Fachartikel Eigenverbrauch , Integration ins Netz , Smart Grid

Solarstrom dank Blockchain

Smart Grids und Energiespeicher

31.03.2017

Das junge New Yorker Energieunternehmen LO3 Energy testet gemeinsam mit Siemens Digital Grid und dem Start-up-Förderer Next47 ein Microgrid in Brooklyn. Dort handeln Nachbarn auf einer Blockchain-Plattform mit Solarstrom. Im Falle eines Hurrikans soll das Inselnetz notfalls autark operieren. Das Projekt ist Vorreiter einer dezentralen Energieversorgung.

An sonnigen Tagen läuft der Stromzähler von Martha Cameron oft rückwärts. Das hat einen einfachen Grund: Auf dem Dach ihres Brownstones, eines um 1900 erbauten Reihenhauses im Brook­lyner Viertel Park Slope, befindet sich eine Solaranlage. Wenn die Sonne kräftig scheint, kann Cameron den Solarstrom nicht allein verbrauchen und speist ihn ins Netz zurück. Als sie die Anlage 2010 installierte, war sie noch Pionierin. Doch schon bald kamen in ihrer Strasse fünf weitere Häuser mit Solaranlagen hinzu.

Im April 2016 bezahlten Nachbarn ohne PV-Anlage erstmals für deren überschüssigen, ins Stromnetz gespeisten Solarstrom. Mithilfe des Energie-Start-ups LO3 Energy haben sie in Park Slope und in benachbarten Vierteln das «Brooklyn Microgrid» gegründet. Möglich wurde dieses Pilotprojekt, weil es drei Komponenten in sich vereinen kann: Die Blockchain-Plattform «Trans­Active Grid» von LO3 Energy sichert die Transaktionen ab, die Siemens Digital Grid Division bietet die technischen Lösungen für solche Microgrids, und der Start-up-Förderer von Siemens, Next47, unterstützt potenziell disruptive Technologien mit Expertise und finanziell, u.a. im Bereich der Blockchain-Anwendungen.

Das Brooklyner Kleinststromnetz will aber nicht nur Ökostromhandel im Kleinen ermöglichen. Nach dem verheerenden Hurrikan Sandy von 2012 soll es kombiniert mit Batteriespeichern beim nächsten Sturm zumindest temporär verhindern, dass die Lichter ausgehen. Und nach Möglichkeit soll künftig vor Ort der Stromverbrauch auf die Schwankungen der solaren Strom­erzeugung abgestimmt werden.

Blockchain mit Potenzial

Autarke Microgrids spielen eben nicht nur in abgelegenen Regionen eine wichtige Rolle, sondern auch in einer Grossstadt wie New York. In einem wachsenden Energiemarkt dezentraler Energiesysteme gewinnen Microgrids immer mehr an Bedeutung. In diesem Umfeld profitiert das Start-up LO3 Energy von Siemens’ Entwicklung von Microgrids – etwa seit 2014 im bayrischen Wildpoldsried. Dazu gehören Netzsteuerung, Schaltelemente, Batterielösungen und Smart Meter.

Aber auch für die Siemens Energy Management Division ist die Kooperation ein Gewinn, basiert die «Trans­Active Grid»-Handelsplattform doch auf Blockchain: einem dezentralen, webbasierten Buchhaltungssystem, das Daten dank Kryptografie-Technik fälschungssicher und kostengünstig abspeichert. Blockchain ist im Grunde ein dezentrales Protokoll für Transak­tionen zwischen Parteien, das jede Veränderung transparent erfasst.

Die sogenannten Peer-to-Peer-Geschäfte – also direkt von Computer zu Computer –, die durch Blockchain implementiert werden können, versprechen niedrigere Transaktions- und Handelskosten. Das Potenzial der Technologie ist gross: Via Blockchain verwaltete Vermögenswerte belaufen sich heute weltweit auf 1,6 Mia. US-$, das Wachstum zwischen 2013 und 2016 betrug laut der Kryptowährungs-Plattform «Coinmarketcap» satte 1600%.

Höhere Versorgungssicherheit

Für den Energiehandel ist das eine neue Dimension. Haushalte können ohne Zwischenhändler kleinste Mengen Strom handeln – den Preis sollen automatische Auktionen bestimmen, die sich nach dem Höchstpreis richten, den ein Stromkonsument zu zahlen bereit ist. Doch was im «Brooklyn Microgrid» verkauft wird, sind nicht die von PV-Anlagen erzeugten Elek­tronen. Aus den Steckdosen der Microgrid-Haushalte ohne eigene PV-Anlage kommt weiterhin meist Strom aus dem nächstgelegenen Kraftwerk. Aber ähnlich wie Stromkunden heute ihren Energieversorger oft dafür bezahlen, Strom aus erneuerbaren Energiequellen gemäss ihrem Verbrauch ins Netz zu speisen, können Teilnehmer am Microgrid direkt Geld an ihre Nachbarn für den überschüssigen, ins Netz einfliessenden Solarstrom überweisen.

Die Methode ist nicht neu: Wer heute bei seinem Energieversorger Ökostrom bucht, hilft, Strom aus Wind, Solar, Wasser oder Biomasse zu finanzieren, der womöglich in weiter Ferne ins Netz gespeist wird. Statt einer anonymen Windkraftanlage etwa im US-Bundesstaat Iowa kommt die Vergütung in Brook­lyn jetzt dem Nachbarn zugute. Das Geld spielt für die ersten Teilnehmer aber nur eine untergeordnete Rolle. «Die Nachbarschaft will auf den nächsten Hurrikan vorbereitet sein, ökologisch verantwortlich handeln und den Zusammenhalt untereinander stärken», sagt Scott Kessler, Leiter Business Development bei LO3 Energy.

Um zu dieser Vision seinen Beitrag zu leisten, kann das Brooklyn Micro­grid nicht bei einer Handvoll Teilnehmer stehenbleiben. Bis Frühjahr 2017 werden voraussichtlich 50 Brown­stones, Apartmenthäuser, Schulen, eine Tankstelle, ein Feuerwehrhaus und Fabrikgebäude angeschlossen sein. Bis 2018 sind gar 1000 Teilnehmer angepeilt. Auch sollen Batteriespeicher und noch grössere Solaranlagen installiert werden. Siemens Digital Grid steuert unter anderem sein Microgrid Management System bei, das es erlaubt, im Falle eines stadtweiten Stromausfalls zeitweilig eine autarke Versorgung für das Microgrid zu etablieren.

Ein Verbund von Energiezellen

Damit die Blockchain-Plattform und Microgrids erfolgreich sein können, braucht es auch regulatorische Rahmenbedingungen. Im US-Bundesstaat New York sorgt dafür das Programm «Reforming the Energy Vision». Ziel ist es, die Anfälligkeit der Energieversorgung zu minimieren, die während des Hurrikans Sandy offensichtlich wurde, mehr erneuerbare Energiequellen zu nutzen und Kosten zu senken. Da ist das Brooklyn Micro­grid ein gutes Testfeld.

Autor
Breuer Hubertus

ist Wissenschaftsjournalist.

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