Spannungsqualität in der Netzplanung
Hilfsmittel und Empfehlungen
Die Entwicklung der Spannungsqualität im Verteilnetz wird durch Typ, Anzahl, Leistung und Einsatz der Geräte und Anlagen in der Zukunft und durch die Dimensionierung des Netzes bestimmt. Im Projekt OptiQ wurden Hilfsmittel und Empfehlungen, mit denen der Netzplaner die Spannungsqualität bei der Zielnetzplanung berücksichtigen kann, erarbeitet.
Viele Netzbetreiber stehen vor der komplexen Aufgabe, eine effiziente Zielnetzplanung durchzuführen. Zur Unterstützung des Einstiegs und der Durchführung einer Zielnetzplanung wurden im vom Bundesamt für Energie und Innosuisse (SCCER FURIES) geförderten Projekt OptiQ diverse Werkzeuge, Methoden und Dokumentationen entwickelt. Dabei berücksichtigen die erarbeiteten Lösungen nicht nur den Leistungsfluss und die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Ausprägung der Spannungsqualitätsparameter nach EN 50160 [1]. Die Spannungsqualität, auch PQ (Power Quality) genannt, umfasst unter anderem die Parameter Spannungseffektivwert, Spannungsoberschwingungen, Gesamtoberschwingungsgehalt der Spannung (THDU), Langzeitflicker und Spannungsunsymmetrie. Die Auswirkungen und die Entwicklung der erwähnten PQ-Parameter und der frequenzabhängigen Netzimpedanz (fNI) im Verteilnetz müssen in der Netzplanung und im Netzbetrieb ausreichend berücksichtigt werden. Deshalb wurden Netzrückwirkungen und die frequenzabhängige Netzimpedanz unter realen Bedingungen in den Verteilnetzen gemessen, anhand von Modellen simuliert und analysiert.
Netzknoten mit potenziell schlechter Spannungsqualität
Die Auswertung von Langzeitdaten in Mittel- und Niederspannungsnetzen ergab keine generelle Verschlechterung der Spannungsqualität über die Zeit. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Spannungsqualität in solchen Netzen meist grosse Reserven zu den Grenzwerten nach EN 50160 aufweist. Grund dafür ist die Umsetzung der Regeln zur Anschlussbeurteilung (z. B. D-A-CH-CZ-Regeln) durch die Verteilnetzbetreiber [2]. Grenzwertverletzungen sind aufgrund der niedrigen Grenzwerte am ehesten bei der 15. und 21. Spannungsharmonischen zu erwarten.
Im MS-Netz zeigte sich für alle PQ-Phänomene tendenziell eine mittlere bis hohe Korrelation zwischen der gemessenen Ausprägung im Unterwerk und in den Trafostationen. Netzrückwirkungen breiteten sich folglich über das gesamte Netz aus. Eine Ausnahme bildeten Abgänge mit hoher Leistung. Sie wiesen teils andere Ausprägungen der PQ-Phänomene auf. Im NS-Netz zeigte sich, dass kritische Spannungsoberschwingungen durch Anlagen mit hoher Leistung, aber auch durch die Summe vieler nichtlinearer Lasten, die an unterschiedlichen Anschlusspunkten angeschlossen sind, verursacht werden können. Hohe Pegel der Spannungsharmonischen lassen sich daher nicht in jedem Fall durch einzelne Massnahmen begrenzen. Jedoch sollte bei Pegeln in der Nähe des Grenzwertes beurteilt werden, ob überhaupt Störungen verursacht werden, bevor Anpassungen des Netzes oder von Anlagen vorgenommen werden. Eine permanente Überwachung an kritischen Netzknoten kann hier sinnvoll sein, um Kosten und Nutzen zu optimieren, denn unnötige Massnahmen wie eine Netzverstärkung könnten dadurch vermieden werden.
Um aus Kostengründen nur die kritischsten Netzknoten mit PQ-Messgeräten überwachen zu müssen, ist es nötig, sogenannte PQ-Hotspots zu erkennen. Ein einfacher Ansatz zur Identifikation potenzieller PQ-Hotspots wurde im Projekt erarbeitet [3]. Er besteht darin, die relative Spannungsänderung d für symmetrische Lasten an den Netzknoten gemäss untenstehender Formel zu berechnen.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass für die Beurteilung von PQ-Hotspots der Übergabepunkt zwischen Netzbetreiber und dem Kunden, also der Netzanschlusspunkt, massgeblich ist.
Für eine Worst-Case-Betrachtung kann der Kosinus-Term mit dem Wert 1 angenommen werden. SkV kann in der Regel von den meisten Verteilnetzbetreiberinnen bestimmt werden. Schwieriger ist aber die Bestimmung der Leistungsänderung ∆SA. Daher wurden verschiedene Methoden entwickelt, um ∆SA zu quantifizieren und d zu berechnen. Die Untersuchung von verschiedenen Schwellwerten für d hat gezeigt, dass bei Betrachtung der Netzknoten mit einem Wert d grösser als 3% die Mehrheit aller potenziell kritischer Netzanschlüsse ermittelt werden kann. Der Algorithmus zur Bestimmung potenzieller PQ-Hotspots wird im Schlussbericht ausführlich beschrieben. Dieses Vorgehen hilft bei der Eingrenzung der kritischsten Netzknoten bezüglich Spannungsqualität, um eine geeignete Auswahl für die dauerhafte Überwachung zu treffen.
Spannungsregelung
Der Spannungseffektivwert ist ein zentraler Parameter bei der Beurteilung der Spannungsqualität. Er darf nicht mehr als +10% und –15% von der Nennspannung abweichen. Durch den Zubau von PV-Anlagen wird die Spannung in Niederspannungsnetzen wesentlich erhöht. Damit der obere Spannungsgrenzwert nicht überschritten wird, können Massnahmen nötig werden. Mittels Simulation wurde daher an einer PV-Anlage mit einer Nennleistung von 240 kVA untersucht, welchen Einfluss eine spannungsabhängige Wirk- und Blindleistungsregelung (P(U)- und Q(U)-Regelung), zwei parallele regelbare Ortsnetztransformatoren (Ront) sowie eine Reduktion der Wechselrichterleistung auf die Spannungseffektivwerte im Stromnetz hätten [4]. Bild 1 fasst alle simulierten Spannungswerte, die während der ganzen Simulationsdauer von einem Jahr am Anschlusspunkt der PV-Anlage aufgetreten sind, bezogen auf die Nennspannung von 400 V, zusammen. Der Grenzwert bei 110% wurde im Szenario mit einer PV-Anlage ohne spannungsreduzierende Massnahmen sowie bei den Szenarien mit einer bis zu 60% reduzierten Auslegung der Wechselrichter (WR) verletzt. Bei diesen Szenarien müsste die Leitung zur PV-Anlage verstärkt werden. Ohne Massnahmen müsste die WR-Leistung um 80% reduziert werden, um Grenzwertverletzungen zu vermeiden. Mit der P(U)-Regelung, der Q(U)-Regelung oder den zwei Ront könnte die Spannung so abgesenkt werden, dass der Spannungsgrenzwert nicht überschritten würde. Die blaue Linie repräsentiert den Spannungslevel (108%), ab dem die P(U)- und Q(U)-Regelung aktiv wurden. Bei der Q(U)-Regelung lag die maximale Spannung leicht über diesem Level, weil die Regelung teilweise voll ausgelastet war, also mit maximaler Blindleistung betrieben wurde, und den Spannungsanstieg durch die PV-Anlage dennoch nicht völlig kompensieren konnte. Der Einsatz der Ront senkte nicht nur die Spannungsmaxima, sondern auch die Spannungsminima, also die gesamte Verteilung aller simulierter Spannungen.
Die technisch und wirtschaftlich sinnvollste Option sollte für jede Anlage anhand der spezifischen Netzdimensionierung und Leistungssituation beurteilt werden, unter Berücksichtigung der Randbedingungen des Netz- und des Anlagenbetreibers. Lokale P(U)- und Q(U)-Regelungen durch Wechselrichter haben den Vorteil, dass sie einfach implementiert werden können und direkt auf den betroffenen Netzknoten wirken. Entweder werden dabei bei der P(U)-Regelung Einspeiseverluste durch die Abregelung der PV-Produktion in Kauf genommen oder es werden bei der Q(U)-Regelung erhöhte Netzverluste und der entsprechende Blindenergiebezug aus der überlagerten Netzebene akzeptiert. Die Spannungshaltung mittels Blindleistungsregelung durch PV-Anlagen könnte künftig u. U. als Systemdienstleistung vergütet werden und eine zusätzliche Einnahmequelle für den Anlagenbetreiber darstellen.
Im Projekt wurde ein eigener Ansatz für die Q(U)-Regelung verwendet. In der Praxis empfiehlt sich die Anwendung einer Q(U)-Regelung gemäss der Branchenempfehlung «NA/EEA-NE7» des VSE oder der Anwendungsregel «AR-N 4105» des VDE. Als Alternative wäre der Einsatz eines Ront zu prüfen. Das Szenario mit Ront wies in der Analyse ähnliche Kosten auf wie das günstigste Szenario mit der Q(U)-Regelung. Dabei würden für Ront zwar einmalige Investitionskosten anfallen, aber die Abregelung der Wirkleistung wegen zu hoher Spannungen könnte reduziert oder ganz vermieden werden.
PQ-Index
Eine Beurteilung und ein Vergleich der Spannungsqualität an allen relevanten Netzknoten ist wegen der grossen Anzahl an PQ-Parametern aufwendig. Allein bei den Spannungsharmonischen sind 24 Einzelwerte (2. bis 25. Harmonische) zu berücksichtigen. Für eine effiziente Bewertung wäre es vorteilhaft, wenn die Spannungsqualität von Netzknoten über eine einzige Kennzahl beurteilt werden könnte. Hierfür wurde eine Methodik entwickelt, die alle PQ-Phänomene pro Netzknoten in einem Index, dem PQ-Index, zusammenfasst [5]. Damit muss bei der Beurteilung der Spannungsqualität pro Netzknoten nur noch ein bis maximal drei Werte betrachtet werden. Dazu werden alle PQ-Phänomene unter Berücksichtigung der Grenzwerte nach EN 50160 und der (geschätzten) Durchschnittswerte in ein gemeinsames Bezugssystem gebracht und nach den Bedürfnissen der Netzbetreiberin individuell bewertet und gewichtet. Dies erlaubt es, den Einfluss der einzelnen PQ-Parameter auf den PQ-Index zu bestimmen. Die Idee ist, dass der Wert eines PQ-Parameters im Bezugssystem 1 beträgt, wenn der gemessene Pegel des PQ-Parameters genau dem Durchschnittswert entspricht.
Die Werte der PQ-Parameter werden im Bezugssystem auf ein Intervall von 0 bis 2 verteilt, wobei 0 dem Nennwert, 1 dem Durchschnittswert und 2 dem Grenzwert entspricht. Der PQ-Index setzt sich aus den drei Teilindizes PQAvg, PQMax und PQ99 zusammen. Der Teilindex PQAvg entspricht dem arithmetischen Mittel aller bezogenen PQ-Parameter und beschreibt die mittlere Spannungsqualität. PQMax repräsentiert den schlechtesten PQ-Parameter und ermöglicht dadurch eine Erkennung von Grenzwertverletzungen. Der Teilindex PQ99 ist eine Kombination aus PQAvg und PQMax. Bei diesem Teilindex werden einzelne Ausreisser der PQ-Parameter stark hervorgehoben, während geringe Veränderungen der PQ-Parameter zwar gezeigt, aber nicht überbewertet werden. Bild 2 und Bild 3 stellen die Berechnung und die Schwellwerte des PQ-Index dar. Bei der entwickelten Methodik handelt es sich um eine erste Umsetzung des Ansatzes. Sie wird im neuen Projekt QuVert mithilfe weiterer Überlegungen und Messdaten überarbeitet [6].
Lastprofil-Tool
Mit Lastflussberechnungen wird in der Netzplanung beurteilt, ob bei einer Netzvariante Spannungsvgrenzwerte verletzt oder Netzbetriebsmittel überlastet werden. Analysen für die Zukunft bedingen Leistungsprofile, welche die Extremsituationen des maximalen Verbrauchs und der maximalen Einspeisung für die jeweiligen Szenarien abschätzen. Weil solche Profile oft nicht zur Verfügung stehen oder nur aufwendig erstellt werden können, wurde im Projekt die Software «LastprofilTool ES 2050» (ES = Energiestrategie) programmiert. Sie ermöglicht die Erstellung von Profilen für Einspeisung, Verbrauch und Speicherung [7]. Dies erlaubt die Quantifizierung von Entwicklungsszenarien in Verteilnetzen auf Einzelverbraucherebene.
Das Tool erstellt Leistungsprofile basierend auf statistischen Daten der Energieperspektiven 2050 und des Bundesamts für Statistik. Es ist anpassbar und erlaubt auch die Berücksichtigung anderer Energieszenarien. Die Prognosen für Einspeisung, Verbrauch und Speicherung ermöglichen es, Entscheidungen für den Planungshorizont auf einer fundierten Grundlage zu treffen. Bild 4 zeigt das Sommerprofil einer Trafostation für das Ist-Szenario im Jahr 2020 und drei Szenarien für das Jahr 2035. In Bild 5 ist dargestellt, aus welchen Erzeugern, Verbrauchern und Speichern sich das Profil des Szenarios 3 (2035) zusammensetzt.
Zusammen mit einem Lastflussberechnungs-Tool wie Neplan, PowerFactory oder ZNP light ermöglicht dieses Tool die Analyse des Spannungsniveaus und der Auslastung von Netzbetriebsmitteln diverser Netzvarianten. Damit unterstützt es die Bewertung von Netzoptimierungen, die Planung von Netzverstärkungen und die Erkennung von Hotspots im Netz. Das LastprofilTool ES 2050 wurde in Projekten der BFH umfangreich eingesetzt. Es ist online verfügbar und kann, wie auch das BFH-eigene Lastflussberechnungstool ZNP light, kostenlos bei den Autoren per E-Mail angefragt werden.
Netzimpedanz und PLC
Die frequenzabhängige Netzimpedanz ist einerseits für die Ausbreitung der harmonischen Ströme und die Ausprägung der Oberschwingungsspannungen verantwortlich und unterstützt andererseits die Analyse von Störungen der Powerline Communication (PLC) im Verteilnetz. Im Projekt wurden Messungen der fNI von 50 Hz bis zu 500 kHz durchgeführt. Im Fokus waren der Einfluss von PV-Wechselrichtern, der Impedanzverlauf in Trafostationen und Verteilkabinen, Wechselwirkungen zwischen Geräten und die Gerätestabilität abhängig von der fNI. Bei diesen Arbeiten wurde die BFH durch die Forschungsgruppe von Dominique Roggo der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Valais-Wallis) unterstützt. Hierzu flossen auch Erkenntnisse aus dem Projekt Remigate ein, in dem die HES-SO den Einfluss verteilter Energieproduktion auf die Powerline Communication untersuchte [8].
Empfehlungen für Planung und Betrieb
Die formulierten Empfehlungen und Methoden für die Netzplanung und den Netzbetrieb umfassen Tipps zur Planung von PQ-Messkampagnen, zur Ausbreitung von PQ-Phänomenen, zum Einfluss von nichtlinearen Geräten auf die Spannungsqualität sowie weitere Themen. Zudem sind Ratschläge für die Spannungsregelung und das Demand-Side-Management dokumentiert. Aspekte hinsichtlich der frequenzabhängigen Netzimpedanz und der Powerline Communication wurden erörtert. Die Resultate sollen die Netzbetreiber dabei unterstützen, Fragen zur Spannungsqualität und zur frequenzabhängigen Netzimpedanz professionell zu beantworten. Das Labor für Elektrizitätsnetze der Berner Fachhochschule steht ihnen bei Bedarf gerne zur Seite.
Referenzen
[1] «EN 50160, Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitätsversorgungsnetzen», 2020.
[2] «Technische Regeln zur Beurteilung von Netzrückwirkungen», VSE, OE, VDE FNN und CSRES, 2021.
[3] P. Noth, «Effizientes Spannungsqualitäts-Messmanagement», BFH, 2018.
[4] S. Schori, L. Heiniger, T. Raitz Novais, R. Buntschu, M. Höckel, «Projekt OptiQ, Bericht WP 5, Zielnetzimpedanz», BFH, 2020.
[5] L. Heiniger, «Projekt OptiQ, WP 5, PQ-Index, Berücksichtigung der Entwicklung der Spannungsqualität in der Zielnetzplanung», BFH, 2020.
[6] Berner Fachhochschule, «Projekt QuVert».
7] T. Raitz Novais, «Projekt OptiQ, WP 5, LastprofilTool ES 2050: Tool zur Beurteilung der zielorientierten Netzplanung auf Basis der Energiestrategie 2050», 2020.
[8] D. Roggo, L. Capponi, F. Decorvet, C. Pellodi, «Remigate: Reduction of electromagnetic interferences in smart grid applications: Site tests and assessment», BFE, 2018.
Link
Schlussbericht und Berichte der Arbeitspakete 1 bis 5.
Danksagung
Ein besonderer Dank gilt dem BFE, Innosuisse und den Projektpartnern BFH, HES-SO Valais-Wallis, AEW Energie AG, BKW Energie AG, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun AG, EWZ, Repower AG und Services Industriels de Genève sowie Schaffner International AG.
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