Smart-Energy-Strategien
Intelligente Städte
Zur Reduktion der CO2-Emissionen müssen Agglomerationen die Gewohnheiten der Verbraucher analysieren. Und die bisher getrennt betriebenen Bereiche Heizung und Verkehr digital vernetzen.
Das Sammeln von Nutzerdaten, um effizientere Dienstleistungen anbieten zu können: An der Idee ist heute nichts Revolutionäres. Big Data ist ein integraler Bestandteil unserer Smartphones und damit unseres täglichen Lebens.
Städte hingegen träumen davon, «Smart Citys» zu werden sowie von der Möglichkeit, Daten zur Optimierung des Verkehrs und der Infrastruktur wie etwa des Stromnetzes nutzen zu können. «Die Heizung von Gebäuden und der Verkehr machen mehr als die Hälfte des Energieverbrauchs der Schweiz aus», sagt Matthias Finger, Professor für Netzindustrie-Management an der EPFL. Deshalb muss ihre Effizienz massiv gesteigert werden, wenn die CO2-Emissionen reduziert werden sollen. Die Forschung in diesen beiden Bereichen bietet nicht nur neue technische Lösungen, sondern zunehmend auch Plattformen für deren Kombination und Optimierung in grossem Massstab.
Die Fenster oder den Boiler austauschen?
Es gibt verschiedene Heizungstechnologien – vom Ölkessel bis zu den Wärmepumpen, von thermischen Sonnenkollektoren bis zur Fernwärme – ebenso wie die Massnahmen zur Verringerung der Verluste (dreifach verglaste Fenster, Fassadensanierung usw.). Der Einzelne entscheidet sich zwar oft für die preisgünstigsten, aber der Staat hat Handlungsmöglichkeiten: Er kann Fernwärmesysteme schaffen und durch Steuern oder Subventionen Hausbesitzer zum Einbau von Sonnenkollektoren, zum Austausch des Heizkessels oder der Verglasung motivieren.
Aber wie kann man unter all diesen Möglichkeiten die beste Wahl treffen? An der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf entwickelt Kristina Orehounig Instrumente zur Entscheidungshilfe: Ihre Simulationen von Stadtteilen und sogar ganzen Städten zeigen, welche Energieeinsparungen und CO2-Emissionsreduktionen durch verschiedene Massnahmenkombinationen und zu welchen Kosten erreicht werden können. «Die Techniken, die die Emissionen am meisten reduzieren, sind natürlich die teuersten, aber es lohnt sich nicht unbedingt, in ein paar Prozent mehr zu investieren», erklärt die Forscherin. «Unsere Modelle ermöglichen es uns, die Kombinationen mit der grössten Wirkung zum besten Preis zu finden. »
Den Verbrauch von jedem Haus simulieren
«Auf nationaler oder städtischer Ebene kennen wir den Gesamtenergieverbrauch gut», sagt die Bauphysikerin, «aber auf der Ebene der Haushalte oder der Nachbarschaft wissen wir nur sehr wenig.» Dies ist das Ziel der von ihrem Team am Urban Energy Systems Lab der Empa entwickelten Computersimulation. Diese kombiniert Karten von Swisstopo mit Daten aus dem Bundesgebäude- und Wohnungsregister, das jedes Gebäude in der Schweiz mit Lage, Höhe, Anzahl der Stockwerke und Bewohner, Heizungsanlage und Baujahr auflistet und über die Qualität der Dämmung Auskunft gibt. Das System schätzt dann den Verbrauch jedes einzelnen Haushalts, wodurch es möglich ist, die grössten Verbraucher und ihre geografische Verteilung zu ermitteln.
Die beste Kombination ermitteln
Eine zweite Komponente schätzt, welche Veränderungen für jedes Gebäude zu welchen Kosten und mit welchen Auswirkungen möglich sind. Die Produktivität einer Solaranlage wird zum Beispiel durch die jährliche Sonneneinstrahlung, ihre Ausrichtung und den Schattenwurf der umliegenden Gebäude beeinflusst. Die Produktivität einer Wärmepumpe hängt vom Wärmepotenzial des Untergrunds und den örtlichen Vorschriften für Bohrungen ab. Für jede Technologie berechnet das Modell die Installations- und Betriebskosten. Sobald diese Informationen gesammelt sind, können die Städte verschiedene Szenarien testen, z. B. die Entwicklung der Solarenergie in einem gut exponierten Viertel oder der Fernwärme für ein Industriegebiet.
Das Team von Kristina Orehounig simulierte Energiesysteme für Basel, Brig, Rheinfelden (BL) und Zernez (GR) sowie für den Zürcher Stadtteil Altstetten. Fazit: Jede Lösung ist anders und hängt vom Standort ab. Sympheny, ein 2020 von Empa-Mitarbeitenden gegründetes Start-up-Unternehmen, wird einen Teil dieser Planungsinstrumente für lokale Energiesysteme kommerzialisieren.
In einem letzten Schritt wird die zeitliche Entwicklung von Energieangebot und -nachfrage betrachtet, um die Frage der Energiespeicherung zu berücksichtigen – von der einfachen Speicherung von Warmwasser bis zur Wiedereinbringung von Wärme in den Untergrund oder der Produktion von Wasserstoff für Brennstoffzellen. Die Forscherin möchte auch bald die Auswirkungen von Elektrofahrzeugen auf den Energieverbrauch der Haushalte und die Rolle, die ihre Batterien bei der Speicherung von Strom aus dem Netz spielen könnten, einbeziehen, da Solar- und Windkraft zu einem Ungleichgewicht zwischen Produktion und Nachfrage führen werden.
Elektrofahrzeuge, aber nicht nur
Neben der Heizung wird der Verkehr eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung der CO2-Emissionen spielen, vom Verkehrsmanagement bis zur Entwicklung neuer, effizienterer Fahrzeuge. «Auch hier müssen wir das System als Ganzes betrachten und nicht nur die einzelne Ebene», betont Christian Bach, Leiter der Gruppe Automotive Powertrain Technologies an der Empa. Der Aufschwung bei den Elektrofahrzeugen hat das Potenzial, das Stromnetz zu überlasten, und die Entwicklung von Lastkraftwagen mit Brennstoffzellenantrieb muss von Massnahmen begleitet werden, um ihren Kraftstoff – Wasserstoff – aus erneuerbarem Strom zu erzeugen, wenn das Netz mehr produziert als es verbraucht.
«Die Mobilität von morgen muss die zurückgelegten Strecken besser berücksichtigen», so der Forscher weiter. In Städten und bei Entfernungen von weniger als 50 km können Elektrofahrzeuge mit kleinen, leichten Batterien im besten Zeitpunkt aufgeladen werden, wenn das Stromnetz über genügend Strom verfügt, und so die Verschmutzung durch Feinstaub dort vermeiden, wo die Bevölkerung am dichtesten ist. Elektrofahrzeuge hingegen sind für lange Strecken schlecht geeignet und erfordern schwere Batterien und Hochleistungs-Schnellladesysteme, die das Stromnetz überlasten könnten. Brennstoffzellen oder Gasmotoren wären besser geeignet, insbesondere für Lastwagen, die oft über sehr lange Strecken fahren. Im Winter wird die Schweiz laut Christian Bach nicht genügend erneuerbaren Strom produzieren können. Solar- und Windenergie müssen dann importiert werden, ebenso wie synthetische Kraftstoffe, die in Wüstenregionen hergestellt werden könnten.
Die Empa wird demnächst eine Pilotanlage zur Herstellung eines solchen Brennstoffs eröffnen. Sie wird Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser mit PV-Strom erzeugen. Das entstehende Gas kann in Fahrzeugen, die mit Brennstoffzellen betrieben werden oder in Verbindung mit CO2 zur Herstellung von synthetischem Methan verwendet werden – in diesem Fall wird das notwendige Kohlendioxid vor Ort mit einem Gerät des Zürcher Start-up-Unternehmens Climeworks aus der Atmosphäre gewonnen.
Wie bei den Haushalten wird es auch hier darum gehen, die Gewohnheiten der Nutzer besser zu verstehen. «Wir wissen, welche Art von Autos in der Schweiz gekauft werden, aber wir wissen nicht genau, welche Art von Fahrten gemacht werden», sagt Christian Bach. «Erhebungen des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass 70 Prozent davon weniger als 50 km betragen. Aber es ist nicht klar, wo und wann sie gemacht werden. Die GPS-Signale von Smartphones könnten Hinweise geben, aber da viele Haushalte zwei Fahrzeuge haben, ist nicht klar, welches davon benutzt wurde.» Sein Team arbeitet bereits mit Diensten für Firmenflotten wie denen des Migros-Genossenschaftsbundes zusammen, die die Fahrten der einzelnen Fahrzeuge kennen. Um auch private Autobesitzer einzubeziehen, arbeitet das Team mit Unternehmen zusammen, die Bordsensoren vermarkten. Das Endziel wird darin bestehen, jedem Haus einen bestimmten Fahrzeugtyp und eine bestimmte Nutzung zuzuweisen, ein Projekt, das zum Projekt von Kristina Orehounig passt.
Die Flatrate der Strasse
«Der Vorteil der Smart City besteht darin, dass sie Bereiche, die noch völlig separat funktionieren, wie Wohnen und Mobilität, mit Hilfe von Daten miteinander verbindet», bestätigt Matthias Finger von der EPFL. «Ausserdem ist die Nutzung von Fahrrädern, Autos und öffentlichen Verkehrsmitteln noch nicht integriert, was zu Ineffizienzen wie Staus und schlechten Verbindungen führt.» Die Stadt Helsinki war eine der ersten, die ein «Mobility as a Service»-System eingeführt hat, eine Form von Pauschalabonnements, die alle Verkehrsmittel umfasst. Ziel ist es, auf einen Privatwagen zu verzichten, der 23 Stunden täglich ungenutzt bleibt.
Aber diese Initiativen für intelligente Städte kämpfen immer noch um ihre Verwirklichung. Aus drei Gründen, so Matthias Finger: «Die öffentliche Hand hat keinen Anreiz, ihr Geschäftsmodell in Frage zu stellen, anders als Unternehmen, die sich im Wettbewerb befinden. Zweitens hemmen die rechtlichen Rahmenbedingungen oft Innovationen. Drittens sind talentierte Menschen eher in Unternehmen zu finden.» Die Städte müssen fast immer in öffentlich-privaten Partnerschaften auf sie zurückgreifen.
Die Risiken akzeptieren
Die intelligente Stadt wirft sensible Fragen rund um die genutzten Daten auf, die unweigerlich in die Hände von Unternehmen gelangen. «Wir haben keine andere Wahl, als ihnen unsere privaten Daten zur Verfügung zu stellen», sagt Matthias Finger. «Aber in diesem Fall müssen wir sie verkaufen statt sie jedem zugänglich zu machen, wie es die Open-Data-Bewegung will. Denn dieser kostenlose Service kommt vor allem den Unternehmen zugute.» In der Frage der Sicherheit ist der Experte realistisch, ja sogar desillusioniert: «Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir dieses Risiko beherrschen können, obwohl wir uns nicht vorstellen können, was uns passieren könnte. Wir werden gehackt, und das wird auch so bleiben. Das müssen wir akzeptieren.»
Links
- Innovative Governance of Large Urban Systems, von der EPFL koordinierte internationale Ausbildung: iglus.org
- Swiss Competence Center for Energy Research on Future Energy Efficient Buildings & Districts: sccer-feebd.ch
- Move, Future Mobility Demonstrator, an der Empa: empa.ch/move
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