Schafft der Markt Sicherheit?
Versorgungssicherheit
Energiemärkte steuern die Allokation druckvoll, aber frei von Verantwortung: Wie weit führen Marktmechanismen zu Versorgungssicherheit?
Märkte begeistern als lebhafte Plätze voller Aktivität: von brauchbar bis inspirierend oder irritierend und ständig aufs Neue austestend, womit Anbieter, Kunden und der gemeinsame Marktplatz Erfolg für alle jeweils nach ihrem Geschmack haben können. Handelt man Energie, beeindrucken globale Reichweite, vielfältige Wechselwirkungen und politische Tragweite. Strom im Speziellen prägen die ständig heikle Balance von Produktion und Verbrauch sowie die Verwundbarkeit der Bevölkerung. Diese allgemeine Abhängigkeit von Strom überragt von der Bedeutung her selbst die grossen am Strommarkt involvierten Geldsummen und Energiemengen. Zum Zugang zu Strom auch in Zeiten von Mangel oder Not machen sich unterschiedliche Akteure Gedanken und möchten Versorgungssicherheit günstig erreichen durch den Einbezug von Marktkräften.
Einheitliche Preise trotz vielfältiger Produkte
Strompreise setzen sich aus den Zahlungsverpflichtungen für zukünftige Lieferungen von anstehenden (Viertel-)Stunden bis zu Jahren im Voraus zusammen. In «Energy only»-Märkten – noch ohne Kosten für Netz und Abgaben – bestimmen die marginale Kostenstruktur und Zahlungsbereitschaft, die je nach Situation unterschiedlich ausfallen, den Preis für alle Transaktionen. Flexibilität bei Angebot und Nachfrage verbindet dabei einzelne Stromprodukte finanziell über die Zeit. Zwar markieren Börsen nur die Spitze des Eisbergs, interne oder bilaterale Handelsgeschäfte müssen aber dem Vergleich mit den breit zugänglichen Marktplätzen standhalten. Und die netztechnischen Verbindungen mit Nachbarländern legen Zusammenarbeit nahe, wobei diese dank beidseitigen Interessen nicht einmal wohlwollend sein muss.
Neutral bieten Märkte eine einzige Anlaufstelle statt Beziehungen mit Lieferanten und Kunden, was Aufwände reduziert und auf rein finanziellem Weg geografische Expansion ermöglicht. Die Orientierung an ein und demselben Preissignal steigert die Effizienz und erlaubt Spezialisierung, die wiederum zu noch höherer Effizienz, aber auch zu Abhängigkeiten führt. Die Produktdifferenzierung sendet dabei das jeweils relevante Signal und ersetzt gröbere Sammelkategorien wie etwa Base oder Peak. Voraussetzung dafür sind liquide Märkte, an denen genügend Marktteilnehmer insgesamt aussagekräftige Transaktionen eingehen. Diese sorgen für Transparenz mit Strahlkraft in andere Märkte, die sich so gegenseitig aufwerten.
Schattenseite des Markts
Die Abfolge von Aktivitäten am Markt hat meist Preisausschläge zur Folge. Solch schwankende Anreize lösen letztendlich Stromflüsse aus, so dass schon Erwartungen Probleme verursachen können, insbesondere bei schnellen Handels-Automatismen. Diese liegen überdies zuweilen falsch, speziell wenn Zusammenhänge sich schnell stark verändern, exemplarisch verdeutlicht an vielen Märkten während der Finanzkrise nach dem Lehman-Kollaps. Dem fehlenden gesunden Menschenverstand möchten Marktplätze mit Regelwerken begegnen, was Transaktionskosten hochtreibt und dadurch Eintrittshürden schafft. Bei der Abhängigkeit vieler Wirtschaftsaktivitäten von Strom erweist sich allfällig daraus entstehende Marktmacht als speziell schädlich, weil selbst eine theoretische finanzielle Umverteilung die Kluft zwischen den andersartigen Interessen der Anbieter und Kunden nicht überbrücken kann.
Versorgung dank Preismechanismus funktioniert meist gut, insbesondere in der kurzen Frist auch im Energiebereich. Rechtzeitigkeit stellt hier das grössere Problem dar: Kurzfristige Lösungen können etwa bei Neubauten von Kraftwerken unmöglich sein oder dann teurer als erst mit längerem Vorlauf erhältliche. Die stromsichere Geschichte der Schweiz hat überdies nicht dazu beigetragen, allgemein Bewusstsein und Zahlungsbereitschaft für Versorgungssicherheit zu schaffen. Ob für die Versorgungssicherheit auch ansonsten unrentable Investitionen angezeigt sind, dazu fehlt derzeit manchenorts die Vorgabe bei EVUs unter staatlicher Kontrolle, und Unsicherheit mögen die Märkte genauso wenig wie die Konsumenten. Diese verkleinert auch das Zeitfenster, mögliche Umwälzungen im Strommarkt als Chance wahrzunehmen und nicht durch im Ausland erprobte Methoden etwa bezüglich Kundengewinnung und -bindung bei einer späteren Marktöffnung überrollt zu werden.
Versorgungssicherheit beim Strom
Versorgungssicherheit bedeutet, dass jegliche Konsumenten jederzeit und dauerhaft die gewünschte Menge Strom in der geforderten Qualität zu angemessenen Preisen erhalten. Üblicherweise setzt das Budget Grenzen, doch beim Strom sorgen dafür auch Menge, Zeitpunkt oder Ort. Dennoch müssen sich die meisten Endkonsumenten gegenwärtig um die finanziellen Konsequenzen von Stromverbrauch nicht gross bekümmern, was einen grossen Service der Strombranche darstellt. Insbesondere beim Timing übernehmen Produzenten und Versorger das finanzielle Abwägen von Stromnutzung versus Kostenfolge. Die derart marktwirtschaftlich erreichte Effizienz setzt Ressourcen frei, verzichtet aber auch auf Reserven, für die niemand explizit aufkommt, und so sucht die langfristige Versorgungssicherheit noch nach einer Plattform für die Bildung ihres Preises.
Marktwerten sind Geschehnisse nämlich gleichgültig, für sie zählen nur Erwartungen, während die Versorgungssicherheit von der tatsächlich realisierten Entwicklung abhängt. Auch steigert Knappheit an Strom den Unternehmenswert von Anbietern, die Vorsorge hingegen möchte es gar nicht erst dazu kommen lassen. Zudem wollen Investoren und Manager flexibel bleiben und deshalb wenig Verpflichtungen, während bei der garantierten Versorgung zielführende Massnahmen Verbindlichkeit und Zeit brauchen. Umgekehrt fordern privatwirtschaftliche Akteure bei den Rahmenbedingungen klare Entscheide, die sogar lieber ungünstig als verzögert ausfallen dürfen, wohingegen man sich für eine sichere Versorgung gern alle Optionen als Alternativen und zur Diversifikation offenhält. Genau solch volle Handlungsfreiheit wollen Unternehmen generell, selbst für Spekulation oder Liebhaber-Projekte, während das Garantieren der Versorgungssicherheit Erwartungen an diese richtet, explizit etwa hinsichtlich Einhaltens von Gesetzen und implizit beispielsweise bezüglich systemfreundlichen Verhaltens.
Verantwortung braucht Wirkung
Der Einsatz von Flexibilität hält die Stromversorgung kurz- bis mittelfristig aufrecht, auch wenn dies phasenweise sehr teuer zu stehen kommt. Markt allein garantiert allerdings keine Mindestmengen, und so scheint es ökonomisch zumutbar und auch sinnvoll, dass Kunden ihre Flexibilität bewirtschaften, was überdies Transparenz schafft und implizite und teils ungewollte Services seitens der Netzbetreiber erübrigt. Überdies können Endverbraucher die Folgen von Ausfällen selbst am besten bewerten, weil diese stark unterschiedlich schlimm ausfallen. Das macht aber einen Markt für Flexibilität nötig, um abwägen und entscheiden zu können. Verantwortung lediglich auf dem Papier zuzuweisen und zwecks Abschreckung Strafen anzudrohen, reicht hingegen nicht, da die Betroffenheit das mögliche Strafmass oft massiv übertrifft.
Marktpreise resultieren aus Kaufkraft und Präferenzen aller Teilnehmer bei deren aktuellem Informationsstand und führen so zu Effizienz aus finanzieller Sicht der Involvierten, was nicht zwangsläufig ein Qualitätsnachweis nach anderen Massstäben bedeutet. Erfreulicherweise stellen aber selbst willkürliche Preise eine Alternative dar und erweisen sich daher als besser als nichts, denn sie ermöglichen überhaupt erst ein Abwägen und für Externe überdies ein Einschätzen der Lage. Somit schafft Transparenz bezüglich Transaktionen positive externe Effekte, selbst wenn sie mit nur kleinen Mengen extreme Signale sendet. Das macht Preise spürbar und entsprechend einen Unterschied zwischen der Sorge um das Nötigste und völlig gleichgültigem Verbrauchsverhalten. Verbreitet dynamische Preise oder ein Teilverzicht auf Bezugsrechte in bestimmten Situationen würden dem Verursacherprinzip gerecht und machten die Stromversorgung deutlich robuster.
Zusammenwirken
Das zunehmende Ausreizen von Reserven zum Freisetzen von Ressourcen macht Vertrauen wichtiger und zuweilen Angst, was wie freier Informationsfluss kurzfristig für höhere Volatilität und damit Preisunsicherheit sorgen kann. Weil an Märkten normalerweise alle freiwillig teilnehmen, können Märkte allein die Versorgungssicherheit nicht garantieren. Dabei hat hohe Versorgungssicherheit enorme positive externe Effekte auf die gesamte Wirtschaft. In dieser Situation brauchte es politisch Klarheit sowie Szenarien für den Ausstieg von Unternehmen in Sorge um ihre Rentabilität aufgrund von Zerfall bei Kundenbasis oder Marge. Und doch existiert bei allen diversen Einzelinteressen kaum ein besserer Mechanismus als Marktkräfte, um Interessenskonflikte einheitlich und konsistent zusammenzuführen.
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