Fachartikel Energiespeicher

Saisonale ther­mi­sche Energie­speicher

Schlüsselkomponente für die Dekarbo­nisie­rung

15.03.2023

Soll unser Energie­system dekarbonisiert, resilient und weniger vom Ausland abhängig sein, so sind saisonale thermische Energie­speicher ein notwen­diges Puzzleteil. Das diesjährige Swiss Symposium Thermal Energy Storage zeigte ihre aktuelle Bedeutung und ihr zukünftiges Potenzial auf.

Wird unsere Energieversorgung diskutiert, so ist Wärme der «Elefant im Raum». Die Zahlen sprechen für sich: In der Schweiz trägt der Wärmeverbrauch zu rund 50% des Endenergieverbrauchs bei, davon werden noch rund 60% mit fossilen Brennstoffen erzeugt [1]. Damit ist der Wärmesektor für über 35% der gesamten Treib­haus­gas­emis­sionen verantwortlich. Ein veritabler Elefant also, über den aber zu wenig gesprochen wird. Die Diskussion um die Reduzierung von CO2-Emissionen konzentriert sich stattdessen auf den Elektrizitäts- und Mobilitäts­bereich. Tatsache ist aber: Die Dekarbo­nisie­rung des Wärmesektors ist zentral, um bis 2050 eine CO2-freie Schweiz zu erreichen.

Die Ukrainekrise hat einen weiteren Punkt deutlich gemacht: Es geht nicht nur darum, die Treib­haus­gas­emis­sionen zu senken, sondern auch um die Unab­hängigkeit und Resilienz des Schweizer Energie­systems. Speicherung und Sektoren­kopplung zwischen Elektrizität, Wärme und Mobilität sind dafür entscheidend. Ein kürzlich veröffentlichtes Positionspapier des Forums Energie­speicher Schweiz [2] zeigt auf, dass saisonale Wärme­speicher im künftigen Energie­system zu einer Reduktion von rund 40% des ungedeckten Winter­strom­bedarfs (4 TWh elektrisch) führen können. Voraussetzung dafür ist, dass im Zusammenhang mit Kehricht­ver­bren­nungs­anlagen, Gross­wärme­pumpen in thermischen Netzen und in Über­bauungen konsequent saisonale Speicher eingesetzt werden.

Wärme­speicher ist nicht gleich Wärme­speicher

Eine Übersicht von 19 saisonalen Wärme­speicher­technologien ist in Bild 1 nach ihrem Reifegrad dargestellt. Die Technologien sind in drei Kategorien unterteilt. In der ersten Kategorie sind sensible Speicher, bei denen die Temperatur des Speicher­mediums (meist Wasser, Gestein oder Erde) verändert wird. Das kann zum Beispiel ein mit Wasser gefüllter Tank sein. Sensible Wärme­speicher sind aktuell die am weitesten verbreiteten und entwickelten Speichersysteme, da die Technologie einfach, kosteneffizient und ausgereift ist. Der Nachteil: Diese Systeme brauchen typischerweise viel Platz – über- oder unterirdisch.

Die zweite Kategorie umfasst Latentwärme­speicher, bei denen Phasen­wechsel­materialien als Speicher­medium verwendet werden. Diese nutzen den physikalischen Effekt des Phasen­wechsels eines Stoffes (z.B. den Schmelz­prozess von fest zu flüssig), um Wärme zu speichern. Der Vorteil ist eine höhere Energiedichte und dadurch ein deutlich geringerer Platzbedarf im Vergleich zu sensiblen Speichern. Kommerziell werden heute Eisspeicher für saisonale Speicher­anwen­dungen eingesetzt. Der Einsatz von weiteren Phasen­wechsel­materialien mit höheren Temperaturen findet für kürzere Speicherzeiten in Neu­entwick­lungen Anwendung [3].

Die dritte Kategorie bilden thermochemische Energie­speicher, eine Technologie mit grossem Potenzial, die sich momentan in der Entwick­lungs­phase befindet. Solche Energie­speicher haben die höchste Energiedichte und nutzen Sorption oder reversible chemische Reaktionen, um Wärme in einem Material zu binden. Dies ermöglicht eine lange Speicherung ohne Wärmeverluste über die Zeit. Diese Technologie ist noch nicht kommerziell verfügbar, doch treiben verschiedene Forschungs­projekte und erste Firmen ihre Entwicklung derzeit stark voran.

Aus Projekten lernen

Um Beispiele für den Einsatz von saisonalen sensiblen Wärme­speichern zu finden, muss man ins Ausland schauen. Dänemark hat beispielsweise bereits gute Erfahrungen mit dem Bau von Erdbecken­speichern gemacht (Bild 2). Es handelt sich um sehr grosse Speicher mit einem Volumen zwischen 60’000 m³ und 200'000 m³ und einer einfachen Bauweise: Eine Grube wird mit einer wasser­dichten Schicht abgedichtet und anschliessend mit Wasser bis zu ca. 90°C gefüllt. Darüber wird eine isolierende, schwimmende Abdeckung gelegt. Die Investi­tions­kosten sind niedrig (30 bis 200 CHF/m³), die Speicher­kapa­zitäten gross. Allerdings ist der Flächenbedarf beträchtlich. Wartung und Instand­haltung sind aufwendig [4].

Wo es die geo­logischen Verhält­nisse erlauben, können unter­irdische Speicher zum Einsatz kommen. Aquifer­speicher, die unterirdische Wasservorkommen nutzen, sind in den Nieder­landen bereits etabliert. Sie bestehen aus zwei Grund­wasser­brunnen, einem kalten und einem warmen. Im Sommer wird das Grund­wasser aus dem kalten entnommen und zur Kühlung des Gebäudes verwendet. Das Wasser wird durch die Kühlung erwärmt und zur Speicherung zurückgeführt. Im Winter wird der Prozess umgekehrt. Aquifer­speicher haben potenziell niedrige Investitionskosten (10–30 CHF/m³). Sie sind an Standorten mit geeigneter Hydrogeologie möglich, und es sind Vorunter­suchungen sowie kontinuierliche Betriebsüberwachung erforderlich [6]. In der Schweiz gibt es grosses Potenzial dafür, zum Beispiel in der Waadt, im Jura, in den Voralpen und in den Alpen selbst [7].

Eine weitere unterirdische Option der Langzeit-Wärme­speicherung sind die oberflächennahen Erdsonden-Wärme­speicher. In der Schweiz sind einige dieser Systeme in Betrieb, wie das Quartier Suurstoffi in Rotkreuz oder am Campus Hönggerberg der ETH. Über Bohrungen werden Erdwärme­sonden mehr als 100 m tief in den Boden eingebracht. Durch diese Sonden wird die Wärme in den Untergrund geleitet und dort im Erdreich gespeichert. Die Investitionskosten für oberflächennahe Erdsonden-Wärme­speicher liegen zwischen 20 und 50 CHF/m³. Die Wartung und Reparatur kann aufwendig sein; es sind geologische Voraussetzungen und Voruntersuchungen notwendig [8].

Neueste Entwicklungen in der Schweiz

Die neuesten Entwicklungen und Trends im Bereich der saisonalen thermischen Speicherung waren Teil der Diskussionen und Präsentationen auf dem Swiss Symposium Thermal Energy Storage [9] in Luzern. Beispielsweise wurde das Projekt eines ersten möglichen Erdbecken­speichers in der Schweiz vorgestellt. Dieser soll Wärme aus einer Kehricht­ver­bren­nungs­anlage speichern und in ein thermisches Netz einspeisen. Durch den Erdbecken­speicher kann die Kehricht­ver­bren­nungs­anlage ein um 20% grösseres thermisches Netz mit Wärme versorgen. Darüber hinaus gehen neue Bestrebungen dahin, die Fläche über der Isolation für weitere Möglichkeiten (Gewächshäuser, PV-Module, etc.) zu nutzen.

Auch das Potenzial von Aquifer­speichern in der Schweiz wurde diskutiert, denn aufgrund der grossen Kapazität eignen sie sich vor allem in thermischen Netzen. SIG trifft dazu momentan im Raum Genf Abklärungen. Entscheidend sind hier unter anderem die gesetzlichen Regelungen zum Gewässerschutz. Die EWB in Bern testet die Möglichkeit von einem Hoch­tempe­ratur-Aquifer­speicher derzeit mit Bohrungen auf ca. 500 m Tiefe [10].

In der Schweiz ist Land knapp und teuer. Die Forschung sucht daher nach dem «kleiner und günstiger». Doch auch bestehende, ungenutzte Infrastrukturen können eine attrak­tive Option sein. Derzeit machen sich zwei Schweizer Projekte diese Idee zunutze.

Das erste Projekt ist zurzeit in Entwicklung durch die Hochschule Luzern in Zusammen­arbeit mit der Swiss­por AG. Ziel ist es, bestehende Hohlräume, zum Beispiel unbenutzte Luftschutzräume, als Wärme­speicher nutzbar zu machen. Dafür wurde eine Wärme­dämmung entwickelt, die hohen Temperaturen, Druck und Feuchtigkeit standhält und die einfach in einem geschlossenen Raum nachgerüstet werden kann. Gefüllt mit Wasser können Temperaturen von über 90°C über Monate erhalten werden. Bild 3 zeigt eine mögliche Anwendung eines solchen saisonalen Wärme­speichersystems in einem Indus­triegebiet. Eine Innenansicht ist auf dem Einstiegsbild zu sehen.

Das Projekt «Bubble in the Lake Storages» legt einen grossen saisonalen Wärme­speicher in den See. Die Bubble besteht aus flexiblen Hüllen aus Materialien wie Kunststoff oder Textil, die eine heisse Flüssigkeit wie Wasser enthalten und zum Beispiel in Seen eingesetzt werden können. Diese Systeme könnten abgesenkt unter Wasser, schwimmend an der Oberfläche, ortsfest oder mobil sein. Mehrere Experimente werden derzeit durchgeführt, um die techno­logische Machbarkeit (Wärme­dämm­stoffe, Statik, Auftrieb, mögliche Temperatur im Speicher, Laden und Entladen, …) zu testen [11].

Was braucht es noch?

Saisonale Wärme­speicher­techno­logien sind bereit und sollten im Energie­system nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein: Sie stärken die Integration von Abwärme oder erneuerbaren Energien in das Energie­system und reduzieren den Winterstrom­bedarf von Wärmepumpen, da diese einen geringeren Anteil des Wärmebedarfs im Winter decken müssen.

Am Swiss Symposium Thermal Energy Storage wurden nicht nur die technischen Möglichkeiten und Voraussetzungen diskutiert, sondern auch die zentrale Frage, wie saisonale thermische Speicher als eine wichtige Komponente im Schweizer Energie­system integriert werden können. Die drei wichtigsten Punkte:

  • Erste Projekte: Vorzeigeprojekte sind nötig, um saisonale Wärme­speicher zu standardisieren, zu modularisieren und somit allen Umsetzungspartnern zu helfen, Erfahrungen zu gewinnen. So können Business-Modelle entwickelt werden, damit Industriepartner in die Zukunft investieren. Staatliche Subventionen sind auch erforderlich, um die Durchführung mehrerer erster Machbarkeitsstudien und Pilotprojekte zu ermöglichen.
  • Politisches und gesellschaftliches Engagement: Saisonale Wärme­speicher müssen auf die politische Agenda gesetzt werden, und die relevanten Akteure wie Energie­versorger, Architekten, Energieplaner und Berater, Behörden, Landeigentümer müssen mehr für das Thema sensibilisiert werden. Die Erwähnung von Wärme­speichern als Teil der Wärmestrategie [1] ist ein erster Schritt. Regulatorische Hindernisse wie eine generelle starke Einschränkung der Veränderung der Grundwassertemperatur sollten verantwortungsvoll reduziert werden, um Technologien wie Aquifer­speicher zu ermöglichen.
  • Frühzeitige Raum- und Energierichtplanung: Damit kann Raum für Infrastrukturen zur saisonalen Wärme­speicherung zur Verfügung gestellt werden. Die Anforderungen für den Raumbedarf für PV und Windkraft werden bereits stark diskutiert, diejenigen des Wärmesektors sollten hier miteinbezogen werden.

Referenzen

[1]       Wärmestrategie 2050, BFE, 2023.

[2]      G. Guidati, J. Worlitschek, L. Baldini, M. Haller, «Winter­strom­bedarf und saisonale Wärme­speicher – mit Sommerwärme Strom im Winter sparen», Positionspapier des Forums Energie­speicher Schweiz, 2022.

[3]      Cowa Thermal Solutions.

[4]      F. Ruesch, Erdbecken – Wärme­speicher, 2023.

[5]      Ramboll Toftund DK, Erdbecken­speicher, 2017.

[6]      F. Ruesch, Aquifer-Wärme­speicher, 2023.

[7]      Geothermie Schweiz, 2022.

[8]      F. Ruesch, Erdsonden-Wärme­speicher, 2023.

[9]      10th Swiss Symposium Thermal Energy Storage, 2023.

[10]     Forsthaus Bern.

[11]      Bubble in the lake storages, 2022.

Autorin
Dr. Núria Duran Adroher

ist senior wissen­schaft­liche Mitarbei­terin am CC Thermi­sche Energie­speicher der HSLU.

Autor
Richard Lüchinger

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am CC Thermische Energie­speicher der HSLU.

Autor
Prof. Dr. Jörg Worlitschek

ist Co-Leiter des CC Thermische Energie­speicher der HSLU.

Weitere Infos zum Thema findet man im Posi­tions­papier des Forums Energie­speicher Schweiz [2] sowie auf www.hslu.ch/sstes.

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