Smart-Grid-Rollout in der Stadt Zürich
Verteilnetz-Infrastruktur
Die Energiestrategie 2050 stellt Verteilnetzbetreiber vor Herausforderungen, die mit einem herkömmlichen Netzausbau nicht zu bewältigen sind. EWZ widmet sich bereits seit Langem dem Stromnetz von morgen. Ziel ist es, den Kundinnen und Kunden ein leistungsfähiges und intelligentes Netz – das Smart Grid – bereitzustellen.
Mit der Dekarbonisierung des Mobilitäts- und Wärmesektors stehen disruptive Veränderungen im Energiesektor an. Politische Beschlüsse von Bund, Kantonen und Stadt [1] verstärken den Umbruch in der Stromlandschaft zusätzlich. Die Anzahl an Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen und PV-Anlagen im Versorgungsgebiet wird gemäss behördenverbindlichen Szenarien [2,3] in den nächsten Jahren stark ansteigen. Diese stellen für EWZ Herausforderungen dar, da neue Leitungen und Anlagen nicht genügend schnell gebaut werden können.
Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und PV-Anlagen können zudem neuartige Bezugs- und Einspeiseprofile sowie hohe Leistungen [4] aufweisen. Dadurch wird der Lastfluss im Stromnetz massgeblich verändert. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Infrastruktur. Es sind punktuelle Überlastungen der Betriebsmittel möglich, zudem können vermehrt asymmetrische Belastungen der Phasen aufgrund von einphasig angeschlossenen Elektroladestationen auftreten. Um dem entgegenzuwirken, fehlt allerdings eine günstige und technisch umsetzbare Lösung. Die bisher am meisten angewandte Massnahme ist der konventionelle Netzausbau respektive die Netzverstärkung, bei der die Leitungen und Anlagen für bis zu 50 Jahre verbaut werden. Dies ist jedoch teuer und zeitlich kaum realisierbar. Durch die voranschreitende Digitalisierung ergeben sich aber für EWZ als Verteilnetzbetreiber auch interessante Möglichkeiten.
Die im Netz verbauten Anlagen haben eine Lebensdauer von bis zu 50 Jahren – ein Netzbetreiber muss deshalb langfristig planen. Damit neben der Einschätzung der Auswirkungen auf die Infrastruktur auch mit Unsicherheiten umgegangen werden kann, gilt es, in der Langfristplanung einen Szenariorahmen für die nächsten 30 bis 40 Jahre zu erstellen. Hierfür müssen diverse Treiber identifiziert werden, die die Entwicklung des Netzes beeinflussen können; etwa zukunftsträchtige Technologien wie Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge oder PV. Sie stützen sich zudem auf offizielle Berechnungen der Energieperspektiven 2050 [2] des Bundes sowie die Rahmenbedingungen des Netto-Null-Ziels bis 2040 der Stadt Zürich [3]. Schliesslich soll aus dem Szenariorahmen ein Referenzszenario erstellt werden, das alle vier Jahre neu beurteilt und aktualisiert wird. Letzteres dient als Planungsgrundlage für alle Vorhaben im Verteilnetz von EWZ. Diese Methode wird seit mehreren Jahren verfolgt. Mit ihr wurde bereits der Smart-Grid-Rollout in der Stadt Zürich umgesetzt und geplant.

Vom Monitoring zur Steuerung
Für die Dimensionierung des Netzes ist die Leistung massgebend, u. a. die Leistung der Elektromobilität, die durch eine hohe Gleichzeitigkeit zu Leistungsspitzen führen kann (Bild 1). Der Einsatz von Wärmepumpen hingegen führt eher zur Erhöhung der Grundlast. Da das Verteilnetz der Stadt Zürich lastgetrieben ausgebaut wird, sind Lasten zunächst kritischer zu betrachten als die dezentrale Produktion von Strom. Der erwartete Lastanstieg wird daher einen Einfluss auf die Netzinfrastruktur haben und würde punktuell einen Netzausbau zur Folge haben. Da dieser jedoch teuer und zeitintensiv ist, werden Rahmenbedingungen geschaffen, die den konventionellen Netzausbau mit dem Ausbau des Smart Grids kombinieren. Damit der konventionelle Netzausbau möglichst gering gehalten werden kann, ist es Ziel, den Bezug zu optimieren und die Lastspitzen, wenn möglich, zu verschieben. EWZ verfolgt dazu einen 4-Stufen-Plan (Bild 2):

Sensibilisierung. Hier geht es darum, das Konsumverhalten der Bevölkerung zu ändern, indem die Werkvorschriften angepasst werden und das Fachpersonal auf die Herausforderungen im Verteilnetz hingewiesen werden. Weiss man, wann Lastspitzen auftreten, und verlagert die Bezugszeiten entsprechend, wird ein Engpass vermieden.
Monitoring. In der zweiten Stufe werden die Betriebsmittel des Netzes anhand von Messungen überwacht. Dadurch können Prognosen zum Netzzustand in der Netzebene 7 erstellt, potenzielle Engpässe früh festgestellt und Massnahmen eingeleitet werden.
Tarifanreize. Änderungen des Lastverhaltens oder eine rapide Zunahme der Last bergen Risiken für den Netzbetrieb. Damit die Tageslastspitzen nicht durch Lastprofile neuer Verbraucher im Netz weiter ansteigen, wird versucht, deren Spitzen mittels Tarifanreizen von den bestehenden Lastspitzen wegzulenken. So wurde beispielsweise bei EWZ ein Tarif für Elektrofahrzeuge eingeführt, bei dem während 20 Stunden von einem tieferen Netznutzungstarif profitiert werden kann, während in den restlichen vier Stunden des Tages ein höherer Tarif gilt [5].
Steuerung. Steigt die Netzbelastung lokal dennoch kritisch an, kann mittels Steuerung aktiv eingegriffen werden. So kann beispielsweise die Ladeleistung für Ladestationen kurzfristig gedrosselt werden, um Engpässe zu vermeiden. Diese Eingriffe sind allerdings nur im Notfall zulässig, wenn eine Gefährdung des Netzbetriebs besteht, oder sofern die Einwilligung der Kundinnen und Kunden vorliegt. Im zweiten Fall wird die kundenseitige Flexibilität durch Tarifangebote vergütet.

Monitoringkonzept Niederspannungsnetz
Dieses Konzept soll eine Überwachung und Beurteilung des Stromnetzes ermöglichen. Es baut auf drei Pfeilern auf (Bild 3), den Smart-Meter-Daten, den Messwerten aus den Trafostationen und dem rechenbaren Netzmodell, das den digitalen Zwilling des physischen Netzes darstellt. Als Fundament der drei Pfeiler dienen das Glasfasernetz und das Cloud-Computing. Ersteres bietet genügend Bandbreite für die Übermittlung der Smart-Meter- und Messdaten aus den Trafostationen. Damit das umfangreiche Stromnetz simuliert werden kann, braucht es eine entsprechende Rechenleistung, die durch das Cloud-Computing ermöglicht wird.
Die Smart Meter werden im Netz installiert, um mehr Informationen über den Netzzustand und dessen Verhalten zu erhalten. In der ersten Phase des Smart-Meter-Rollouts werden 15-Minuten-Lastgänge geliefert, wodurch wesentlich genauere Daten als mit den heutigen Jahresenergiewerten der alten Zähler zur Verfügung stehen. Zudem werden heute bereits punktuell bei grossen Lasten Smart Meter eingesetzt. Gehen neue Anschlussgesuche für Ladestationen mit einer Leistung von mehr als 22 kW bei EWZ ein oder möchte jemand den Elektromobilitätstarif nutzen, schreibt das Elektrizitätswerk den Einsatz eines Smart Meters vor. Während des Smart-Meter- Rollouts wird somit eine Beobachtungswelt geschaffen, die alle 24 Stunden mit Messwerten im 15-Minuten-Raster angereichert wird. In künftigen Ausbaustufen des Monitorings sollen die Messwerte in Echtzeit alle 15 Minuten bis hin zu einer Minute (bei Flexibilitäten) aufgezeichnet und genutzt werden. Bei Gebäuden mit Smart Metern wird ein zusätzliches Building Gateway (BGW) eingerichtet, das die Smart-Meter-Daten auf Gebäudestufe sammelt und via Glasfasernetz an das Elektrizitätswerk übermittelt. Die Smart-Meter-Daten werden anschliessend einerseits für die Stromabrechnung und andererseits für das Monitoring verwendet. Die Verwendung der Smart- Meter-Daten erfolgt dabei unter Berücksichtigung der Datenschutzrichtlinien, sodass keine Rückschlüsse zu einzelnen Wohnungen gezogen werden können.
Für die Signalisation der Trafostationen wurde ein Konzept erarbeitet, das künftig die kommunikative Anbindung der rund 800 Trafostationen ermöglicht und mit nieder- und mittelspannungsseitigen Messdaten angereichert wird. Die Daten werden dazu im 1-Minuten-Intervall gemessen und in Echtzeit übertragen. Auf der Mittelspannungsseite werden Messdaten zu Kurzschluss, Erdschluss, Strom und Spannung übermittelt sowie die Fernsteuerung einzelner Schalter eingerichtet. Die Signale in der Mittelspannung helfen u. a. bei der räumlichen Eingrenzung eines Störungsortes oder können auch zur Erkennung und Optimierung der Netzverluste herangezogen werden. Hinzu kommt die Signalisation von Strom und Spannung auf der Niederspannungsseite. Die Niederspannungsmessdaten sind eine Ergänzung zu den Smart-Meter-Daten im Netz. Sie bieten die Möglichkeit, das Netz in Echtzeit zu überwachen. Die Signalisation der Trafostationen in Kombination des vollständigen Smart-Meter-Rollouts lässt nach Einwilligung der Kundinnen und Kunden die Steuerung von Verbrauchern im Netz zu.
Damit das Netz intelligent werden kann, ist es nötig, einen digitalen Zwilling des physischen Netzes zu erstellen. Durch die topologische Verknüpfung der Betriebsmittel entsteht das Modell, welches automatisch mit Parametern aus den Quellsystemen wie SAP und GIS angereichert wird. Dieses wird im Normalschaltzustand abgebildet und zusätzlich mit Messdaten angereichert. Im Modell können dann verschiedene Szenarien abgebildet werden, beispielsweise indem Schaltstellungen verändert oder neue Netzelemente wie ein Hausanschluss ergänzt werden. Für jedes Szenario können dann Simulationen durchgeführt werden. Basierend auf den Simulationsergebnissen werden Analysen durchgeführt, wie beispielsweise die Überprüfung der Nullungsbedingungen, anhand welcher datenbasierte Entscheide, wie etwa die Beantwortung von Anschlussgesuchen, abgeleitet werden können.

Mit den Messdaten aus den Trafostationen und der Smart Meter kann das Netz im rechenbaren Netzmodell überwacht und im Notfall kann eingegriffen werden. Treffen also Zustandsinformationen ein, die Grenzwerte verletzen oder gar eine Störung detektieren, können Gegenmassnahmen getroffen werden. Damit sie einfach identifiziert werden können, wurden Netzzustände in einem 4-Farben-Ampelprinzip (Bild 4) formuliert, die die Netzgefährdung aufzeigen. In der Monitoring- und Steuerungsplattform Venios.NET [6], die bei EWZ die Messdaten mit dem Modell verknüpft, können die Netzzustände analysiert werden. Je nach Gefährdungszustand wird der betroffene Netzbereich nur beobachtet oder es werden direkt Massnahmen ergriffen.
Bereit für das Smart Grid
Die Verteilnetzbetreiber sind der Schlüssel, um die Energiewende überhaupt erst zu ermöglichen. Daher ist das Engagement bei EWZ gross, um heute das Stromnetz für die Bedürfnisse von morgen aufzustellen. Durch die Umsetzung von Pilotprojekten, wie beispielsweise in Zürich-Affoltern in den Jahren 2015/2016 sowie in Greencity in Zürich-Wollishofen 2019/2020 konnten Smart-Grid-Konzepte getestet und gewinnbringende Partnerschaften eingegangen werden. EWZ arbeitet im Bereich Smart Grid seit mehreren Jahren eng mit der Tochterunternehmung Smart Grid Solutions AG (SGS) [7] zusammen. Zur Visualisierung der Niederspannungsebene wird zudem auf die Monitoring- und Steuerungsplattform Venios.NET der Firma Venios GmbH gesetzt [6].
Der Einsatz von Smart Metern und die Signalisation der Trafostationen ermöglichen, das Netzverhalten besser zu verstehen. Zusammen mit dem digitalen Zwilling wird Transparenz und ein gesamtheitlicher Überblick des Verteilnetzes geschaffen. Da tagesaktuelle Messwerte vorliegen, ist es möglich, das Netz zu überwachen. Es wird die Basis gelegt, um künftig zu steuern, damit frühzeitig auf netzkritische Situationen reagiert werden kann. Sensibilisierung und das Setzen von Tarifanreizen können zudem helfen, Lastspitzen zu reduzieren. Durch das Zusammenspiel aller Elemente des Monitoringkonzepts kann somit den Kundinnen und Kunden ein leistungsfähiges und intelligentes Stromnetz, ein Smart Grid, zur Verfügung gestellt werden.
Referenzen
[1] Stadt Zürich, «2000-Watt-Gesellschaft».
[2] BFE, «Energieperspektiven 2050+».
[3] Stadt Zürich, «Ein neues Klimaschutzziel für Zürich».
[4] M. Auer, E. Kaffe, R. La Fauci, «Impact of Fast Charging and Home Charging Infrastructure for Electric Vehicles on the Power Quality of the Distribution Grid (paper no. 1074)», Cired 2019.
[5] EWZ, «Tarifübersicht. Stromtarife für Privatkundinnen und -kunden».
[6] Venios GmbH, «Die Zukunft in Echtzeit. Venios.NET bringt Transparenz ins Netz».
[7] Smart Grid Solutions AG, «smart grid solutions».
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