Schwebstoffmonitoring in Echtzeit
Ein Forschungsprojekt am Kraftwerk Fieschertal
In Hoch- und Mitteldruck-Laufwasserkraftanlagen unterstrom von Gletschern sind die Turbinen besonders von hydro-abrasivem Verschleiss betroffen. An einer solchen Anlage wurden Instrumente eingebaut, mit denen die Schwebstoffbelastung laufend gemessen wird, um den Betrieb wirtschaftlich zu optimieren.
Östlich des Aletschgletschers erstreckt sich der Fieschergletscher, der zweitlängste Gletscher der Alpen. Von diesem entspringt der Gebirgsfluss Wysswasser, der bei Fiesch in die Rhone mündet. Die Energie des Wysswassers wird im Kraftwerk Fieschertal für die Stromproduktion genutzt. Von der Fassung fliessen bis zu 16 m3/s durch unterirdische Entkieser- und Entsanderbecken in einen 2 km langen Freispiegelstollen, der im Winter und in der Übergangszeit als Tagesspeicher dient. Von diesem führt eine Druckleitung über eine Höhendifferenz von 520 m hinunter zum Maschinenhaus, in welchem sich zwei horizontalachsige, zweidüsige Peltonturbinen mit einer Nennleistung von je 32 MW befinden. Es handelt sich also um eine Hochdruck-Wasserkraftanlage ohne Speichersee (Laufwasserkraftwerk) unterstrom eines Gletschers.
Turbinenverschleiss
In solchen Wasserkraftanlagen sind die Schwebstoffbelastung und die auftretenden Fliessgeschwindigkeiten hoch, was zu hydro-abrasivem Verschleiss an Düsen und Laufrädern führt. Mit der Anwendung von Hartbeschichtungen (Wolframkarbid) konnten die Revisionsintervalle an den Turbinenbauteilen verlängert werden. Da sich die Abrasionsschäden aber auch mit solchen Beschichtungen nicht vollständig verhindern lassen, besteht Bedarf an besserer Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen der Schwebstoffbelastung, dem Ausmass der Abrasion und der damit einhergehenden Wirkungsgradreduktion. Es stellt sich auch die Frage nach einer guten Kombination von Gegenmassnahmen.
Forschungsprojekt
Daher initiierten im Jahr 2012 die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und das Kompetenzzentrum Fluidmechanik und Hydromaschinen der Hochschule Luzern ein Forschungsprojekt. Das Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit dem Betreiber des Kraftwerks Fieschertal (Gommerkraftwerke AG) durchgeführt. So wurden nun bereits über mehrere Jahre das Schwebstoffaufkommen, die Erosion an den Peltonturbinen und die Wirkungsgradveränderungen gemessen und ausgewertet.
Variierende Schwebstoffbelastung
Im Winter führt das Wysswasser wenig Abfluss und das Wasser ist klar. Von Mai bis Oktober, vor allem während der Schnee- und Gletscherschmelze, ist das Wasser milchig weiss bis gräulich. Im Jahresmittel sind pro Liter Wasser etwa 0,5 g feine mineralische Partikel enthalten («Gletscherschliff»). So gelangen im Sommer bei Volllastbetrieb pro Stunde etwa 29 t Feinsedimente durch die beiden Turbinen. Während und nach starkem Regen, typischerweise nach Sommergewittern (Unwettern), schwillt das Wysswasser an und es wurden Schwebstoffkonzentrationen über 50 g/l gemessen. Dies entspricht einer Sedimentfracht über die Turbinen von rund 48 t pro Minute.
Die seit dem Projektbeginn bestimmten jährlichen Sedimentfrachten in der Druckleitung lagen zwischen 40’000 (im Jahr 2014 ohne Hochwasser) und gut 100’000 t (im Jahr 2012 mit einem grösseren Hochwasserereignis).
Messinstrumente
Um die in der Druckleitung auftretenden Schwebstoffkonzentrationen und -partikelgrössen zu quantifizieren, wurden in der Schieberkammer ein Dichtemessgerät, verschiedene Trübungssonden und ein Laserdiffraktometer installiert. Diese Messgeräte werden über eine Probenahmeleitung mit Wasser aus der Druckleitung versorgt. Weiter werden automatisch Wasserproben in Flaschen gepumpt. Von diesen werden anschliessend im Labor die Schwebstoffkonzentrationen bestimmt, welche als Referenz für die kontinuierlichen, indirekten Messungen dienen.
Mit den Trübungssonden lassen sich tiefere und mittlere Konzentrationen (bis ca. 10 g/l) messen. Wenn gröbere Partikel als üblich transportiert werden, werden jedoch mit Trübungssonden zu tiefe Schwebstoffkonzentrationen gemessen, was zu einer Unterschätzung des Abrasionspotenzials führt. Das Dichtemessgerät eignet sich zum Messen mittlerer und höherer Schwebstoffkonzentrationen (über 0,5 g/l).
Das Laserdiffraktometer misst neben der Konzentration auch die Partikelgrössen und berücksichtigt diese bei der Berechnung der Konzentration. Mit diesem Instrument lassen sich aber lediglich Konzentrationen von wenigen Gramm Silt oder Feinsand pro Liter Wasser messen.
An der Druckleitung bestand schon vor dem Projekt eine akustische Durchflussmessung. Diese kann auch für das Schwebstoffmonitoring genutzt werden, indem die Dämpfung der Ultraschallsignale mit der Schwebstoffkonzentration korreliert wird. Diese Messmethode hat den Vorteil, dass sie praktisch keinen Unterhalt erfordert.
Zudem wurden ausserhalb der Wasserfassung und im Entsander je eine Trübungssonde installiert. Aufgrund der Fliesszeit im Speicherstollen zeigen diese schon etwa eine Stunde vor den Instrumenten in der Schieberkammer, dass bei den Turbinen eine hohe Schwebstoffbelastung auftritt.
Abschaltungen bei Unwettern
Da das Schwebstoffaufkommen zeitlich stark variiert, kann es wirtschaftlich sein, bei ausserordentlich hoher Schwebstoffbelastung Fassungen vorübergehend auszuleiten und das Turbinieren zu unterbrechen. Für solche «Kraftwerksabschaltungen» sind natürlich auch übergeordnete Randbedingungen wie Produktionsverpflichtungen und Produktionsausgleich durch andere Kraftwerke innerhalb einer Bilanzgruppe zu berücksichtigen.
Automatische Alarme
Um Phasen mit hoher Schwebstoffbelastung rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen, ist eine Kombination verschiedener Messwertaufnehmer empfehlenswert (mehrere Messstellen, Abdeckung eines grossen Konzentrationsmessbereichs und Redundanz). Um nach einer Abschaltung zu entscheiden, wann die Anlage wieder in Betrieb genommen werden kann, ist es wichtig, mindestens eine Schwebstoffmessstelle im Gewässer oberhalb bzw. ausserhalb der Wasserfassung zu haben.
Die Signale der Schwebstoffmessungen wurden ins Leitsystem des Kraftwerks Fieschertal integriert. So können Warnungen vor hohen Schwebstoffbelastungen, wie andere Alarme auch, an den Pikettdienst ausgegeben werden. Dieser kann dann unter Einbezug der Erfahrung entscheiden, die Anlage vorübergehend ausser Betrieb zu nehmen.
Schwellenwert der Schwebstoffkonzentration
Aufgrund der Daten von 2012 bis 2014 wurde ermittelt, dass Kosten von ca. 7 CHF entstehen, wenn eine Tonne Feinsediment durch eine Turbine transportiert wird. In diesem Wert sind Kosten für Revisionsarbeiten bzw. Ersatzteile und Produktionsverluste infolge abrasionsbedingter Wirkungsgradreduktionen berücksichtigt.
Mit dem Ausbaudurchfluss und einem angenommenen mittleren Erlös von 5 Rp./kWh wurde abgeschätzt, dass ab einer Schwebstoffkonzentration von 10 g/l die durch die Feinsedimente verursachten Kosten den Erlös übersteigen.
Es wurde vorgeschlagen, die Fassung auszuleiten und den Turbinenbetrieb anschliessend zu unterbrechen, wenn die Schwebstoffkonzentration in der Druckleitung während mehr als einer Viertelstunde 10 g/l überschreitet. Da die Wiederinbetriebnahme mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, wird der Betrieb erst wieder aufgenommen, wenn die Schwebstoffkonzentration unter 5 g/l gesunken ist und das Ende des Ereignisses absehbar wird.
Bisherige Erfahrungen
Das grösste Hochwasserereignis seit dem Beginn des Forschungsprojekts trat im Juli 2012 auf. Da damals die Messwerte noch nicht im Leitsystem verfügbar waren und die Daten für die Berechnung der «Abschaltkonzentration» noch nicht vorlagen, wurde das Kraftwerk während des Hochwassers weiterbetrieben. Dabei wurde ein Laufrad so stark beschädigt, dass es während der Volllastzeit ausgetauscht werden musste. Am anderen Laufrad nahm der Wirkungsgrad um ca. 1% ab.
In der letzten Abbildung ist anhand der Ganglinie der Schwebstoffkonzentration im Triebwasser dargestellt, wie das Abschalt-Szenario mit den oben genannten Schwellenwerten im Fall des Hochwassers vom Juli 2012 ausgesehen hätte. Während der Ausserbetriebnahme von 16 h wären 13’000 t Feinsedimente weniger über die Turbinen geleitet worden. Das entspricht 12% der Jahresfracht von 2012 oder etwa 25% der Fracht in einem Jahr ohne grösseres Hochwasser. Im Nachhinein wurde abgeschätzt, dass mit einer solchen Abstellung vermutlich etwa 200’000 CHF hätten eingespart werden können.
2017, also fünf Jahre später, trat wieder ein Hochwasser auf, bei dem die Kriterien für die Ausserbetriebnahme erfüllt waren. Das Kraftwerk wurde abgestellt und grössere Schäden konnten vermieden werden. Die Spanne von fünf Jahren zeigt, dass die Anlage nicht bei jedem Regenereignis, sondern nur bei signifikantem Schwebstofftransport ausser Betrieb geht.
Fazit
Um Situationen mit hoher Schwebstoffbelastung rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen sowie um Produktionsausfälle infolge vorübergehender Kraftwerksabschaltungen wirtschaftlich begründen zu können, sind mehrere Schwebstoffmessgeräte empfehlenswert, welche Daten in Echtzeit ins Leitsystem liefern. Für andere Wasserkraftanlagen, bei denen Turbinenabrasion ein Thema ist, kann nun aufgrund dieser Fallstudie eine fallweise passende Kombination von Messwertaufnehmern ausgewählt werden. Die Abschaltkonzentration muss je nach Anlage festgelegt werden, da sie von vielen Faktoren abhängt (Fallhöhe, spezifische Drehzahl, Grösse und Abrasivität der Partikel, Turbinenbeschichtung etc.).
Schwebstoffmessungen können Kraftwerksbetreibern, Turbinenherstellern und Planern dazu dienen, Unterhaltsmassnahmen zu optimieren und festzustellen, ob Spezifikationen und Vertragsbestimmungen erfüllt wurden. Verbesserte Kenntnisse über den hydro-abrasiven Verschleiss, dessen Ursachen und Auswirkungen sowie Gegenmassnahmen tragen dazu bei, den Entwurf, den Betrieb und den Unterhalt von Hoch- und Mitteldruckwasserkraftanlagen an sedimentreichen Fliessgewässern zu optimieren. Dies trägt zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der Effizienz der Wasserkraftnutzung bei.
Literatur
- A. Abgottspon, D. Felix, R. Boes, T. Staubli, «Schwebstoffe, hydro-abrasiver Verschleiss und Wirkungsgradänderungen an Peltonturbinen – Ein Forschungsprojekt am Kraftwerk Fieschertal», Wasser Energie Luft 108(1), 2016, S. 9–24. issuu.com/swv_wel/docs/wel_1_2016.
- David Felix, «Experimental investigation on suspended sediment, hydro-abrasive erosion and efficiency reductions of coated Pelton turbines», VAW-Mitteilung 238 (R. Boes, Hrsg.), ETH Zürich, 2017, vaw.ethz.ch/das-institut/vaw-mitteilungen/2010-2019.html
Für die Unterstützung des Forschungsprojekts danken die Autoren Swisselectric Research, dem Bundesamt für Energie (BFE), Innosuisse, der Gommerkraftwerke AG, den Firmen Sigrist Photometer, Endress+Hauser und Rittmeyer, sowie weiteren Projektpartnern.
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