Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke

Schweizer Energiemix informiert gestalten

ETH-Studie zur Zukunft der Stromversorgung

30.01.2018

Das elektrische Energiesystem ist ein komplexes Gebilde, bei dem sich diverse Energietechnologien ergänzen. Jede Art der Stromerzeugung hat ihre Vorteile, aber auch «Nebenwirkungen». Eine Studie der ETH Zürich ging der Frage nach, welchen Strommix informierte Nicht-Experten wählen würden. Bei der Wasserkraft gab es Überraschendes.

Wenn die Stromversorgung in der Öffentlichkeit diskutiert wird, stehen oft einzelne Technologien oder Projekte im Fokus, wie die Erhöhung der Grimsel-Staumauer oder die Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg. Selten schenkt man dem gesamten Energie­system Aufmerksamkeit. Meistens geschieht dies bei Abstimmungen wie der zum revidierten Energiegesetz (Energiestrategie 2050). Dabei ist klar, dass das elektrische Energiesystem erst funktioniert, wenn jedes Kraftwerk den von ihm erwarteten Anteil leistet. Damit die Gesamtenergie stimmt, muss der Verzicht auf gewisse Formen der Strom­erzeugung durch andere Erzeugungsarten oder durch Effizienzmassnahmen ausgeglichen werden.

Eine aktuelle, zurzeit noch unveröffentlichte Studie der ETH Zürich befasst sich mit der Frage, welchen Strommix die Schweizer Bevölkerung wählen würde, wenn man sie bezüglich der jeweiligen Vorzüge und der unerwünschten Auswirkungen auf Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und die Infrastruktur informiert. Die Studie wurde am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich von Evelina Trutnevyte, Sandra Volken und Georgios Xexakis durchgeführt.

Ablauf der Studie

Für die Studie wurden 46 Personen gewählt, die ein breites Spektrum an Präferenzen bezüglich einzusetzender Energietechnologien repräsentierten. Alle Personen füllten zunächst einen Online-Fragebogen aus, in dem sie ihre Meinung zu einzelnen Kraftwerkstechnologien äusserten und angaben, wie sie den Strommix gestalten würden. Ein Quiz zum Thema Stromversorgung und eine Selbsteinschätzung des Wissens gehörten auch zum Fragebogen.

Dann wurden die Personen bezüglich der einzelnen Technologien informiert – zunächst lasen sie Faktenblätter, bei denen die heutige und die künftige Situation, die Grös­se und die Stromkosten solcher Kraftwerke und die Einflüsse auf den Klimawandel auf die lokale Luft und auf Gewässer erläutert wurden. Als zweiter Schritt folgte dann die Teilnahme an Workshops, an denen kleine Gruppen diskutierten, einen Strommix mit einem Online-Tool (Risikometer, www.riskmeter.ethz.ch) definierten und den zweiten Fragebogen ausfüllten. Vier Wochen später, nachdem die Teilnehmenden die Informationen in Ruhe verarbeiten konnten, füllten sie den dritten Fragebogen aus.

Falsche Vorstellungen

Eine in diesem Kontext früher durchgeführte Studie des Forscherteams hat gewisse Fehlvorstellungen bezüglich Energietechnologien aufgezeigt.[1] Gemäss Evelina Trutnevyte gab es hauptsächlich falsche Vorstellungen bei neueren Technologien, beispielsweise bei der tiefen Geothermie. Manchmal dachten Teilnehmende, dass man unter Tiefengeothermie die zum Beheizen von Häusern eingesetzte oberflächennahe Geothermie, Erdwärmesonden, meint. Eine Person war der Ansicht, dass Geothermie-Bohrungen in der Schweiz die Eruption von Vulkanen verursachen könnten. Eine weitere Ansicht war, dass Technologien ihr Medium verbrauchen, dass also Windturbinen den Wind abbremsen (was gemäss einer Person Schwierigkeiten für die Bauern verursachen könnte, da die Obstbäume weniger bestäubt würden), oder die Laufwasserkraftwerke das Wasser verbrauchen.

Natürlich sind solche realitätsfernen Vorstellungen nicht für die Bevölkerung repräsentativ, aber es könnte sich lohnen, gewisse Vorstellungen in breiteren Umfragen zu untersuchen, um festzustellen, ob ein spezifischer Informationsbedarf besteht.

Die Studie förderte auch Fragen und Anliegen der Teilnehmenden ans Licht, beispielsweise im Bereich der Photovoltaik: Wie sollen die PV-Module entsorgt werden, wenn sie ihr Lebensende erreicht haben? Enthalten sie giftige Substanzen? Auch hier besteht Informationsbedarf.

Die präzisesten Vorstellungen hatten die Personen bei Technologien, die man in der Schweiz einsetzt und mit denen man vertraut ist. Das Wissen war auch bei Technologien überdurchschnittlich, die eine hohe mediale Aufmerksamkeit genies­sen. Am niedrigsten war das Wissen bezüglich Geothermie und bei Erdgas, beides Technologien, die in der Schweiz nicht in grossem Stil zur Stromproduktion eingesetzt werden.

Ansichten zur Wasserkraft

Die drei Fragebögen zeigten auf, wie sich die Präferenzen der Teilnehmenden nach dem Kennenlernen der Technologien veränderten. Bei der Frage: «Stimmen Sie dem Ausbau folgender Möglichkeiten, um den Strombedarf der Schweiz im Jahr 2035 decken zu können, zu oder nicht?» wurde klar, dass es zu keinen ex­tremen Veränderungen durch die Informationen gekommen ist, denn die meisten Energieformen, die man bereits vor der «Bildungsoffensive» als Kandidaten für einen Ausbau genannt hat, wurden erneut genannt.

Die zwei Ausnahmen waren Holzmasse und Geothermie, bei denen beim zweiten Fragebogen direkt nach der Informationsvermittlung die Angabe gemacht wurde, dass kein weiterer Ausbau angestrebt werden soll. Beim dritten, vier Wochen nach der Informationsvermittlung vervollständigten Fragebogen waren dann beide Technologien wieder im Bereich der auszubauenden Technologien. Diese Rückkehr zur ursprünglichen Antwort ist verständlich, da man dazu neigt, nur einmal vermittelte Informationen mit der Zeit zu vergessen. Dies zeigt, wie wichtig eine kontinuierliche Informa­tionsvermittlung ist.

Während die Meinungen zu grossen Speicherkraftwerken stabil im förderungswürdigen Bereich lagen, gab es im Wasserkraftbereich eine weitere Überraschung: Bei den grossen Laufkraftwerken stieg der Wunsch für einen Ausbau sowohl nach der Inforunde als auch nach der vierwöchigen Bedenkzeit. Dies war zudem die grösste Steigerung unter allen untersuchten Technologien in der Studie. Dieser Meinungsumschwung überrascht besonders, weil die Schweizer Bevölkerung mit der Wasserkraft vertraut ist. Trutnevyte kommentierte diesem Umschwung: «Es ist möglich, dass Laufwasserkraftwerke eine geringere Rolle spielen, weil sie keine so hohe mediale Aufmerksamkeit wie Speicherkraftwerke geniessen. Zudem sind grosse Staudämme viel sichtbarer als Laufkraftwerke mit vergleichbarer Leistung.»

Insgesamt wird die Wasserkraft gemäss Trutnevyte durch die Bevölkerung klar unterstützt. Direkt nach dem Ausbau der Wasserkraft kommt gemäss der Studie die Intensivierung der Energieeffizienzbestrebungen. Die Kleinwasserkraft sollte gemäss der Studie zusammen mit anderen erneuerbaren Energien weiterhin gefördert werden, aber in einem geringeren Mass.

Der Einfluss von Information

Die Studie zeigte, dass der Einfluss von Information in der Schweiz eher moderat ist, da sich die Bevölkerung bereits ihre Meinung gebildet hat. Auf die Frage, ob es Umwälzungen in der Schweizer Energielandschaft gäbe, wenn alle Beteiligten perfekt informiert wären, antwortete Trutnevyte: «Nur teilweise, denn die Veränderungen in den Meinungen der Bevölkerung nach dem Informieren waren verhältnismässig gering. Dies hat sicher etwas mit den Energie-Abstimmungen von 2016 und 2017 zu tun, da sich die Personen schon damals bezüglich der Vor- und Nachteile von Technologien informierten.»

Bei Interessensgruppen wie Umweltschutzverbänden und anderen Entscheidungsträgern würde Evelina Trutnevyte statt einer Informationskampagne einen anderen Ansatz wählen, da dort selten ein Mangel an Informationen herrscht. Sie würde dort die Frage stellen, welchen Energiemix diese Gruppen wählen würden, um die nötige Gesamtenergie zu produzieren. Dann kämen sie um das Abwägen von Vor- und Nachteilen nicht herum und könnten sich nicht ausschliesslich auf das Verhindern von neuen Anlagen beschränken.

Als Nebeneffekt zeigte die Studie auf, wie die Bevölkerung informiert werden möchte. Sowohl die Faktenblätter als auch der Risikometer kamen gut an, die statischen Faktenblätter sogar besser als erwartet.

Referenz

[1] Sandra Volken, Gabrielle Wong-Parodi, Evelina Trutnevyte, «Public awareness and perception of environmental, health and safety risks to electricity generation: an explorative interview study in Switzerland», Journal of Risk Research, 31. Oktober 2017.

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

Kommentare

Kurt Hug,

von wegen falschen Vorstellungen: siehe
http://www.pnas.org/content/113/48/13570

Bitte addieren Sie 5 und 5.