qualität, die frequenz­abhän­gige Netz­impe­danz und die Power­line Communi­cation. Über Messun­gen und Simu­latio­nen wurde die Situation in den Verteil­netzen analysiert.

Die heutigen Ansätze zur Beurteilung des Anschlusses von Kundenanlagen basieren oft auf der Kurzschlussleistung bei der Grundschwingung. Für Empfehlungen zur Beurteilung von Netzrückwirkungen, wie bei den D-A-CH-CZ-Regeln EMV & PQ [1], ist die Berücksichtigung des Frequenzverhaltens der Netzimpedanz zur Beurteilung der Oberschwingungsemissionen evident. Normen wie die EN 61000-3-2 und EN 61000-3-12 [2,3] verlangen, das Spektrum der Oberschwingungsströme von Geräten im Labor des Herstellers an einer möglichst idealen 50-Hz-Spannungsquelle zu messen. In der Praxis können die Emissionen von Oberschwingungsströmen jedoch je nach Netzanschlusspunkt aufgrund der lokalen Spannungsverzerrungen, die durch die Summe aller am Netz angeschlossenen Geräte verursacht werden, stark abweichen. Da zudem immer mehr nichtlineare Geräte mit Leistungselektronik eingesetzt werden, verändert sich die frequenzabhängige Netzimpedanz (fNI) und es ergeben sich neuartige Einflüsse auf die Spannungsqualität (PQ bzw. Power Quality). Dies kann ungünstige Effekte auf das Verhalten von Stromnetz und von Geräten (Resonanzen, Störung der Kommunikation etc.) haben. Die Auswirkungen und die Entwicklung der Spannungsqualität und der frequenzabhängigen Netzimpedanz sowie der Einfluss auf die Powerline Communication (PLC) im Verteilnetz werden bei der Planung und beim Betrieb des Stromnetzes oft nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Daher wurden im Projekt die Netzrückwirkungen, die frequenzabhängige Netzimpedanz sowie die Kommunikationssignale unter realen Bedingungen in den Verteilnetzen gemessen, simuliert und analysiert.

Forschungspartner waren das Labor für Elektrizitätsnetze der Berner Fachhochschule (BFH) und die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Valais-Wallis). Das Projektteam bestand zudem aus den sieben Verteilnetzbetreibern AEW Energie AG, BKW Energie AG, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun AG, EWZ, Repower AG, und Services Industriels de Genève sowie einem Hersteller von Filtersystemen, Schaffner International AG. Diese Zusammenstellung an Partnern garantierte das nötige Know-how und die benötigten Ressourcen für das Projekt.

Was zeigen die Langzeitdaten?

Zur Analyse der Pegel der PQ-Parameter standen Langzeit­daten von vier Netz­betreibern über mehrere Jahre aus der Mittel- und Nieder­spannungs­ebene zur Verfügung. Ein Grossteil der Daten stammte aus Stadtgebiet. Die erfassten PQ-Parameter wiesen keine generelle Verschlechterung über die Zeit auf. Die gemessenen Pegel der Spannungs­effektivwerte, der Ober­schwingungs­spannungen, des Gesamt­oberschwin­gungs­gehalts der Spannung (THDU), des Langzeit­flickers und der Spannungs­unsymmetrie wiesen normalerweise grosse Abstände zu den Grenzwerten gemäss EN 50160 auf.[4] Bild 1 stellt die norm­relevanten 95-%- Werte des THDU von 69 Messpunkten eines Netzbetreibers im Nieder­spannungs­netz dar und Bild 2 vergleicht den Verlauf des Medians der Jahre 2015 bis 2018 aus Bild 1. Es kann zwar erkannt werden, dass 2018 der Wert von THDU oft höher als in den Jahren zuvor war, aber die Änderung ist gering und die Reserve zum Grenzwert von 8% sehr gross.

Der Grund für die grossen Reserven zu den Grenzwerten nach EN 50160 ist die Umsetzung der Regeln zur Anschlussbeurteilung (z.B. D-A-CH-CZ-Regeln) durch die Verteilnetzbetreiber. Die Messungen haben gezeigt, dass Grenzwertverletzungen aufgrund der niedrigen Grenzwerte am ehesten bei der Spannung der 15. und 21.  Harmonischen zu erwarten sind.

Die 15. und 21. Harmonische

In einem städtischen Nieder­spannungsnetz wurde ein Wohn­gebäude­komplex mit zwei Wärme­pumpen untersucht. Eine Wärmepumpe wurde von einem 150-kW-Inverter angetrieben, die andere von einem 35-kW-Inverter. Während des Betriebs der grossen Wärmepumpe wurden signifikante Änderungen der Spannungsamplituden und teilweise Grenzwert­verletzungen der 15. und 21. Spannungs­harmonischen registriert. In der Folge wurde die 15.  Harmonische detailliert untersucht. Die dadurch erhaltenen Ergebnisse gelten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für die 21.  Harmonische. Der Betrieb der Wärmepumpen führte zu einer höheren Amplitude des Ober­schwingungs­stroms der 15. Harmonischen, was den Spannungsabfall für die 15. Spannungs­harmonische über der Netzimpedanz beeinflusste. Die Messungen am Anschlusspunkt der Wärmepumpen ergaben, dass die grosse Wärmepumpe einen stärkeren Einfluss auf das Spannungsniveau hatte als die kleine, insbesondere bei Betrieb mit maximaler Leistung. Im Gegensatz dazu führte die kleine Wärmepumpe zu Spannungsschwankungen, die nicht proportional zu den durch die grössere Wärmepumpe verursachten Spannungsänderungen waren. Die Variation der Stromamplitude hatte also nicht in beiden Fällen (Betrieb der grossen oder kleinen Wärmepumpe) einen Einfluss auf die Spannungsamplitude. Ein ähnliches Verhalten wie an der Anschlussstelle der Wärmepumpen zeigte sich auch an anderen Messstellen des Gebäudekomplexes (Bild 3: Trafostation, Haus 1 und Haus 2) für alle Phasenleiter. Die niedrigsten Amplituden wurden in der Trafostation gemessen. Im Gegensatz zu den Ergebnissen im Gebäudekomplex wurde an der Verteilnische und an der Verteilkabine, die über lange Kabel mit der Trafostation verbunden waren, ein anderes Verhalten der drei Phasen festgestellt. Der Pegel der 15. Spannungsharmonischen an beiden entfernten Punkten war auf L2 und L3 höher, wenn nur die kleine oder keine Wärmepumpe in Betrieb war.

Ein Aktivfilter Ecosine Sync FN 3541 von Schaffner [5] wurde am Anschlusspunkt der Wärmepumpen installiert, um die 15. Stromharmonische auf allen drei Phasen aktiv zu kompensieren und um die Spannungsqualität zu verbessern. Durch den Einsatz des Filters wurden die Ströme der 15. Harmonischen in den Phasen L1 bis L3 reduziert. Insgesamt verringerten sich durch das Aktivfilter die Spannungspegel der 15. Harmonischen am Anschlusspunkt der Wärmepumpen und im gesamten Gebäudekomplex inkl. Trafostation. Auf die entfernten Netzpunkte (Verteilnische und Verteilkabine) hatte das Filter jedoch keine Auswirkung.

Die Messungen und Simulationen im Netzsimulationstool PowerFactory haben gezeigt, dass Inverter die harmonischen Spannungspegel an allen Punkten eines Verteilnetzes erheblich beeinflussen können. Kritische harmonische Amplituden werden nicht nur durch Inverter mit hoher Leistung, sondern auch durch die Summe vieler verschiedener nicht-idealer Lasten, die an unterschied­lichen Anschlusspunkten angeschlossen sind, verursacht. Aktive Ober­schwingungsfilter können die von den nichtlinearen Lasten erzeugten Oberschwingungsströme kompensieren und das lokale Spannungsprofil verbessern. Wenn das Netz mehrere nichtlineare Lasten aufweist, die Strom­ober­schwingungen einspeisen, ist die Korrekturwirkung eines Aktivfilters an entfernten Netzpunkten begrenzt. Um die Amplituden der Oberschwingungs­spannungen im gesamten analysierten Netz zu verringern, wäre eine aktive Filterung an allen Netzknoten, an denen relevante Ober­schwingungs­ströme verursacht werden, erforderlich.

Im betrachteten Fall stellte sich die Frage, ob Massnahmen im Netz notwendig wären, da zwar Grenzwerte überschritten wurden, jedoch keine Störungen bekannt waren. Schliesslich wurde im Jahr 2020 in der EN 50160 der Grenzwert der 15. Spannungs­harmonischen von 0,5 auf 1% und jener der 21. Spannungsharmonischen von 0,5 auf 0,75% angehoben. Dadurch traten im betrachteten Netz an den Messpunkten keine Grenzwertverletzungen mehr auf. Es ist anzunehmen, dass die Erhöhung der Grenzwerte in der Norm erfolgte, weil in heutigen Niederspannungsnetzen vermehrt Überschreitungen der zuvor geltenden Grenzwerte gemessen wurden, aber gleichzeitig keine Beeinträchtigungen von Geräten entstanden. In solchen Fällen, und wenn es gleichzeitig keine einfachen Abhilfemassnahmen gibt, ist es wohl zweckmässig, über die Anhebung von Grenzwerten zu diskutieren. Anzumerken ist, dass die EN 61000-2-2, welche die Verträglichkeitspegel in Niederspannungsnetzen definiert, nicht angepasst wurde.

Bedeutung der frequenzabhängigen Netzimpedanz

Die frequenzabhängige Netzimpedanz, die an den Anschlusspunkten der einzelnen Geräte vorherrscht, beeinflusst die Entstehung und Ausbreitung von Oberschwingungsströmen und -spannungen im Stromnetz entscheidend. Um einen Überblick über ihre Ausprägung zu erhalten, wurde sie im Bereich von 50 Hz bis 200 kHz untersucht. Messungen zeigten, dass die frequenzabhängige Netzimpedanz in Trafostationen und Verteilkabinen in allen Regionen der Schweiz ähnliche Verläufe aufweist. Die Ergebnisse wurden im Bulletin SEV/VSE 5/2019 unter dem Titel «Messung von Netzimpedanzen» veröffentlicht. Die wesentlichen Unterschiede bei der fNI liegen in den Amplituden, die insbesondere im Frequenzbereich unterhalb von 2 kHz umgekehrt proportional von den jeweiligen Kurzschlussleistungen abhängen. Im Bereich oberhalb von 2 kHz ist durch den steigenden Einfluss der lokal angeschlossenen Geräte und Anlagen eine immer geringere Abhängigkeit der fNI von der Kurzschlussleistung zu beobachten. Im Gegensatz zu den Trafostationen und Verteilkabinen kann die Netzimpedanz an den Anschlusspunkten von Geräten und Anlagen, z.B. in der Unterverteilung, stark variieren. Die Variation ist abhängig von der Art und der Anzahl der angeschlossenen Geräte und Anlagen und kann sich wesentlich auf die Ausprägung der PQ-Phänomene an den einzelnen Netzknoten auswirken.

Einfluss auf die Powerline Communication

Geräte mit Leistungselektronik und EMV-Filter können die Rundsteuerung (RST) und die Kommunikation mit G3-PLC beeinträchtigen: Zum Beispiel könnte eine starke Dämpfung des Kommunikationssignals durch besonders tiefe Netzimpedanzwerte bei der Kommunikationsfrequenz verursacht werden. Dadurch träte bei dieser Frequenz beinahe ein Kurzschluss auf, wodurch das Kommunikationssignal stark abgeschwächt würde und der Empfang des Signals beeinträchtigt werden könnte.

Dieses Phänomen wurde bei einem Projektpartner festgestellt und mittels Messungen und Simulationen untersucht. In einer Trafostation waren die Rundsteuerpegel tagsüber stark gedämpft. Weitere Messungen haben bestätigt, dass dieses Verhalten im gesamten Niederspannungsnetz auftrat. Tagsüber verursachten die Solarwechselrichter bei der RST-Frequenz Ströme mit signifikant anderen Amplituden als in der Nacht. Die dadurch erzeugten Spannungsabfälle über dem Transformator und den Kabeln verursachten die beobachteten Signaldämpfungen. Das Absinken des RST-Pegels am Morgen sowie das Ansteigen des RST-Pegels am Abend trat überall gleichzeitig auf und korrelierte mit dem Sonnenaufgang beziehungsweise mit dem Sonnenuntergang (Bild 4).

Der Grund für die tageszeit­abhängigen Ströme an den Messstellen bei der RST-Frequenz war die frequenz­abhängige Netzimpedanz, die vom Betriebszustand der PV-Anlagen beeinflusst wurde. In Bild 5 ist zu sehen, wie sich die frequenz­abhängige Netzimpedanz am Anschlusspunkt einer PV-Anlage mit 210 kVA Nennleistung (14 Wechselrichter) in Abhängigkeit des Betriebs­zustands veränderte.

Die Amplitude der Ströme bei der RST-Frequenz in die PV-Anlagen war umso höher, je mehr Solarwechselrichter installiert waren. Daher ist es vorteilhaft, wenige Wechselrichter mit hoher Leistung zu installieren statt vieler Wechselrichter mit niedriger Leistung.

Simulationen haben gezeigt, dass ein kritisches Absinken des RST-Spannungspegels nicht auftreten würde, wenn der Stromfluss in die Wechselrichter bei der RST-Frequenz stark reduziert würde. Es empfiehlt sich, falls möglich, eine Lösung mit dem Wechselrichterhersteller zu suchen. Die Problematik ist bekannt und gewisse Hersteller haben bereits mit einer Sonderfirmware Abhilfe geschaffen.

Was bringt die Zukunft?

Die ausgewerteten PQ-Langzeitdaten zeigten weder einen generell negativen noch einen generell positiven Trend. Da in den Untersuchungen auch aufgrund von Topologie­verän­derungen im Mittel- und Nieder­spannungs­netz keine signifikanten Veränderungen der Spannungs­qualität auftraten, kann davon ausgegangen werden, dass die Anwendung der heutigen Regeln der Netzbetreiber bei der Anschluss­beurteilung normalerweise eine hohe Spannungs­qualität garantieren sollte. Selbst­verständlich können vereinzelt mit bestimmten Netz­konstel­lationen und Häufungen gleichartiger und zeitlich synchron eingesetzter Geräte kritische Pegel von PQ-Parametern auftreten, welche sich jedoch mit geeigneten Massnahmen eliminieren lassen. Im Nieder­spannungs­netz zeigte sich ausserdem, dass kritische Ober­schwingungs­spannungen durch Anlagen mit hoher Leistung, aber auch durch die Summe vieler verschiedener nichtlinearer Geräte, die an unter­schied­lichen Anschluss­punkten angeschlossen sind, verursacht werden können.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in den Mittel- und Niederspan­nungs­netzen noch Reserven bezüglich Spannungs­qualität vorhanden sind. Im Sinne einer kosten­effizienten Weiter­entwicklung der Stromnetze wäre es interessant, diese Reserven zu nutzen und Investitions­kosten in das Netz zu sparen. Wie gross diese Reserven sind und wie stark diese noch ausgenutzt werden könnten, ist schwer zu beurteilen. Vermutlich beschränken die heutigen Anschlussregeln eine bessere Ausnutzung der PQ-Reserven in gewissem Mass. Daher untersucht die Berner Fach­hochschule im Projekt QuVert gemeinsam mit ihren Projektpartnern die Nutzung von Qualitätsreserven in elektrischen Verteilnetzen mit umfang­reichen Mess­kampagnen.[6] Die Ergebnisse werden im Frühjahr 2024 veröffentlicht.

Die Beteiligten führten nebst den oben vorgestellten Aktivitäten zahlreiche weitere Analysen durch. Diese sind im Schlussbericht dokumentiert. Die im Projekt entwickelten Empfehlungen und Hilfsmittel zur Nutzung der Ergebnisse in der Zielnetzplanung werden in einem nächsten Artikel im Maiheft 2022 vorgestellt.

Referenzen

[1] «D-A-CH-CZ – Technische Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen», VSE, 2007.

[2] EN 61000-3-2, Electromagnetic compatibility (EMC) – Part 3-2: Limits – Limits for harmonic current emissions (equipment input current <=16 A per phase), 2019.

[3] EN 61000-3-12, Electromagnetic compatibility (EMC) – Part 3-12: Limits – Limits for harmonic currents produced by equipment connected to public low-voltage systems with input current >16 A and <=75 A per phase, 2011.

[4] EN 50160, Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen, 2020.

[5] Schaffner ecosine active sync, active harmonic filter.

[6] «Projekt QuVert», Berner Fachhochschule.

Autor
Stefan Schori

ist ist Tenure-Track-Dozent und Gruppen­leiter im Labor für Elektri­zitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule.

Autor
Prof. Michael Höckel

ist Dozent für Energiesysteme an der BFH.

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