Rückschau Infrastruktur

Sind Hybridleitungen eine Option für das Übertragungsnetz?

Science Brunch vom 6. Juni 2019

06.06.2019

Zweimal jährlich führt die an der ETH Zürich beheimatete Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation den Science Brunch durch, an dem ein bestimmtes technologisches Thema mit gesellschaftlicher Relevanz aus mehreren Perspektiven erhellt und diskutiert wird. Interessierte kommen am Brunch zu Informationen von Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen. Zudem wird der Austausch der Teilnehmenden untereinander gezielt gefördert – man kann sich mit einem breiten Spektrum an Standpunkten auseinandersetzen, auch mit solchen, die innerhalb der eigenen Branche kaum anzutreffen sind. Anfänglich beschäftigten sich die Science Brunches primär mit Fragen der drahtlosen Kommunikation, nun stossen vermehrt auch Themen aus dem Energiebereich hinzu, bei denen elektromagnetische Felder eine Rolle spielen.

Am 6. Juni 2019 stand ein solches Energiethema im Fokus: Hybride Strom­übertragungsleitungen. Freileitungen also, die nicht nur mit Wechselstrom betrieben werden, sondern bei denen drei Leiter Gleichstrom führen. Dieses Prinzip kann, je nach eingesetzter Gleichspannung, die Übertragungskapazität um mehr als die Hälfte erhöhen.

Zwei Aspekte, die sich jeweils wie ein roter Faden durch die Brunches ziehen, waren auch hier präsent: die erfrischende Moderation durch den Wissenschaftsjournalisten und Autor Beat Glogger sowie die das Thema in den breiteren gesellschaftlichen Kontext stellende Einführung des Geschäftsführers der Forschungsstiftung, Gregor Dürrenberger. Bezüglich der Akzeptanz betonte er: «Sie ist das gegenseitige Kennen, Berücksichtigen und auch Verzichten auf Positionen, um ein übergeordnetes gesellschaftliches Projekt erfolgreich zu realisieren. So verstandene Akzeptanz kann nicht einfach beschafft werden, sondern sie wird innerhalb bestehender oder vereinbarter Rahmenbedingungen demokratisch erstritten.»

Motivation für Hybridleitungen

Im Einstiegsvortrag präsentierte Swissgrid-Geschäftsleitungs­mitglied Maurice Dierick die heutige Situation beim Schweizer Übertragungsnetz. Er zeigte einerseits auf, wo dringender Ausbaubedarf besteht, und wies andererseits darauf hin, dass gewisse Projekte bereits 30 Jahre in der Planungsphase stecken, ohne Aussicht auf baldige Realisierbarkeit. Die bestehenden Engpässe machen es manchmal nötig, die Produktion zu drosseln bzw. den Energieaustausch mit dem Ausland zu begrenzen. Zudem verschärft sich die Situation noch zusätzlich durch den Bau neuer Kraftwerke. Hybridleitungen hätten den Vorteil, dass sie die Übertragungskapazität von Freileitungen erhöhen, ohne neue Leitungen zu erfordern. Zudem könnten Hybridleitungen die Anbindung an europäische Projekte ermöglichen, denn in Europa sind mehrere Gleichstromleitungen geplant, um die lokalen Überschüsse der erneuerbaren Energien vom Norden in den Süden (Windkraft) bzw. vom Süden in den Norden (Solarstrom) zu übertragen.

Natürlich haben DC-Leitungen nicht nur Vorteile wie höhere Übertragungskapazität und geringere Verluste, sondern auch Nachteile. Sie lassen sich beispielsweise nur über grössere Distanzen wirtschaftlich betreiben. Eine enge Vermaschung des Stromnetzes ist mit DC-Leitungen nicht möglich. Hier spielen Hybridleitungen ihre Stärke aus, denn trotz höherer Kapazität bieten sie Ver­maschungsmöglichkeiten und den Anschluss an bestehende Unterwerke. Man profitiert also bei Hybridleitungen von den Vorteilen beider Strom­arten.

Maurice Dierick schnitt – sozusagen als Überleitung zu den folgenden natur- und sozialwissenschaftlichen Präsentationen – auch kurz die Nachteile von Hybridleitungen an, wie Lärm und elektrische und magnetische Felder.

AC-DC als Forschungsobjekt

Christian Franck, Professor für Hochspannung an der ETH Zürich, ging detailliert auf die physikalischen Phänomene von Hybridleitungen ein.

Ein wichtiges Thema ist die Korona­frage, denn bei hohen Spannungen wird die Randfeldstärke von Freileitungen so gross, dass die Luft teilweise ionisiert wird. Diese hörbaren Entladungen werden als unangenehm empfunden. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Wechsel- und Gleichstrom: Während sich die Korona bei Wechselstrom nur bei Regen und Nebel bemerkbar macht, tritt sie bei Gleichstrom auch bei trockener Luft auf, wenn Staub vorhanden ist. Beispielsweise, wenn der Bauer das trockene Heu einsammelt. Der auftretende Schall hat den zusätzlichen Nachteil, dass er nicht durch das Regengeräusch übertönt wird. Zudem weist er ein anderes akustisches Spek­trum auf, denn die Knistergeräusche treten stochastisch auf, d. h. viel unregelmässiger, als das durch Wechselstrom erzeugte Plasmageräusch, das einen deutlichen periodischen Brumm­anteil aufweist. Christian Franck erwähnte nebst der Felderhöhung durch inhomogene Oberflächen (Regen, Eis, Schmutz) und weitere Faktoren wie Netzspannung, Anzahl Leiterseile und Bodenabstand auch die Materialkomponente: Modifiziert man die Oberfläche der Leiterseile, kann man die Geräuschemissionen reduzieren. Je hydrophober, d. h. wasserabstossender die Oberfläche ist, desto geringer die Korona, da das Wasser keine «Antennen» bilden kann.

Bezüglich optimierter Oberflächen, die künftige Freileitungen spürbar leiser machen können, wird noch geforscht. Man hat bereits geeignete Oberflächen gefunden, aber muss sie noch tauglich für die industrielle Herstellung machen. Da man bei der Planung von Hybridleitungen von bestehender Infrastruktur ausgeht, ist es wohl eine Frage von Jahrzehnten, bis «leisere» Leiterseile zum Einsatz kommen können.

Ein weiterer überraschender Effekt ist die Kopplung der Ionenströme. Bei Wechselstrom beschränken sich die Ströme auf wenige Zentimeter im Umfeld der Leiterseile. Bei Gleichstrom hingegen entstehen Ionenströme zur Erde und zu den benachbarten AC-Leitern, was unerwünscht ist, da der Gleichstromanteil die Arbeitspunkte von Transformatoren verschiebt und zu höheren Verlusten und Sättigungsproblemen führen kann. Durch die gleichzeitige AC- und DC-Korona wird der Ionenstrom noch verstärkt, wobei hier auch der Wind eine grosse Rolle spielt.

Die Akzeptanzfrage

Auf Umfragen basierende Erkenntnisse zur Akzeptanz von Hybridleitungen präsentierte Isabelle Stadelmann-Steffen, Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Sie betonte, dass für den Umbau des Energiesystems nicht nur technische Lösungen erforderlich sind, sondern auch der Einbezug der Betroffenen. Fehlt die soziale Akzeptanz, haben auch ausgezeichnete technische Lösungen kaum eine Chance. Sie erläuterte verschiedene Arten der Akzeptanz: die sozio-politische Akzeptanz, die lokale Akzeptanz (Gemeindeabstimmungen, Einsprachen) sowie die Marktakzeptanz. Hier spiele die Information besonders bei neuen Technologien eine wichtige Rolle. Negative Informationen wirken sich dabei stärker aus als positive, denn mögliche Risiken werden durch Betroffene stärker gewichtet als allfällige Gewinne. Sie betonte, dass realisierte Projekte die Einstellung der Betroffenen meist positiv beeinflussen und Ängste abbauen, und plädierte bei neuen Technologien für ein technisches Minimieren der negativen Aspekte, auch wenn die Effektivität dabei abnehmen sollte.

Die regulatorische Sicht

Die Perspektive des Bundesamts für Energie wurde von Marianne Zünd präsentiert. Die Leiterin der Abteilung Medien und Politik skizzierte die historischen Entwicklungen beim Verständnis, was eigentlich Hochspannung ist. Gemäss dem SEV wurde 1899 eine Wechselspannung von 500 V bereits als Hochspannung betrachtet. Durch die kontinuierliche Erhöhung der Betriebsspannung von Anlagen aus wirtschaftlichen und praktischen Gründen wurde diese Grenze allmählich verschoben. Ob eine neue Anlage nun als Stark­stromanlage bezeichnet werden kann, ist keine auf physikalischen Konstanten basierende Entscheidung, sondern rein politisch: Das Uvek trifft in Zweifelsfällen die endgültige Entscheidung.

Marianne Zünd machte auf mediale Verzerrungen aufmerksam, die bei gesellschaftlich relevanten Technologien öfter auftreten. Da werden Windanlagen manchmal als Massenvernichtungswaffen bezeichnet oder Erblindungen auf Energiesparlampen zurückgeführt. Es sei einfach, Zweifel zu säen, aber deutlich schwieriger, diese wieder aus der Welt zu schaffen – eine Erkenntnis, auf die man bereits im Akzeptanzvortrag von Isabelle Stadelmann traf. Marianne Zünd schloss mit einem passenden Zitat von Henry Louis Mencken: «For every complex problem there is an answer that is clear, simple, and wrong.»

Erwähnenswertes zum Schluss

Gregor Dürrenberger schloss den Brunch mit seinem Fazit ab. Er ist überzeugt, dass die Energiewende zwar von der Bevölkerung gewünscht werde, die meisten aber nicht wissen, welche Anpassungen an den Stromnetzen wegen den bidirektionalen Flüssen bzw. den höheren Kapazitäten im Winter nötig sind. Informationen über diese Zusammenhänge würden das Verständnis für Netzprojekte erhöhen. Zudem scheine der Ausbau der Netze für manche nicht nötig zu sein, denn man könne scheinbar die Situation mit Smart-Grid-Lösungen und dezentralen Erzeugern entschärfen. Klar ist, dass Freileitungen stets als negativer Eingriff in das Landschaftsbild betrachtet werden. Viele würden deshalb zunächst Erdkabel vorziehen – bis sie erfahren, welche landschaftlichen Veränderungen und Magnetfeldimmissionen auch diese in ihrer Nähe mit sich bringen.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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