Fachartikel Energieeffizienz , Gebäudeautomation , Installationstechnik

Smart Homes

Die nächste digitale Disruption

04.08.2017

Smart Homes werden künftig nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein – da sind sich Forscher und Industrievertreter einig. Treiber dieser Entwicklung sind die Digitalisierung, steigende Komfortbedürfnisse und der demografische Wandel.

«Herzlich willkommen im iHomeLab», sagt James. Wir wissen weder, wie James aussieht, noch wo er genau sitzt. Wir hören lediglich seine Stimme – die Stimme des Gebäudes vor uns. Das «iHomeLab» ist ein organisch geformter Baukörper mit einer Fassade aus silbrigen Metalllamellen. Wenn sich diese auf einmal neu ausrichten, ist es ein wenig, als hätte eine unsichtbare Hand das Gebäude zum Leben erweckt. «Die Fassade passt sich automatisch dem Sonnenstand und aktuellen Klima an», erklärt Dieter von Arx. «Ein Gebäude, das sich selbst bedient – das ist für uns der Inbegriff eines Smart Home.»

Von Arx ist Forschungsleiter am iHomeLab der Hochschule Luzern (HSLU). Gemeinsam mit 25 Mitarbeitenden forscht er an Technologien für das Haus der Zukunft und kooperiert dafür mit über 200 Partnern aus Forschung, Industrie und Technik. Das iHomeLab auf dem Hochschulcampus in Horw dient dabei als Labor und Showroom zugleich. James, der virtuelle Butler, öffnet die Tür und fordert uns auf, die Eingangslounge zu betreten.

Nach einer kurzen Filmpräsentation öffnet sich die Wand vor uns. Dahinter erscheint ein zusätzlicher Raum, in farbiges Licht getaucht und vollgepackt mit Leuchten, Bildschirmen, Audioanlagen und Videokameras. Von Arx steuert die untereinander vernetzten Geräte mit seinem Smartphone über eine speziell fürs Lab entwickelte App und mittels Armbewegungen, die von Bewegungssensoren im Raum registriert werden. Dafür braucht es jede Menge Rechenkapazität: Fünf mannshohe, in die Rückwand eingelassene Server und zwei ebenso grosse Sicherungskästen sind das zentrale Nervensystem des Labors.

Millionen von Smart Homes bis 2020

Smart Homes sind seit einigen Jahren in aller Munde, denn die Digitalisierung krempelt zunehmend unsere Haushalte um. Haustechnik, Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik werden vernetzt und die Gebäude dadurch «smart». Das Gottlieb-Duttweiler-Institut schreibt in einer Studie zum Thema: «Der Bau- und Wohnindustrie steht nun also jene Disruption bevor, welche die Musik-, Film- und Verlagsbranche bereits erlebt haben.» Die Anzeichen dafür häufen sich: Branchenfremde Anbieter wie Samsung, Google und Apple sind in den vergangenen Jahren auf den Wohnmarkt geprescht. Für grosse Aufregung sorgte unter anderem Googles Übernahme von Nest, einem Anbieter intelligenter Thermostate und Rauchmelder, für 3,2 Mia. US-Dollars. Eine Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) prognostiziert, dass in Deutschland im Jahr 2020 zwischen 1 und 1,5 Millionen Haushalte Smart-Home-Anwendungen nutzen werden. Und laut der US-amerikanischen Consumer Technology Association werden die Verkäufe von Smart-Home-Technologie in den USA dieses Jahr auf 29 Millionen Stück (63% mehr als im Vorjahr) ansteigen, mit Gewinnaussichten von 3,5 Milliarden US-Dollars.

Auch bei den grossen Automatisierungs-Unternehmen gilt das Smart Home mittlerweile als Megatrend. So gründeten ABB, Bosch und Cisco 2015 gemeinsam den Joint Venture «Mozaiq», eine offene Softwareplattform für Smart Homes. «Die Digitalisierung und insbesondere die Themen Smart Home und Smart Living haben innerhalb der ABB einen zentralen Stellenwert», sagt Bernhard Caviezel, Geschäftsleitungsmitglied der lokalen Division Elektrifizierungsprodukte ABB Schweiz. «Sicherheitsaspekte, Gewohnheitsveränderungen, der demografische Wandel und die Energiewende verlangen eine adäquate Automatisierung und Digitalisierung im Gebäudebereich.» ABB sieht die intelligente Gebäudeautomation denn auch als Beitrag des Unternehmens zur Energiewende. Gemäss einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik lassen sich mit intelligenter Haussteuerung 17 bis 40% der Energie im Privathaushalt einsparen. Von Arx ist diesbezüglich etwas zurückhaltender. Derzeit sei das Smart Home noch ein Nullsummenspiel, sagt er. Das heisst, die zusätzlichen Sensoren, Kameras und Schaltungen verbrauchen etwa so viel Strom wie dadurch eingespart werden kann. Hinzu kommt der Rebound-Effekt: Je effizienter ein Haus wird, desto mehr Energie wird in der Regel nachgefragt.

Haus mit direktem Draht zum Notfalldienst

Neben der Energieeffizienz ist der demografische Wandel auch am iHomeLab ein Kernthema. «In diesem Bereich werden sich Smart-Home-Anwendungen als erstes durchsetzen», ist von Arx überzeugt. «Denn die demografischen Prognosen sind eindeutig: Wir werden in Zukunft zu wenig pflegebetreute Plätze haben und gleichzeitig mehr Senioren in Einpersonen-Haushalten.» Sein Team hat deshalb im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts ein Fallbeispiel für ein durch Technologie betreutes Wohnen (Ambient Assisted Living) entwickelt: Von Arx nimmt eine Puppe namens Anna zur Hand, die eine Seniorin darstellt. Er läuft mit ihr durch den Raum, plötzlich lässt er sie zu Boden fallen. Da Anna einen Sturzsensor trägt, der Luftdruck, Beschleunigung und Höhe misst, weiss James, der virtuelle Butler, dass Anna am Boden liegt. Aus den Lautsprechern ertönt seine Stimme: «Anna, ist alles in Ordnung?» Sie antwortet nicht, woraufhin James eine SMS an ihre Verwandten schickt. Gleichzeitig werden sie zum Zugriff auf die Webcam im Haus berechtigt. Reagieren die Verwandten nicht, so benachrichtigt James über 144 den Notfall und vergibt diesem ebenfalls die Rechte für den Zugriff auf die Webcam. Gleichzeitig wird bei den Notfallmitarbeitenden das digitale Patientendossier von Anna eingeblendet. Muss der Notfalldienst schliesslich ausrücken, so wird es auch James sein, der den Rettern die Türe öffnet.

«In Zukunft wird über Wearables sogar eine Echtzeitüberwachung von Puls, Blutdruck und Körpertemperatur aus der Distanz möglich sein», sagt von Arx. Das Gebäude wird dadurch vermehrt Teil unserer medizinischen Überwachung. Zudem wäre es möglich über Bewegungssensoren Abweichungen der Bewohner von ihren gewöhnlichen Aktivitätsmustern aufzuzeichnen. So könnte zum Beispiel frühzeitig eine sich anbahnende Demenz erkannt werden.

Zurückhaltende Architekten und Bauherren

Architekten und Bauherren stünden Smart-Home-Technologien – abgesehen von einigen Prestigeobjekten – nach wie vor kritisch gegenüber, sagt Christian Moser, Systemintegrator und Gründer der Firma Hubware in Ittigen. Der Grund: Smart Homes sind noch kein Massenmarkt. «Die Investitionen lassen sich derzeit nicht amortisieren, das schreckt viele ab», sagt Moser. Zwar könnten durch zusätzliche Intelligenz im Haushalt Kosten bei der Verkabelung eingespart werden, doch würden diese durch die Kosten für Sensoren und Aktoren noch übertroffen. Trotzdem ist Moser überzeugt, dass in fünf bis zehn Jahren nur noch intelligente Häuser gebaut werden: «Smart Homes sind auch ein Lebensgefühl. Es wird einmal so sein wie heute bei den Smartphones: Niemand will mehr auf den Komfort eines iPhones verzichten, auch wenn ein Nokia wesentlich billiger wäre.» Am meisten schätzten seine Kunden all das, woran sie nicht mehr zu denken bräuchten. Moser nennt ein Beispiel: Über einen «Kommen/Gehen-Button» lässt sich ein Gebäude mit einem Wisch übers Smartphone automatisch herunterfahren. Die Lichter werden gelöscht, die Fenster geschlossen, die Heizungsleistung etwas reduziert, Stand-by-Stromfresser vom Netz getrennt.

Die Idee zur Gründung von Hubware kam dem Informatiker vor drei Jahren. Zusammen mit seinem Elektriker des Vertrauens testete Moser verschiedene Smart-Home-Technologien im eigenen Haus. «Ich habe bald gemerkt: Das perfekte System gibt es nicht.» So verbaute er Komponenten von vier verschiedenen Anbietern und entwickelte gleichzeitig eine Logik für die Kommunikation untereinander. Die Erfahrungen waren der Grundstein für sein Unternehmen und die preisgekrönte App «Sarah». Damit lassen sich über einen kleinen, zentralen Server im Sicherungskasten Lampen, Rollläden, Audiosysteme, Photovoltaik und Haushaltsgeräte per Smartphone bedienen. Vorteil des Systems: Es ist nicht an einen bestimmten Standard gebunden. Das ist entscheidend, weil sich bis heute kein einheitlicher Smart-Home-Standard durchgesetzt hat. «Und ich behaupte, dass das auch noch lange so bleiben wird», prognostiziert Moser.

Datensicherheit dank «Anti-Internet-of-Things-Strategie»

Trotz offensichtlicher Vorteile der intelligenten Vernetzung von Haustechnik, Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Datenschutz: Smart Homes sammeln nämlich Gigabytes an wertvollen Daten und wissen jede Menge über die Gewohnheiten ihrer Bewohner. Dass Google, Apple und Amazon nun in den Wohnbereich vordringen, hat vor allem damit zu tun, dass solche Daten komplett neue Werbemöglichkeiten eröffnen. Doch wer will schon, dass Google weiss, wann ich morgens meinen Kaffee trinke und abends zu Bett gehe? Zudem können Smart-Home-Systeme gehackt werden, wie Beispiele aus den USA zeigen. Hubware fährt deshalb punkto Datenschutz eine «Anti-Internet-of-Things-Strategie», wie Moser erklärt. «Wir bringen die Intelligenz ins Haus und lagern sie nicht in die Cloud aus.» Deshalb funktioniert das System «Sarah» über einen hauseigenen Server. Über eine firmeninterne Cloud und End-zu-End-Datenverschlüsselung mit Zertifikaten will Hubware gewährleisten, dass weder Aussenstehende noch das Unternehmen selbst Zugriff auf die Wohndaten der Kunden haben. Datenschutz ist auch für die Forscher am iHomeLab ein wichtiges Thema. Von Arx ist überzeugt, dass sich der Zugriff auf persönliche Daten technisch verhindern lässt. Trotzdem begrüsst er Ideen, wonach der Gesetzgeber den Datenschutz in Smart Homes zumindest teilweise reguliert.

Der Rundgang durchs iHomeLab hinterlässt ein ambivalentes Gefühl: Wir sind fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der digitalen Vernetzung, aber auch etwas skeptisch, was die Gewährleistung des Datenschutzes und die Akzeptanz von künstlicher Intelligenz in den eigenen vier Wänden angeht. Doch selbst wenn Smart-Home-Technologien zunehmend Teil unseres Alltags werden; alles wird trotzdem nicht neu: Lichtschalter zum Beispiel gibt es zu unserer Verwunderung auch im iHomeLab noch: «Sie werden auch nicht aussterben», prognostiziert von Arx. «Oder haben Sie schon Mal versucht, mit einer Kiste Bier in der Hand eine App zu bedienen?»

Autor
Samuel Schlaefli

ist freischaffender Journalist und Redaktor.

  • Werkraum Warteck, 4058 Basel

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