Fachartikel Erneuerbare Energien

Revitalisierung statt Abriss und Neubau

Nachhaltige Nutzung der bestehenden Bausubstanz

24.09.2020

Trotz gestiegenem Bewusstsein für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit setzen Investoren bei ihren Objekten meist noch auf Abriss und Neubau. Dass es auch anders geht, zeigen zwei Projekte in München. Im Gebäudebestand schlummert grosses Potenzial, welches dank nachhaltiger Revitalisierung ausgeschöpft werden kann.

Energieeffizientes Bauen und Sanieren beim Eigenheim ist mittlerweile gang und gäbe, bei Gewerbeimmobilien besteht aber weiterhin Nachholbedarf. Zwar mögen 2,7 Mio. «Nichtwohngebäude» in Deutschland im Vergleich zu 19 Mio. Wohngebäuden auf den ersten Blick wenig relevant erscheinen, aufgrund ihrer jeweils grossen Flächen fällt ihr Anteil am Endenergieverbrauch laut der Deutschen Energie-Agentur mit 36 % dafür umso höher aus. Während in den Assets wie Retail und Hotel, aber auch bei den Kommunen die Notwendigkeit, in Energieeffizienz zu investieren, erkannt wurde, ist bei Büroimmobilien noch sehr viel Luft nach oben.

Revitalisierung: Green Building statt Green Washing

Die Revitalisierung der Bausubstanz ist allein schon deshalb sinnvoll, weil nicht nur das Resultat nachhaltig ist, sondern auch der Weg dorthin. Ähnlich wie beim E-Auto muss am Ende die Ökobilanz stimmen. Bei der Revitalisierung von Immobilien beträgt der Bedarf von mineralischen Baustoffen im Durchschnitt nur 40 % dessen, was für Abriss und Neubau derselben Immobilie fällig geworden wäre.

Green Building statt Green Washing muss deshalb die Devise lauten. Damit Nachhaltigkeitszertifikate wie Leed, Breeam, DGNB oder ÖGNI den geprüften Gebäuden nicht nur einen grünen Anstrich verleihen, kommt es bei der Zertifizierung auf die Details an, um zu beurteilen, ob das entsprechende Objekt einen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leistet und auch hinsichtlich der Energieeffizienz überzeugt. Dennoch haben Zertifikate ihre Berechtigung, denn sie ermöglichen eine erste Einschätzung, inwieweit ein Green Building am Markt seinem Namen gerecht wird. Anders als beim Neubau stellen die Anforderungen bei Bestandsimmobilien Projektentwickler vor grössere Herausforderungen. Insofern ist es wenig erstaunlich, dass das Centro Tesoro der Schwaiger Group die bundesweit erste Bestandsimmobilie ist, die im Zuge der Revitalisierung mit Leed Platin zertifiziert wurde.

Centro Tesoro: «Nachhaltigste Immobilie 2019»

Seinen Anfang nahm das Projekt 2016. Die beiden Gebäude der ehemaligen Nymphenburger Sektkellerei im Münchner Osten waren sichtlich in die Jahre gekommen. Trotzdem sah das Konzept vor, die Substanz der Gebäude aus den 1980er- und 1990er-Jahren zu erhalten und sie in einen modernen und ineinander übergehenden Bürokomplex zu überführen, der auf knapp 24'000 m2 Fläche ökonomisch und ökologisch neue Standards setzt.

Die Entscheidung für eine Revitalisierung der Immobilie hat sich gerechnet: Gegenüber einem Neubau lagen die Kosten bei der Sanierung um fast zwei Drittel tiefer – bei weniger als 400 €/m2.

Grösste innerstädtische Aufdach-PV-Anlage

Der Clou und wichtige Säule der energetischen Sanierung war die grösste innerstädtische Aufdach-Photovoltaikanlage Münchens, welche in Kooperation mit den Stadtwerken München (SWM) auf einer Fläche von 10'000 m2 auf dem Dach des Centro Tesoro installiert wurde. Insgesamt 1354 PV-Paneele produzieren mit einer Leistung von 428 kW den grünen und kostengünstigen Direktstrom für die Mieter. Was sich als absolutes Plus für die Vermarktung der Büroflächen herausstellte, denn das Mieterstromkonzept sprach ausgewählte Unternehmen an, die grün erzeugten Strom in ihrem Pflichtenheft haben. Der weltweit grösste E-Scooter-Anbieter Lime etwa hat vor allem deshalb einen grossen Teil der Hallenfläche langfristig gemietet, weil er für eine Anmietung Ökostrom vorausgesetzt hatte.

Günstiger Strombezug dank Mieterstrommodell

Mieterstrommodelle bieten Immobilienunternehmen grundsätzlich die Möglichkeit, in die Erzeugung und den Vertrieb von dezentralem Ökostrom einzusteigen. Welche Rolle die Eigentümer solcher Objekte einnehmen, hängt davon ab, welchen Grad an Autonomie sich Immobilienwirte wünschen. Entweder man möchte die Dachfläche verpachten, oder man übernimmt die Betreiberrolle.

Die Übergabe der Betreibereigenschaft und aller sonstigen energiewirtschaftlichen Verpflichtungen an Dritte kommt für alle Immobilienwirte in Frage, die sich insgesamt nicht mit den Anforderungen des Energiemarktes beschäftigen oder grössere Investitionen vermeiden wollen. Weil die Schwaiger Group bereits als Projektentwickler, Bauunternehmer und Verwalter eigene Objekte betreut, hat sie sich dafür entschieden, die Dachfläche des Centro Tesoro an die SWM zu verpachten. Die SWM übernehmen damit die Rolle des Erzeugers sowie des Lieferanten und bieten den Strom allen Unternehmen im Centro Tesoro zu günstigeren Konditionen an. Erzeuger und Verbraucher gehen dabei eine direkte Vertragsbeziehung ein, was beim sonst üblichen Stromhandel über die Börse nicht oder nur indirekt der Fall ist.

Die Mehrheit der Verbraucher kann bei einem Mieterstrommodell zudem persönlich an der Energiewende teilnehmen und so ebenfalls kostengünstigen Solarstrom erhalten. Überschüssige Energie aus der Anlage fliesst ins Stromnetz ein. Wird mehr Strom benötigt als die Anlage erzeugt, wird der Bedarf aus dem Netz gespeist.

Gebäudehülle, Anlagentechnik und Erzeugung

Weil die Energiewende bei Immobilien nur gelingen kann, wenn die drei Säulen Energieerzeugung, Gebäudehülle und Gebäudetechnik berücksichtigt werden, wurden beim Centro Tesoro im Zuge der Revitalisierung auch die Hülle gedämmt und die technische Gebäudeausrüstung (TGA) erneuert. Der Dämmstandard des Gebäudes liegt nun 40 % über den gesetzlichen Vorgaben, und eine neue, hoch effiziente Heizanlage mit Gas-Brennwert-Technik verbessert die Anlageneffizienz. Ausserdem regelt eine smarte Gebäudeleittechnik die TGA-Einrichtungen wie Heizung, Hebeanlage und Aufzüge.

Der intelligenten Steuerung kommt hinsichtlich des Einsparpotenzials bei den Stromkosten (bis zu 50 % sind möglich) eine besondere Bedeutung zu, wenn sich damit Anlagen vorübergehend abschalten lassen, die gerade nicht benötigt werden. Für eine effiziente Stromnutzung müssen allerdings auch Gebäudenutzer, Erzeugungsanlagen und Speicher eines Betriebsgebäudes in das Energiemanagement einbezogen werden. Das bedeutet, dass nicht nur Maschinen und Anlagen, sondern auch Klimatechnik, Beleuchtung und Heizung berücksichtigt und mit der PV-Anlage gekoppelt werden müssen.

Klimaschutz erfordert Sekundärbaustoffe

Um den Verbrauch von Primärrohstoffen so gering wie möglich zu halten, kam beim Centro Tesoro verstärkt recyceltes Material zum Einsatz; etwa beim Bodenbelag für den Innenausbau oder bei der Mineralwolle für die Dämmung. Die Aufstockung um zwei Etagen und die Verstärkung der vorhandenen Bausubstanz erfolgte mit Recycling-Beton.

Zwar sind die Hürden noch erheblich, um Projekte konsequent mit Sekundärbaustoffen umzusetzen. Das Ziel muss aber sein, sich konsequent daran auszurichten, Rohstoffe nicht zu verschwenden, sondern sich auf Lösungen zu konzentrieren, die die Wiederverwendung von Altbaustoffen als hochwertige Werkstoffe ermöglichen.

Ein geschlossener Materialkreislauf funktioniert nicht, wenn mineralische Baumaterialien im Sinne eines Downcycling ihre Zweitverwertung im Tiefbau finden und somit fix aus dem Kreislauf herausfallen. Hier ist es dringend nötig, veraltete Regularien und Normen zu aktualisieren. Die Herstellung von rezykliertem Beton (R-Beton) beruht immer noch auf dem Stand der Technik der 1990er-Jahre. Zur Herstellung von R-Beton darf aktuell keine feine rezyklierte Gesteinskörnung verwendet werden, und eine grobe rezyklierte Gesteinskörnung ist nur beschränkt erlaubt. Diese Vorschriften vernachlässigen die technische Entwicklung der vergangenen 30 Jahre und berücksichtigen etwa nicht neue Betonzusatzmittel oder Fortschritte bei der Aufbereitungstechnik. Hier muss dringend nachgebessert werden.

Damit sich ein Bewusstsein für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft durchsetzen kann, steht vor allem auch die öffentliche Hand in der Pflicht, in ihren Ausschreibungen zwingend auf Recyclingstoffe zu verweisen. Ein Punkt, der für das Erreichen der Klimaschutzziele ausschlaggebend ist, aber kaum Eingang in die Baupraxis findet, obwohl das Kreislaufwirtschaftsgesetz dies verlangt. Dazu gehört auch, sich kritisch dem Problem der Nachverfolgung des Recycling-Prozesses zu widmen – niemand sollte befürchten müssen, minderwertige Ware «untergejubelt» zu bekommen.

Auseinandersetzung mit der TGA: Der Aufwand lohnt sich

Auch beim 25'000 m2 umfassenden Bürokomplex Hatrium in Unterhaching hat sich die Schwaiger Group dazu entschieden, auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Neben einer grossflächigen Aufdach-PV-Anlage wurde die gesamte TGA im Gebäude für die Geothermienutzung über Fernwärme umgestellt. Eine Aufgabe, die bei Bestandsimmobilien normalerweise keiner freiwillig in Angriff nimmt.

Ist die TGA älter als 16 Jahre, ist sie nicht mehr wirtschaftlich. Weder mit Blick auf die Energieeffizienz noch in Bezug auf die Zuverlässigkeit. Daher ist es unabdinglich, dass man sich bei einer Revitalisierung mit dem Altbestand differenziert auseinandersetzt. Die Analyse des Bestandes stellt die wirklich aufwendige und anspruchsvolle Herausforderung dar.

Die Massgaben bei der Beurteilung der einzelnen Komponenten des Hatrium waren ein grösserer Wirkungsgrad sowie eine bessere Ökologie und Energiebilanz. Der Wärmeaustausch findet deshalb nicht etwa über einen Kessel, sondern über Wärmetauscher statt. Und nicht über wartungsintensive Plattenwärmetauscher, sondern mittels Rohrbündelwärmetauscher. Die Regelung funktioniert cloud-basiert, sodass sich von jedem Handy alle Parameter über eine manuelle Regelung abrufen lassen. Einen wichtigen Beitrag für die energieeffiziente Umstellung der TGA haben Hocheffizienzpumpen geleistet, die vollautomatisch den hydrostatischen Druck im Rohrleitungssystem messen. Je nach Anforderung regeln sich die Pumpen aufgrund des hydrostatischen Drucks von selbst und laufen nicht durchgehend auf voller Leistung. Ausserdem wurden die Ventile ersetzt, um eine noch bessere Kommunikation mit den Pumpen zu gewährleisten. Die Ansteuerung funktioniert dabei nicht wie gewöhnlich über manuelle Thermo­stat­köpfe, sondern über Thermoantriebe.

Ein Blick auf die Zahlen rechtfertigt den erheblichen Mehraufwand: Der Primärenergiefaktor der geothermischen Fernwärme in Unterhaching ist mit aktuell 0,24 vergleichsweise niedrig und liegt damit deutlich günstiger als der Faktor für Erdgas (1,0). Heizöl liegt sogar noch höher. Auch die kleinteilige Auseinandersetzung mit der TGA macht sich finanziell bemerkbar: Allein die neuen Hocheffizienzpumpen bringen eine zusätzliche Ersparnis von rund 20'000 € Stromkosten im Jahr.

Autor
Tristan Thaller

ist Berater bei Scrivo.

  • Scrivo Public Relations, D-80636 München.

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