Rückschau Erneuerbare Energien

Rückblick: Faktor Energie im Kursaal Bern

Unsere Abhängigkeit bezüglich Energie

10.05.2022

Die Welt hat sich seit dem Ukraine-Krieg verändert, der uns veranschaulicht hat, in welchen Abhängigkeiten wir bezüglich Energie stecken. Die Fachtagung Faktor Energie vom 3. Mai 2022 richtete sich deshalb auch an Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Industrie. Sie erfuhren im Kursaal Bern, welche Anforderungen heute an die Wirtschaft und Industrie gestellt werden.

GLP-Nationalrat Jürg Grossen schilderte eindrücklich, wie er das Gebäude seiner Firma, der Elektroplan Buchs & Grossen, als Plusenergie-Gebäude konzipiert hatte.  Dabei reichte es ihm nicht, das Flachdach mit Photovoltaik, die Fernwärmeheizung mit Schnitzelholz aus dem angrenzenden Wald und acht Ladeplätze für Elektroautos auszustatten. Das Gebäude ist zusätzlich mit digitalen Sensoren ausgestattet, die ermitteln, was alles bei Nichtgebrauch ausgeschaltet werden kann. Auch punkto Beschattung achtete er darauf, im Winter eine Innenbeschattung einzubauen, damit die auf die Fensterscheiben treffende Sonne das Gebäude wärmt, während man im Sommer auf eine Aussenbeschattung setzt. Das Gebäude verbraucht nur noch 20% Strom und 30% der Wärme verglichen mit anderen Gebäuden dieser Dimension. Ausrangierte Autobatterien dienen als Second-Life-Zwischenspeicher. Grossen ist überzeugt, dass wir die Klimakrise bewältigen können, indem viele sich anbietende Flächen wie Dächer, Fassaden mit PV ausgestattet würden und ein Grossteil der Autos elektrisch wären. Denn letztere sind auch Speicher, sie stehen meist herum und könnten in dieser Zeit als Speicher genutzt werden. Er forderte die Politik auf, die Gelder statt in Öl, Diesel und Uran in die Erneuerbaren Energien und Systemintelligenz zu investieren.

 

Ivo Müller von der Ostral, der Organisation für Strom­versor­gung in ausser­ordent­lichen Lagen, informierte über mögliche Szenarien, die zu einem Strom­mangel führen können und welche Massnahmen der Bund zur Bewältigung eines solchen Krisenfalls vorsieht. Die Ostral arbeitet mit sogenannten Bereitschafts­graden. Im Normal­betrieb gilt der Bereitschafts­grad 1. Zeichnet sich eine Strom­mangel­lage ab, wird der Bereit­schafts­grad erhöht und es werden vom Bund erste freiwillige Sparappelle an die Bevölkerung gerichtet. Tritt eine Strom­mangel­lage tatsächlich ein, werden im Bereitschafts­grad 3 notwendige Bewirt­schaftungs­verord­nungen vorbereitet und im Bereitschaftsgrad 4 vom Bundesrat in Kraft gesetzt. Solche Bewirt­schaftungs­verordnungen können Verbrauchs­einschrän­kungen für nicht zwingend notwendige Anlagen und Dienstleistungen betreffen, eine Stromkontingentierung für grosse Stromverbraucher oder – als letztes Mittel, das nach Möglichkeit vermieden werden sollte – rotierende Netz­abschal­tungen. Den Unternehmen wird deshalb empfohlen, sich voraus­schauend auf eine allfällige Strom­mangel­lage vorzubereiten.

Buchautor und Dozent an der FHNW Brugg/Windisch, Prof. Mathias Binswanger, hinterfragte im Anschluss darauf, weshalb man in der heutigen Zeit auf Effizienz statt auf Suffizienz setze. Binswanger veranschaulichte mittels historischer und philosophischer Quellen, dass dies einerseits bis ins 19. Jahrhundert, der Zeit vor der Industrialisierung, nicht so war und andrerseits das empfundene Glück nicht davon abhänge, ob ein Wachstum stattfinde oder nicht. Die neoklassische Wachstumstheorie sei eine Fiktion. Um das BIP zu steigern, vergeben Banken Kredite, damit nicht gespart werden muss, und es findet ein Wettlauf statt, immer «besser» zu werden. Dies führe dazu, dass man zwar effizienter würde, doch die Ansprüche entsprechend immer mehr steigen. Eine Mässigung des Wirtschaftswachstums sieht er beispielsweise dahingehend, dass die Gesellschaftsformen der Aktiengesellschaft reformiert werden sollten und weniger AG, dafür mehr Stiftungen und Genossenschaften gegründet würden und bestimmte Bereiche wie Pflegetätigkeiten oder Landwirtschaft gefördert werden.

Kai Rassmus Landwehr von der Nonprofit Organisation My Climate, einem ETH-Spinoff, das inzwischen bereits international tätig ist, erläuterte die Energierisiken und stellte den Corporate Carbon Footprint vor.  Als wichtigste Massnahme forderte er die Firmen auf, ihren CO2-Ausstoss zuerst einmal zu messen, um danach gezielt handeln zu können. Er unterteilte die Umweltbelastungen in drei Kategorien oder Scopes. Auf die vorgelagerten Investitionen (Scope 3) wie etwa Mitarbeiterwege zur Arbeit, bezogene Waren und Dienstleistungen, könne dabei wenig Einfluss genommen werden. Hingegen bestünde beim direkten Verbrauch des Unternehmens (Scope 1) wie den betrieblichen Anlagen, der Geschäftsautos und den Prozessen viel Luft nach oben. Der zweite Scope entspricht etwa der uns geläufigen grauen Energie, wie eingekaufte Wärme und Kälte für den Eigenverbrauch. Die nachgelagerten Tätigkeiten (Scope 3) sind wie die vorgelagerten wiederum indirekt. Hierhin gehört alles, was mit den Produkten danach gemacht wird, wie etwa die Verarbeitung, der Transport oder die Entsorgung. Beim Ländervergleich der Emissionen relativierte er die hohe Umweltbelastung Chinas, die in erster Linie nicht etwa von den Menschen abhänge, sondern mit deren industrieller Tätigkeit. Unsere Auslagerung dieser Aktivitäten dorthin ist dafür mitverantwortlich. Er plädiert für eine verpflichtende Klimaberichterstattung für grosse Unternehmen in der Schweiz, und sieht wie Binswanger die Chance in einem suffizienten Verhalten, indem man beispielsweise mit dem Velo zur Arbeit fährt und damit gleichzeitig etwas für die Gesundheit tut.

Nach dem Mittagessen widmeten sich die Referenten der Systembetrachtung. Björn Hunstock vom Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik stellte holistische Methoden in Energie- und Produktionssystemen durch Simulations- und Optimierungsverfahren vor. Sein Fazit war, dass die Systembetrachtung gegenüber der Einzelbetrachtung einen Mehrwert schafft, weil man damit Synergien schaffe, Engpässe identifiziert werden können und daraus ein besseres ökonomisches und ökologisches Ergebnis resultiere

Stefan Bär von Electrosuisse doppelte mit seinem Referat nach, indem er die Echtzeit-Systembetrachtung vorstellte. Er zeigte am Beispiel eines Ersatz-Heizungsanlage, dass billiger im Endeffekt nicht immer günstiger sei.

Anschliessend folgten zwei positive Beispiele zur Umsetzung von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit bei zwei vorbildlich agierenden Firmen. Peter Langenegger von der Ebnat AG zeigte auf, wie sich die Ausrichtung auf ein Oeko-Sortiment über bereits dreissig Jahre stetig wandelte: Materialreduktion (auswechselbarer Bürstenkopf), Recycling (auch bei Kunststoffen) sowie die Verwendung ökologischer Materialien reichte zunächst aus. Mit zunehmendem Wissenstand kamen weitere Themen wie Energie- und Wasserverbrauch dazu, das gesamte Bild wurde zu einer eingebetteten Lebenszyklusbetrachtung in einer Systemumgebung, orientiert an den Nachhaltigkeitszielen der UNO.

Michael Knüsel erläuterte, auf welche Weise die luzernische Holzverarbeiterin Swiss Krono in Material-Kreisläufen denkt und handelt: Wärmerückgewinnung, gesteigerte Energieeffizienz und die Verdrängung fossiler Energiequellen mit erneuerbarer Produktion bis hin zur Holzstaubverbrennung kommen zum Einsatz. Die Beleuchtung wird mit Sensoren und Tageslicht optimiert, für 2025 ist der Ausstieg vom Erdgas geplant.

Eine abschliessende Diskussion mit vier Referenten fasste wichtige Erkenntnisse zusammen: Systeme müssen ganzheitlich und über die Lebensdauer betrachtet werden, die Optimierung von Energie und die Förderung von Nachhaltigkeit gedeihen in einer Firmenkultur und sind somit letztlich auch Chefsache. 

Autorin
Marianne Kürsteiner

war Redaktorin bei Electrosuisse.

  • Electrosuisse, 8320 Fehraltorf

Ostral-Beratung

Um die Vorgaben für Strom­mangel­lagen optimal erfüllen zu können, bietet Electro­suisse Gross­unter­nehmen und EVUs Bera­tungen an, bei denen der jeweils optimale Prozess im Rahmen der Ostral-Anfor­derungen ermittelt wird. Dies reduziert Risiken und sorgt für mehr Effizienz im Alltags­betrieb.

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