Fachartikel Installationstechnik

Schutzausrüstung nicht vergessen!

Unfallprävention bei Elektroberufen

31.08.2018

Obwohl dies selten so wahrgenommen wird, sehen sich Elektrofachkräfte häufig mit lebensgefährlichen Situationen konfrontiert. Die Realität spricht eine klare Sprache: Pro Jahr suchen über 500 Berufsleute aufgrund eines Elektrounfalls eine Arztpraxis oder ein Spital auf. Zur Vermeidung solcher Unfälle spielt die persönliche Schutzausrüstung eine zentrale Rolle.

Der Begriff Persönliche Schutzausrüstung (PSA) umfasst gemäss Suva «alle Ausrüstungen, die von einer Person zum Schutz vor gesundheitsgefährdenden Einwirkungen getragen werden». Eine korrekt angewendete Schutzausrüstung schützt die Elektrofachkraft vor mechanischen Gefahren, vor einer gefährlichen Körperdurchströmung (Elektrisierung) und vor den Einwirkungen eines Störlichtbogens (Hitze, Blendung), die zu Stürzen, Verbrennungen und anderen Verletzungen führen können.

Gesetzliche Pflicht

Arbeitgeber sind verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig oder nach dem Stand der Technik anwendbar sind.[1] Verschiedene Gesetze und Verordnungen regeln das Verwenden einer PSA. Wer eine Tätigkeit an einer Starkstromanlage ausführt, muss nach Art. 68 StV dafür ausgerüstet sein. Nach Art. 5 VUV hat der Arbeitgeber – falls Unfall- und Gesundheitsgefahren durch technische oder organisatorische Massnahmen nicht oder nicht vollständig ausgeschlossen werden können – auf seine Kosten dem Arbeitnehmenden eine zumutbare PSA zur Verfügung zu stellen. Diese muss die Anforderungen nach Art. 13 Abs. 2 der Verordnung über die Produktesicherheit erfüllen. Der Arbeitgeber muss ebenso dafür sorgen, dass die PSA jederzeit bestimmungsgemäss verwendet wird. Der Arbeitnehmer wiederum ist verpflichtet, die PSA zu tragen. In der Weisung 407 des ESTI ist festgehalten, wann welche PSA mit der entsprechenden Schutzstufe benützt werden muss.

Arbeitsmethoden

Jede Tätigkeit im Umgang mit Strom sollte nach dem Schema in Bild 1 durchgeführt werden. Falls die Fachkraft zum Schluss kommt, dass ihr Auftrag eine elektrische Gefahr hervorruft, muss sie diese Tätigkeit als «Arbeiten» bezeichnen und sich für eine der drei Arbeitsmethoden entscheiden. Arbeitsmethode 1 «Arbeiten im spannungsfreien Zustand» ist in jedem Fall zu bevorzugen.

Bedienen

Beim Bedienen besteht keine Gefahr durch die Elektrizität. Deshalb kann die Tätigkeit ohne zusätzliche Schutzmassnahme ausgeführt werden.

Arbeitsmethode 1

Arbeitsmethode 1 ist bei allen Arbeiten anzuwenden, die an ausgeschalteten und spannungsfreien Starkstromanlagen vorgenommen werden. Bei Tätigkeiten an Starkstromanlagen sollte nach dieser Arbeitsmethode, wenn immer möglich, vorgegangen werden. Die Anlage oder Installation ist nach den +5-Sicherheitsregeln spannungslos zu machen.

Um eine elektrische Anlage ausschalten zu können, muss allenfalls zusätzlich zu den +5-Sicherheitsregeln auf die Arbeitsmethode 2 zurückgegriffen werden, für die eine PSA benötigt wird (Bild 2).

Beispiel: Die Anlage wird mit einem Leitungsschutzschalter (LS) ausgeschaltet und mit einem Schloss gegen Wiedereinschalten gesichert. Die Spannungslosigkeit kann nur an den blanken Sammelklemmen des alten Schwenkverteilers (Bild  3) gemessen werden. Diese Sammelklemme weist keinen Berührungsschutz auf, sodass ein zufälliges Berühren der Sammelschiene nicht ausgeschlossen werden kann. Deshalb muss für die Überprüfung der Spannungslosigkeit eine Schutzausrüstung getragen werden. Ohne Schutzausrüstung ist ein sicheres Arbeiten in diesem Fall nicht möglich!    

Arbeitsmethode 2

Arbeitsmethode 2 umfasst alle Arbeiten, bei denen eine Person mit einem Körperteil, einem Werkzeug oder einem Gegenstand in die Annäherungszone (DV) (Bild  4) gelangen könnte. Ein zufälliges, unbeabsichtigtes Eindringen in die Gefahrenzone (DL) kann jedoch ausgeschlossen werden. Die Gefahrenzone im Niederspannungsbereich bis 1000 V Wechselspannung entspricht dem spannungsführenden Teil (Leiter), dessen direkte Berührung bei der Arbeitsmethode 2 nicht möglich ist.

Die Annäherungszone im Niederspannungsnetz umfasst einen Radius von 300 mm um das spannungsführende Teil. Sie kann durch eine provisorische Abdeckung mittels einer Abschrankung, einer Verschalung, einer isolierenden Schutzvorrichtung etc. verkleinert werden (Bild 5). Diese Abdeckung muss mindestens die Schutzart IP 2X sowie eine genügende mechanische Festigkeit aufweisen.

Arbeitsmethode 3

Die Arbeitsmethode 3 wird in AuS 1 (Arbeiten unter Spannung 1) und AuS 2 (Arbeiten unter Spannung 2) unterteilt.

Arbeiten unter Spannung 1

Unter die Arbeitsmethode «Arbeiten unter Spannung 1» (AuS 1) fallen einfache Routinearbeiten, die gemäss ESTI-Weisung 407 das Prüfen, das Messen sowie das Anbringen oder Entfernen von Originalabdeckungen und dergleichen bei möglichem Eindringen in die Gefahrenzone umfassen.

AuS 1 müssen zwingend mit der geeigneten PSA ausgeführt werden. Auf eine Schutzausrüstung für diese Arbeiten kann nur verzichtet werden, wenn folgende Bedingungen ausnahmslos eingehalten werden:

  • Anlage ist auch während des Messens fingersicher geschützt (IP 2X) und
  • ein Elektrisieren über die Messspitze kann ausgeschlossen werden und
  • eine Fehlmanipulation beim Messgerät oder bei der Messspitze kann zu keinem Kurzschluss führen.

Arbeiten unter Spannung 2

Unter die Arbeitsmethode «Arbeiten unter Spannung 2» (AuS 2) fallen alle Arbeiten, die ein bewusstes, beabsichtigtes Arbeiten in der Gefahrenzone beinhalten. Hinzu kommen Arbeiten an betriebseigenen Mess-, Regel- und Steuerleitungen sowie an Messkreisen, wenn ein zufälliges, unbeabsichtigtes Eindringen in die Gefahrenzone nicht ausgeschlossen werden kann.

Bei AuS 2 muss zwingend die Schutzausrüstung getragen werden. Nur eine sachverständige Elektrofachkraft mit entsprechender Spezialausbildung in diesem Bereich ist befugt, solche Arbeiten auszuführen. Die Arbeiten sind zudem immer zu zweit durchzuführen. Electrosuisse bietet eine solche Spezial­ausbildung an.

Wann muss eine PSA getragen werden?

Jede Arbeit wird einer der drei Arbeitsmethoden zugeteilt. Vor jedem Arbeitsschritt stellen sich folgende Fragen:

  • Besteht die Möglichkeit, dass bei der geplanten Tätigkeit ein blankes, spannungsführendes Teil durch eine Unachtsamkeit wie Stolpern, Er­schrecken, Abrutschen oder durch eine Fehlmanipulation berührt werden kann, oder besteht die Möglichkeit, dass eine Isolation, eine Abdeckung, ein Hindernis durch einen Eingriff beschädigt wird, was im schlechtesten Fall zu einer Elektrisierung führen kann?
  • Kann eine Unachtsamkeit oder eine Fehlmanipulation zu einem Kurzschluss mit anschliessendem Lichtbogen führen?
  • Kann auch bei einer korrekten Handhabung ein Lichtbogen entstehen, wie z.  B. beim Schalten von NH- Schmelzsicherungen oder von einem Leistungsschalter auf einen Kurzschluss?

Wenn eine dieser Fragen mit Ja beantwortet werden kann, muss eine Schutzausrüstung verwendet werden.

Fazit

Eine Elektrofachkraft wird fast täglich mit Schalthandlungen von NH-Sicherungen konfrontiert. Zur täglichen Arbeit gehört auch das Messen von Spannungen und Strömen. Da die Messstellen vielfach nicht fingersicher ausgeführt sind, kann eine Elektrisierung oder ein Kurzschluss durch eine unabsichtliche Berührung oder durch eine Manipulation nicht ausgeschlossen werden. Eine Elektrofachkraft benötigt somit für den Arbeitsalltag zwingend eine persönliche Schutzausrüstung (PSA). Dies ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine lebensrettende Notwendigkeit.

Arbeiten ohne PSA

Ohne Elektro-Schutzausrüstung dürfen nur Arbeiten ausgeführt werden, wenn eine der folgenden drei Bedingungen erfüllt ist:

– Die Anlage wurde nach den +5-Sicherheitsregeln spannungslos gestaltet.

oder

– Die spannungsführenden Teile im Arbeitsbereich sind durch Abdeckungen ­mindestens IP 2X oder IP XXB (fingersicher) geschützt

und ein Elektrisieren über eine Messspitze oder ein Werkzeug ist ausgeschlossen

und eine Fehlmanipulation führt zu keinem Kurzschluss.

oder

– Wenn mit Körperteilen, Werkzeugen, Ausrüstungen oder Hilfsmitteln der Abstand von 300 mm zu blanken, unter Spannung stehenden Teilen eingehalten wird

und wenn auch bei einer Fehlbewegung die Annäherungszone nicht erreicht ­werden kann

und wenn bei der auszuführenden Tätigkeit auch im Störungsfall kein Lichtbogen entstehen kann.

Referenz

[1]       Art. 6 Abs. 1 ArG / Art. 82 Abs. 1 UVG.

Literatur

  • EN 50110-1 «Betrieb von elektrischen Anlagen – Teil 1: Allgemeine Anforderungen».
  • ESTI 407.0909 d Richtlinie «Tätigkeiten an elektrischen Anlagen».
  • SR 734.2 Verordnung über elektrische Starkstromanlagen (StV).
  • SR 734.27 Verordnung über elektrische Niederspannungsinstallationen (NIV).
  • SR 822.11 Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG).
  • SR 832.20 Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG).
  • SR 832.30 Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV).
  • SR 930.111 Verordnung über die Produktesicherheit (PrSV).
  • ESTI, «Persönliche Schutzausrüstung PSA», Bulletin SEV/VSE 12/2015, S. 1-3.
Autor
Thomas Hausherr

ist Projektleiter im Team «Bildungsmedien» bei Electrosuisse.

  • Electrosuisse, 8320 Fehraltorf

Kommentare

Thomas Willig,

Vielen Dank für den guten Artikel über PSA. Das ist genau das, was unser Elektropersonal benötigt "eine einfach verständliche Beschreibung", wann man die PSA tragen muss.
Thomas Willig
E-SiBe KKG Gösgen

Bitte addieren Sie 9 und 6.