Saisonale thermische Energiespeicher
Schlüsselkomponente für die Dekarbonisierung
Soll unser Energiesystem dekarbonisiert, resilient und weniger vom Ausland abhängig sein, so sind saisonale thermische Energiespeicher ein notwendiges Puzzleteil. Das diesjährige Swiss Symposium Thermal Energy Storage zeigte ihre aktuelle Bedeutung und ihr zukünftiges Potenzial auf.
Wird unsere Energieversorgung diskutiert, so ist Wärme der «Elefant im Raum». Die Zahlen sprechen für sich: In der Schweiz trägt der Wärmeverbrauch zu rund 50% des Endenergieverbrauchs bei, davon werden noch rund 60% mit fossilen Brennstoffen erzeugt [1]. Damit ist der Wärmesektor für über 35% der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein veritabler Elefant also, über den aber zu wenig gesprochen wird. Die Diskussion um die Reduzierung von CO2-Emissionen konzentriert sich stattdessen auf den Elektrizitäts- und Mobilitätsbereich. Tatsache ist aber: Die Dekarbonisierung des Wärmesektors ist zentral, um bis 2050 eine CO2-freie Schweiz zu erreichen.
Die Ukrainekrise hat einen weiteren Punkt deutlich gemacht: Es geht nicht nur darum, die Treibhausgasemissionen zu senken, sondern auch um die Unabhängigkeit und Resilienz des Schweizer Energiesystems. Speicherung und Sektorenkopplung zwischen Elektrizität, Wärme und Mobilität sind dafür entscheidend. Ein kürzlich veröffentlichtes Positionspapier des Forums Energiespeicher Schweiz [2] zeigt auf, dass saisonale Wärmespeicher im künftigen Energiesystem zu einer Reduktion von rund 40% des ungedeckten Winterstrombedarfs (4 TWh elektrisch) führen können. Voraussetzung dafür ist, dass im Zusammenhang mit Kehrichtverbrennungsanlagen, Grosswärmepumpen in thermischen Netzen und in Überbauungen konsequent saisonale Speicher eingesetzt werden.
Wärmespeicher ist nicht gleich Wärmespeicher
Eine Übersicht von 19 saisonalen Wärmespeichertechnologien ist in Bild 1 nach ihrem Reifegrad dargestellt. Die Technologien sind in drei Kategorien unterteilt. In der ersten Kategorie sind sensible Speicher, bei denen die Temperatur des Speichermediums (meist Wasser, Gestein oder Erde) verändert wird. Das kann zum Beispiel ein mit Wasser gefüllter Tank sein. Sensible Wärmespeicher sind aktuell die am weitesten verbreiteten und entwickelten Speichersysteme, da die Technologie einfach, kosteneffizient und ausgereift ist. Der Nachteil: Diese Systeme brauchen typischerweise viel Platz – über- oder unterirdisch.
Die zweite Kategorie umfasst Latentwärmespeicher, bei denen Phasenwechselmaterialien als Speichermedium verwendet werden. Diese nutzen den physikalischen Effekt des Phasenwechsels eines Stoffes (z.B. den Schmelzprozess von fest zu flüssig), um Wärme zu speichern. Der Vorteil ist eine höhere Energiedichte und dadurch ein deutlich geringerer Platzbedarf im Vergleich zu sensiblen Speichern. Kommerziell werden heute Eisspeicher für saisonale Speicheranwendungen eingesetzt. Der Einsatz von weiteren Phasenwechselmaterialien mit höheren Temperaturen findet für kürzere Speicherzeiten in Neuentwicklungen Anwendung [3].
Die dritte Kategorie bilden thermochemische Energiespeicher, eine Technologie mit grossem Potenzial, die sich momentan in der Entwicklungsphase befindet. Solche Energiespeicher haben die höchste Energiedichte und nutzen Sorption oder reversible chemische Reaktionen, um Wärme in einem Material zu binden. Dies ermöglicht eine lange Speicherung ohne Wärmeverluste über die Zeit. Diese Technologie ist noch nicht kommerziell verfügbar, doch treiben verschiedene Forschungsprojekte und erste Firmen ihre Entwicklung derzeit stark voran.
Aus Projekten lernen
Um Beispiele für den Einsatz von saisonalen sensiblen Wärmespeichern zu finden, muss man ins Ausland schauen. Dänemark hat beispielsweise bereits gute Erfahrungen mit dem Bau von Erdbeckenspeichern gemacht (Bild 2). Es handelt sich um sehr grosse Speicher mit einem Volumen zwischen 60’000 m³ und 200'000 m³ und einer einfachen Bauweise: Eine Grube wird mit einer wasserdichten Schicht abgedichtet und anschliessend mit Wasser bis zu ca. 90°C gefüllt. Darüber wird eine isolierende, schwimmende Abdeckung gelegt. Die Investitionskosten sind niedrig (30 bis 200 CHF/m³), die Speicherkapazitäten gross. Allerdings ist der Flächenbedarf beträchtlich. Wartung und Instandhaltung sind aufwendig [4].
Wo es die geologischen Verhältnisse erlauben, können unterirdische Speicher zum Einsatz kommen. Aquiferspeicher, die unterirdische Wasservorkommen nutzen, sind in den Niederlanden bereits etabliert. Sie bestehen aus zwei Grundwasserbrunnen, einem kalten und einem warmen. Im Sommer wird das Grundwasser aus dem kalten entnommen und zur Kühlung des Gebäudes verwendet. Das Wasser wird durch die Kühlung erwärmt und zur Speicherung zurückgeführt. Im Winter wird der Prozess umgekehrt. Aquiferspeicher haben potenziell niedrige Investitionskosten (10–30 CHF/m³). Sie sind an Standorten mit geeigneter Hydrogeologie möglich, und es sind Voruntersuchungen sowie kontinuierliche Betriebsüberwachung erforderlich [6]. In der Schweiz gibt es grosses Potenzial dafür, zum Beispiel in der Waadt, im Jura, in den Voralpen und in den Alpen selbst [7].
Eine weitere unterirdische Option der Langzeit-Wärmespeicherung sind die oberflächennahen Erdsonden-Wärmespeicher. In der Schweiz sind einige dieser Systeme in Betrieb, wie das Quartier Suurstoffi in Rotkreuz oder am Campus Hönggerberg der ETH. Über Bohrungen werden Erdwärmesonden mehr als 100 m tief in den Boden eingebracht. Durch diese Sonden wird die Wärme in den Untergrund geleitet und dort im Erdreich gespeichert. Die Investitionskosten für oberflächennahe Erdsonden-Wärmespeicher liegen zwischen 20 und 50 CHF/m³. Die Wartung und Reparatur kann aufwendig sein; es sind geologische Voraussetzungen und Voruntersuchungen notwendig [8].
Neueste Entwicklungen in der Schweiz
Die neuesten Entwicklungen und Trends im Bereich der saisonalen thermischen Speicherung waren Teil der Diskussionen und Präsentationen auf dem Swiss Symposium Thermal Energy Storage [9] in Luzern. Beispielsweise wurde das Projekt eines ersten möglichen Erdbeckenspeichers in der Schweiz vorgestellt. Dieser soll Wärme aus einer Kehrichtverbrennungsanlage speichern und in ein thermisches Netz einspeisen. Durch den Erdbeckenspeicher kann die Kehrichtverbrennungsanlage ein um 20% grösseres thermisches Netz mit Wärme versorgen. Darüber hinaus gehen neue Bestrebungen dahin, die Fläche über der Isolation für weitere Möglichkeiten (Gewächshäuser, PV-Module, etc.) zu nutzen.
Auch das Potenzial von Aquiferspeichern in der Schweiz wurde diskutiert, denn aufgrund der grossen Kapazität eignen sie sich vor allem in thermischen Netzen. SIG trifft dazu momentan im Raum Genf Abklärungen. Entscheidend sind hier unter anderem die gesetzlichen Regelungen zum Gewässerschutz. Die EWB in Bern testet die Möglichkeit von einem Hochtemperatur-Aquiferspeicher derzeit mit Bohrungen auf ca. 500 m Tiefe [10].
In der Schweiz ist Land knapp und teuer. Die Forschung sucht daher nach dem «kleiner und günstiger». Doch auch bestehende, ungenutzte Infrastrukturen können eine attraktive Option sein. Derzeit machen sich zwei Schweizer Projekte diese Idee zunutze.
Das erste Projekt ist zurzeit in Entwicklung durch die Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit der Swisspor AG. Ziel ist es, bestehende Hohlräume, zum Beispiel unbenutzte Luftschutzräume, als Wärmespeicher nutzbar zu machen. Dafür wurde eine Wärmedämmung entwickelt, die hohen Temperaturen, Druck und Feuchtigkeit standhält und die einfach in einem geschlossenen Raum nachgerüstet werden kann. Gefüllt mit Wasser können Temperaturen von über 90°C über Monate erhalten werden. Bild 3 zeigt eine mögliche Anwendung eines solchen saisonalen Wärmespeichersystems in einem Industriegebiet. Eine Innenansicht ist auf dem Einstiegsbild zu sehen.
Das Projekt «Bubble in the Lake Storages» legt einen grossen saisonalen Wärmespeicher in den See. Die Bubble besteht aus flexiblen Hüllen aus Materialien wie Kunststoff oder Textil, die eine heisse Flüssigkeit wie Wasser enthalten und zum Beispiel in Seen eingesetzt werden können. Diese Systeme könnten abgesenkt unter Wasser, schwimmend an der Oberfläche, ortsfest oder mobil sein. Mehrere Experimente werden derzeit durchgeführt, um die technologische Machbarkeit (Wärmedämmstoffe, Statik, Auftrieb, mögliche Temperatur im Speicher, Laden und Entladen, …) zu testen [11].
Was braucht es noch?
Saisonale Wärmespeichertechnologien sind bereit und sollten im Energiesystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein: Sie stärken die Integration von Abwärme oder erneuerbaren Energien in das Energiesystem und reduzieren den Winterstrombedarf von Wärmepumpen, da diese einen geringeren Anteil des Wärmebedarfs im Winter decken müssen.
Am Swiss Symposium Thermal Energy Storage wurden nicht nur die technischen Möglichkeiten und Voraussetzungen diskutiert, sondern auch die zentrale Frage, wie saisonale thermische Speicher als eine wichtige Komponente im Schweizer Energiesystem integriert werden können. Die drei wichtigsten Punkte:
- Erste Projekte: Vorzeigeprojekte sind nötig, um saisonale Wärmespeicher zu standardisieren, zu modularisieren und somit allen Umsetzungspartnern zu helfen, Erfahrungen zu gewinnen. So können Business-Modelle entwickelt werden, damit Industriepartner in die Zukunft investieren. Staatliche Subventionen sind auch erforderlich, um die Durchführung mehrerer erster Machbarkeitsstudien und Pilotprojekte zu ermöglichen.
- Politisches und gesellschaftliches Engagement: Saisonale Wärmespeicher müssen auf die politische Agenda gesetzt werden, und die relevanten Akteure wie Energieversorger, Architekten, Energieplaner und Berater, Behörden, Landeigentümer müssen mehr für das Thema sensibilisiert werden. Die Erwähnung von Wärmespeichern als Teil der Wärmestrategie [1] ist ein erster Schritt. Regulatorische Hindernisse wie eine generelle starke Einschränkung der Veränderung der Grundwassertemperatur sollten verantwortungsvoll reduziert werden, um Technologien wie Aquiferspeicher zu ermöglichen.
- Frühzeitige Raum- und Energierichtplanung: Damit kann Raum für Infrastrukturen zur saisonalen Wärmespeicherung zur Verfügung gestellt werden. Die Anforderungen für den Raumbedarf für PV und Windkraft werden bereits stark diskutiert, diejenigen des Wärmesektors sollten hier miteinbezogen werden.
Referenzen
[1] Wärmestrategie 2050, BFE, 2023.
[2] G. Guidati, J. Worlitschek, L. Baldini, M. Haller, «Winterstrombedarf und saisonale Wärmespeicher – mit Sommerwärme Strom im Winter sparen», Positionspapier des Forums Energiespeicher Schweiz, 2022.
[4] F. Ruesch, Erdbecken – Wärmespeicher, 2023.
[5] Ramboll Toftund DK, Erdbeckenspeicher, 2017.
[6] F. Ruesch, Aquifer-Wärmespeicher, 2023.
[7] Geothermie Schweiz, 2022.
[8] F. Ruesch, Erdsonden-Wärmespeicher, 2023.
[9] 10th Swiss Symposium Thermal Energy Storage, 2023.
[10] Forsthaus Bern.
[11] Bubble in the lake storages, 2022.
Weitere Infos zum Thema findet man im Positionspapier des Forums Energiespeicher Schweiz [2] sowie auf www.hslu.ch/sstes.
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