Fachartikel Infrastruktur , Mobilität

Reisen mit dem Elektroauto

Ladeinfrastruktur

27.02.2020

Ist es möglich, mit einem elektrischen Personenwagen sorglos zu reisen? Claudio Pfister probierte es. Er legte im Laufe einer Woche 1000 km in Graubünden, Südtirol und Tessin zurück. Strom fand er immer. Manchmal waren die Ladepausen sogar zu kurz.

Wer sich überlegt, ein Elektroauto anzuschaffen, denkt meist ans Pendeln zum Arbeitsplatz. Dabei legt das Auto täglich 50 km, vielleicht 100 km zurück – innerhalb der Reichweite jedes Elektroautos. Aber eine Fahrt ins Ausland in die Ferien? Dafür hat man den SUV. Oder hatte. Es geht auch mit dem Elektroauto, wie Claudio Pfister es ausprobiert hat.

Pfister ist Leiter der Fachgesellschaft E-mobile von Electrosuisse und fährt seit bald drei Jahren einen Tesla. «Ich wollte wissen, ob ich mit dem Elektroauto sorglos in die Ferien fahren kann», erklärt er sein Ferienprojekt im September 2019. Er fuhr mit seiner Frau für eine Woche ins Südtirol. Die Route war bewusst offen, nur die beiden ersten Hotels buchte er von zu Hause aus.

Zeit zum Plaudern

«Es waren unsere ersten Ferien ohne Kinder. Wir packten zwei E-Bikes aufs Autodach und fuhren los Richtung Engadin.» Dort, wusste Pfister, hat es einen Supercharger, wie die Schnellladestationen von Tesla heissen, der sein Auto mit bis zu 120 kW auflädt. «Wir genossen die ruhige Fahrt, hatten Zeit, miteinander zu plaudern und hörten Musik.» In St. Moritz dann die Überraschung: Der Supercharger steht in der Tiefgarage. Pfister musste zuerst die beiden E-Bikes herunternehmen, um in die Garage zu kommen. Für einen Ausflug mit den Bikes reichte es trotzdem nicht – das System von Tesla erlaubte ihm nur einen Halt von 50 Minuten, bis die Batterie einen Ladezustand von 80% erreichte. Danach musste er den Platz an der Ladestation freigeben. Das ist eine der Erfahrungen, die Pfister gemacht hat: Unterwegs dauert das Schnellladen in der Regel 20 bis 30 Minuten, was für einen Kaffee und eine WC-Pause reicht. Dann kommt die Nachricht vom Auto aufs Telefon, dass es geladen sei und der Platz freigegeben werden muss.

Fahrräder auf dem Dach erhöhen Verbrauch

Nach dem Zwischenhalt in St. Moritz fuhren Pfister und seine Frau weiter über den Berninapass nach Livigno. Pfister, der früher einen Audi A8 mit Benzinmotor gefahren ist, schätzt das ruhige Fahrgefühl mit dem Elektroauto: «Heute brauche ich nur noch das Gaspedal. Auch auf einer Passfahrt bremse ich mit dem Motor, der je nach Stellung des Gaspedals rekuperiert und die Energie in die Batterie zurückspeist.» Gänge zum Schalten gibt es beim Elektromobil keine. Nur die ­Fahrräder auf dem Dach merkt er: Die Dachträger quietschen immer wieder und der Verbrauch steigt deutlich an. «Normalerweise verbrauche ich 200 Wh/km, mit den beiden E-Bikes auf dem Dach sind es 300 Wh/km.» Das liegt nicht am Gewicht, sondern am Luft­widerstand, der stark ansteigt und sich vor allem auf der Autobahn bemerkbar macht.

In Livigno hat Pfister ein einfacheres Hotel ohne Ladestation ausgesucht, da die Batterie vom Zwischenhalt im höher gelegenen Engadin genug Energie für die nächste Etappe bis zum Südtiroler Partschins bei Meran geladen hatte. In Partschins wurden Pfister und seine Frau einmal mehr überrascht, als sie in der Tiefgarage des Hotels die Ladestation suchten: Die Garage war voll Oldtimer – auch der Platz an der Ladesäule. Am selben Tag fand ein Rennen über den Berninapass statt. Halb so schlimm. Pfister und seine Frau blieben zwei Tage in der Region von Merano und machten mit den E-Bikes Ausflüge in die Berge. Das Auto luden sie in der zweiten Nacht, als die Oldtimer schon wieder weiter waren.

Typ 2 oder CSS-Stecker?

«Hotels der etwas gehobeneren Klasse haben in der Regel eine Ladestation», sagt Pfister. Es gibt verschiedene Verzeichnisse wie www.lemnet.org oder www.chargemap.com, worüber man die Ladestationen findet. Zu jeder Ladestation sind Angaben zur Leistung und dem Stecker. In Europa sind die Stecker vom Typ 2 üblich für Wechselstrom mit Leistungen bis 22 kW und der CSS-Stecker für Schnellladestationen mit Gleichstrom bis 150 kW. Es gibt auch die normalen, einphasigen Haushaltssteckdosen oder dreiphasige Drehstromsteckdosen, wie man sie auf Baustellen sieht. Pfister meint dazu: «Das ist zu Hause praktisch, wo man genug Zeit hat, oder auch mal im Hotel über Nacht. Aber unterwegs taugen diese Langsamlader nicht.»

300 km in 30 Minuten laden

In grösseren Ortschaften oder auf Autobahnraststätten gibt es Schnell­ladestationen mit Gleichstrom, mit Ladeleistungen von 50 kW bis 150 kW. Neben dem CSS-Stecker gibt es hier auch den Chademo-Stecker für die asia­tischen Elektroautos. Die Schnelllader übertragen den Gleichstrom direkt in die Batterie im Auto, während Wechselstrom zuerst vom fahrzeug­internen Ladegerät in Gleichstrom umgewandelt werden muss.

Es gibt erste Ladestationen mit Leistungen von 350 kW, mit denen rein rechnerisch eine Reichweite von 300 km in 10 Minuten geladen werden kann. Dies hängt natürlich vom Auto ab. Der angekündigte VW ID 3 soll mit 100 kW Ladeleistung in 30 Minuten eine Reichweite von 290 km laden ­können. In der Praxis wird man mit dem Elektroauto 200 bis 300 km fahren und dann in einer 20- bis 30-minütigen Pause aufladen, bevor es weitergeht.

Abrechnungssysteme

Nach Merano wollte Pfister ins Veltlin über den Tonalepass Richtung Tessin, wollte aber vorher noch die Batterie laden. In Bozen gäbe es mehrere Schnellladestationen, allerdings keine von Tesla, weshalb er einen Umweg über Trient fuhr: «Leider sind die Ladesysteme oft etwas kompliziert. Man kann die Säule zwar meist über Kreditkarte oder einen QR-Code freischalten, aber es gibt gefühlt 1000 verschiedene Systeme und oft sind sie nicht besonders benutzerfreundlich.» Es gibt diverse Betreiber von Ladesäulen: Easy4you, Plugnroll, Evpass oder Move sind die vier Grossen in der Schweiz, es gibt aber auch Hunderte Kleine mit lediglich 2–3 Ladestationen. Pfister geht davon aus, dass sich dieser Markt konsolidieren wird und die kleinen verschwinden werden.

Auch bei den Preisen gibt es grosse Unterschiede: «Man trifft alles an, von schenken bis schröpfen», sagt Pfister. Gratis sei das Laden als Kunde bei Hotels oder Läden wie Lidl. Zu Hause bezahle man den Haushaltstarif von 15 bis 25 Rp/kWh. An öffentlichen Lade­stationen seien es oft 50 bis 80 Rp/kWh. Ladestationen würden pro kWh, Minute bzw. pro Ladevorgang abrechnen. Wer hier mit kleinen Leistungen lade, bezahle bis zu 50 CHF für 100 km Reichweite, rechnet Pfister vor.

Halb so teuer wie Benzin

Im Betrieb sei das Elektroauto deutlich günstiger als ein Auto mit Verbrennungsmotor, sagt Pfister: «An der heimischen Ladestation sind es 3 bis 5 CHF/100 km für den Strom, also deutlich günstiger als das Benzin für ein Auto.» Wobei er immer von seinem Tesla S oder einem entsprechenden Benziner der gehobenen Klasse ausgeht. Bei kleineren Autos sei der Verbrauch natürlich geringer.

Um die Ladeinfrastruktur zu beschreiben, nimmt Pfister den Vergleich von iPhone und Android-­Smartphones hervor: Der Tesla entspreche dem iPhone – etwas teurer, dafür benutzerfreundlich mit eigener Ladeinfrastruktur. Die anderen Elektroautos entsprächen der Android-Welt – mit einer mittlerweile sehr grossen Ladeinfrastruktur, aber nicht alles funktioniere auf Anhieb. Insgesamt gibt es alleine in Deutschland 16'000 öffentliche Ladestationen (Stand Juli 2019) mit 87'000 Ladepunkten. Täglich kommen neue hinzu. In der Schweiz zählt Lemnet zurzeit rund 2500 Standorte mit AC-Lademöglichkeit und über 300 Standorte mit DC-Schnellladern.

Im Notfall langsamer fahren

Die Pfisters machten vor dem Tessin einen Halt in Sondrio und luden das Auto an einem Supercharger auf. 20 Minuten reichten auch hier, um den «Tank» nachzufüllen. Nach einem Wochenende im Tessin fuhren sie vom fast südlichsten Punkt in der Schweiz, von Novazzano bei Chiasso, nach Gommiswald, St. Gallen.

Dass ihm der Strom ausgehen könnte, macht Pfister keine Angst: «Auch mit dem Elektroauto hat man eine Reserve – man kann langsam fahren.» Das Auto zeige immer die Reichweite an und berechne die Zeit bis zum Ziel. Und ob es reiche. Wenn es knapp werde, schlage das Auto vor, langsamer zu fahren. Beispielsweise nur 110 km/h auf der Autobahn. Durch den geringeren Luftwiderstand steige die Reichweite sofort an. «Im Notfall kann man mit 60 km/h übers Land fahren und kommt fast beliebig weit», sagt Pfister.

Batterie nicht ganz laden

Im Maienfeld beim Heidi-Hotel machten Pfister und seine Frau nochmals eine Pause und nutzten den Supercharger für 20 Minuten. Ganz füllte er die Batterie bewusst nicht: «Die Lebensdauer der Batterie ist am höchsten, wenn sie 50 bis 70% geladen ist.» Werde eine Lithium-Ionen-Batterie ganz entladen oder ganz gefüllt, degradiere sie schneller. Das Auto von Pfister hat nach 225'000 km noch 85% der ursprünglichen Batteriekapazität. Dies entspricht einer angezeigten Reichweite von 350 km. Natürlich hänge diese in der Praxis von der Jahreszeit und der Strecke ab. Im Winter reduziere die Heizung die Reichweite. Die 250 km aus dem Tessin bis nach Hause seien aber realistisch ohne Ladestopp. Um die Lebensdauer zu erhöhen, vermeidet Pfister das Entladen der Batterie unter 20–30%.

Acht Jahre Garantie

Die in Autos eingebauten Lithium-Batterien haben im Vergleich zu den Batterien in Smart Phones oder E-Bikes eine deutlich höhere Lebensdauer. Der Grund ist, dass sie im Auto von der Elektronik gemanagt und nie ganz entladen werden. Bei vielen Elektroautos wird die Batterie zudem temperiert – im Winter geheizt und im Sommer gekühlt. So erreichen sie 1000 bis 2000 vollständige Zyklen (jeweils ganz geladen und entladen), bis die Kapazität auf 80% gesunken ist. In der Praxis erreichen die Batterien auch bei täglichem Gebrauch Lebensdauern von zehn Jahren und mehr. Die meisten Hersteller geben eine Garantie für acht Jahre.

1000 km in acht Tagen

In der 8-tägigen Reise ist Claudio Pfister 1000 km gefahren. Die reine Fahrzeit betrug 18 h. Die Ladezeit unterwegs betrug insgesamt 2 h, wenn man das Laden über Nacht im Hotel nicht dazuzählt. Insgesamt verbrauchte er 300 kWh Strom – ohne Fahrräder auf dem Dach wären es 200 kWh gewesen. Da sein Tesla noch aus der Zeit kommt, als der Strom gratis abgegeben wurde, war die Fahrt «gratis». Aber auch wenn er den Strom hätte bezahlen müssen, hätte die Reise nur 50 bis 100 CHF gekostet. Was neben den Kosten für die Übernachtungen nicht wirklich ins Gewicht fällt.

CO2-Emissionen

Bezüglich Umweltbelastung ist natürlich auch ein Elektroauto nicht CO2-frei. Je nachdem, wie der Strom generiert wurde, ist er mit mehr oder weniger CO2 belastet. Für den Schweizer Strommix rechnet Pfister mit 100 g CO2/kWh, womit er für den Tesla S auf umgerechnet 20 g/km kommt (normale Fahrt, ohne Fahrräder auf dem Dach). Hinzu kommt das CO2, das bei der Autoherstellung anfällt. Pfister rechnet hier mit 50 g/km, wobei die Zahlen je nach Studie weit auseinanderklaffen. Insbesondere die Distanz, welche das Auto über die ganze Lebensdauer fährt, fliesst direkt in den CO2-Ausstoss pro km ein. Umgekehrt ausgedrückt: Je mehr man mit einem Elektroauto fährt, desto umweltfreundlicher ist es. Wer hingegen nur ab und zu ins Dorf einkaufen fährt, kauft sich lieber ein Occasionsauto – heute noch ein Auto mit Benzin- oder Dieselmotor – und spart den CO2-Ausstoss der Herstellung.

70 g CO2/km

Insgesamt rechnet Pfister für seinen Tesla S mit 70 g CO2/km. Im Vergleich dazu verbrauchte sein früheres Auto, der A8, 13 l Benzin auf 100 km. Das entspricht 300 g CO2/km – ohne das CO2 aus der Herstellung. Nun war der A8 natürlich schon älter. Aber auch ein BMW der 6er-Serie braucht im realen Strassenverkehr rund 12 l Benzin oder 8 l Diesel auf 100 km.[1]

Die Diskussion, dass bei Elektro­autos viel CO2-Emissionen bei der Herstellung der Batterie anfallen, sensibilisiert die Hersteller. Sie beginnen, die Batterien mit Strom aus erneuerbaren Energien herzustellen. Noch werden zwar viele Batterien in Asien produziert, wo der meiste Strom aus Kohlekraftwerken kommt. Tesla baut seine Batterien aber bereits mit erneuerbarer Energie. Weitere Infos zur Umweltbilanz von Elektroautos und Lithium- Ionen-Batterien sind zusammengefasst in [2] sowie in den Artikeln «Nachhaltigere Mobilität» und «Lithium-Batterien sind besser als ihr Ruf», veröffentlicht im Bulletin SEV/VSE 3/2020.

300 km Reichweite genügt

Als Fazit aus der Reise mit dem Elek­tromobil durchs Südtirol zeigt sich, dass die benötigte Ladeinfrastruktur bereits so verbreitet ist, dass sie ein entspanntes Reisen ermöglicht. Wer ein Elektroauto kaufen will, muss sich nicht für eine möglichst grosse Reichweite entscheiden. In der Praxis reichen 200 bis 300 km, auch wenn man gelegentlich übers Wochenende wegfahren oder mit dem Auto in die Ferien verreisen möchte.

Referenzen

[1] www.spritmonitor.de

[2] Leonid Leiva, «Wie stark belastet die Batterieherstellung die Ökobilanz von Elektroautos?», www.energie-experten.ch/de/mobilitaet/detail/wie-stark-belastet-die-batterieherstellung-die-oekobilanz-von-elektroautos.html

 

Events

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V.E.P. Führungen am Autosalon 2020

E-mobile ist auch am kommenden Autosalon in Genf (GIMS2020) mit seinen V.E.P. (Very Efficient Person) Führungen präsent. Interessiert an einer Teilnahme? Melden Sie sich .

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Lokale Unternehmen und Institutionen organisieren meist zusammen mit ihrer Energiestadt sowie mit E-Mobile die Ausstellung «Elektromobilität und Solarstrom». Hier kann sich das Publikum neutral beraten lassen, Elektrofahrzeuge unverbindlich Probe fahren und – als seltene Gelegenheit für Kaufinteressierte – diverse Modelle vor Ort direkt miteinander vergleichen.

Video Event Driving Experience

Aktuelle Probefahrten und Info

Autor
Guido Santner

ist freier Wissen­schafts­journalist.

Kommentare

Matthias Rauh,

GÄÄÄÄÄHNNN ;)
Für erfahrene Elektromobilisten ist der Artikel so spannend wie der Sack Reis in China :) (ich weiss, die sind nicht Zielgruppe)

1000 km in einer Woche... demnächst stehen 3000 in 2 Wochen an, u. a. nach Polen, mit einem ähnlichen Auto (Model S85D, mit 90% Batteriekapazität bei 150'000 km.

Hans Lütolf,

Das ist korrekt, erfahrene Elektromobilisten kennen sich ja auch bereits damit aus. :-) Aber für den grössten Teil der Bevölkerung ist das noch totales Neuland. Ausserdem ist doch die Reichweite und die Langstrecke immer eines der Lieblingsargumente der «Ahnungslosen». Ich bin da froh um jede Aufklärung wie zum Beispiel hier:
https://teslawissen.ch/langstrecke-mit-dem-tesla-geht-das/

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