Verband CES

Product Compliance und Normen-Monitoring

Ein automatisches Monitoring von Normen ist sinnvoll

26.10.2020

EU-Direktiven, Verordnungen und Normen sind oftmals komplex und nicht immer leicht zu verstehen. Mit erweiterter Produktfunktionalität hat auch die Komplexität bei der Konformitätsbewertung zugenommen. Hersteller, Distributoren, Importeure etc. haben oft Mühe, die Übersicht über die Normen und die Gültigkeit sowohl für ihre Produkte wie auch für zugekaufte Komponenten zu behalten. Ein Vorteil von Normen ist, dass sie den freien Warenverkehr und den Export erleichtern. In Bezug auf Produktkonformität spielen sie ebenfalls eine wichtige Rolle. Zudem geben sogenannte harmonisierte Normen eine «presumption of conformity», also eine Konformitätsvermutung.

Eine harmonisierte Norm (hEN) wird im Amtsblatt der Europäischen Union (OJ) veröffentlicht. Für Produkte, die in Übereinstimmung mit einer hEN sind, gilt ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung im OJ die Konformitätsvermutung. Eine Vorgängernorm kann mit der neuen Norm auch aufgehoben werden, was bedeutet, dass ein Produkt dann nicht länger über eine Konformitätsvermutung verfügt und deshalb eine erneute Prüfung erforderlich ist.

Mit der Gewissheit der Konformitätsvermutung kann ein Hersteller bei Erfüllung aller anzuwendenden Richtlinien/Verordnungen für das Produkt auch die CE-Kennzeichnung anbringen und die Konformitätserklärung (Declaration of Conformity) unterzeichnen.

Harmonisierte Normen

Als harmonisierte Normen werden europäische Normen angesehen, die europäische Normungsorganisationen (CEN, Cenelec, ETSI) der europä­ischen Kommission formell vorlegen und die in ihrem Auftrag erarbeitet wurden. Anschliessend werden sie im Amtsblatt veröffentlicht und in eine nationale Norm umgesetzt.

Wenn ein Hersteller keine harmonisierte Norm anwendet, muss er anderweitig den Nachweis führen, um die Konformität sicherzustellen respektive nachzuweisen. Das bedeutet eine Umkehr von einer gegebenen Konformitätsvermutung zur Beweispflicht durch den Hersteller. Im Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 – kurz «Blue Guide» – sind die Rechte und Pflichten der verschiedenen Akteure (Hersteller, Bevollmächtigter, Einfüh­rer, Händler, andere Vermittler, Endbenutzer) gut beschrieben und in allen EU-Sprachen verfügbar.

Weitere interessante Abschnitte sind z.  B. wesentliche Produktanfor­derungen, Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnungs­vorschriften, häufig gestellte ­Fragen, Marktüberwachung, Konformitäts­bewertungsstellen. Hier ein Ausschnitt aus dem Blue Guide:        

4.1.2. Konformität mit den wesentlichen Anforderungen: Harmonisierte Normen

  • Die Begriffe «Norm», «nationale Norm», «europäische Norm», «harmonisierte Norm» und «internationale Norm» sind genau bestimmt.
  • Die Anwendung von Normen ist freiwillig.
  • «Harmonisierte Normen» sind «europäische Normen», die auf der Grundlage eines Auftrags der Kommission zur Durchführung von Harmoni­sierungs­rechts­vorschrif­ten der Union angenommen wurden.
  • Bei Anwendung einer harmonisierten Norm ist auto­matisch von der Konformität mit den wesentlichen Anfor­derungen, die sie abdeckt, auszugehen («Konformitäts­vermutung»).

 

Bezogen auf das Produkt haben Normen einen wichtigen Einfluss. In Normengremien angekündigte Informa­tionen sind nützlich, um zu sehen, wohin die Entwicklung führt, und um den Zeitvorsprung für neue Innovationen zu nutzen. So bringt sich die Schweiz bezüglich Normung nicht nur in Themen wie EMV und elektrische Sicherheit ein, sondern auch im Bereich Umwelt und Energieeffizienz.

Die europäischen Normungsorganisationen (ESO) und deren Vertreter in der Schweiz erstellen prozesskonform die Inhalte der europäischen Normen für den Bereich Elektrotechnik, wahrgenommen durch die Electrosuisse, CES.

Es ist sichergestellt, dass alle interessierten Kreise an der Normerstellung mitwirken können, im Rahmen ihres Engagements auf nationaler und/oder europäischer bzw. internationaler Ebene.

Die Konformitätserklärung

Die EU-Konformitätserklärung für elektrische Produkte ist verbindlich und ein wichtiges Dokument. Sie ist wie der Steckbrief zu den anzuwendenden Richtlinien/Verordnungen und den entsprechenden Normen. Die enthaltenen Angaben müssen vollständig und richtig sein.

Die Konformitätsaussage des Austellers beruht auf der Entscheidung, dass die festgelegten Anforderungen (Richtlinien und Normen) eines Produktes erfüllt werden. Im Bereich Funk sowie Maschinen muss die EU-Konformitätserklärung der Ware beigelegt oder der Inhalt der EU-Konformitätserklärung in der Bedienungsanleitung abgedruckt sein.

Der Aussteller muss auf Anfrage der zuständigen Regulierungsbehörde (Marktaufsicht) unterstützende Unterlagen zur Verfügung stellen. Dazu gehören die Beschreibung des Produktes, Konstruktionsdokumentation (z. B. Diagramme, Zeichnungen, Spezifikationen), Ergebnisse der Konformitätsbewertung, wie eigene Testberichte oder Prüfberichte der Konformitätsbewertungsstellen. Die unterstützenden Unterlagen müssen so erstellt, aufbewahrt, kontrolliert und gepflegt werden, dass eine Rückverfolgbarkeit möglich ist. Bei Maschinen ist die EU-Konformitätserklärung mindestens zehn Jahre lang aufzubewahren.

Für Händler und Distributoren, die von ausserhalb der EU importieren, müssen diese in der Rolle des Einführers sorgen, dass die Ausstellung der EU-Konformitätserklärung und Bereithaltung der relevanten technischen Unterlagen vom Hersteller und/oder von ihnen selber erfolgt. Die Schwierigkeit liegt dabei, dass nicht immer die unterstützenden Prüfberichte und Unterlagen ausgehändigt werden, aber die Verantwortung beim Einführer liegt. Der Normenstand der Produktepalette soll auf dem aktuellsten Stand gehalten werden. Dies bedeutet ein konstantes Monitoring der relevanten Normen und Regulationen.

Die Erfüllung aller anzuwen­denden Richtlinien/Verordnungen

Die Frage, ob eine vollständige Abdeckung für ein Produkt vorliegt, das heisst, ob alle relevanten Normen, Richtlinien/Verordnungen berücksichtigt wurden, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich und benötigt detailliertes Fachwissen. Eine systematische Vorgehensweise und gute Dokumentation helfen dabei.

Sinnvollerweise werden Anwenderdokumentationen gemäss der Norm für Bedienungsanleitungen erstellt, z. B. gem. EN 82079­1:2012 (Normen­shop: Artikel DV­23988/4 in Deutsch), diese enthält auch Checklisten für Konformität, Effektivität der Kommunikation, Planung der Erstellung einer vollständigen Anleitung.

Abdeckung einer Norm mit dessen Richtlinie

Um den Nachweis zu führen, dass Produkte den Richtlinien bzw. Verordnungen genügen, sind die europäischen Normen, also die EN-Normen zu verwenden. Die nationalen Normen, mit dem Präfix «SN EN» sind in aller Regel inhaltlich identisch zu der EN.

Der Anhang ZZ ist nur bei hENs vorhanden und validiert die Anforderungen zwischen den EU-Verordnungen zu der Norm.

Der Anhang ZZ gibt den Zusammenhang zwischen der EN-Norm und den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der abzudeckenden Richtlinie an. Es kann sein, dass grundlegende Anforderungen nur beschränkt oder gar nicht abgedeckt und dazu Erläuterungen vorhanden sind. Das bedeutet, dass Punkte nicht abgedeckter Anforderungen (= eingeschränkte Vermutungswirkung) durch den Hersteller zusätzlich nachgewiesen werden müssen.

Es kann durchaus sein, dass das ­technische Komitee nicht alle Gefährdungen behandelt hat, ein Produkt eine Besonderheit aufweist und/oder der Stand der Technik nicht genügend berücksichtigt wurde. Die Richtlinien verlangen jedoch auch, dass die technische Dokumentation eine geeignete Risikoanalyse und -bewertung enthalten muss, damit möglichst alle Even­tualitäten berücksichtigt werden. Im Anhang ZZ unter der Tabelle wird im Warnhinweis auch darauf hingewiesen, regelmässig im Amtsblatt auf die Auflistung der Norm zu achten, denn es kann sein, dass durch einen formellen Einwand eine Norm wieder aus dem OJ entfernt wird, wie dies beispielsweise bei der EN  60335-2-14 (Küchenmaschinen) geschehen ist.

Zusammenhang zwischen Normen und Gesetzgebung
Die Methode der indirekten Bezugnahme (CEN-Cenelec Guide 30 «European Guide on Standards and Regulation») ermöglicht es dem Gesetzgeber, sich auf die Flexibilität des freiwilligen Normungsrahmens zu verlassen. Die Normen werden dabei bei Bedarf aktualisiert, um den Marktanforderungen gerecht zu werden, ohne dass Änderungen der Gesetzgebung erforderlich sind.

Dies bringt den Vorteil, dass die Trennung zwischen freiwilligen Normen und verbindlichen Rechtsvorschriften auf innovationsfreundliche Art und Weise aufrechterhalten werden kann.

Die wichtigsten Unterschiede und Merkmale von Gesetzgebung und Normen sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Fazit und Zusammenfassung

Um Probleme zu vermeiden, ist ein Überwachen der Produktversionen mit den anwendbaren Normen wichtig. Dabei hilft eine gute Dokumentation und Übersicht über die verschiedenen Normen.

Den Überblick über Produkte und verwendete Komponenten zu behalten, ist wichtig, anspruchsvoll und zeit­intensiv, weshalb ein automatisches Monitoring von Normen sinnvoll ist.

Die Verwendung von harmonisierten Normen hilft dem Hersteller, und jeder kann in der Normungsarbeit mitwirken, um auf eine zukünftige Normenentwicklung vorbereitet zu sein und die Produkte allenfalls frühzeitig entsprechend anzupassen. Es ist wichtig, alle für ein Produkt relevanten Richtlinien/Verordnungen zu erkennen und die darunter abgebildeten harmonisierten Normen einzuhalten. Die informativen Zx-Anhänge einer Norm verschaffen einen Überblick, welche regulatorischen Anforderungen der jeweiligen harmonisierten Norm als erfüllt gesehen werden können und welche Punkte zusätzlicher Beachtung bedürfen.

Konsequenzen

Vernachlässigung von Produktkonformität

  • Grenzüberschreitendende Lieferungen eines Produktes innerhalb der EU oder deren Import kann eine Blockierung der Lieferung bedeuten, denn der Zoll prüft die Aktuali­tät aufgeführter Normen einer Konformitätserklärung.
  • Eine vertiefte Kontrolle wegen Unstimmigkeiten resultierend aus einer Marktüberwachung kann zu weiterem Aufwand und ungewollter Aufmerksamkeit führen.
  • Ausschreibungen oder Einkaufsbedingungen können gewisse Normen vorschreiben, was den Verkauf von Produkten beeinträchtigen oder ganz ausschliessen kann.
  • Schadensfälle können Regressforderungen bedeuten, wenn veraltete Normen, die nicht den aktuellen Sicherheitsanforderungen entsprechen, verwendet werden.
  • Ohne Abgleich des Produktlebenszyklus mit der Normentwicklung können allenfalls kostspielige Nachprüfungen in einem Prüflabor nötig sein, oder Nachfolgeprodukte sind zu spät bereit.
  • Zudem geben veraltete Norm- und Richtlinienangaben auf Datenblättern, Konformitätserklärungen, welche je nach Produkt auch Teil der Bedienungsanleitungen sein müssen, einen verstaubten Eindruck.

Möglichkeiten

Stets auf dem aktuellen Normenstand bleiben

  • Regelung der Zuständigkeit nach Produkt, um die Entwicklung der Richtlinien/Verordnungen und Normen zu verfolgen.
  • Ausbildung zum Product Compli­ance Officer (Electrosuisse Lehrgang Nov. 2020).
  • Externe Konsultation oder Servicedienstleistung.
  • Mitwirkung in der CES-Normenarbeit von Electrosuisse und Nutzung von Austausch mit Mitgliedern eines Komitees.

 

Autor
Hans Peter Leserf

ist Sekretär CES.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf