Fachartikel Energienetze , Infrastruktur , Smart Grid

Spannungsqualität in der Netzplanung

Hilfsmittel und Empfehlungen

27.05.2022

Die Entwicklung der Spannungs­qualität im Verteil­netz wird durch Typ, Anzahl, Leistung und Einsatz der Geräte und Anlagen in der Zukunft und durch die Dimensionierung des Netzes bestimmt. Im Projekt OptiQ wurden Hilfsmittel und Empfehlungen, mit denen der Netzplaner die Spannungs­qualität bei der Ziel­netz­planung berücksichtigen kann, erarbeitet.

Viele Netzbetreiber stehen vor der komplexen Aufgabe, eine effiziente Ziel­netz­planung durchzuführen. Zur Unter­stützung des Einstiegs und der Durchführung einer Ziel­netz­planung wurden im vom Bundesamt für Energie und Innosuisse (SCCER FURIES) geförderten Projekt OptiQ diverse Werkzeuge, Methoden und Dokumentationen entwickelt. Dabei berücksichtigen die erarbeiteten Lösungen nicht nur den Leistungs­fluss und die Wirtschaft­lichkeit, sondern auch die Ausprägung der Spannungs­qualitäts­parameter nach EN 50160 [1]. Die Spannungs­qualität, auch PQ (Power Quality) genannt, umfasst unter anderem die Parameter Spannungs­effektiv­wert, Spannungs­oberschwingungen, Gesamt­oberschwingungs­gehalt der Spannung (THDU), Lang­zeitflicker und Spannungs­unsymmetrie. Die Auswirkungen und die Entwicklung der erwähnten PQ-Parameter und der frequenz­abhängigen Netzimpedanz (fNI) im Verteilnetz müssen in der Netzplanung und im Netzbetrieb ausreichend berücksichtigt werden. Deshalb wurden Netz­rückwirkungen und die frequenz­abhängige Netzimpedanz unter realen Bedingungen in den Verteil­netzen gemessen, anhand von Modellen simuliert und analysiert.

Netzknoten mit potenziell schlechter Spannungsqualität

Die Auswertung von Langzeitdaten in Mittel- und Nieder­spannungs­netzen ergab keine generelle Verschlechterung der Spannungs­qualität über die Zeit. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Spannungs­qualität in solchen Netzen meist grosse Reserven zu den Grenz­werten nach EN 50160 aufweist. Grund dafür ist die Umsetzung der Regeln zur Anschluss­beurteilung (z. B. D-A-CH-CZ-Regeln) durch die Verteil­netz­betreiber [2]. Grenzwert­verletzungen sind aufgrund der niedrigen Grenz­werte am ehesten bei der 15. und 21. Spannungs­harmonischen zu erwarten.

Im MS-Netz zeigte sich für alle PQ-Phänomene tendenziell eine mittlere bis hohe Korrelation zwischen der gemessenen Ausprägung im Unterwerk und in den Trafostationen. Netzrückwirkungen breiteten sich folglich über das gesamte Netz aus. Eine Ausnahme bildeten Abgänge mit hoher Leistung. Sie wiesen teils andere Ausprägungen der PQ-Phänomene auf. Im NS-Netz zeigte sich, dass kritische Spannungs­oberschwingungen durch Anlagen mit hoher Leistung, aber auch durch die Summe vieler nicht­linearer Lasten, die an unterschiedlichen Anschluss­punkten angeschlossen sind, verursacht werden können. Hohe Pegel der Spannungs­harmonischen lassen sich daher nicht in jedem Fall durch einzelne Massnahmen begrenzen. Jedoch sollte bei Pegeln in der Nähe des Grenzwertes beurteilt werden, ob überhaupt Störungen verursacht werden, bevor Anpassungen des Netzes oder von Anlagen vorgenommen werden. Eine permanente Überwachung an kritischen Netzknoten kann hier sinnvoll sein, um Kosten und Nutzen zu optimieren, denn unnötige Massnahmen wie eine Netz­verstärkung könnten dadurch vermieden werden.

Um aus Kostengründen nur die kritischsten Netzknoten mit PQ-Messgeräten überwachen zu müssen, ist es nötig, sogenannte PQ-Hotspots zu erkennen. Ein einfacher Ansatz zur Identifikation potenzieller PQ-Hot­spots wurde im Projekt erarbeitet [3]. Er besteht darin, die relative Spannungs­änderung d für symmetrische Lasten an den Netzknoten gemäss untenstehender Formel zu berechnen.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass für die Beurteilung von PQ-Hotspots der Übergabe­punkt zwischen Netz­betreiber und dem Kunden, also der Netz­anschluss­punkt, massgeblich ist.

Für eine Worst-Case-Betrachtung kann der Kosinus-Term mit dem Wert 1 angenommen werden. SkV kann in der Regel von den meisten Verteilnetz­betreiberinnen bestimmt werden. Schwieriger ist aber die Bestimmung der Leistungs­änderung ∆SA. Daher wurden verschiedene Methoden entwickelt, um ∆SA zu quantifizieren und d zu berechnen. Die Untersuchung von verschiedenen Schwell­werten für d hat gezeigt, dass bei Betrachtung der Netzknoten mit einem Wert d grösser als 3% die Mehrheit aller potenziell kritischer Netz­anschlüsse ermittelt werden kann. Der Algorithmus zur Bestimmung potenzieller PQ-Hotspots wird im Schluss­bericht ausführlich beschrieben. Dieses Vorgehen hilft bei der Eingrenzung der kritischsten Netzknoten bezüglich Spannungs­qualität, um eine geeignete Auswahl für die dauerhafte Überwachung zu treffen.

Spannungsregelung

Der Spannungs­effektiv­wert ist ein zentraler Parameter bei der Beurteilung der Spannungs­qualität. Er darf nicht mehr als +10% und –15% von der Nenn­spannung abweichen. Durch den Zubau von PV-Anlagen wird die Spannung in Nieder­spannungs­netzen wesentlich erhöht. Damit der obere Spannungs­grenzwert nicht überschritten wird, können Mass­nahmen nötig werden. Mittels Simulation wurde daher an einer PV-Anlage mit einer Nenn­leistung von 240 kVA untersucht, welchen Einfluss eine spannungs­abhängige Wirk- und Blind­leistungs­regelung (P(U)- und Q(U)-Regelung), zwei parallele regelbare Orts­netz­transformatoren (Ront) sowie eine Reduktion der Wechsel­richter­leistung auf die Spannungs­effektiv­werte im Strom­netz hätten [4]. Bild 1 fasst alle simulierten Spannungs­werte, die während der ganzen Simulations­dauer von einem Jahr am Anschluss­punkt der PV-Anlage aufgetreten sind, bezogen auf die Nenn­spannung von 400 V, zusammen. Der Grenzwert bei 110% wurde im Szenario mit einer PV-Anlage ohne spannungs­reduzierende Mass­nahmen sowie bei den Szenarien mit einer bis zu 60% reduzierten Auslegung der Wechsel­richter (WR) verletzt. Bei diesen Szenarien müsste die Leitung zur PV-Anlage verstärkt werden. Ohne Massnahmen müsste die WR-Leistung um 80% reduziert werden, um Grenz­wert­verletzungen zu vermeiden. Mit der P(U)-Regelung, der Q(U)-Regelung oder den zwei Ront könnte die Spannung so abgesenkt werden, dass der Spannungs­grenz­wert nicht überschritten würde. Die blaue Linie repräsentiert den Spannungs­level (108%), ab dem die P(U)- und Q(U)-Regelung aktiv wurden. Bei der Q(U)-Regelung lag die maximale Spannung leicht über diesem Level, weil die Regelung teilweise voll ausgelastet war, also mit maximaler Blind­leistung betrieben wurde, und den Spannungs­anstieg durch die PV-Anlage dennoch nicht völlig kompensieren konnte. Der Einsatz der Ront senkte nicht nur die Spannungs­maxima, sondern auch die Spannungs­minima, also die gesamte Verteilung aller simulierter Spannungen.

Die technisch und wirtschaftlich sinnvollste Option sollte für jede Anlage anhand der spezifischen Netz­dimensionierung und Leistungs­situation beurteilt werden, unter Berücksichtigung der Rand­bedingungen des Netz- und des Anlagen­betreibers. Lokale P(U)- und Q(U)-Regelungen durch Wechsel­richter haben den Vorteil, dass sie einfach implementiert werden können und direkt auf den betroffenen Netz­knoten wirken. Entweder werden dabei bei der P(U)-Regelung Einspeise­verluste durch die Abregelung der PV-Produktion in Kauf genommen oder es werden bei der Q(U)-Regelung erhöhte Netz­verluste und der entsprechende Blind­energie­bezug aus der überlagerten Netz­ebene akzeptiert. Die Spannungs­haltung mittels Blind­leistungs­regelung durch PV-Anlagen könnte künftig u. U. als System­dienst­leistung vergütet werden und eine zusätzliche Einnahme­quelle für den Anlagen­betreiber darstellen.

Im Projekt wurde ein eigener Ansatz für die Q(U)-Regelung verwendet. In der Praxis empfiehlt sich die Anwendung einer Q(U)-Regelung gemäss der Branchen­empfehlung «NA/EEA-NE7» des VSE oder der Anwendungs­regel «AR-N 4105» des VDE. Als Alternative wäre der Einsatz eines Ront zu prüfen. Das Szenario mit Ront wies in der Analyse ähnliche Kosten auf wie das günstigste Szenario mit der Q(U)-Regelung. Dabei würden für Ront zwar einmalige Investitions­kosten anfallen, aber die Abregelung der Wirk­leistung wegen zu hoher Spannungen könnte reduziert oder ganz vermieden werden.

PQ-Index

Eine Beurteilung und ein Vergleich der Spannungs­qualität an allen relevanten Netz­knoten ist wegen der grossen Anzahl an PQ-Parametern aufwendig. Allein bei den Spannungs­harmonischen sind 24 Einzel­werte (2. bis 25. Harmonische) zu berücksichtigen. Für eine effiziente Bewertung wäre es vorteilhaft, wenn die Spannungs­qualität von Netz­knoten über eine einzige Kennzahl beurteilt werden könnte. Hierfür wurde eine Methodik entwickelt, die alle PQ-Phänomene pro Netz­knoten in einem Index, dem PQ-Index, zusammenfasst [5]. Damit muss bei der Beurteilung der Spannungs­qualität pro Netz­knoten nur noch ein bis maximal drei Werte betrachtet werden. Dazu werden alle PQ-Phänomene unter Berücksichtigung der Grenz­werte nach EN 50160 und der (geschätzten) Durch­schnitts­werte in ein gemeinsames Bezugs­system gebracht und nach den Bedürfnissen der Netz­betreiberin individuell bewertet und gewichtet. Dies erlaubt es, den Einfluss der einzelnen PQ-Parameter auf den PQ-Index zu bestimmen. Die Idee ist, dass der Wert eines PQ-Parameters im Bezugs­system 1 beträgt, wenn der gemessene Pegel des PQ-Parameters genau dem Durch­schnitts­wert entspricht.

Die Werte der PQ-Parameter werden im Bezugs­system auf ein Intervall von 0 bis 2 verteilt, wobei 0 dem Nenn­wert, 1 dem Durchschnitts­wert und 2 dem Grenz­wert entspricht. Der PQ-Index setzt sich aus den drei Teil­indizes PQAvg, PQMax und PQ99 zusammen. Der Teil­index PQAvg entspricht dem arithmetischen Mittel aller bezogenen PQ-Parameter und beschreibt die mittlere Spannungs­qualität. PQMax repräsentiert den schlechtesten PQ-Parameter und ermöglicht dadurch eine Erkennung von Grenz­wert­verletzungen. Der Teil­index PQ99 ist eine Kombination aus PQAvg und PQMax. Bei diesem Teilindex werden einzelne Ausreisser der PQ-Parameter stark hervorgehoben, während geringe Veränderungen der PQ-Parameter zwar gezeigt, aber nicht überbewertet werden. Bild 2 und Bild 3 stellen die Berechnung und die Schwell­werte des PQ-Index dar. Bei der entwickelten Methodik handelt es sich um eine erste Umsetzung des Ansatzes. Sie wird im neuen Projekt QuVert mithilfe weiterer Überlegungen und Messdaten überarbeitet [6].

Lastprofil-Tool

Mit Last­fluss­berechnungen wird in der Netz­planung beurteilt, ob bei einer Netz­variante Spannungsvgrenz­werte verletzt oder Netz­betriebs­mittel überlastet werden. Analysen für die Zukunft bedingen Leistungs­profile, welche die Extrem­situationen des maximalen Verbrauchs und der maximalen Einspeisung für die jeweiligen Szenarien abschätzen. Weil solche Profile oft nicht zur Verfügung stehen oder nur aufwendig erstellt werden können, wurde im Projekt die Software «Last­profil­Tool ES 2050» (ES = Energie­strategie) programmiert. Sie ermöglicht die Erstellung von Profilen für Einspeisung, Verbrauch und Speicherung [7]. Dies erlaubt die Quantifizierung von Entwicklungs­szenarien in Verteil­netzen auf Einzel­verbraucher­ebene.

Das Tool erstellt Leistungs­profile basierend auf statistischen Daten der Energie­perspektiven 2050 und des Bundesamts für Statistik. Es ist anpassbar und erlaubt auch die Berücksichtigung anderer Energie­szenarien. Die Prognosen für Einspeisung, Verbrauch und Speicherung ermöglichen es, Entscheidungen für den Planungs­horizont auf einer fundierten Grundlage zu treffen. Bild 4 zeigt das Sommer­profil einer Trafo­station für das Ist-Szenario im Jahr 2020 und drei Szenarien für das Jahr 2035. In Bild 5 ist dargestellt, aus welchen Erzeugern, Verbrauchern und Speichern sich das Profil des Szenarios 3 (2035) zusammensetzt.

Zusammen mit einem Last­fluss­berechnungs-Tool wie Neplan, Power­Factory oder ZNP light ermöglicht dieses Tool die Analyse des Spannungs­niveaus und der Auslastung von Netz­betriebs­mitteln diverser Netz­varianten. Damit unterstützt es die Bewertung von Netz­optimierungen, die Planung von Netz­verstärkungen und die Erkennung von Hotspots im Netz. Das Last­profil­Tool ES 2050 wurde in Projekten der BFH umfangreich eingesetzt. Es ist online verfügbar und kann, wie auch das BFH-eigene Last­fluss­berechnungs­tool ZNP light, kostenlos bei den Autoren per E-Mail angefragt werden.

Netzimpedanz und PLC

Die frequenz­abhängige Netz­impedanz ist einerseits für die Ausbreitung der harmonischen Ströme und die Ausprägung der Ober­schwingungs­spannungen verantwortlich und unterstützt andererseits die Analyse von Störungen der Powerline Communication (PLC) im Verteil­netz. Im Projekt wurden Messungen der fNI von 50 Hz bis zu 500 kHz durchgeführt. Im Fokus waren der Einfluss von PV-Wechsel­richtern, der Impedanz­verlauf in Trafo­stationen und Verteil­kabinen, Wechsel­wirkungen zwischen Geräten und die Geräte­stabilität abhängig von der fNI. Bei diesen Arbeiten wurde die BFH durch die Forschungs­gruppe von Dominique Roggo der Fach­hoch­schule West­schweiz (HES-SO Valais-Wallis) unterstützt. Hierzu flossen auch Erkenntnisse aus dem Projekt Remigate ein, in dem die HES-SO den Einfluss verteilter Energie­produktion auf die Powerline Communication untersuchte [8].

Empfehlungen für Planung und Betrieb

Die formulierten Empfehlungen und Methoden für die Netz­planung und den Netz­betrieb umfassen Tipps zur Planung von PQ-Mess­kampagnen, zur Ausbreitung von PQ-Phänomenen, zum Einfluss von nicht­linearen Geräten auf die Spannungs­qualität sowie weitere Themen. Zudem sind Ratschläge für die Spannungs­regelung und das Demand-Side-Management dokumentiert. Aspekte hinsichtlich der frequenz­abhängigen Netz­impedanz und der Powerline Communication wurden erörtert. Die Resultate sollen die Netz­betreiber dabei unterstützen, Fragen zur Spannungs­qualität und zur frequenz­abhängigen Netz­impedanz professionell zu beantworten. Das Labor für Elektrizitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule steht ihnen bei Bedarf gerne zur Seite.

Referenzen

[1] «EN 50160, Merkmale der Spannung in öffentlichen Elektrizitäts­versorgungs­netzen», 2020.
[2] «Technische Regeln zur Beurteilung von Netz­rück­wirkungen», VSE, OE, VDE FNN und CSRES, 2021.
[3] P. Noth, «Effizientes Spannungs­qualitäts-Mess­management», BFH, 2018.
[4] S. Schori, L. Heiniger, T. Raitz Novais, R. Buntschu, M. Höckel, «Projekt OptiQ, Bericht WP 5, Ziel­netz­impedanz», BFH, 2020.
[5] L. Heiniger, «Projekt OptiQ, WP 5, PQ-Index, Berücksichtigung der Entwicklung der Spannungs­qualität in der Zielnetz­planung», BFH, 2020.
[6] Berner Fachhochschule, «Projekt QuVert».
7] T. Raitz Novais, «Projekt OptiQ, WP 5, LastprofilTool ES 2050: Tool zur Beurteilung der zielorientierten Netzplanung auf Basis der Energie­strategie 2050», 2020.
[8] D. Roggo, L. Capponi, F. Decorvet, C. Pellodi, «Remigate: Reduction of electro­magnetic interferences in smart grid applications: Site tests and assessment», BFE, 2018.

Link

Schlussbericht und Berichte der Arbeits­pakete 1 bis 5.

Danksagung

Ein besonderer Dank gilt dem BFE, Innosuisse und den Projekt­partnern BFH, HES-SO Valais-Wallis, AEW Energie AG, BKW Energie AG, Energie Service Biel/Bienne, Energie Thun AG, EWZ, Repower AG und Services Industriels de Genève sowie Schaffner International AG.

 

Autor
Stefan Schori

ist ist Tenure-Track-Dozent und Gruppen­leiter im Labor für Elektri­zitäts­netze der Berner Fach­hoch­schule.

Autor
Prof. Michael Höckel

ist Dozent für Energiesysteme an der BFH.

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