Solarfassaden im alpinen Raum
Gebäudeerneuerungen
Während Solarfassaden bei Neubauten öfter eingesetzt werden, gibt es nur wenige Beispiele von integrierter Fassaden-PV bei bestehenden Gebäuden. Besonders bei Bauwerken, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, fehlt bisher eine kreative Methodik, die sicherstellt, dass bei der Sanierung kein Flickwerk entsteht, sondern hochwertige Architektur.
Die Nutzung von Solarenergie wird aufgrund der Ressourcenknappheit und der Klimaerwärmung immer wichtiger. Die Schweizer Regierung hat mit der Energiestrategie 2050 beschlossen, die Förderung von Elektrizität aus Photovoltaikanlagen zu verstärken. Rund 20% des Strombedarfs werden wohl bis 2050 aus Photovoltaikanlagen gewonnen werden [1]. Im Zusammenspiel mit Speichermöglichkeiten wie Batterien, Wasserstoff oder Methanol lässt sich mit der bestehenden Bausubstanz und mit Photovoltaik eine autarke Strom- bzw. Energieversorgung anpeilen.
Baukultur ernst nehmen
Das schweizerische Bundesamt für Kultur (BAK) hat 2018 die europäisch abgestützte Initiative zur Förderung der Baukultur initiiert und Qualität im Bauen eingefordert. Sie sucht auch aufgrund der zukünftigen Herausforderungen «die kulturellen Aspekte des Bewahrens, Planens und Bauens anzuerkennen und eine hohe Baukultur als vorrangiges politisches Ziel» zu etablieren [2]. Die Erklärung von Davos versteht sich nicht als bewahrendes Instrument, sondern eines, bei dem sich die Architektur und die Gesellschaft stetig weiterentwickeln und verändern können. Dabei werden die unterschiedlichsten Aspekte wie Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie, Kultur und die spezifischen Charaktereigenschaften eines Ortes berücksichtigt.
Gerade in der Schweiz mit ihrer vielfältigen und hochwertigen Baukultur und den vielen Besonderheiten in den einzelnen Gemeinden ist ein achtsames Miteinander zentral. Baukultur ist facettenreich und nicht standardisiert. Individuelle Lösungen müssen hier gemeinsam von den Planern mit den involvierten Partnern erarbeitet werden.
Gemeinden unter Zugzwang
Die Gemeinden sind heute unter Zugzwang, PV-Anlagen zu genehmigen. Der politische und gesellschaftliche Druck steigt kontinuierlich. Dieser Druck führt zur unerwünschten Tendenz, Bewilligungsprozeduren, Abläufe, Einsprachemöglichkeiten und Schutzverfügungen in gewissen Fällen auszuschalten, um schneller zu bewilligten Projekten bzw. den zukünftig benötigten Quadratmetern Photovoltaik zu kommen. Die hohen Energiepreise haben diesen Druck noch erhöht.
Im Jahr 2020 betrug der Anteil an Solarenergie gemessen am gesamten in der Schweiz verbrauchten Strom lediglich 4,66% [3]. Ein durchschnittlicher Schweizer Haushalt verbraucht 4 MWh Strom. Dies entspricht einer Fläche von 25 bis 30 m2 für die PV-Anlage. Diese mindestens 5 auf 5 m sind nicht unerheblich.
Technisch sind die eingesetzten Produkte ausgereift und die Lösungen marktfähig. Gute oder gar überzeugendearchitektonische Resultate sind für Neubauten vorhanden bzw. können von Planern erarbeitet werden. Bei Sanierungen und Gebäudeertüchtigungen sieht die Situation aber anders aus.
PV-Anlagen bei bestehenden Gebäuden
Die Integration von PV in die Fassade ist zwar ein aktuelles Thema, wurde aber bisher kaum im Kontext bestehender bzw. historischer Bausubstanz entwerferisch diskutiert. Die ersten Leuchtturmprojekte zeigen sich fast ausschliesslich an Neubauten wie dem Mehrfamilienhaus von René-Schmid-Architekten in Brütten (2016).
Bei den wenigen existierenden Beispielen von Solarfassaden bei Umbauten und Sanierungen war die Akzeptanz gering, weil sie oft schlecht gestaltet waren. Diese Ablehnung ist besonders gross, wenn der ursprüngliche Bauarchitektonische Qualitäten aufweist, sich die Bauten in einem historischen Kontext befinden oder das Dorfbild durch das Isos (Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz) geschützt ist. Daher existieren von verschiedenen Seiten berechtigte ästhetische, aber auch funktionale Vorbehalte gegenüber Sanierungslösungen mit Solarfassaden. Gerade im alpinen Raum ist diese Thematik verstärkt wichtig. Viele historische Dorfzentren sind durch das Isos geschützt, und die zahlreichen guten historischen Bauwerke sollen ihren gesellschaftlichen und architektonischen Wert nicht verlieren.
Methodik mit Beispielen aus Davos
In einem Forschungsprojekt der Fachhochschule Graubünden wird die Umsetzung von Solarfassaden an der bestehenden Bausubstanz überprüft und gestalterisch weiterentwickelt. Anhand von Projektarbeiten an konkreten Beispielen entwickelten Architekturstudierende im Herbstsemester 2021 Szenarien möglicher Strategien, wie mit Solarfassaden bei Sanierungen umgegangen werden könnte. Die Interventionen wurden in Davos zusammen mit der Gemeinde und zwei lokalen Architekten untersucht.
Die Projekte beschäftigen sich vor allem mit der noch nicht thermisch sanierten Bausubstanz nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Fokus auf sechs Bautypologien: Davoser Häuser, Hotels/Appartementhäuser, Wohnblöcke, Siedlungen, Leuchttürme und landwirtschaftliche Hofgebäude. Dabei wurde eine integrale Lösung zwischen Architektur, ursprünglichem architektonischem Konzept der neuen Solaranlagen bzw. Solarfassaden und weiteren technischen Lösungen geprüft und geschaffen.
Im alpinen Raum sind Solaranlagen gerade in Hangsituationen, in denen sie nicht von Bäumen oder Bauten verdeckt werden, besonders sichtbar und müssen entsprechend sorgfältig gestaltet werden. Dafür haben sie den Vorteil, dass ihr Ertrag wegen der intensiven Einstrahlung hoch ist.
Ergebnisse
Ein grosses Potenzial besteht bei der bestehenden Bausubstanz, die rund um die historischen Kerne entstanden ist, also meist in Agglomerationen. Hier ist der Spielraum bei einer Sanierung mit Solarfassaden am grössten. Zentral ist aber, dass die ursprüngliche Idee eines Gebäudes durch den Einsatz der neuen Technik nicht komplett verloren geht, sondern weiterentwickelt wird und dadurch der Bau insgesamt an Ausdruck gewinnt. Eine Solaranlage muss heute nicht einfach eine schwarze Fläche sein. Da ist viel mehr möglich.
Im historischen Kontext und im Bereich des Isos kann nur mit viel Fingerspitzengefühl agiert werden. Der mögliche Verlust an architektonischen Qualitäten darf nicht unterschätzt werden. Diese Gebäude bestehen oft seit Jahrhunderten und sorgen so dafür, dass die in sie investierte graue Energie sehr gut genutzt wurde.
Der Einsatz von Photovoltaik verändert bestehende Gebäude. Gebäude, die eine hohe baukulturelle Bedeutung haben, können je nach Situation weiterentwickelt werden, doch gibt es da auch Grenzen, wo ein hochwertiger Bau in seinem bestehenden kulturellen Wert Schaden nimmt. Bauten müssen nach einem Eingriff nicht nur technisch, sondern auch in ihrer baukulturellen Bedeutung stärker sein als vorher. Es gibt Bauwerke, aber auch ganze Dorfzentren, die beispielsweise unter dem Schutz des Isos stehen, wo der Einsatz von Photovoltaik keinen Sinn macht. Es existieren andernorts Flächen, aber auch andere Energieformen, die zur Energiegewinnung genutzt werden können, ohne die Baukultur zu beeinträchtigen.
Die «Speckgürtel» rund um die dörflichen und städtischen Zentren sind oft nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und nicht unbedingt von hoher baukultureller Qualität geprägt. Gerade hier ist das Potenzial für innovative Anwendungen von Photovoltaik gross. An allen von den Architekturstudierenden der FHGR bearbeiteten Bauten in Davos war die Integration durchaus möglich, doch konnte die PV nicht einfach montiert werden, sondern der Bau musste neu gedacht und interpretiert werden. Eine Fassadensanierung kann so dazu führen, dass die Chance ergriffen wird, den Bau auch in seinen Grundrissen auf den heutigen Stand zu bringen.

Neue Anwendungsmöglichkeiten von Photovoltaik eröffnen den Planern neue gestalterische Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. So plant die Studentin Nadja Schürmann eine Solarfassade am «Hotel Waldhaus Davos» aus beweglichen, verschiedenfarbigen Paraventelementen, um Schatten zu spenden – und um gleichzeitig Strom zu generieren.
Die Anwendung von Photovoltaik ist bei Einzelbauten und ihren jeweils spezifischen Lösungen eher teuer. Bei einer ganzen Siedlung wird die Installation effektiver, da Lösungen wiederholt werden können und eine grössere Gesamtfläche installiert werden kann. Hier kann mit einem einheitlichen System agiert werden, was auch finanziell Sinn macht.
In ihrer Studie kleidete die Studentin Norma Müller den von Gigon Guyer errichteten Werkhof der Gemeinde Davos ganz in eine Solarfassade ein. Dieser Wechsel von einem Holzbau zu einem technischen Bauwerk ist schlüssig und sinnvoll. Schwieriger wird es bei prägnanten Bauwerken. Neuinterpretationen sind hier nur möglich, wenn ein Bau vollkommen neu gedacht wird.
Die Bahntrasse der Parsennbahn wird in der Studie der Studierenden Daniel Gander und Jan Feldmann mit Photovoltaik umhüllt. Wenn die Bahn durch den Tunnel fährt, öffnen sich die Paneele dort, wo sich der Zug befindet, um Aussicht zu gewähren. Eine solche Neuinterpretation verändert einen Bau stark. Bei baulichen Leuchttürmen ist eine Neuinterpretation der baukulturell hochwertigen Bauten eher schwierig ohne grössere Verluste.

Generell ist es wichtig, nicht auf eine einzige Massnahme zu setzen, sondern ein integrales Konzept zu entwickeln, dass mehrschichtig und aus verschiedenen Perspektiven (Architektur, Nutzung, Technik) Nachhaltigkeit behandelt. Nur so können für spezifische Situationen auch individuelle Lösungen entwickelt werden. Und diese Lösungen sind nie rein technischer Natur. Wenn die Orte auch touristisch genutzt werden, dürfen die Lösungen nie nur ausschliesslich technisch motiviert sein. Architektur ist gerade im alpinen Raum ein wichtiger Pfeiler für eine nachhaltige Entwicklung.
Entwicklung von spezifischen Leitfäden für Gemeinden
Scheitert die Energiewende am Schluss an gestalterischen Fragen? Wohl nicht. Aber es darf nicht geschehen, dass der sinnvolle, dezentrale Einsatz von Solaranlagen durch Behörden oder die Bevölkerung abgelehnt wird, weil sie unsachgemäss angewendet bzw. nur von der technischen Seite geplant und betrachtet wird.
Gemeinden sind mit den Bewilligungen für Solaranlagen oft überfordert. Einerseits sind sie bestrebt, Solarenergie zu fördern, anderseits fehlen ihnen oft die Werkzeuge, um hier auch qualitative Entscheide zu treffen. Für die Gemeinde Davos wird diesen Herbst ein Leitfaden entwickelt, wie sie mit Gesuchen für Photovoltaikfassaden umgehen soll.
Baukultur und Solarenergie sind nicht Kontrahenten. Es liegt auch an den Planern, nicht nur technische, sondern auch baukulturell sinnvolle Lösungen zu erarbeiten. Die Fachhochschule Graubünden unterstützt Gemeinden in der Entwicklung spezifischer Leitfäden analog zu demjenigen für Davos. Jede Gemeinde hat eine spezifische Bausubstanz und damit auch eigene Ansprüche. Ein Regelwerk für alle baulichen Massstäbe und Orte wird es nicht geben. Das Projektteam unterstützt aber auch andere Gemeinden bei der Entwicklung von individuellen Leitfäden, um für die anstehenden Fragen auch Lösungen bereit zu haben.
Referenzen
[1] www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/erneuerbare-energien/solarenergie.html.
[2] www.bak.admin.ch/bak/de/home/baukultur/konzept-baukultur/erklaerung-von-davos-und-davos-prozess.html
[3] Statistik Sonnenenergie, Referenzjahr 2020, Seite 7.
Zum Projektteam von Prof. Daniel A. Walser gehören Prof. Christian Auer, Dozent Norbert Mathis, Assistentin Noëlle Bottoni, die Davoser Architekten Madlaina Sutter und Jürg Grassel sowie Cornelia Deragisch vom Hochbauamt der Gemeinde Davos.
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