Fachartikel Erneuerbare Energien , Konventionelle Kraftwerke , Messtechnik

Schweb­stoff­mo­ni­to­ring in Echtzeit

Ein Forschungsprojekt am Kraftwerk Fieschertal

31.01.2020

In Hoch- und Mitteldruck-Laufwasserkraftanlagen unterstrom von Gletschern sind die Turbinen besonders von hydro-abrasivem Verschleiss betroffen. An einer solchen Anlage wurden Instrumente eingebaut, mit denen die Schwebstoff­belastung laufend gemessen wird, um den Betrieb wirtschaftlich zu optimieren.

Östlich des Aletschgletschers erstreckt sich der Fieschergletscher, der zweitlängste Gletscher der Alpen. Von diesem entspringt der Gebirgsfluss Wysswasser, der bei Fiesch in die Rhone mündet. Die Energie des Wysswassers wird im Kraftwerk Fieschertal für die Stromproduktion genutzt. Von der Fassung fliessen bis zu 16 m3/s durch unterirdische Entkieser- und Entsanderbecken in einen 2 km langen Freispiegelstollen, der im Winter und in der Übergangszeit als Tagesspeicher dient. Von diesem führt eine Druckleitung über eine Höhendifferenz von 520 m hinunter zum Maschinenhaus, in welchem sich zwei horizontalachsige, zweidüsige Peltonturbinen mit einer Nennleistung von je 32 MW befinden. Es handelt sich also um eine Hochdruck-Wasserkraftanlage ohne Speichersee (Laufwasserkraftwerk) unterstrom eines Gletschers.

Turbinen­verschleiss

In solchen Wasserkraftanlagen sind die Schwebstoffbelastung und die auftretenden Fliessgeschwindigkeiten hoch, was zu hydro-abrasivem Verschleiss an Düsen und Laufrädern führt. Mit der Anwendung von Hartbeschichtungen (Wolframkarbid) konnten die Revisionsintervalle an den Turbinenbauteilen verlängert werden. Da sich die Abrasionsschäden aber auch mit solchen Beschichtungen nicht vollständig verhindern lassen, besteht Bedarf an besserer Kenntnis über die Zusammenhänge zwischen der Schwebstoffbelastung, dem Ausmass der Abrasion und der damit einhergehenden Wirkungsgradreduktion. Es stellt sich auch die Frage nach einer guten Kombination von Gegenmassnahmen.

Forschungsprojekt

Daher initiierten im Jahr 2012 die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich und das Kompetenzzentrum Fluidmechanik und Hydromaschinen der Hochschule Luzern ein Forschungsprojekt. Das Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit dem Betreiber des Kraftwerks Fieschertal (Gommerkraftwerke AG) durchgeführt. So wurden nun bereits über mehrere Jahre das Schwebstoffaufkommen, die Erosion an den Peltonturbinen und die Wirkungsgradveränderungen gemessen und ausgewertet.

Variierende Schwebstoff­belastung

Im Winter führt das Wysswasser wenig Abfluss und das Wasser ist klar. Von Mai bis Oktober, vor allem während der Schnee- und Gletscherschmelze, ist das Wasser milchig weiss bis gräulich. Im Jahresmittel sind pro Liter Wasser etwa 0,5 g feine mineralische Partikel enthalten («Gletscherschliff»). So gelangen im Sommer bei Volllastbetrieb pro Stunde etwa 29 t Feinsedimente durch die beiden Turbinen. Während und nach starkem Regen, typischerweise nach Sommergewittern (Unwettern), schwillt das Wysswasser an und es wurden Schweb­stoff­konzen­trationen über 50 g/l gemessen. Dies entspricht einer Sedimentfracht über die Turbinen von rund 48 t pro Minute.

Die seit dem Projektbeginn bestimmten jährlichen Sedimentfrachten in der Druckleitung lagen zwischen 40’000 (im Jahr 2014 ohne Hochwasser) und gut 100’000 t (im Jahr 2012 mit einem grösseren Hochwasserereignis).

Messinstrumente

Um die in der Druckleitung auftretenden Schwebstoff­konzen­trationen und -partikel­grössen zu quantifizieren, wurden in der Schieberkammer ein Dichtemessgerät, verschiedene Trübungssonden und ein Laserdiffraktometer installiert. Diese Messgeräte werden über eine Probe­nahme­leitung mit Wasser aus der Druckleitung versorgt. Weiter werden automatisch Wasserproben in Flaschen gepumpt. Von diesen werden anschliessend im Labor die Schwebstoffkonzen­trationen bestimmt, welche als Referenz für die kontinuierlichen, indirekten Messungen dienen.

Mit den Trübungssonden lassen sich tiefere und mittlere Konzen­trationen (bis ca. 10 g/l) messen. Wenn gröbere Partikel als üblich transportiert werden, werden jedoch mit Trübungssonden zu tiefe Schweb­stoff­konzen­trationen gemessen, was zu einer Unterschätzung des Abrasionspotenzials führt. Das Dichtemessgerät eignet sich zum Messen mittlerer und höherer Schweb­stoff­konzen­trationen (über 0,5 g/l).

Das Laserdiffraktometer misst neben der Konzen­tration auch die Partikelgrössen und berücksichtigt diese bei der Berechnung der Konzen­tration. Mit diesem Instrument lassen sich aber lediglich Konzen­trationen von wenigen Gramm Silt oder Feinsand pro Liter Wasser messen.

An der Druckleitung bestand schon vor dem Projekt eine akustische Durchflussmessung. Diese kann auch für das Schwebstoffmonitoring genutzt werden, indem die Dämpfung der Ultraschallsignale mit der Schweb­stoff­konzen­tration korreliert wird. Diese Messmethode hat den Vorteil, dass sie praktisch keinen Unterhalt erfordert.

Zudem wurden ausserhalb der Wasserfassung und im Entsander je eine Trübungssonde installiert. Aufgrund der Fliesszeit im Speicherstollen zeigen diese schon etwa eine Stunde vor den Instrumenten in der Schieberkammer, dass bei den Turbinen eine hohe Schwebstoffbelastung auftritt.

Abschaltungen bei Unwettern

Da das Schwebstoffaufkommen zeitlich stark variiert, kann es wirtschaftlich sein, bei ausserordentlich hoher Schwebstoff­belastung Fassungen vor­übergehend auszuleiten und das Turbinieren zu unterbrechen. Für solche «Kraftwerks­abschaltungen» sind natürlich auch übergeordnete Randbedin­gungen wie Produktions­verpflichtungen und Produktions­ausgleich durch andere Kraftwerke innerhalb einer Bilanzgruppe zu berücksichtigen.

Automatische Alarme

Um Phasen mit hoher Schwebstoff­belastung rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen, ist eine Kombination verschiedener Messwertaufnehmer empfehlenswert (mehrere Messstellen, Abdeckung eines grossen Konzen­trations­messbereichs und Redundanz). Um nach einer Abschaltung zu entscheiden, wann die Anlage wieder in Betrieb genommen werden kann, ist es wichtig, mindestens eine Schweb­stoff­messstelle im Gewässer oberhalb bzw. ausserhalb der Wasserfassung zu haben.

Die Signale der Schweb­stoff­messungen wurden ins Leitsystem des Kraftwerks Fieschertal integriert. So können Warnungen vor hohen Schwebstoffbelastungen, wie andere Alarme auch, an den Pikettdienst ausgegeben werden. Dieser kann dann unter Einbezug der Erfahrung entscheiden, die Anlage vorübergehend ausser Betrieb zu nehmen.

Schwellenwert der Schweb­stoff­konzen­tration

Aufgrund der Daten von 2012 bis 2014 wurde ermittelt, dass Kosten von ca. 7 CHF entstehen, wenn eine Tonne Feinsediment durch eine Turbine transportiert wird. In diesem Wert sind Kosten für Revisionsarbeiten bzw. Ersatzteile und Produktions­verluste infolge abrasions­bedingter Wirkungsgrad­reduktionen berücksichtigt.

Mit dem Ausbaudurchfluss und einem angenommenen mittleren Erlös von 5 Rp./kWh wurde abgeschätzt, dass ab einer Schweb­stoff­konzen­tration von 10 g/l die durch die Feinsedimente verursachten Kosten den Erlös übersteigen.

Es wurde vorgeschlagen, die Fassung auszuleiten und den Turbinenbetrieb anschliessend zu unterbrechen, wenn die Schweb­stoff­konzen­tration in der Druckleitung während mehr als einer Viertelstunde 10 g/l überschreitet. Da die Wiederinbetriebnahme mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, wird der Betrieb erst wieder aufgenommen, wenn die Schweb­stoff­konzen­tration unter 5 g/l gesunken ist und das Ende des Ereignisses absehbar wird.

Bisherige Erfahrungen

Das grösste Hochwasser­ereignis seit dem Beginn des Forschungs­projekts trat im Juli 2012 auf. Da damals die Messwerte noch nicht im Leitsystem verfügbar waren und die Daten für die Berechnung der «Abschaltkonzen­tration» noch nicht vorlagen, wurde das Kraftwerk während des Hochwassers weiterbetrieben. Dabei wurde ein Laufrad so stark beschädigt, dass es während der Volllastzeit ausgetauscht werden musste. Am anderen Laufrad nahm der Wirkungsgrad um ca. 1% ab.

In der letzten Abbildung ist anhand der Ganglinie der Schweb­stoffkonzen­tration im Triebwasser dargestellt, wie das Abschalt-Szenario mit den oben genannten Schwellenwerten im Fall des Hochwassers vom Juli 2012 ausgesehen hätte. Während der Ausser­betrieb­nahme von 16 h wären 13’000 t Fein­sedimente weniger über die Turbinen geleitet worden. Das entspricht 12% der Jahresfracht von 2012 oder etwa 25% der Fracht in einem Jahr ohne grös­seres Hochwasser. Im Nachhinein wurde abgeschätzt, dass mit einer solchen Abstellung vermutlich etwa 200’000 CHF hätten eingespart werden können.

2017, also fünf Jahre später, trat wieder ein Hoch­wasser auf, bei dem die Kriterien für die Ausser­betrieb­nahme erfüllt waren. Das Kraftwerk wurde abgestellt und grössere Schäden konnten vermieden werden. Die Spanne von fünf Jahren zeigt, dass die Anlage nicht bei jedem Regenereignis, sondern nur bei signifi­kantem Schwebstoff­trans­port ausser Betrieb geht.

Fazit

Um Situationen mit hoher Schweb­stoff­belastung rechtzeitig und zuverlässig zu erkennen sowie um Produktions­ausfälle infolge vorüber­gehender Kraftwerks­abschaltungen wirtschaftlich begründen zu können, sind mehrere Schwebstoffmessgeräte empfehlenswert, welche Daten in Echtzeit ins Leitsystem liefern. Für andere Wasserkraftanlagen, bei denen Turbinenabrasion ein Thema ist, kann nun aufgrund dieser Fallstudie eine fallweise passende Kombination von Messwertaufnehmern ausgewählt werden. Die Abschalt­konzen­tration muss je nach Anlage festgelegt werden, da sie von vielen Faktoren abhängt (Fallhöhe, spezifische Drehzahl, Grös­se und Abrasivität der Partikel, Turbinenbeschichtung etc.).

Schwebstoff­messungen können Kraftwerks­betreibern, Turbinen­herstellern und Planern dazu dienen, Unterhaltsmassnahmen zu optimieren und festzustellen, ob Spezifikationen und Vertrags­bestim­mungen erfüllt wurden. Verbesserte Kenntnisse über den hydro-abrasiven Verschleiss, dessen Ursachen und Auswir­kungen sowie Gegen­mass­nahmen tragen dazu bei, den Entwurf, den Betrieb und den Unterhalt von Hoch- und Mitteldruck­wasser­kraft­anlagen an sedimentreichen Fliess­gewässern zu optimieren. Dies trägt zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der Effizienz der Wasser­kraft­nutzung bei.

Literatur

  • A. Abgottspon, D. Felix, R. Boes, T. Staubli, «Schwebstoffe, hydro-abrasiver Verschleiss und Wirkungsgradänderungen an Peltonturbinen – Ein Forschungsprojekt am Kraftwerk Fieschertal», Wasser Energie Luft 108(1), 2016, S. 9–24. issuu.com/swv_wel/docs/wel_1_2016.
  • David Felix, «Experimental investigation on suspended sediment, hydro-abrasive erosion and efficiency reductions of coated Pelton turbines», VAW-Mitteilung 238 (R. Boes, Hrsg.), ETH Zürich, 2017, vaw.ethz.ch/das-institut/vaw-mitteilungen/2010-2019.html

 

Für die Unterstützung des Forschungsprojekts danken die Autoren Swisselectric Research, dem Bundesamt für Energie (BFE), Innosuisse, der Gommerkraftwerke AG, den Firmen Sigrist Photometer, Endress+Hauser und Rittmeyer, sowie weiteren Projektpartnern.

Autor
Dr. David Felix

ist Forscher an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH.

  • ETH Zürich,
    8092 Zürich
Autor
Dr. Ismail Albayrak

ist Forscher an der VAW der ETH Zürich.

  • ETH Zürich,
    8092 Zürich
Autor
Prof. Dr. Robert Boes

ist Professor für Wasserbau und Direktor der VAW der ETH Zürich.

  • ETH Zürich,
    8092 Zürich
Autor
André Abgottspon

ist Forscher an der Hochschule Luzern (HSLU), Technik & Architektur, Kompentenzzentrum Fluidmechanik und Hydromaschinen.

Autor
Prof. Dr. Thomas Staubli

ist Professor für Fluidmechanik und Hydromaschinen an der HSLU.

Autor
Prof. Dr. Peter Gruber

ist Professor an der HSLU und Spezialist für akus­tische Durch­fluss­mes­sungen.

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