Fachartikel Energiemarkt

Sekundäre Regelleistung mit Wärmepumpen

Eine Machbarkeitsstudie

25.04.2019

Kleine Wärmepumpen werden bereits im Regel­leistungs­markt eingesetzt. Eine Machbar­keits­studie zeigt nun anhand eines Fall­beispiels auf, dass grosse Wärme­pumpen, welche die Wärme für ein Fern­wärme­netz bereit­stellen, die techni­schen Bedin­gungen erfüllen, um dem System­dienst­leistungs­markt beizutreten und damit auch einen Ertrag zu erwirt­schaften.

Die zunehmende Fluktuation zwischen erzeugter und verbrauchter Leistung im Strom­netz durch das Wegfallen von herkömm­lichen Kraftwerken (Bandenergie), zwang die Übertragungs­netz­betrei­berin Swissgrid, das Netz dynamischer an den Markt anzupassen. Die Regelleistung (RL) ist der Überbegriff für die System­dienst­leistungen, mit denen Swissgrid das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Erzeugung mit drei zeitabhängigen Regelleistungsarten sicherstellt (Primär-, Sekundär- und Tertiär-Regelleistung). Diese Flexibilität wird mit dem Zu- oder Abschalten sowie Steuern von Lasten und Erzeugungseinheiten erreicht. Da Swissgrid auf diese Einstellbarkeit angewiesen ist, wird diese zur Verfügung gestellte Flexibilität mit einer wöchentlichen Vorhaltungsentschädigung belohnt, die auf dem RL-Markt ermittelt und von Swissgrid veröffentlicht wird. Die Flexibilität muss im Fall der Sekundärregelleistung (SRL) eine Woche zuvor vom jeweiligen Marktteil­nehmer eingegeben werden. Der tatsächliche Energieabruf wird bei der Sekundär­regelleistung zusätzlich mit einem vorteilhaften Strompreis vergütet.[1] Swissgrid versucht, durch eine Markterweiterung auf kleinere Anlagen die RL-Beschaffungskosten zu optimieren und die Marktkonzentration somit zu reduzieren. Daher wurden auch kleine Verbraucher wie Wärmepumpen (WP), Abwasser­reinigungs­anlagen oder Kehricht­verbren­nungs­anlagen zum RL-Markt zugelassen.[2, 3]

Die vorliegende Machbarkeits­studie untersucht anhand eines Projekts der Energie­verbund Neuhausen am Rheinfall AG (EVNH), ob Wärme­pumpen, die Wärme für ein Fern­wärme­netz bereitstellen, die technischen Bedingungen für einen Markt­eintritt erfüllen und einen Ertrag erwirtschaften können. Die Machbarkeits­studie wurde von zwei Absolventen der ZHAW im Rahmen ihrer Bachelor­arbeit im Frühlings­semester 2018 durchgeführt.

Die EVNH arbeitet aktuell an einem nachhaltigen Projekt

Die EVNH, eine Tochter­gesell­schaft der Elektrizitäts­werke des Kantons Schaff­hausen AG (EKS), baut ein Fernwärme- und Fernkälte­netz (FWN) in der Gemeinde Neuhausen am Rheinfall (siehe www.evnh.ch). Das FWN des SIG-Areals wird an das neue FWN angeschlossen und das Wärmenetz Herbstäcker wird in dieses neue FWN integriert. Anstelle der fossilen Wärme­erzeugung mit Gaskesseln wird neu mit vier WP dem Klärbecken der Abwasser­reinigungs­anlage Röti die Wärme entzogen und auf nutzbares Temperaturniveau gebracht. Die Gaskessel werden nur noch für die Spitzenlast im Winter zugeschaltet. Die vier WP werden je 1,5 MW thermische Leistung liefern. Für das Lastspitzen­manage­ment werden zusätzlich zwei Wärmespeicher und ein Gaskessel installiert.

Die vorliegende Machbar­keits­studie untersuchte die technische und wirtschaftliche Eignung dreier der insgesamt vier WP für das SRL-Angebot.

Die Wärmepumpen und das thermische Konzept

Der Betrieb von WP hängt jeweils von der Aussen­temperatur und der Abwasser­temperatur ab, welche wiederum von den Wetter­bedingungen abhängig ist. Diese starke Wetterabhängigkeit wurde in der vorliegenden Machbar­keits­studie in fünf Temperatur-Betriebsfällen zusammengefasst, um die Unterschiede in der Flexibilität der WP zu erheben. Für jeden der fünf Betriebsfälle wurden die nominale thermische Leistung und der COP (Coefficient of Performance) der WP sowie die maximale thermische Flexibilität mit der Software des Verdichter­herstellers berechnet.

 

Die fehlende oder überschüssige thermische Energie während eines RL-Abrufs würde mit einem der zwei Speicher kompen­siert. Dies bedeutet, dass, wenn die WP runterfährt, der zur Verfügung gestellte Massen­strom im Fern­wärmenetz niedriger ist als der für den Verbrauch benötigte Massenstrom. Um keinen Komfortmangel zu verursachen, liefert der Speicher den übrigen Massen­strom. Wenn die WP hochfährt, funktioniert das System umgekehrt.

Nach einer bestimmten Anzahl Regel­leistungs-Abrufe muss eine Pause statt­finden, um den Füllstand im Speicher wieder­her­stellen zu können. Oder anders gesehen: Jeder Zyklus besteht aus einer Abrufzeit plus deren jeweiligen Kompen­sations­zeit. Dadurch kann auch die maximale Anzahl Zyklen pro Tag bestimmt werden. Folglich ist in beiden Fällen der Kompen­sations­modi die Anlage während der Kom­pensations­zeit nicht für die RL verfügbar.

In der Machbar­keits­studie wurde darauf die maximale Anzahl täglicher Abrufe anhand der Speicher­verfüg­barkeit berechnet. Da eine durch­schnitt­liche SRL-Abrufdauer von vier Minuten angenom­men wurde, die Abrufe selten länger dauern und der Speicher umfänglich ist, erwiesen sich die maximalen Abrufe pro Tag als beinahe unbeschränkt.

Das Modell

Um ein Modell der WP und des Speichers erstellen zu können und damit das optimale RL-Angebot zu bestimmen, sind für das Projekt relevante Partner der EVNH vom Projekt­team kontaktiert worden, um die neue Funktions­weise der WP und Speicher technisch zu evaluieren.

Zu jedem Betriebspunkt gehört auch eine elektrische Leistung, die vom Motor des Verdich­ters verbraucht wird. Dessen Flexibilität eignet sich für das Angebot an sekundäre RL.

Aus der Simulation konnten die Betriebs­punkte und somit das mögliche RL-Angebot der WP berechnet werden. Zudem konnte die Energie ermittelt werden, welche mit dem WP-Speicher kompen­siert werden muss und die benötigte Zeit, um diesen Speicher wieder auszugleichen. Bild 3 zeigt die Betriebsfälle.

Die Vorhaltungs­leistungen liegen je nach Betriebsfall zwischen 580 kW und 120 kW für das positive SRL-Angebot und zwischen 400 kW und 130 kW für das negative SRL-Angebot. Der Betriebsfall 2 °C bis 8 °C weist eine maximale Flexibilität von 770 kW auf, während alle anderen Betriebs­fälle ebenfalls eine Flexi­bilität von 700 kW oder mehr aufweisen. Eine Ausnahme stellt der Fall > 8 °C auf, welcher die niedrigste Flexi­bilität von 260 kW aufweist, weil im Sommer nur eine WP in Betrieb ist.

Die täglichen Zeitfenster, in denen die WP abgerufen werden kann, sind durch den normalen Betrieb des FWN begrenzt. Sie wurden für jeden Betriebsfall in der Simulation berücksichtigt.

Aus Gesprächen mit dem WP-Hersteller konnten zusätzliche Informa­tionen zur Lebens­dauer-Beeinträch­tigung und der Leistungs-Anpassungs­geschwin­digkeit der WP gewonnen werden. Für technische Fragen bezüglich der WP-Steuerung und der FWN-Regelung wurde die Gebäudeautomatisationsfirma kontaktiert, welche die Regelungs­mecha­nismen installierte. Da diese Regelungs­mecha­nismen bereits automatisch durchgeführt werden, müssten keine zusätzlichen Rege­lungen geplant werden.

Die Vorhaltungs­leis­tungen, die verfügbaren Zeitfenster, die Menge der abgerufenen Energie und die Abrufdauer sowie die Kompen­sations­zeit, -energie und -leistungen des Speichers fliessen mit ihren jeweiligen Preisen in die folgenden wirtschaft­lichen Einfluss­faktoren mit ein: Die Leistungs­entschädi­gung belohnt die elektrische Flexibilität der Anlage, während die Netz­nutzungs­gebühren für die höchste Lastspitze während eines Monats an den Verteil­netzbetreiber bezahlt werden müssen. Die Energie­entschä­digung wird für einen positiven SRL-Abruf ausbezahlt und für einen negativen SRL-Abruf an den Regelpool bezahlt. Schliesslich werden die bei der Speicher­kompen­sation entstan­denen Energie­kosten beim Hochfahren an den Verteil­netz­betreiber EKS durch die Stromrechnung bezahlt und beim Runter­fahren gespart.

Die Marktvoraussetzungen

Der Wärmespeicher für die Kompen­sation und die Steuerungs­mecha­nismen für die WP sind bereits installiert und können somit für das RL-Angebot genutzt werden. Da die WP keine genügend flexible Leistung für einen direkten Eintritt in den SRL-Markt anbieten kann [1], muss sie in einen Regel­pool integriert werden, in welchem verschiedene Anlagen zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschlossen sind. Mit ausgewählten Regel­pool-Anbietern konnten wichtige Informa­tionen über die Entschä­digungen und Anfor­derungen an die Anbindung besprochen werden. Da die meisten Informa­tionen von der Firma Alpiq stammen, ist dieser Pool am exaktesten wirtschaftlich analysiert worden. Des Weiteren werden ausfall­bedingte Bussen der Swissgrid durch die Bereitstellung von Backup-Anlagen durch Alpiq vermieden. Zudem ergeben sich weitere Vorteile durch die auto­matische Berück­sichtigung aktueller Wetter­prognosen und den einfachen Eintritt und die Anbindung in ihren Regelpool. Die kommer­ziellen Abschät­zungen gelten als Richtwerte und werden durch Alpiq im Detail von Fall zu Fall berechnet.

Die wirtschaftlichen Grundlagen

Für die Berechnung der Wirtschaft­lichkeit des Projekts wurde die Discounted Cash-Flow-Methode verwendet.

Als Inflationsfaktor für den Strom- und Leistungs­preis wurde 1% angenommen. Die Vorhaltungs­entschä­digung wurde nicht durch den Inflations­faktor angepasst, da dies die sinkende Tendenz des RL-Marktes widerspiegelt. Durch die kontinuier­liche Weiter­entwicklung des SRL- und Strommarkts in der Schweiz und in Europa war es schwierig, eine zuverlässige Markt­prognose abzugeben. Deshalb wurden statistische Analysen durchgeführt und frühere Daten verwendet.

Die Vorhaltungsentschädigung, welche die Flexibilität der Anlage belohnt, bringt für den jährlichen Cash-Flow den grössten Ertrag.

Die Analyse der Daten hat gezeigt, dass die monatlichen Leistungs­spitzen­kosten die grössten variablen Kosten darstellen. Daher wurde versucht, diese Kosten in verschie­denen Varianten zu minimieren, wovon drei in den Ergebnissen erläutert werden.

Als zusätzliche Kosten mussten somit vor allem die Energie­kosten für die Kompensation des Speichers und die jährlichen Unterhalts­kosten untersucht werden. Die Energie­kosten gleichen sich mit der Energie­entschädigung in allen Varianten aus. Optional wurde eine Variante erstellt, die einen zusätzlichen Speicher beinhaltete, der eigens für das RL-Angebot installiert wurde. Da die Steuerungs­mechanismen des Fernwärme­netzes zusätzlich für ein RL-Angebot benutzt werden können, sind die Investitions­kosten sehr gering. Einen grossen Beitrag für niedrige Investitions­kosten haben die bereits geplanten Frequenz­umrichter geleistet, welche jede der WP einzeln steuern und auch für die Leistungs­anpassung an die RL benötigt werden. Als Investitions­kosten für die Model­lierung und Anbindung der WP in den Regelpool werden etwa 10 000 CHF angenommen.

Die Ergebnisse

Die folgenden Varianten wurden aus Sicht der Minimierung der Leistungs­spitzen­kosten und anderer Einflüsse optimiert und wurden als die relevan­testen Varianten angesehen. Eine repräsentative Variante stellt ein «rentabler-Grenzfall» dar, bei dem Aufwand und Risiko minimiert wurden. Diese Variante zeigte, dass der Eintritt in den RL-Markt auch bei tiefem Aufwand und Risiko einen positiven Kapital­wert von 18'603 CHF über zehn Jahre erwirtschaften kann. Eine zweite Variante zeigte, dass der Ertrag noch weiter gesteigert werden kann, wenn sowohl positive als auch negative RL angeboten werden. Der Kapital­wert nach zehn Jahren beträgt in diesem Fall 48'659 CHF. Die Variante mit dem zusätzli­chen Speicher weist nach zehn Jahren einen positiven Kapital­wert von 26'327 CHF auf. Durch die grossen Investitions­kosten des Speichers von 210'000 CHF, die jährlichen Bodenmietkosten von 2700 CHF und die Tatsache, dass die Unsicher­heiten im RL-Markt keine zuverlässige Prognose zulassen, wird diese zweite Variante im ersten Jahr nicht empfohlen. Falls eine genauere Prognose für den RL-Markt abgegeben werden kann, könnte diese Variante allerdings interessant werden, da durch ihre grössere Verfügbarkeit ein höherer jährlicher Cash-Flow generiert wird. Der interne Zinsfuss ist in allen Varianten höher als 7%, was bedeutet, dass alle Varianten rentabel sind.

Rückblick und Empfehlung

Aufgrund der Stabilisierung des Stromnetzes, des Ertrags durch das RL-Angebot und der tiefen Risiken wird ein Eintritt in den RL-Markt empfohlen. Es wird vorgeschlagen, dass – wie im zweiten Fall beschrieben – positive und negative SRL angeboten werden. Zudem ergab sich dieser zweite Fall aus der Sensitivitäts­analyse weniger empfindlich auf mögliche Markt­anpassungen als der «rentable-Grenzfall».

Es sind Regel­poole empfohlen, welche die Pool­teil­nehmer mit einem markt­abhängigen System entschädigen, sämtliche technischen Kondi­tionen und Anfor­derungen erfüllen und somit ähnliche oder gleiche Rahmen­bedin­gungen vorliegen wie in dieser Machbar­keits­studie. Zudem ist ein Regel­pool vorteil­haft, der über prädiktive Algorithmen verfügt und technische Aspekte der WP berücksichtigt. So können die RL-Angebots­abgabe vereinfacht und der Personal-Aufwand reduziert werden.

Referenzen

[1]      «Grundlagen Systemdienstleistungsprodukte, V. 10», Swissgrid, 2018.

[2]     B. Vogel, «Industrieanlagen stabilisieren das Stromnetz», Bulletin SEV/VSE 9/2017, S. 20–23.

[3]     «Systemdienstleisungen», Swissgrid, 2016.

Link

www.evnh.ch

Autorin
Martina Bossio

ist wissenschaftliche Assistentin Elektrische Energiesysteme an der ZHAW.

  • ZHAW, 8401 Winterthur
Autor
Daniel Meyer

ist Geschäftsführer an der EVNH und Leiter Dezentrale Energieversorgung an der EKS.

  • EKS, 8201 Schaffhausen
Autor
Prof. Dr. Petr Korba

ist Leiter der Abteilung Elektrische Energie­systeme an der ZHAW.

  • ZHAW, 8401 Winterthur

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