Interview Automation , Energieeffizienz

«Prozessabläufe müssen flexibler und effizienter werden»

Interview mit Benoît Revaz

24.09.2019

Seit drei Jahren ist Benoît Revaz Direktor des Bundesamts für Energie. Er wird am 4. Dezember 2019 am Motor Summit 2019 in Bern der Keynote-Redner sein. Was sind seine Vorstellungen zur Rolle der Industrie bezüglich Energieeffizienz?

Stefan Hartmann: Herr Revaz, wo steht die Schweiz in Sachen Energieverbrauch?

Benoît Revaz: Der Stromverbrauch der Schweiz stagniert seit 15 bis 20 Jahren bei rund 60 TWh. Dies zeigt, dass es gelungen ist, den Energieverbrauch vom BIP zu entkoppeln. Wachstum ist nicht mehr automatisch mit mehr Stromverbrauch verbunden. Wir haben uns stark zu einer Dienstleistungs­gesellschaft gewandelt. Zudem ist die Effizienz allgemein gestiegen.

Also ist die Schweiz auf Kurs in Sachen Energiewende?

Ja und Nein. Wir haben zum Beispiel im Haushalt massiv mehr elektrische Geräte, aber der Verbrauch steigt dank Effizienzvorschriften nicht. Bei den Widerstandsheizungen oder Beleuchtungen im Winter bleibt aber noch viel zu tun; sie alleine verbrauchen mehrere Terawattstunden. Das entspricht dem Winterstromdefizit der Schweiz. Da liegt also noch ein grosses Potenzial.

Kritiker sagen, dass die Umstellung auf Erneuerbare viel zu langsam gehe. So könne das angestrebte Ziel eines CO2-freien 2050 nie erreicht werden.

Das kann man so nicht sagen. Im Bereich Photovoltaik sind wir zum Beispiel weiter als in den Annahmen vor zehn Jahren. Derzeit denken wir die Energieperspektiven der Schweiz neu; das ist eine grosse Baustelle in meinem Amt. Wir planen dabei bis 2060. In unseren Modellen überlegen wir, was passiert, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen, die wir im Abkommen von Paris unterzeichnet haben. Wir setzen auf den Markt – aber was geschieht, wenn er verzerrt ist und nicht mitzieht? Das ist die grosse Unbekannte.

Was sind Ihre grössten Sorgenkinder?

Für gewisse Technologien ist es schwierig, den Kurs zu halten. So gibt es etwa bei Wind oder Geothermie viele Widerstände. Die Gerichte müssen hier erst Klarheit schaffen. Dies braucht viel Zeit.

Welche Rolle spielt die Industrie bei der Erreichung der Ziele für den Strom in der Energiestrategie 2050?

Ohne Beteiligung der Industrie erreichen wir das nicht. Sie spielt eine wichtige Rolle in der Umsetzung und hat sehr früh Effizienzmassnahmen eingeleitet. Die Richtwerte bei der Reduktion des Stroms bis 2035 sind bei der Industrie 13%, das steht im Gesetz.

Rund zwei Drittel des Industriestroms gehen auf das Konto der rund zwei Millionen Elektromotoren im Land. Welche Instrumente hat das BFE, um die Energieeffizienz der Motoren weiter zu verbessern?

Einerseits gibt es die regulatorische Seite, wobei wir die Mindestanforderungen der EU übernehmen (aktuell IE3 bzw. IE2 mit Frequenzumrichter). Wir machen keinen Alleingang im europäischen Wirtschaftsraum, sondern setzen auf das gleiche Niveau wie die europäischen Verpflichtungen, damit der Industrie daraus keine wettbewerblichen Nachteile entstehen. Anderseits setzen wir auf freiwillige Massnahmen.

Was beinhalten diese Massnahmen?

Wir reden von Prozessen und Systemen, die Einsparungen von 30 bis 50% erlauben! Für KMUs haben wir das Programm für professionelle Energieberatung PEIK, für grössere Firmen die Zielvereinbarungen, um Potenziale auszuschöpfen. Dann haben wir das Programm ProKilowatt, wo wir gewisse Massnahmen unterstützen, wenn der Payback höher als vier Jahre liegt. Dabei können sich auch die Partner einer Branche, etwa jene der Kläranlagen-Betreiber, zusammenschlies­sen, gemeinsam Motoren bestellen und so sparen.

Wie steht es mit dem Willen zur Erneuerung des Motorenparks?

Das Trägheits-Moment spielt eine gewisse Rolle; manche Unternehmen belassen lieber die alten Motoren, als dass sie neue, effizientere anschaffen; Gründe: Man hat Angst, Produktionsprozesse zu unterbrechen; zudem ist der Industriestrom günstig.

Reicht der blosse Ersatz der Motoren?

Über den Austausch alter Motoren hinaus können die Ingenieure die Produktionsprozesse effizienter machen, um die Produktivität zu erhöhen. Dabei muss auch das Management vom Wert der Massnahmen sowie der Systembetrachtung überzeugt werden.

Wie können Widerstände überwunden werden?

Oft fehlt es schlicht an Know-how. Wir vom BFE unterstützen Kurse zur Weiterbildung, die u. a. durch Topmotors erfolgen. Dann spielen die Investitionen immer eine Rolle; sie müssen sich im Einsparpotenzial widerspiegeln.

Ist dies in der Industrie angekommen?

Pauschal kann ich das nicht beantworten. Die Sorgen rund um die Kosten sind in der Industrie ein grosses Thema. Bei grossen Investitionsprojekten können wir mit diversen Förderprogrammen helfen, Hindernisse zu überwinden.

Welches ist die Rolle der Schweiz auf internationaler Ebene?

Wir sind als Beobachter präsent in den EU-Gremien in Brüssel und nehmen an Konferenzen teil und können da die Erfahrungen der Schweiz einbringen. Wir sind stolz, dass Deutschland und Grossbritannien unser Förderinstrument Pro­Kilowatt übernommen hat. Auch die Türkei ist sehr interessiert, da dort die Energie relativ teuer ist.

Welche Mittel haben sich bewährt?

Wir setzen auf Subsidiarität, also die Eigenverantwortung der Industrie, sei es bei regulatorischen Massnahmen oder bei gewissen Anreizen. Aber dann muss auch der Markt spielen.

Gemäss dem neuesten Topmotors Market Report sind bereits zwei Drittel der 2017 in der Schweiz verkauften Motoren mit 0,75 bis 375 kW Leistung hocheffiziente IE3- und IE4-Motoren. Entspricht das den Zielen des BFE?

Das ist eine sehr gute Nachricht. Wir sind nicht überrascht, dass Firmen Prozessbetrachtungen anstellen. Sie handeln nicht aus idealistischen Gründen, sondern haben festgestellt, dass es sich lohnt, hocheffiziente Motoren einzusetzen.

Begrüsst die Schweiz die anstehende Verschärfung der Mindestanforderungen der EU bei Elektromotoren, Umwälzpumpen und Ventilatoren?

Es ist wichtig, dass sich die Mindestanforderungen ständig weiterentwickeln. Die regulatorischen Massnahmen müssen die technische Entwicklung aber auch antizipieren. Die Schweiz hat bei IE3-Motoren bereits 2014 vorgespurt, indem als Alternative IE2-Motoren mit Frequenzumrichtern (FU) erlaubt wurden. Trotz IE2 und FU werden mehr und mehr IE3- und IE4-Motoren angeschafft. Das sind gute Signale.

Wie wollen Sie die Industrie motivieren, ihre Antriebssysteme weiter zu verbessern?

Jedes Jahr werden in der Schweiz 170’000 Motoren verkauft, davon sind viele effiziente Motoren. In der Gesamtbetrachtung spart man über die Zeit Geld, nicht nur weil der Energieverbrauch gesenkt wird, sondern weil die Produktionsprozesse flexibler und effizienter werden. Das wäre meine erste Botschaft.

Sie sind Keynote Speaker beim Motor Summit. Was möchten Sie vermitteln?

Als Fribourger möchte ich bereits im Voraus den Appell an die Landsleute in der Westschweiz richten, dass sie in Bern am Summit teilnehmen! Wichtig am Summit sind meiner Meinung nach die «best practices» – also, gute und schlechte Erfahrungen auszutauschen.

Was sind weitere Botschaften am Summit 2019?

Dass die Unternehmen, die sich das leisten können, ihre Kompetenzen weiterentwickeln, oder dass sie mittels der verschiedenen Programme, Zielvereinbarungen etc. sich Kompetenzen und Expertisen einholen, um ihr Potenzial auszuschöpfen.

Wo hapert es am meisten?

Auf allen Niveaus – sei es in Haushalten, Unternehmen, in der Gemeinde oder der öffentlichen Hand – fehlt der Überblick über mögliche Einsparpotenziale. Und dass man über PEIK oder die Zielvereinbarungen eine Analyse des Energiepotenzials vornimmt.

Werden Sie die Teilnehmer des Summits daran erinnern, einen Beitrag zur Energiestrategie beizusteuern?

Die Industrie verbraucht 30% des Gesamtstroms, d. h. sie muss ihren Beitrag leisten und 13% einsparen bis 2035. Das ist ein enger Planungshorizont, was die Umwandlung von Produk­tionsprozessen betrifft. Das heisst, sie müssen heute ihren Betrieb analysieren und Potenziale ausschöpfen.

Wie steht es mit den CO2-neutralen Prozessen in der Produktion, im Gebäudebereich, in der Mobilität?

Diesem Anliegen trägt die Revision des CO2-Gesetzes Rechnung; sie wird diesen Herbst im Ständerat behandelt. Eine weitere Herausforderung für die Industrie.

Förderprogramm

ProKilowatt senkt den Stromverbrauch in Industrie- und Dienst­leistungs­unter­nehmen sowie Haushalten durch die finanzielle Förderung der Energie­effizienz (finanzielle Beiträge, Beratungen usw.). Grundsätzlich zielt das Programm auf eine Senkung der finanziellen Hindernisse für Investitionen bei unrentablen Mass­nahmen und kann durch Information­smass­nahmen, Beratung und/oder Ausbildung ergänzt werden.

www.prokw.ch

Autor
Stefan Hartmann

ist freier Journalist.

  • Presseladen, 8006 Zürich 


Zur Person

Benoît Revaz leitet seit Oktober 2016 das Bundesamt für Energie. Der Unter­walliser studierte Rechts­wissen­schaften an der Univer­sität Freiburg (Schweiz). Er arbeitete als Energie-Strategie­berater bei E-CUBE Strategy Consul­tants (2014–2016). Erfah­rungen in der Privat­wirtschaft sammelte er u.a. bei Alpiq, EOS Holding und EEF.

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