PV: Ein einziger Schalter bietet genug Schutz
Pilot- und Demonstrationsprojekt
Die Solarbranche hat die Empfehlungen des Netz- und Anlagenschutzes sowie die unterschiedlichen Vorgaben der Netzbetreiber wiederholt als Hindernis beim PV-Ausbau kritisiert. Eine Arbeitsgruppe hat in der umstrittenen Frage nun einen schweizweiten Konsens erzielt: Die Anforderungen an den NA-Schutz im Niederspannungsnetz werden gelockert.
Wenn es um die dezentrale Stromerzeugung beispielsweise mit PV-Anlagen geht, spielt die Branchenempfehlung Netzanschluss für Energieerzeugungsanlagen an das Niederspannungsnetz des VSE eine zentrale Rolle. Die Schweizer Verteilnetzbetreiber regeln in diesem Dokument alle elektrotechnischen Details, die für eine sichere Stromeinspeisung ins Netz zu beachten sind. Die Branchenempfehlung wird regelmässig den neusten Erkenntnissen und Erfordernissen angepasst. Die nächste Überarbeitung dürfte im Frühjahr oder Sommer 2025 veröffentlicht werden.
Eine Neuerung wird den Netz- und Anlagenschutz – kurz: NA-Schutz – betreffen. Der NA-Schutz ist vereinfacht ausgedrückt ein Sicherheitsschalter, der eine PV- oder eine andere Stromerzeugungsanlage (z. B. Netzbatterie oder bidirektionale Ladestation) bei einer Netzstörung vom Netz entkoppelt und damit verhindert, dass in das fehlerhafte Netz weiterhin Strom eingespeist wird. Zu dem Zweck ist jeder Wechselrichter einer PV-Anlage mit einem NA-Schutz ausgestattet.
Kommt es in einem Niederspannungsnetz zu einem Kurzschluss, einem längeren Spannungsabfall oder einer zu hohen Frequenzabweichung, trennt der NA-Schutz die Energieerzeugungsanlagen vom Netz, um Schäden im Netz zu vermeiden und dessen Reparatur zu ermöglichen. Ist hingegen zum Beispiel ein Spannungsabfall nur geringfügig oder nur sehr kurz, soll der NA-Schutz keine Trennung auslösen, um die Stromversorgung nicht unnötig zu gefährden. Damit der NA-Schutz immer in der gewünschten Weise reagiert, ist eine korrekte Einstellung der Wechselrichter durch die Installateure unerlässlich.
Nach bisheriger Regelung wurde für PV-Anlagen im Niederspannungsnetz mit mehr als 30 kW Leistung (z. B. grosse Dachanlage auf einer Scheune oder einem Gewerbebetrieb) ein zweiter, externer NA-Schutz verlangt. Diese redundante Ausführung des NA-Schutzes wird mit der neuen Branchenempfehlung abgeschafft. «Damit können Solaranlagen in diesem Leistungsbereich künftig einfacher und günstiger gebaut sowie deren Verlässlichkeit erhöht werden», sagt Thomas Hostettler vom Branchenverband Swissolar.
Redundante Lösung umstritten
Über die Ausgestaltung des NA-Schutzes bei PV-Anlagen herrschte lange Uneinigkeit. Der Streit entzündete sich insbesondere an dem externen NA-Schutz für Energieerzeugungsanlagen im Niederspannungsnetz ab 30 kW Leistung. Dieser Schutzschalter musste bisher am Netzanschlusspunkt eingebaut werden. Vertreter der Solarbranche hielten das für eine unnötige Anforderung, da bereits im Wechselrichter der PV-Anlage ein NA-Schutz vorhanden ist, der dieselbe Funktion erfüllt. Manche Verteilnetzbetreiber hingegen befürworteten einen zweiten Schalter. Sie argumentierten, dieser biete einen zusätzlichen Schutz, sollte der NA-Schutz im Wechselrichter nicht ordnungsgemäss funktionieren, z. B. aufgrund einer falschen Einstellung. Sie verweisen hierbei auf das Stromversorgungsgesetz (Art. 8 Abs. 1), wonach die Verteilnetzbetreiber für den sicheren Netzbetrieb verantwortlich sind.
Vor diesem Hintergrund hat sich eine breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe gebildet, um die Notwendigkeit des externen NA-Schutzes zu überprüfen. Im Projekt mit dem Kürzel NAEEA+, welches durch das P+D-Programm des BFE gefördert wurde, waren die Schweizer Stromversorger, die Solarbranche und vier akademische Einrichtungen vertreten (Kasten). «Das Projekt brachte die gesamte Branche zusammen, um auf der Grundlage einer detaillierten Studie festzustellen, ob es einen Nutzen für den externen NA-Schutz gibt oder nicht, und um einen fundierten Konsens zu erzielen, der für die gesamte Schweiz gilt», sagt Karin Söderström, die das Projekt vonseiten des BFE begleitete.
Die Arbeitsgruppe führte einen intensiven Fachdialog unter Einbezug von externen Expertinnen und Experten. Die Forschungsstelle Energienetze der ETH Zürich erstellte – neben ihrer Aufgabe als Projektkoordinatorin – Simulationen zu Auswirkungen eines fehlerhaften NA-Schutzes auf das Verteilnetz. Die BFH führte in ihrem Prüflabor in Burgdorf Experimente mit NA-Schutzgeräten durch. Die TU Graz steuerte Risikoanalysen zu potenziellem Fehlerverhalten von NA-Schutzgeräten bei.

Inselnetze vermeiden
Nach einer Erfassung aller Anliegen und potenzieller Störszenarien rund um den NA-Schutz konzentrierten sich die Diskussionen auf die Fragen, ob die NA-Schutzfunktion der Wechselrichter zuverlässig funktioniert, wie hoch das Risiko von Falscheinstellungen ist, und ob eine redundante Auslegung des NA-Schutzes die Bildung von Inselnetzen in Verteilnetzen verhindern kann. Ein Inselnetz kann entstehen, wenn zum Beispiel ein Transformator, der ein ganzes Dorf mit Strom versorgt, ausfällt. Sind in dem Dorf genügend PV-Anlagen in Betrieb und gibt es zudem eine Anlage, die die Frequenz vorgeben kann (zum Beispiel ein kleines Laufwasserkraftwerk), ist es möglich, dass die Stromversorgung des Dorfes fortbesteht, obwohl dieses vom übergeordneten Stromnetz abgeschnitten ist.
Inselnetze sind selten, aber es sind Fälle im Ausland bekannt, bei denen Mittelspannungsnetze allein durch einen Windpark versorgt wurden. Mit dem Ausbau der dezentralen Energieversorgung könnten Inselnetze vermehrt entstehen. Netzbetreiber wollen diese aus Sicherheitsgründen unbedingt vermeiden.
Neue Regelung wird bereits umgesetzt
Inselnetze könnten in Zukunft mit den nötigen Vorkehrungen genutzt werden, um Stromnetze resilienter zu machen. Unbeabsichtigte Inselnetze aber sind zu unterbinden, da waren sich die Expertinnen und Experten im NAEEA+-Projekt einig. Doch hilft eine redundante Auslegung des NA-Schutzes tatsächlich, um PV-Anlagen bei einer Netzstörung vom Netz zu trennen und Inselnetze zu vermeiden? Die Analysen, Simulationen und Experimente zeigten, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen NA-Schutz und Inselnetzen gibt. «Wir konnten zeigen, dass ein intakter NA-Schutz die Inselbildung keineswegs ausschliesst, und umgekehrt wird Inselbildung auch nicht durch fehlerhaften NA-Schutz verursacht», sagt ETH-Wissenschaftler Alexander Fuchs, der das NAEEA+-Projekt koordiniert hat. «Um Inselnetze zu unterbinden, muss man eine andere Funktion des Wechselrichters nutzen, die aktive Inselnetzerkennung. Oder man stellt durch Messung und Fernsteuerung sicher, dass netzbildende Anlagen getrennt werden, wenn ein Inselnetz zu entstehen droht», ergänzt Fuchs.
Die im Projekt versammelten Expertinnen und Experten waren sich am Ende einig, dass auf den externen NA-Schutz bei Photovoltaik- und anderen Stromerzeugungsanlagen im Niederspannungsnetz verzichtet werden kann. Als dieses Ergebnis Mitte 2024 öffentlich wurde, ging eine Arbeitsgruppe des VSE daran, die eingangs genannte Branchenempfehlung zu überarbeiten. Das Ergebnis soll im Verlauf des Jahres 2025 vorliegen. Bis dahin gilt eine Übergangsregelung, die der neuen Empfehlung Rechnung trägt. Etliche Verteilnetzbetreiber setzen die neue Regelung bereits um und fordern in ihrem Netzgebiet keinen externen NA-Schutz mehr.
Alle Akteure in der Pflicht
Verzichtet man auf einen externen NA-Schutz, verlässt man sich auf den NA-Schutz im PV-Wechselrichter. Damit dieser NA-Schutz korrekt funktioniert, muss der Wechselrichter richtig eingestellt sein. Analysen im Projekt haben ergeben, dass dies nicht immer der Fall ist. Um die Verlässlichkeit weiter zu erhöhen, sieht die Neuregelung des NA-Schutzes zwei Massnahmen vor:
Erstens sollen die Solarinstallateure bei der korrekten Einstellung der Wechselrichter unterstützt werden. Hierfür stellen die Verteilnetzbetreiber Einstellvorgaben für ihr Netzgebiet zur Verfügung, und Swissolar erstellt für die verschiedenen Wechselrichter-Typen ein Referenzdokument, wie diese Einstellungen in verschiedenen Wechselrichtermodellen vorgenommen werden können.
Zweitens melden die Installateure bzw. beauftragte Kontrolleure die vorgenommenen Wechselrichter-Einstellungen an die Verteilnetzbetreiber. Die Umsetzung der Dokumentation ist noch zu definieren, soll aber möglichst einheitlich erfolgen und in bestehende Prozesse eingebunden werden.
«Diese beiden Massnahmen schaffen die nötige Sicherheit in den Verteilnetzen, die den Netzbetreibern bei einer zuverlässigen Stromversorgung hilft», sagt Patrick Bader, VSE-Vertreter im NAEEA+-Projekt.
Von der Neuregelung des NA-Schutzes profitieren alle Personen, die neu eine Solaranlage über 30 kW Leistung im Niederspannungsnetz in Betrieb nehmen wollen. Sie werden nach einer Überschlagsrechnung von Alexander Fuchs im Durchschnitt rund 5 bis 10% der Investitionskosten sparen, weil sie auf den externen NA-Schutz verzichten können. Nach Einschätzung von Fuchs kommt dieser Vorteil jedes Jahr bei rund der Hälfte der schweizweit neu installierten PV-Leistung zum Tragen.
Literatur
Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Netze finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-strom.
Link
Hinweis
Auskünfte zum Thema erteilen Karin Söderström, mitverantwortlich für das Pilot- und Demonstrationsprogramm des BFE, und Michael Moser, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Netze
Kooperation
Forschungsgruppe
Die Neuregelung des NA-Schutzes von dezentralen Energieerzeugungsanlagen wurde von einem breit abgestützten Projektteam erarbeitet. Vertreten waren der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der Verband Schweizerischer Elektrokontrollen (VSEK), 18 Verteilnetzbetreiber und Swissgrid. Hinzu kam die Schweizer Solarbranche, vertreten durch den Branchenverband Swissolar, sowie Hersteller von NA-Schutzgeräten und die Firma Kühn – Netz und Systemschutz. Teil des Projektkonsortiums waren überdies Vertreter von vier akademischen Institutionen: die Forschungsstelle Energienetze der ETH Zürich, das PV-Labor der BFH, das Institut für Elektrische Energietechnik der FHNW und das Institut für Elektrische Anlagen und Netze der TU Graz. Ergänzend wurde die Expertise von Schutzexperten, Wechselrichterherstellern und Fachgruppen aus dem In- und Ausland eingeholt.
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