Fachartikel Energiemarkt , Energiespeicher , ICT

Skalierbarer Energie-Optimierer mit KI

Energiespeicher optimal bewirtschaften

04.05.2022

Energiemärkte zeichnen sich durch eine hohe Volatilität aus. Deshalb beschäf­tigen Energie­konzerne profes­sionelle Energie­händler und verlassen sich zuneh­mend auf daten­basierte KI-Werkzeuge, um Kauf- und Verkaufs­entschei­dungen zu unter­stützen. Was zunächst im Finanz­sektor Vorteile brachte, kommt nun auch im Energie­sektor zum Einsatz.

Da der liberalisierte Strommarkt aktuell nur für Grosskunden ab einem Jahresenergieverbrauch von 100 MWh zugänglich ist, waren viele Endverbraucher von dieser Volatilität abgeschottet. EVUs bieten Kleinkunden und Haushalten meist fixe Tarifsysteme an. Durch die Installation von privaten PV-Anlagen kombiniert mit einem Energiespeicher erleben jedoch immer mehr Endverbraucher die Volatilität der Erzeugung und des Verbrauchs.

Im Gegensatz zur Schweiz ist der Energiemarkt in Österreich und Deutschland seit Jahren für alle Kunden liberalisiert. Hier sind bereits flexible, börsenpreisabhängige Tarife für den Erwerb von Strom durch Anbieter wie Tibber oder Awattar verfügbar. Dadurch können für Endkunden auch unerwünschte Konsequenzen entstehen, wenn z. B. bei hohen Energiepreisen viel Energie verbraucht wird.

Will der Endanwender nun von den Schwankungen profitieren oder zumindest keine Verluste erleiden, müsste er täglich Mikro-Entscheidungen über den Kauf bzw. Verkauf von Strom oder das Laden/Entladen der Batterie treffen. Ein Vorgehen, das die wenigsten Anwender wählen werden, da es jeweils nur um wenige Rappen Gewinn geht. Eine mögliche Lösung für den Endanwender kann ein KI-basierter Energiemanager sein, der gemäss der Anwenderpräferenz vollautomatisch optimale Entscheidungen für den Anwender trifft.

Ein solcher Energiemanager, SaliOpt, wurde von Battery Consult in Meiringen, in Kooperation mit den KI-Spezialisten der Ostschweizer Fachhochschule, entwickelt. Battery Consult beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Weiterentwicklung der Salzbatterie mit Fokus auf die Entwicklung ressourcenschonender Fertigungsprozesse und Zelldesigns. Ein grosses Potenzial sieht das Unternehmen in der Bereitstellung einer langlebigen und sicheren Energiespeichertechnologie [1], um die Kosten pro gespeicherte kWh zu minimieren. Eine preisgünstige Speichertechnologie wird helfen, mögliche Netz- und Energieengpässe in der volatilen Welt der erneuerbaren Energien zu bewältigen.

Langlebigkeit und eine optimale Ausnutzung von Ressourcen können nicht alleine durch die Bereitstellung eines geeigneten Energiespeichers erreicht werden, sondern erfordern auch eine «intelligente» Bewirtschaftung dieses Energiespeichers. Um den inflationären Einsatz der Begriffe «intelligent» und «smart» nicht weiter zu verstärken, verwenden wir hier «optimal» in einem strikt mathematischen Sinn: Optimal sind die bestmöglichen Entscheidungen, die das System überhaupt zulässt.

Die hier vorgestellte Technologie berechnet automatisch optimale Entscheidungen auf der Basis von Wettervorhersagen und Einspeise- und Bezugstarifen. Damit bleiben die Vorteile von KI-basierten Entscheidungssystemen nicht nur Konzernen vorbehalten, sondern können auch in Privathaushalten die Energiekosten reduzieren. Dazu steht SaliOpt als Source-Code zur Verfügung und kann in vorhandene Hardware (z. B. Wechselrichter) oder auf einem PC oder Controller integriert werden, um das hauseigene Energiesystem zu steuern.

Die Basis für die optimalen Kauf-, Verkaufs-, Lade- und Entlade-Entscheidungen des Energiemanagers bilden die vom Anwender konfigurierten Präferenzen und die aktuellen Vorhersagen für die Stromerzeugung sowie Einspeise- und Kauftarife. Damit eröffnet sich auch für Verteilnetzbetreiber die Möglichkeit, mittels Preissignalen die Entscheidungen von Tausenden von Endanwendern zu beeinflussen.

Die integrierte KI-Mathematik

Der Kern der exakten Berechnung von optimalen Entscheidungen ist die Mathematik. Die Informatik macht aus den mathematischen Ergebnissen eine ausführbare und damit in der Praxis anwendbare Form. Die mathematische Basis von SaliOpt ist ein Quadratic-Programming-(QP)-Problem mit einer positiv-semidefiniten Hesse-Matrix, dessen Lösung die optimale darstellt. Die Komplexität des QP ist hoch – je nach konkreter Problemstellung mehrere Hundert reellwertige Design-Variablen und Zehntausende bis Hunderttausende Nebenbedingungen.

Gemäss der Mathematik existieren für diese Klasse von Optimierungsproblemen – anders als bei nichtlinearen Optimierungsproblemen im Allgemeinen – keine ko-existierenden lokalen Minima. Deshalb genügt es zur Bestimmung der optimalen Energiemangement-Strategie, einen einzigen Punkt zu finden, der die KKT-Bedingungen erfüllt.

Um diesen KKT-Punkt schnell und sicher zu finden, verfügt SaliOpt über einen modernen QP-Solver [2], der wichtige Vorteile in sich vereint: Der Solver ist kompakt, schnell und effizient im Sinne der Numerischen Mathematik und kommt ohne die Integration einer speicherintensiven Mathematik-Bibliothek aus. Deshalb kann dieser Manager selbst in kleinen Microcontrollern integriert werden. Dadurch kann SaliOpt kostengünstig in bereits vorhandene Hardware (z. B. Wechselrichter) integriert werden. Natürlich kann SaliOpt auch in einem Stand-Alone-System oder einem PC mit geeigneten Schnittstellen integriert werden.

Von daher stellt sich die Frage an Anwender: Warum sich mit «guten» Kauf- und Verkaufs-Entscheidungen sowie Lade- und Entlade-Entscheidungen zufrieden geben, wenn zu jedem Zeitpunkt die bestmöglichen Entscheidungen gefunden werden können.

Der Energiemanager bietet folgende Vorteile:

  • Konfigurierbar auf verschiedene Speichertechnologien (Li-Ionen, Salzbatterie u. v. m.), bei Photovoltaik auf geografische Lage und Wetterprognose.
  • Anwenderpräferenzen können berücksichtigt werden, z. B. Energie- Autarkie, Energiekosten oder System-Lebensdauer.
  • Optimale Entscheidungen zur Bewirtschaftung einer Batterie: Kauf/Verkauf sowie Lade/Entlade- Entscheidungen.
  • Flexibler und ressourcenschonend: Source-Code kann in zahlreiche Mikro-Controller integriert werden.
  • Skalierbar: Kann für Anlagen im kWh- bis zum GWh-Bereich verwendet werden.
  • Netzsteuerung über Preissignale des Netzbetreibers: schnelle und sichere Umwandlung in optimale lokale Entscheidungen.

Ergebnisse

Die meisten Batterien für PV-Anlagen verwenden ein simples Batterie­manage­ment: Bei PV-Energie­überschuss wird die Batterie mit maximal möglicher Leistung geladen. Sobald der Energiebedarf geringer als der PV-Ertrag ist, wird die Batterie mit maximal möglicher Leistung entladen, bis sie leer ist. Das Limit ist entweder die maximal mögliche Leistung des Wechselrichters (hier 3 kW) oder die verfügbare Überschuss­leistung. Im Folgenden wird diese Strategie als «Simple Lösung» bezeichnet. Sie wird mit der bestmöglichen Strategie verglichen.

Für möglichst realistische Szenarien werden reale Messdaten einer 10-kW-PV-Anlage in Süd-West-Ausrichtung am Standort Meiringen mit 28° Modulneigung verwendet. Die Verbrauchsdaten wurden, an realistischen Verbrauchs­mes­sungen angelehnt, künstlich erzeugt.

Szenario 1: Längere Lebensdauer bei Salzbatterie

An einem sonnigen Werktag im August 2021 liefert die 10-kW-PV-Anlage mit 53 kWh deutlich mehr Energie, als tagsüber verbraucht wird. Überschuss­energie wird in einer 7-kWh-Salzbatterie gespeichert. Für die Nacht werden zusätzlich zum Haushalts­bedarf noch 10 kWh für das Laden eines Elektro­fahrzeugs benötigt. Das Zeitfenster für das Laden des E-Fahrzeugs ist zwischen 22 Uhr und 6 Uhr frei wählbar. Der Kunde hat einen fixen Tarif: Der Netzbezug beträgt immer 20 Rp/kWh und die Netzeinspeisung stets 5 Rp/kWh.

Simple Lösung: Bild 1a zeigt das Verhalten eines herkömmlichen Energiemanagement-Systems: Die Salzbatterie wird am Vormittag mit maximaler Leistung (hier 3 kW wegen dem Batteriekonverter) geladen. Die Batterie ist noch vor der PV-Mittagsspitze komplett geladen und der Ladevorgang wird abrupt beendet. Dieses Ende vor der Mittagsspitze erzeugt einerseits einen hohen Leistungsgradienten im Netz, andererseits wird das Netz mit der maximalen PV-Einspeiseleistung belastet. Nachmittags wird die anfallende Überschussenergie ebenfalls ins Netz eingespeist. Nachts wird der Akkuspeicher mit der möglichen Leistung entladen, der Akku ist um kurz nach 2 Uhr leer.

Optimale Lösung: Bild 1b zeigt das Energiemanagement mit SaliOpt. Die Salzbatterie wird tagsüber mit gleichmässiger, deutlich geringerer Leistung geladen (grüne Fläche). In der Nacht wird die gleiche Energiemenge entladen, aber mit geringerer Entladeleistung (gelbe Fläche).

Durch die intelligente zeitliche Verteilung der Lade- und Entlade-Vorgänge erhöht sich die Lebensdauer der Batterie deutlich. Zudem sind die Verluste beim Laden und Entladen beim Akkuspeicher geringer und das Netz wird weniger belastet.

Szenario 2: Reduktion der Energiekosten

An einem sonnigen Wintertag liegt die PV-Erzeugung mit 7,8 kWh unter dem Tagesverbrauch von 11,9 kWh. Das EW bietet variable Tarife für Bezug und Einspeisung an. In diesem Szenario basiert der Stromtarif auf realen Börsenpreisen: Der Einspeisetarif entspricht dem Day-Ahead-Börsenpreis, der aufgrund von stark schwankenden Wind- und PV-Erträgen in Europa stark variiert. Der Tarif für den Netzbezug entspricht demselben Day-Ahead-Börsenpreis plus einem Aufschlag von 15 Rp/kWh für die Steuern und Netzgebühren.

Simple Lösung: Bild 2a zeigt das Verhalten mit einem herkömmlichen Energiemanagement, das die variablen Tarife nicht nutzen kann. Der Akku wird gemäss dem Verbrauch über die Nacht auch bei tiefen Energiepreisen entladen und ist somit kurz nach 7 Uhr leer.

Optimale Lösung: Bild 2b zeigt das Energiemanagement mit SaliOpt. Der Akku wird zwischen 0 und 6 Uhr nicht entladen, denn der Bedarf wird kostengünstig über das Netz gedeckt, da in dieser Zeit der Strom am günstigsten ist. Der Akku wird erst zwischen der Zeit von 6 und 11 Uhr entladen, da der Strom teurer ist und die PV-Anlage noch nicht ausreichend Energie liefert. So profitiert der Anwender von den tieferen Energiekosten während der Nacht. Zukünftig könnte so der Netzbetreiber auch Spitzen verschieben, indem er mit einem geeigneten Netz-Tarifsystem zeitabhängige Anreize setzt.

Die optimale Lösung zeichnet sich durch geringere Energiekosten aus, da variable Energietarife optimal genutzt werden. Der Netzbetreiber kann eine höhere Netzstabilität erreichen, indem er den Kundenverbrauch und die Kundeneinspeisung mittels Preissignalen zeitlich verschiebt.

Szenario 3: Zukunft

Dieses Szenario weist in die Zukunft, denn es setzt auf eine Batterietechnologie mit sehr geringen Speicherkosten. Gleichzeitig wird künftig von stark dynamischen Tarifsystemen ausgegangen, die zeitabhängige Preissignale für Energie- und/oder Netzkosten ausweisen. In diesen Systemen kann SaliOpt auch ohne nennenswerte PV-Erträge einen hohen Nutzen erbringen, indem der Akku in Zeiten mit geringem Strompreis geladen und in Zeiten mit hohem Strompreis entladen und somit der Netzbezug reduziert wird. Zukünftig kann damit individuell und automatisiert auf indizierte Preissignale eines Energielieferanten oder Netzbetreibers reagiert werden, um sowohl Netz- als auch Energieanforderungen berücksichtigen zu können. Bei entsprechender Verbreitung kann damit ein substanzieller Beitrag zur Integration erneuerbarer Energien und zur Beseitigung von Netzengpässen geleistet werden.

Simple Lösung: Bild 3a zeigt das Verhalten mit einem herkömmlichen Energiemanagement, welches variable Tarife nicht nutzen kann: Der Akkuspeicher wird tarifunabhängig geladen und entladen. Somit haben die Preisanreize der EVUs oder der Netzbetreiber keinen Einfluss auf das Verbrauchsverhalten.

Optimale Lösung: Bild 3b zeigt das Energiemanagement mit SaliOpt. Die Batterie wird entladen, wenn die Strompreise hoch sind, und geladen, wenn die Strompreise niedrig sind. Dadurch wird der Netzbezug – wie von den Anbietern gewünscht – in Zeiten mit hohem Strompreis reduziert und in Zeiten mit tiefem Strompreis erhöht. Die Strompreise senden ein wichtiges Preissignal: Ist der Strompreis tief, herrscht im Netz ein Energieüberschuss, weshalb die Nachfrage erhöht werden sollte. Ist der Strompreis hoch, herrscht im Netz tendenziell ein Energiemangel, weshalb die Nachfrage reduziert werden sollte.

Die optimale Lösung reduziert hier die Energiekosten für den Anwender um 22%, da zeitlich variable Netzbezug- und Einspeisetarife optimal genutzt werden können. Zudem könnte der Netzbetreiber die Netzstabilität erhöhen, indem er den lokalen Netzbezug und die Netzeinspeisung seiner Kunden mit variablen Netz-Preissignalen steuert. 

 

Zusammenfassung und Ausblick

KI-Technologien können in einem komplexen, dynamischen Umfeld wie der Energieversorgung optimale Entscheidungen berechnen und damit dem Anwender einen Nutzen bringen. Bisher waren die Hürden für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz so hoch, dass vor allem Konzerne in der Finanz- oder Energiebranche davon profitieren konnten. In dem von der Innosuisse (Nr. 37006.1 IP-EE) geförderten Projekt «SaliOpt» entwickelten die Autoren eine konkrete Realisierung einer solchen KI-Technologie für den Hausgebrauch zur Bewirtschaftung eines Akkuspeichers. Nun kann diese Technologie dem Markt und Anwendern zur Verfügung gestellt werden.

Referenzen

[1] C.-H. Dustmann, A. Bito, «Safety», Encyclopedia of Electrochemical Power Sources, 2009, S. 324–333.

[2] B. Stellato, G. Banjac, P. Goulart, A. Bemporad, S. Boyd, «OSQP: An operator splitting solver for quadratic programs», Mathematical Programming Computation, 12 (4), 2020, 637–672.

Autor
Dr. Martin Bünner

ist Dozent für Mathematik und Künstliche Intelligenz an der Ostschweizer Fachhochschule.

Autor
Matthias Berthold

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IES der Ostschweizer Fachhochschule.

Autor
Dr. Erich Carelli

ist wissen­schaft­licher Mitar­beiter am ICE der Ost­schweizer Fach­hoch­schule.

 

Autor
Christian Zumbrunn

ist Hardware-Entwickler bei der Battery Consult AG.

  • Battery Consult AG, 3860 Meiringen

Kommentare

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